Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Urteil vom 17.11.1994; Aktenzeichen 7 L 1951/92)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. November 1994 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50.000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Berufungsurteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann. Wird, wie hier, die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe beschränkt. Diese rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

1. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensverstöße (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

a) Die Klägerin macht geltend, zwei namentlich benannte Peep-Show-Darstellerinnen seien nicht beigeladen worden, obwohl ihre Beiladung gemäß § 65 VwGO notwendig gewesen sei. Diese Rüge greift nicht durch.

Auf die Frage, ob die Voraussetzungen für eine (einfache) Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO vorgelegen haben, kommt es nicht an. Das Unterbleiben der einfachen Beiladung stellt keinen Verfahrensverstoß dar, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann (vgl. BVerwGE 37, 116; 55, 8 ≪12≫).

Ein Fall notwendiger Beiladung liegt nicht vor. Nach § 65 Abs. 2 VwGO sind Dritte notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzung liegt nur vor, wenn die begehrte Sachentscheidung des Gerichts nicht wirksam getroffen werden kann, ohne daß dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig in Rechte eines Dritten eingegriffen wird, d.h. seine Rechte gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (BVerwGE 55, 8 ≪12≫; Beschluß vom 22. Februar 1988 – BVerwG 1 B 21.88 – Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 115 S. 14; Beschluß vom 2. November 1994 – BVerwG 1 B 70.94 – Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 115 S. 1 f.). Die im vorliegenden Rechtsstreit zu treffende Entscheidung über Schließung, Erlaubnis oder Duldung eines Betriebs zur gewerbsmäßigen Schaustellung von Personen greift in dem dargelegten Sinne nicht in Rechte der Darstellerinnen ein. Deren Rechtsposition bestimmt sich insoweit nach dem jeweiligen Engagement-Vertrag, der nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist und auf den die von der Klägerin erstrebte Sachentscheidung auch nicht in der genannten Weise unmittelbar einwirken würde. Über ihre Rechte wird im vorliegenden Rechtsstreit nicht mitentschieden. Durch die Engagement-Verträge sind die Darstellerinnen auch nicht Mitbetreiberinnen des Etablissements der Klägerin geworden, so daß dahingestellt bleiben kann, ob sie unter dieser Voraussetzung hätten beigeladen werden müssen.

Damit erledigt sich zugleich die Rüge der Verletzung des „Art. 20 Abs. 3 GG in der Ausprägung des Justizgewährleistungsanspruchs und des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 19 Abs. 4 GG”, die die Klägerin in der Unterlassung der Beiladung sieht. Die Verwirklichung der Ansprüche auf Justizgewährleistung und rechtliches Gehör setzen hier nicht die Beiladung voraus. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß und warum die Klägerin selbst durch die fehlende Beiladung gehindert worden sein könnte, den von ihr für entscheidungserheblich angesehenen Sachverhalt hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten ihres Betriebs vorzutragen. Abgesehen davon, daß durch die erstrebte Entscheidung in Rechte der Darstellerinnen nicht unmittelbar eingegriffen würde, könnte sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auch nicht, wie sie geltend macht, auf etwaige Rechte der Darstellerinnen berufen. Dies gilt namentlich für die von ihr reklamierte „Prozeßstandschaft”. Dieses Institut ermöglicht es unter bestimmten Voraussetzungen, Rechte Dritter im eigenen Namen geltend zu machen. Die Prozeßstandschaft setzt u.a. ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Ermächtigten an der Geltendmachung eines Rechts im eigenen Namen voraus (BVerwGE 61, 334 ≪341≫). Ein solches eigenes Interesse der Klägerin ist weder in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt noch sonst ersichtlich.

b) Die Klägerin sieht einen Verfahrensmangel darin, daß das Oberverwaltungsgericht die Sache nicht dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Diese Ansicht ist unzutreffend. Nach Art. 177 Abs. 1 EG-Vertrag entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung u.a. über die Auslegung des EG-Vertrages sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft, d.h. auch des von dieser erlassenen Gemeinschaftsrechts. Aus Art. 177 Abs. 2 EG-Vertrag folgt, daß ein nationales Gericht, dessen Entscheidung noch mit einem Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann, zur Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht verpflichtet ist (vgl. Beschluß vom 15. Mai 1990 – BVerwG 1 B 64.90 – Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 7). Es stellt also keinen Verfahrensverstoß dar, wenn das Oberverwaltungsgericht von einer Vorlage abgesehen hat. Damit entfällt auch eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 2 GG, die nur bei Mißachtung der Vorlagepflicht in Betracht kommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 9. November 1987 – 2 BvR 808/82 – NJW 1988, 1456 und vom 21. Dezember 1989 – 2 BvR 1582/87 –). Die Einholung einer Vorabentscheidung nach Art. 177 Abs. 3 EG-Vertrag war auch nicht deshalb erforderlich, weil das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, daß Rechtsmittel im Sinne des Art. 177 Abs. 3 EG-Vertrag neben der Revision jedenfalls hinsichtlich revisiblen Rechts auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gemäß § 133 Abs. 1 VwGO ist (vgl. Beschluß vom 15. Mai 1990, a.a.O., m.w.N.). Europäisches Gemeinschaftsrecht ist als Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO zu werten und damit revisibel (BVerwGE 35, 277). Ein Ermessensfehler beim Absehen von einer Vorlage nach Art. 177 Abs. 2 EG-Vertrag ist nicht dargetan; das Berufungsgericht hat eingehend dargelegt, daß und warum es eine Vorlage nicht für angezeigt erachtet hat.

c) Die Klägerin rügt, das Berufungsgericht sei unter Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Auch dieses Vorbringen führt nicht auf einen Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Nach § 108 Abs. 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Bestimmung verpflichtet das Gericht, seiner Entscheidung den ermittelten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Allein der Umstand, daß das Gericht sich nicht mit allen Einzelheiten des Vorbringens befaßt hat, rechtfertigt aber nicht ohne weiteres den Schluß, insoweit sei eine Befassung unterblieben. Vielmehr ist in der Regel davon auszugehen, daß das Gericht den gesamten Prozeßstoff umfassend in Erwägung gezogen hat. Ein Urteil ist aber nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, wenn das Gericht gewichtige Tatsachen oder Tatsachenkomplexe übergeht, die in das Verfahren eingeführt waren und deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt (Urteil vom 5. Juni 1992 – BVerwG 3 C 16.90 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 68 S. 64, m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen ist der Vorwurf, das Berufungsgericht habe wesentliches Vorbringen der Klägerin nicht erwogen, unzutreffend. Das Oberverwaltungsgericht hat den Vortrag der Klägerin im Tatbestand seines Urteils angemessen dargestellt, insbesondere auch bezüglich des demoskopischen Gutachtens, der „real existenten Moralvorstellungen”, der Beschäftigung von Darstellerinnen aus anderen EG-Staaten, „in denen diese Art der Darstellung ein anerkannter Beruf” sei und „nicht dem Verdikt der Sittenwidrigkeit” unterliege. Das Berufungsgericht ist allerdings nicht auf die Diskussion um § 218 StGB eingegangen. Dies war angesichts der Abwegigkeit der entsprechenden Argumentation auch nicht erforderlich. Soweit die Klägerin dem Berufungsgericht vorwirft, es habe nicht gewürdigt, daß die namentlich benannten Darstellerinnen „Tanzkünstlerinnen” seien und nicht den Beruf der „Peep-Show-Darstellerinnen” ausübten, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Annahme, das Berufungsgericht habe gewichtige Tatsachen übergangen. Denn es kam für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht darauf an, unter welcher Berufsbezeichnung die Darstellerinnen auftreten. Die Klägerin will eine Peep-Show betreiben, die das Berufungsgericht eingangs seines Tatbestandes im einzelnen umschrieben hat. Für die Würdigung dieses Betriebs ist es unerheblich, welchen Beruf die Darstellerinnen ausüben. Daß hier etwas anderes stattfinden sollte als eben eine Peep-Show, behauptet die Klägerin selbst nicht. Sie weist nur auf abweichende Geschehensabläufe bei anderen Veranstaltungen hin. In Wahrheit bemängelt die Klägerin, daß das Berufungsgericht ihrer rechtlichen Argumentation nicht gefolgt ist und ihrem Vorbringen nicht die genügende Relevanz beigemessen hat. Damit kann aber ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO nicht dargelegt werden.

d) Die Klägerin macht geltend, die Berufungsentscheidung beruhe auf Aufklärungsmängeln (§ 86 Abs. 1, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die entsprechenden Darlegungen der Klägerin führen aber nicht auf Revisionszulassungsgründe.

Mit der Aufklärungsrüge muß dargetan werden, welche Beweise angetreten worden sind oder welche Ermittlungen sich dem Berufungsgericht von seiner materiellen Rechtsauffassung aus hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis eine Beweisaufnahme mutmaßlich gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können.

aa) Die Klägerin rügt, das Berufungsgericht habe im einzelnen dargelegte Erkenntnisquellen zur Bewertung von Peep-Shows nicht herangezogen und damit auch den Begriff der Sittenwidrigkeit in seiner Dynamik und Spannungsvielfalt verkannt. Soweit darin der Vorwurf fehlerhafter Rechtsanwendung liegt, kann er einen Verfahrensfehler nicht begründen. Auch die Rüge, das Berufungsgericht habe es unterlassen, das demoskopische Umfrageergebnis zu verwerten, greift nicht durch. Die Klägerin legt nicht, wie es gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zur Bezeichnung eines Aufklärungsmangels erforderlich wäre, sustantiiert dar, daß sie entsprechende Beweise angetreten hat oder warum sich dem Berufungsgericht nach seiner Rechtsauffassung weitere Beweiserhebungen aufgedrängt hätten. Nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts kam es auf die demoskopischen Umfrageergebnisse gerade nicht an. Danach ist der Maßstab der „guten Sitten” normativer Natur. Ausschlaggebend ist nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht eine tatsächliche Übung oder Gewohnheit, sondern das ethisch Gesollte, das in der Gesellschaft Anerkennung gefunden hat. Bei der Ermittlung der anerkannten ethischen Wertvorstellungen stellt sich danach für das Oberverwaltungsgericht die Aufgabe des Richters nicht anders dar als bei jeder Auslegung unbestimmter, wertausfüllungsbedürftiger Begriffe. Das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, daß die Auffassung, die mit Hilfe der Demoskopie ermittelten Meinungen in der Bevölkerung zu sozialethischen Fragen seien für die Gerichte verbindlich, verkenne, daß der Richter die ihm übertragene Rechtsfindungsaufgabe nicht an das zu befragende Volk oder an einen repräsentativen Teil desselben delegieren könne. Das Berufungsgericht weist weiter darauf hin, der Gesetzgeber habe es in der Hand gehabt, Peep-Show-Veranstaltungen aus dem Regelungsbereich des § 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO herauszunehmen; daß er darauf verzichtet habe, lasse erkennen, daß er keinen Anlaß gesehen habe, solche Veranstaltungen neu zu bewerten.

Dieser Rechtsauffassung hält die Beschwerde entgegen, der Maßstab der guten Sitten sei unter Einbeziehung demoskopisch ermittelter Auffassungen der Bevölkerung festzulegen. Damit wird aber lediglich eine von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts abweichende Ansicht dargestellt, nicht aber dargelegt, inwiefern das Oberverwaltungsgericht nach seiner Rechtsauffassung demoskopische Ermittlungen hätte vornehmen und verwerten müssen. Dies wird auch nicht dadurch dargelegt, daß die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts dahin zusammengefaßt wird, „die guten Sitten seien dem geschichtlichen Wandel unterworfen und durch die vorherrschenden sozialethischen Überzeugungen der Rechtsgemeinschaft geprägt”, was einem „dynamischen” Begriff der Sittenwidrigkeit entspreche. Denn daraus leitet die Klägerin lediglich ab, das Berufungsurteil leide an einem „logischen Bruch” in der Argumentation. Mit der darin liegenden Rüge falscher Rechtsanwendung kann ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO nicht begründet werden. Abgesehen davon legt die Klägerin nicht dar, inwiefern die Heranziehung jenes Umfrageergebnisses zu einer für sie günstigeren Entscheidung hätte führen können. Denn dem betreffenden Berichtsband, auf den die Klägerin verweist, läßt sich nicht ohne weiteres entnehmen, daß eine von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Bewertung von Peep-Shows geboten sein könnte. Sogar nach der für die demoskopische Umfrage gewählten Umschreibung der Peep-Show, die nicht in jeder Hinsicht vollständig und neutral erscheint (unter anderem werden die Darstellerinnen als Stripteasekünstlerinnen bezeichnet; ein Hinweis auf die vom beschließenden Senat hervorgehobene sexuelle Stimulation und die Gelegenheit zur Selbstbefriedigung ≪BVerwGE 84, 314, 321≫ fehlt), sind 49 v.H. der befragten Personen der Auffassung, daß „dadurch die Menschenwürde der auftretenden Frauen verletzt wird”, wobei 60 v.H. der befragten weiblichen Personen diese Auffassung teilen, und 48 v.H. (von den befragten Frauen 52 v.H.) meinen, „daß damit gegen die guten Sitten verstoßen wird”. Angesichts dessen hätte die Beschwerde herausarbeiten müssen, warum eine Heranziehung der demoskopischen Umfrageergebnisse oder die Einholung einer weiteren demoskopischen Untersuchung zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis geführt hätte. Mit Rücksicht auf die von den Vorinstanzen hervorgehobene prägende Wirkung von Behördenpraxis und gerichtlichen Entscheidungen für die Bewertung von Peep-Shows rechtfertigt eine – trotz der vorgenannten Mängel – nur von etwa der Hälfte der Befragten vertretene Auffassung fehlender Unsittlichkeit nicht schon zwangsläufig eine Beurteilung solcher Veranstaltungen als nicht gegen die guten Sitten verstoßend.

bb) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen die Denkgesetze mit der Begründung rügt, dem Berufungsgericht sei ein logischer Fehler unterlaufen, indem es meine, an das demoskopische Gutachten gebunden zu sein, zeigt sie einen Verfahrensmangel ebenfalls nicht auf. Die Rüge bezieht sich auf die Darlegungen des Berufungsgerichts über seine materiellrechtliche Auffassung zur Anwendung des Merkmals der Sittenwidrigkeit. Sie betrifft folglich nicht einen Fehler des gerichtlichen Verfahrens. Abgesehen davon hat das Berufungsgericht den auch für die Verwertung von Gutachten geltenden Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), der eine Bindung des Gerichts ausschließt, nicht in Frage gestellt. Seine Rechtsauffassung zur Anwendung des Merkmals der Sittenwidrigkeit läßt übrigens einen Verstoß gegen Denkgesetze nicht erkennen. Ein solcher Verstoß liegt nur vor, wenn das Gericht einen Schluß zieht, der schlechterdings nicht gezogen werden kann, nicht dagegen schon dann, wenn eine Schlußfolgerung nicht zwingend oder überzeugend ist (vgl. Beschluß vom 8. Juli 1988 – BVerwG 4 B 100.88 – Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 34). Von einem solchen Mangel kann hier keine Rede sein.

cc) Die Klägerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht hätte durch Ortsbesichtigung feststellen müssen, „daß die Stadt Hannover der Prostitution in diesem Gebiet tatenlos zusieht”. Die Beschwerde legt aber nicht dar, inwiefern sich dem Berufungsgericht nach seiner Rechtsauffassung eine Inaugenscheinnahme hätte aufdrängen müssen. Derartiges ist auch nicht ersichtlich. Denn nach der Auffassung des Tatsachengerichts „handelt es sich nicht um vergleichbare Sachverhalte”. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung bedurfte es keiner weiteren Sachverhaltsfeststellung. Das Gericht hat damit den entsprechenden Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen und gewürdigt; folglich erledigt sich zugleich der in diesem Zusammenhang ebenfalls erhobene Vorwurf, gegen § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen zu haben.

2. Die Beschwerde wird außerdem auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt dabei die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muß daher erläutern, daß und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Dabei ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Rechtsstreitigkeiten, die die Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung erfordern, ausreichend, wenn dargelegt ist, daß in einem zukünftigen Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 177 Abs. 3 EG-Vertrag einzuholen sein wird (vgl. Beschluß vom 22. Oktober 1986 – BVerwG 3 B 43.86 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 243).

Nach diesen Grundsätzen verleihen die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.

a) Zur Frage der notwendigen Beiladung ist bereits Stellung genommen worden; einen weiteren Klärungsbedarf läßt die Beschwerde nicht erkennen.

b) Es ist nicht zweifelhaft, daß das nationale Recht für die Erlaubnisfähigkeit der Schaustellungen von Personen den Maßstab der guten Sitten (§ 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO) anlegen darf, wenn dies unterschiedslos gilt. Das Gemeinschaftsrecht schreibt den Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Beurteilung von Verhaltensweisen, die als im Widerspruch zur öffentlichen Ordnung angesehen werden können, keine einheitliche Werteskala vor (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Mai 1982 – Rs 115 und 116/81 – Slg. 1982, 1665 ≪1708≫).

Die Klägerin hält das Berufungsurteil für unvereinbar mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, zeigt aber nicht Normen des Europäischen Gemeinschaftsrechts oder gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften auf, die entscheidungserheblich sein könnten und aus denen sich eine klärungsbedürftige Rechtsfrage herleiten ließe. Die Klägerin formuliert unter Hinweis auf ein Rechtsgutachten folgende Fragen:

  1. Gibt es einen einheitlichen europäischen Minimalstandard des Grundrechtsschutzes?
  2. Was hat zu geschehen, wenn der nationale Grundrechtsstandard hinter dem europarechtlich Gewährleisteten zurückbleibt?
  3. Ist der Europäische Gerichtshof befugt, den europarechtlichen Standard durchzusetzen, wenn sekundäres Europarecht für die Lösung eines Falles auf nationaler Ebene nicht existiert?

Diese Fragen laufen auf die Anforderung eines Rechtsgutachtens hinaus, ohne daß die Erheblichkeit für den vorliegenden Rechtsstreit auch nur andeutungsweise dargelegt würde. Die Beachtung der Grundrechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Europäischen Gemeinschaft, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat, soweit die Gewährleistung dieser Rechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten getragen ist und sich in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfügt (vgl. EuGH, Urteile vom 17. Dezember 1970 – Rs 11/70 – Slg. 1970, 1125 ≪1135≫, und vom 14. Mai 1974 – Rs 4/73 – Slg. 1974, 491 ≪507≫; vgl. auch Beschluß vom 15. Mai 1990 – BVerwG 1 B 64.90 – a.a.O.). Dies braucht nicht in einem Revisionsverfahren geklärt zu werden. Die Beschwerde legt nicht dar, welche Bezüge der vorliegende Fall aufweist, die zur Klärung weiterer Fragen des Gemeinschaftsrechts Anlaß geben könnten. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zielt Art. 59 EG-Vertrag auf die Beseitigung von Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs, die damit zusammenhängen, daß der Leistungsträger in einem anderen Mitgliedsstaat als dem, in dem die Leistung erbracht wird, niedergelassen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 23. April 1991 – Rs C 41/90NJW 1991, 2891 ≪2892≫ sowie Urteil vom 24. März 1994 – Rs C 275/92NJW 1994, 2013 ≪2014≫). Die Klägerin ist als inländische juristische Person in Deutschland ansässig und möchte in Deutschland Leistungen erbringen. Es fehlt mithin auch in Ansehung des Umstandes, daß die Klägerin ausländische Darstellerinnen beschäftigt, an einem grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Die in Art. 59 EG-Vertrag getroffene Regelung entspricht allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zur Freizügigkeit, wonach die Vorschriften des Vertrages über die Freizügigkeit und die zu ihrer Durchführung erlassenen Regelungen nicht auf Sachverhalte angewandt werden können, die einen Mitgliedsstaat rein intern betreffen (vgl. z.B. BVerwGE 96, 293 ≪301 f.≫).

c) Unter Bezugnahme auf den vom Berufungsgericht abgelehnten Hilfsantrag, die „Peep-Show” zu dulden, stellt die Klägerin die Frage: „Inwieweit gibt es eine Gleichbehandlung bei Schließung wegen Sittenwidrigkeit bzw. inwieweit ist eine Differenzierung in den Tatbeständen der Sittenwidrigkeit zulässig (Art. 3 Abs. 1 GG)?” Diese Frage wird unter Hinweis auf den Vortrag gestellt, daß die Beklagte gegen in der näheren Umgebung vorhandene Bordelle nicht einschreite.

Die aufgeworfene Problematik rechtfertigt nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Es ist geklärt, daß der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet, wesentlich Gleiches ohne hinreichenden Grund ungleich zu behandeln, andererseits aber grundsätzlich keinen Anspruch auf „Gleichheit im Unrecht” gewährt (vgl. Beschlüsse vom 2. März 1989 – BVerwG 1 B 164.88 – Buchholz 431.1 Architekten Nr. 11 und vom 3. Juni 1993 – BVerwG 1 B 129.92 – Buchholz 431.1 Architekten Nr. 13). Ferner ist geklärt, daß Art. 3 Abs. 1 GG die Gleichbehandlung nur innerhalb der jeweiligen Rechtsetzung und nur gegenüber dem jeweils konkret zuständigen Verwaltungsträger gebietet (BVerwGE 96, 293 ≪301≫).

Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zweifelhaft, daß für die Entscheidung der Gewerbebehörde nicht allgemeine polizei- oder ordnungsrechtliche Erwägungen zur Duldung der Prostitution bestimmend sein mußten.

3. Die Beschwerde rügt eine Abweichung von der Rechtsprechung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Rechtsprechungsorgane aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist; dabei müssen sich die Rechtssätze grundsätzlich auf dasselbe Gesetz beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erfordert in diesem Zusammenhang, daß in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, daß und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der genannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat. Daran fehlt es. Die Klägerin macht geltend, das angefochtene Urteil weiche von dem Urteil des beschließenden Senats vom 30. Januar 1990 (BVerwGE 84, 314 ≪317≫) ab. Sie führt in diesem Zusammenhang den Satz an:

„Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Begriff der guten Sitten ein unbestimmter ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff, dessen Anwendung in vollem Umfang gerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Mit ihm verweist das Gesetz auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind. Abzuheben ist also nicht auf das Empfinden von kleinen Minderheiten.”

Die Beschwerde ist der Ansicht, das Lesen der Entscheidung des Berufungsgerichts führe zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem Spruchkörper „gerade um diese Minderheit” handelt. Mit diesem Vorbringen kann eine Divergenzrüge nicht begründet werden. Soweit die Klägerin ausführt, das Berufungsgericht habe seine Entscheidung damit begründet, „daß die Richter aufgerufen sind, hier ethische Sollvorstellungen in der Rechtsgemeinschaft umzusetzen”, liegt darin nicht die Wiedergabe eines Rechtssatzes des Berufungsurteils, sondern eine eigene Interpretation der Klägerin. Ein Satz des von der Klägerin zitierten Inhalts findet sich in dem angefochtenen Urteil nicht. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung unter Heranziehung des angeführten Urteils des beschließenden Senats getroffen.

4. Auch im übrigen führt die Beschwerde nicht auf Revisionszulassungsgründe. Zum Begriff der guten Sitten im Sinne des § 33 a Abs. 2 Nr. 2 GewO hat der Senat in seinem Urteil vom 30. Januar 1990 (BVerwGE 84, 314) Stellung genommen. Daß und warum weitergehender Klärungsbedarf bestehen könnte, macht die Beschwerde nicht deutlich.

5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Meyer, Hahn, Groepper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1603318

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