Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung von Mitgliedern der Personalvertretung für die Durchführung ihrer Aufgaben. Minderheitenschutz. Verzicht, kein – auf Freistellung von Mitgliedern der Personalvertretung zu Lasten des Minderheitenschutzes

 

Leitsatz (amtlich)

Ohne gewichtige sachliche Gründe darf der Personalrat weder ganz noch teilweise auf die mögliche Freistellung eines seiner Mitglieder verzichten, wenn dies im Ergebnis zu Lasten der gewählten Kandidaten einer sonst nicht zum Zuge kommenden Minderheitenliste gehen würde.

 

Normenkette

BPersVG § 46 Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Beschluss vom 27.01.1993; Aktenzeichen 1 A 2523/91.PVB)

VG Düsseldorf (Entscheidung vom 25.07.1991; Aktenzeichen 33 K 4400/91.PVB)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – Fachsenat für Bundespersonalvertretungssachen – vom 27. Januar 1993 wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 6.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Verfahrensbeteiligten streiten über die Frage, ob eine Personalvertretung auf die Inanspruchnahme eines verfügbaren Freistellungskontingents ganz oder teilweise verzichten darf, wenn dies im Ergebnis zu Lasten eines Mitgliedes einer sonst nicht zum Zuge kommenden Minderheitengewerkschaft geht.

Der Beteiligte zu 1, der Bezirkspersonalrat bei der Direktion Düsseldorf der Deutschen Bundespost Postdienst, besteht seit den im Mai 1991 durchgeführten Wahlen aus 31 Mitgliedern, von denen 27 der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) und 4 dem Deutschen Postverband (DPV) angehören. In seiner Sitzung am 26. Juni 1991 hatte er unter anderem über die Freistellungen zu entscheiden. Zu diesem Zweck hatte der Beteiligte zu 2, der Amtsvorsteher des Postamts, für die anstehende Wahlperiode 5,84 Arbeitseinheiten bereitgestellt, davon 1,35 Arbeitseinheiten für Vertreterleistungen. Eine solche Einheit entsprach der Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Arbeitskraft. Der Beteiligte zu 1 beschloß jedoch mehrheitlich, nur fünf seiner Mitglieder, nämlich die Vorstandsmitglieder und die nach § 33 BPersVG gewählten Ergänzungsmitglieder, zur Freistellung vorzuschlagen, die durchweg der DPG angehörten. Die weiteren 0,84 Arbeitseinheiten sollten so genutzt werden, wie es die Aufgaben des Bezirkspersonalrats nach Art und Umfang erforderten. Nach dem anzuwendenden Höchstzahlverfahren wäre diese weitere mögliche Freistellung auf ein Mitglied des DPV entfallen.

Der Antragsteller ist das einzige dem DPV angehörende Mitglied des Beteiligten zu 1, das sich zu einer Freistellung bereit erklärt hat und dafür von den Mitgliedern des DPV auch ernannt worden ist. Er hat das Beschlußverfahren eingeleitet und beantragt festzustellen, daß der Beteiligte zu 1 verpflichtet sei, ihn für die sechste Freistellung vorzuschlagen. Zur Begründung hat er geltend gemacht: Die Entscheidung des Beteiligten zu 1 sei rechtswidrig und widerspreche insbesondere § 46 Abs. 3 BPersVG, indem sie den dort geregelten Minderheitenschutz unterlaufe. Der Verzicht auf die sechste Freistellung sei allein zu dem Zweck erfolgt, um den DPV als Konkurrenzgewerkschaft der DPG von der Freistellung fernzuhalten.

Der Beteiligte zu 1 ist dem mit der Begründung entgegengetreten, daß er nicht verpflichtet sei, das vom Beteiligten zu 2 eingeräumte Freistellungskontingent auch sofort zu nutzen. Da hiervon nur 4,49 Arbeitseinheiten für die ordnungsgemäße Arbeitserledigung zur Verfügung gestellt worden seien, würden bereits bei fünf Freistellungen 0,51 Arbeitseinheiten für kurzfristig in der Geschäftsführung auftretende Ausfälle in Anspruch genommen. Die weiteren 0,84 Arbeitseinheiten sollten so genutzt werden, wie es die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung erfordere. Dabei sei insbesondere an Sonderaufträge zu denken, die sich aus den umfangreichen Umstrukturierungsmaßnahmen im Postdienst ergäben. Ein Unterlaufen des gesetzlichen Minderheitenschutzes sei nicht beabsichtigt.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag als unbegründet abgelehnt.

Auf die Beschwerde des Antragstellers hat das Oberverwaltungsgericht den erstinstanzlichen Beschluß geändert und dem Antrag in der Weise stattgegeben, daß es den Beteiligten verpflichtet hat, den Antragsteller für die sechste (Teil-) Freistellung vorzuschlagen. Es hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Das Freistellungsvolumen von 5,84 Arbeitseinheiten beruhe nicht auf einem einseitigen Zugeständnis des Beteiligten zu 2, sondern es sei eine entsprechende Einigung zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 zustande gekommen. Das dafür erforderliche Einverständnis des Beteiligten zu 1 habe dieser in der Personalratssitzung vom 26. Juni 1991 erklärt, indem er beschlossen habe, das zusätzliche Freistellungskontingent so zu nutzen, wie es die Aufgaben des Bezirkspersonalrats nach Art und Umfang erforderten, das heiße, es „vorerst” nicht einzusetzen. Indessen sei bei der beschlossenen Art der Verwendung die dafür maßgebliche Regelung des § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG nicht beachtet worden. Danach habe die sechste (Teil-)Freistellung bei Anwendung des Hochstzahlverfahrens dem Antragsteller zufallen müssen. Wolle eine Personalvertretung das zur Verfügung stehende Kontingent an Freistellungen nicht ausschöpfen, so müsse sie sich dabei von sachlichen und beachtenswerten Erwägungen leiten lassen und berechtigte Gruppeninteressen bzw. die Belange des Minderheitenschutzes berücksichtigen. Das sei im vorliegenden Falle in Frage zu stellen. Insoweit könne nämlich nicht unbeachtet bleiben, daß der Beteiligte zu 1 selbst zu erkennen gegeben habe, daß er Freistellungen in diesem Umfang zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben für erforderlich halte. Zu dieser eigenen Einschätzung setze er sich in Widerspruch, wenn er die sechste (Teil-) Freistellung nicht in Anspruch nehme, sondern für künftig möglicherweise anfallende zusätzliche Aufgaben „aufhebe”.

Die Beteuerung, damit eine Umgehung des in § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG geregelten Minderheitenschutzes nicht beabsichtigt zu haben, sei um so weniger glaubhaft, als die sechste (Teil-)Freistellung die erste gewesen wäre, die an den DPV gegangen wäre. Es falle schon auf, daß der Beteiligte zu 1 die Regelung des § 46 Abs. 3 Satz 2 BPersVG in vollem Umfange beachtet habe mit der Folge, daß fünf der DPG angehörenden Mitglieder zur Freistellung vorgeschlagen worden seien, dagegen hinsichtlich der sechsten (Teil-) Freistellung, bei der der Minderheitenschutz des § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG zum Tragen gekommen wäre, sich dafür entschieden habe, diese vorerst „aufzuheben”. Gegenteilige Schlußfolgerungen ließen sich auch nicht daraus ziehen, daß der Beteiligte zu 1 in den beiden Amtsperioden vor 1991 das zugebilligte Freistellungskontingent ebenfalls nicht voll ausgeschöpft und seit 1983 in der Regel von 11 Freistellungen nur 10 genutzt habe.

Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde. Mit ihr rügt der Beteiligte zu 1 eine unrichtige Anwendung des § 46 Abs. 3 BPersVG und beantragt,

den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – Fachsenat für Bundespersonalvertretungssachen – vom 27. Januar 1993 aufzuheben und die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Düsseldorf – Fachkammer für Bundespersonalvertretungssachen – vom 25. Juli 1991 zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor: Dem Antrag habe schon deswegen nicht stattgegeben werden dürfen, weil mit der Konkretisierung auf die Person des Antragstellers das dem Personalrat zustehende Auswahlermessen, welches seiner Mitglieder er für geeignet halte und deshalb zur Freistellung vorschlagen wolle, unzulässig eingeschränkt werde. Zwar könnten nach der Rechtsprechung die Mitglieder einer Minderheitenliste bei der Entscheidung über die Bestimmung eines zusätzlichen Vorstandsmitgliedes eine die Mehrheit des Personalrats bindende Absprache darüber treffen, wer von ihnen für das Vorstandsamt zur Verfügung stehe. Die Begründung dieser Auffassung, daß nämlich niemand gezwungen werden könne, ein Amt im Vorstand anzunehmen, lasse sich jedoch auf die Fälle der Freistellung nicht – auch nicht sinngemäß – übertragen. Anderenfalls seien auch zusätzliche und unnötige Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit des Personalrats zu erwarten. Zu Unrecht gehe das Beschwerdegericht ferner davon aus, daß hier zwischen den Beteiligten zu 1 und 2 eine Einigung auf ein Freistellungskontingent von 5,84 Arbeitseinheiten erzielt worden sei. Wie eine solche Einigung zustande gekommen sein solle, werde in dem Beschluß nicht dargelegt. Es treffe zwar zu, daß der Beteiligte zu 2 dieses Kontingent ermittelt habe. Dies habe er, der Beteiligte zu 1, aber aus den genannten Gründen nicht akzeptiert. Allein aus seinem Schweigen lasse sich ein Einverständnis nicht herleiten. Auch soweit das Beschwerdegericht angenommen habe, er habe die für die Freistellung nicht beanspruchten 0,84 Arbeitseinheiten vorerst nicht nutzen wollen, beruhe seine Entscheidung auf einer Unterstellung. Damit verkenne es auch seine Absichten. Er wolle die zusätzliche Freistellungsmöglichkeit durchaus nutzen, etwa dann, wenn eines seiner freigestellten Mitglieder über längere Zeit, z.B. durch Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe, an der Wahrnehmung seiner Aufgaben, für die er freigestellt sei, gehindert werde. Soweit das Beschwerdegericht meine, er habe gegen den Zweck des § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG verstoßen und diesen Verstoß auch beabsichtigt, beruhe dies letztlich allein auf der Unterstellung, daß angeblich ein Einverständnis über das Kontingent an Freistellungen erzielt worden sei. Nach Ablauf der Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde hat der Beteiligte zu 1 sein Vorbringen wie folgt ergänzt: Tatsächlich habe er das Freistellungskontingent auch durchaus in der dargestellten Weise genutzt, etwa in Vertretungsfällen durch den Einsatz eines nicht freigestellten Mitgliedes. Dies sei auch so vorgetragen. Er verweise auf Seite 4 des erstinstanzlichen Beschlusses.

Der Antragsteller verteidigt den angefochtenen Beschluß. Er hält die Würdigung des festgestellten Sachverhalts durch das Beschwerdegericht für zutreffend und sieht eine konkludente Einverständniserklärung mit dem Freistellungskontingent auch durch die schriftsätzlichen Erklärungen des Beteiligten zu 1 als erwiesen an. Er meint, wenn der Beteiligte zu 1 den vom Gesetzgeber gewollten Minderheitenschutz hätte beachten wollen, habe er ihn, den Antragsteller, bei Freistellungen für besondere Aufgaben berücksichtigen müssen. Das Feststellungsinteresse schließlich bestehe aus folgenden Gründen fort: Zwischen den Tarifvertragsparteien sei ein Vertrag über betriebsverfassungsrechtliche Fragen abgeschlossen worden; in dessen § 3 werde die Bestellung von Koordinatoren sowie deren Aufgabenkreis und Rechtsstellung geregelt. Danach blieben freigestellte Mitglieder der Bezirkspersonalräte im bisherigen Umfang bis zum 30. Juni 1997 freigestellt.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Auch er folgt im Ergebnis der rechtlichen Einschätzung des Beschwerdegerichts. Er führt aus, § 46 BPersVG lasse es nicht zu, daß die Mehrheit im Personalrat – bewußt oder unbewußt – den mit der Neufassung bezweckten und auch verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutz durch einen Beschluß über die Nichtinanspruchnahme einer (Teil-)Freistellung unterlaufe. Ansonsten sei die Personalvertretung berechtigt, Freistellungen aus sachlichen Erwägungen zurückzustellen. Nur für Ausnahmelagen, in denen – wie hier – Minderheiteninteressen in spezifischer Weise berührt seien, sei daher die Einschränkung zu machen, daß der Verzicht auf Freistellungen einer besonders stichhaltigen Begründung bedürfe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdegericht hat zu Recht den erstinstanzlichen Beschluß geändert und dem Antrag stattgegeben.

1. Der Antrag des Antragstellers ist zulässig; insbesondere besteht das Feststellungsinteresse mit Rücksicht auf die durch § 3 des Tarifvertrages vom 4. Juli 1994 festgelegte Möglichkeit einer bis zum 30. Juni 1997 fortdauernden Freistellung der am 31. Dezember 1994 freigestellten Bezirkspersonalratsmitglieder auch über den 31. Dezember 1994 hinaus fort.

2. Der Antrag ist auch aus den zutreffenden Erwägungen des Beschwerdegerichts begründet. Die dagegen erhobenen Rügen des Beteiligten zu 1 greifen nicht durch.

a) Das Beschwerdegericht durfte unbedenklich davon ausgehen, daß hier unter Mitwirkung des Beteiligten zu 1 eine einverständliche Regelung des Freistellungskontingents vereinbart worden ist. Entgegen der Rechtsbeschwerde hat sich das Oberverwaltungsgericht dabei in tatsächlicher Hinsicht nicht auf ein Schweigen des Beteiligten zu 1 zu den entsprechenden Feststellungen des Beteiligten zu 2 gestützt. Vielmehr hat es ausdrücklich auf den in der Personalratssitzung vom 26. Juni 1991 gefaßten Beschluß des Beteiligten zu 1 abgestellt, die weiteren 0,84 Arbeitseinheiten so zu nutzen, wie es die Aufgaben des Bezirkspersonalrats nach Art und Umfang erforderten, das heiße, sie „vorerst” nicht einzusetzen. Dies durfte das Beschwerdegericht unbedenklich als die – konkludente – Erklärung des Einvernehmens seitens des Beteiligten zu 1 würdigen. Insbesondere ist es ohne weiteres nachvollziehbar und verstößt nicht gegen die Denkgesetze, wenn das Beschwerdegericht die Schlußfolgerung gezogen hat, daß damit die Frage, ob das Kontingent überhaupt genutzt werden solle, positiv beantwortet worden sei. Die Vorbehalte des Beteiligten zu 1 betrafen lediglich die Art der Verwendung, die mit der Beschwerdeentscheidung zu Recht beanstandet worden ist.

b) Das Beschwerdegericht hat ferner zutreffend angenommen, daß der Beteiligte zu 1 gegen § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG verstoßen hat, indem er es abgelehnt hat, für die sechste (Teil-)Freistellung den Antragsteller vorzuschlagen.

Bei den Feststellungsvorschlägen sind die Zielsetzungen des § 46 BPersVG zu beachten, insbesondere diejenigen, die der mit dem Änderungsgesetz vom 10. Juli 1989 (BGBl. I S. 1380) eingeführten Neufassung des § 46 Abs. 3 BPersVG zugrunde liegen. Mit dieser Regelung sollte ein besserer Minderheitenschutz gewährleistet werden (BTDrucks 11/1190 S. 4). Im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Unterschriftenquorum in § 19 Abs. 4 und 5 BPersVG (in der Entwurfsbegründung wird a.a.O. der Beschluß vom 16. Oktober 1984 – 2 BvL 20/82 – genannt, s. BVerfGE 67, 369, 379 f.) hat der Gesetzgeber der Beachtung dieses Grundsatzes auch für Freistellungen einen besonders hohen Rang eingeräumt. Auch wenn sich die zwingende Natur dieser Regelung nur auf die personelle Auswahlentscheidung bezieht, darf sie der Personalrat bei der Ermessensausübung, in welchem Umfange mögliche Freistellungen in Anspruch genommen werden sollen, nicht völlig außer acht lassen. Auch in diesem Rahmen hat er die Zielsetzungen des Gesetzes zu respektieren. Er darf daher dann, wenn dies ausschließlich zu Lasten einer sonst nach § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG begünstigten Minderheit gehen würde, auf die Inanspruchnahme möglicher Freistellungen nur verzichten, wenn er dafür sachliche und auch hinreichend gewichtige Gründe anführen kann.

c) Derartige Gründe hat das Beschwerdegericht aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts in rechtlich nicht angreifbarer Weise verneint. Entgegen der Rechtsbeschwerde hat es sich dabei nicht nur auf Vermutungen oder Unterstellungen gestützt. Abgesehen davon, daß es Sache des Personalrats ist, sachliche Gründe für seine Entscheidung zu benennen, hat es die Angaben des Beteiligten zu 1 nicht etwa pauschal für nicht stichhaltig erklärt. Vielmehr hat es Tatsachen benannt, die gegen die Glaubhaftigkeit und Stichhaltigkeit der Beteuerung des Beteiligten zu 1 sprächen, eine Umgehung des Minderheitenschutzes nicht beabsichtigt zu haben. Insbesondere hat es sich darauf bezogen, daß der Beteiligte zu 1 dem Grunde nach – seinen eigenen Erklärungen zufolge – ein entsprechendes Freistellungskontingent selbst für erforderlich gehalten haben müsse. Wenn das Beschwerdegericht den Sachverhalt, so wie es ihn mit Verbindlichkeit für das Rechtsbeschwerdegericht festgesellt hat, in der dargestellten Weise gewürdigt hat, läßt sich dies rechtlich nicht beanstanden. Vielmehr ist das Rechtsbeschwerdegericht mangels ordnungsgemäßer Verfahrensrügen daran gehindert, diese Sachverhaltswürdigung des Beschwerdegerichts in Frage zu stellen oder gar durch eine eigene Würdigung zu ersetzen.

Diese Überlegungen gelten auch, soweit die Rechtsbeschwerde nach Ablauf der Frist für die Begründung erstmals – und daher in mehrfacher Beziehung unzulässigerweise – versucht hat, die tatsächlichen Feststellungen des Bescherdegerichts dahin gehend zu ergänzen, der Beteiligte zu 1 habe das Freistellungskontingent auch tatsächlich durchaus in der von ihm dargestellten Weise genutzt, etwa in Vertretungsfällen durch den Einsatz eines nicht freigestellten Mitgliedes. Im übrigen würde es den dargelegten Zielen des gesetzlichen Minderheitenschutzes widersrechen, ein hierfür geeignetes Freistellungskontingent für Vertretungsfälle zugunsten anderer Mitglieder des Bezirkspersonalrats „aufzuheben”. Dies wäre daher generell nicht zulässig.

d) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts begegnet schließlich auch insofern keinen durchgreifenden Bedenken, als die zugunsten des Antragstellers ausgesprochene Verpflichtung darauf hinausläuft, das Ermessen des Personalrats bei der Auswahl der freizustellenden Mitglieder einzuschränken.

Ein solcher Verpflichtungsausspruch ist im personalvertretungsrechtlichen Beschlußverfahren zulässig, wenn und soweit das Personalvertretungsrecht dem jeweiligen Antragsteller eine durchsetzungsfähige Rechtsposition einräumt (vgl. etwa zum Anspruch des Personalratsmitgliedes auf Freistellung nach § 46 Abs. 7 BPersVG: BVerwGE 58, 54, 57 a.E.; zum Anspruch nach § 46 Abs. 6 i.V.m. § 44 Abs. 1 BPersVG auf Freistellung, Lohnfortzahlung und Erstattung der mit einer Schulungsveranstaltung verbundenen notwendigen Kosten: BVerwGE 69, 95, 102). Dabei muß es sich nicht notwendig um materiellrechtliche Ansprüche handeln. Das Personalvertretungsrecht wird wesentlich durch die Regelung verwaltungsinterner Entscheidungsverfahren gekennzeichnet. Insbesondere die im Vordergrund stehenden Beteiligungsrechte sind in diesem Sinne verfahrensrechticher Natur. Soweit das Personalvertretungsrecht daneben auch materiellrechtiche Ansprüche normiert, haben diese – wie z.B. der Anspruch des Personalrats auf die für die Wahrnehmung seiner eigentlichen Aufgaben notwendige Ausstattung – nur Hilfsfunktion für die Ausübung und Durchsetzung der Rechte der Personalvertretungen auf Teilhabe am verwaltungsinternen Entscheidungsverfahren. Dieser Eigenart des Personalvertretungsrechts entspricht es, daß hier – soweit spezialgesetzlich eingeräumt – auch selbständig durchsetzbare Ansprüche auf Verfahrenshandlungen anzuerkennen sind. Dies gilt, wiewohl er sich auf Hilfsfunktionen bezieht, auch für den gegen den Personalrat gerichteten Anspruch auf die Verfahrenshandlung „Vorschlag zur Freistellung eines Mitgliedes durch die Dienststelle.”

Auch der Sache nach ist die mit dem Verpflichtungsausspruch getroffene Einschränkung des Ermessens des Beteiligten zu 1 nicht zu beanstanden. Zwar läßt sich die Berechtigung des Anliegens nicht leugnen, Kandidaten für Freistellungen in erster Linie nach ihrer Eignung und Bereitschaft vorzuschlagen, sich über längere Zeit voll der Personalratsarbeit zu widmen, und nach ihrer Fähigkeit, den Anliegen der Beschäftigten dabei zum Erfolg zu verhelfen. Von den für eine Freistellung in Betracht gezogenen Personen muß daher ein erhöhtes Maß an Kooperationsbereitschaft, Solidarität und personalratsorientierter Gesamtverantwortung verlangt werden können (vgl. Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, § 46 Rdnr. 70). Jedenfalls dann aber, wenn – wie hier – diesbezüglich schwerwiegende und durch Tatsachen nachweisbare Mängel nicht geltend gemacht worden sind, bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen Personalrat dazu zu verpflichten, den einzigen Kandidaten, der dazu bereit ist und von den durch § 46 Abs. 3 Satz 3 BPersVG begünstigten Listenangehörigen dafür auch benannt worden ist, zur Freistellung vorzuschlagen. Auch insoweit muß dann letztlich den Ausschlag geben, daß niemand zur Freistellung von den Dienstgeschäften verpflichtet werden kann, der dazu nicht bereit ist. Mit der Annahme der Wahl zur Personalvertretung begeben sich nämlich deren Mitglieder nicht ohne weiteres ihres Anspruches auf amtsgemäße Beschäftigung mit Dienstgeschäften.

3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 10 Abs. 1 BRAGO i.V.m. § 8 Abs. 2 BRAGO.

 

Unterschriften

Dr. Niehues, Ernst, Albers, Vogelgesang, Eckertz-Höfer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1200503

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