Entscheidungsstichwort (Thema)

Rettungsdienst. Gebühren. “Deckelung”. Landesrecht. Satzung. Preissteigerungsbegrenzung. Grundlohnanbindung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift des § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 82 des Gesundheitsstrukturgesetzes ist dahin auszulegen, daß sie dem kommunalen Träger des Rettungsdienstes bei der Festlegung von Benutzungsgebühren in einer Satzung nicht verbietet, die dort vorgesehene Preisobergrenze zu überschreiten, vorausgesetzt daß landesrechtliche Rechtsvorschriften die Höhe der Entgelte für Leistungen des Rettungsdienstes festlegen und keinen Raum für die Berücksichtigung der in § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V vorgesehenen Preisobergrenze lassen.

 

Normenkette

Niedersächsisches RettDG § 15 Abs. 1; SGB V § 133

 

Verfahrensgang

OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 16.02.1994; Aktenzeichen 7 K 1301/93)

 

Tenor

§ 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 82 des Gesundheitsstrukturgesetzes ist dahin auszulegen, daß diese Vorschrift dem kommunalen Träger des Rettungsdienstes in Niedersachsen bei der Festlegung von Benutzungsgebühren in einer Satzung nicht verbietet, die dort vorgesehene Preisobergrenze zu überschreiten.

 

Tatbestand

I.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in einer Normenkontrollsache dem Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob der kommunale Träger des Rettungsdienstes in Niedersachsen mit der Festlegung von Benutzungsgebühren in einer Satzung gegen § 133 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) – in der Fassung des Art. 1 Nr. 82 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) verstoße, wenn er die dort für 1993 festgelegte Preisobergrenze überschreite.

Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, die als A…. Niedersachsen nach § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V während des Normenkontrollverfahrens am 1. Juli 1993 Nachfolgerin der ursprünglichen Antragstellerin – der A…. Lüneburg – geworden ist, begehrt die Nichtigerklärung der “Satzung über Benutzungsgebühren zur Deckung der Kosten des Rettungsdienstes und des qualifizierten Krankentransportes im Landkreis Lüneburg” vom 1. März 1993 des Antragsgegners, des Landkreises Lüneburg.

Nachdem zwischen den Beteiligten des Normenkontrollverfahrens eine Entgeltvereinbarung nach § 15 Abs. 1 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes – NRettDG – vom 29. Januar 1992 (GVBl S. 21) für die Leistungen des Rettungsdienstes nicht zustande gekommen war, erließ der Antragsgegner nach § 16 NRettDG in Verbindung mit § 5 des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes am 1. März 1993 die angegriffene Rettungsdienstgebührensatzung. Sie legt in § 2 für die mit Notarzt-, Rettungs- und Krankentransportwagen durchgeführten Transporte sowie für dabei in Anspruch genommene Sonderleistungen Gebührensätze fest, die nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts um 44,8 % höher sind als diejenigen, die noch am 1. Dezember 1992 gegolten haben. Nach der Satzung sind Gebührenschuldner der Benutzer, der Auftraggeber und derjenige, in dessen Interesse die Leistung erbracht wird, als Gesamtschuldner. Fällige Gebühren können den zuständigen Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung in Rechnung gestellt werden, solange mit diesen eine entsprechende Vereinbarung besteht.

Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin hat am 17. März 1993 gegen die Rettungsdienstgebührensatzung des Antragsgegners beim Oberverwaltungsgericht einen Normenkontrollantrag gestellt und im wesentlichen vorgetragen:

Sie erleide als Kostenträgerin durch die Rettungsdienstgebührensatzung des Antragsgegners einen Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, weil sie Gebühren für Rettungsdienstleistungen zugunsten ihrer Versicherten zu bezahlen habe, die mit § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht vereinbar seien. Nach § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V dürften sich die Preise gegenüber den am 1. Dezember 1992 geltenden Preisen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 höchstens um den Vomhundertsatz verändern, um den sich die nach den §§ 270 und 270a zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen je Mitglied verändern. Der Vomhundertsatz für das Jahr 1993 sei vom Bundesministerium für Gesundheit mit Bekanntmachung vom 12. Februar 1993 für die alten Bundesländer auf 3,1 % festgelegt worden. Diese “Deckelungsvorschrift” sei auf die hier angegriffene Rettungsdienstgebührensatzung anwendbar. Zur Begründung ihrer Rechtsauffassung hat die Antragstellerin dem Oberverwaltungsgericht ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. R… vom 4. Februar 1994 vorgelegt. Sie berufe sich ferner auf das Gutachten von Prof. Dr. Dr. C… K…, “Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reregulierung durch Landesgesetze – Rettungsdienstgesetze der Bundesländer und privater Krankentransport”; danach verstoße das Land Niedersachsen gegen den Grundsatz der Bundestreue, indem es entgegen der Erwartung der Bundesregierung und des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestags im Zusammenhang mit der Entlassung des Krankentransports aus dem Geltungsbereich des Personenbeförderungsgesetzes den Wettbewerb privater Anbieter ausgeschaltet habe. Damit sei das vom Bund angestrebte Ziel, der Kostenentwicklung Einhalt zu gebieten, verfehlt worden.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die Satzung des Antragsgegners über Benutzungsgebühren zur Deckung der Kosten des Rettungsdienstes und des qualifizierten Krankentransportes im Landkreis Lüneburg vom 1. März 1993 für nichtig zu erklären,

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hat vorgetragen: Die Normenkontrollklage sei unbegründet. Er – der Antragsgegner – sei zum Erlaß der angegriffenen Satzung aufgrund von § 16 NRettDG ermächtigt, weil eine Vereinbarung mit den Kostenträgern nach § 15 NRettDG nicht zustande gekommen sei. Nach dem Niedersächsischen Rettungsdienstgesetz hätten die vereinbarten Entgelte die Gesamtkosten des Rettungsdienstes zu decken. § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V finde auf hoheitlich festgesetzte Gebühren keine Anwendung. Adressat des § 133 Abs. 1 SGB V seien die Krankenkassen, nicht aber die Träger des Rettungsdienstes. Zur Begründung seiner Auffassung, daß die Regelungsmaterie “Rettungsdienst” in der Gesetzeskompetenz der Länder liege, hat der Antragsgegner auf das Gutachten “Rettungsdienst und Gesundheitsstrukturgesetz, eine kompetenzrechtliche Untersuchung” von Prof. Dr. D…. vom April 1993 Bezug genommen, das dieser im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit erstattet habe.

Das Oberverwaltungsgericht hält die angegriffene Satzung für vereinbar mit § 133 SGB V und möchte den für zulässig erachteten Normenkontrollantrag ablehnen. Es hat gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VwGO mit Beschluß vom 16. Februar 1994 dem Bundesverwaltungsgericht folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Verstößt der kommunale Träger des Rettungsdienstes in Niedersachsen mit der Festlegung von Benutzungsgebühren in einer Satzung gegen § 133 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) – in der Fassung des Art. 1 Nr. 82 des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266), wenn er die dort für 1993 festgelegte Preisobergrenze überschreitet?

Zur Begründung der Vorlagefrage hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt: Streitgegenstand sei allein die einseitige Festlegung von Benutzungsgebühren durch Rechtssatz; für sie gelte § 133 Abs. 1 SGB V weder nach seinem Wortlaut noch nach der Systematik des § 133 SGB V, der die Bestimmung durch Satzung als “Festlegung durch … kommunalrechtliche Bestimmungen” bezeichne und diese allein in Abs. 2 der Vorschrift anspreche, nicht aber in Abs. 1, der im übrigen ebenfalls unter landesrechtlichem Vorbehalt stehe. Die mögliche Absicht des SGB-Gesetzgebers, die Deckelung des Abs. 1 Satz 3 auch auf Abs. 2 zu erstrecken, habe in der positiven gesetzlichen Regelung keinen Ausdruck gefunden. Dem kommunalen Träger werde nach § 15 Abs. 1 Sätze 3 und 4 NRettDG die Beachtung der Gesamtkosten als Untergrenze zur Pflicht gemacht und er werde weiter an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden, was dem § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V in bestimmten Jahren durchaus entgegenstehen könne.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vorlagefrage zu bejahen.

Sie führt aus: Die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts sei gewissermaßen eine Prämie für den kommunalen Rettungsdienstträger auf das Scheitern der Verhandlungen. Sie würde zu Belastungen der gesetzlichen Krankenkassen führen, die diese auch nicht auf ihre Versicherten überwälzen könnten. Es sei im übrigen sozialversicherungsrechtlich ungeklärt, ob die gesetzlichen Krankenversicherungen Kosten in absehbarem Umfang von mehreren 100 DM pro Einsatz auf ihre Versicherten abwälzen dürften, denen diese – infolge der kommunalen Monopole – nicht ausweichen könnten.

Der Antragsgegner schließt sich der Auffassung des vorlegenden Oberverwaltungsgerichts an.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und trägt vor: In Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit vertrete er die Auffassung, daß der kommunale Träger des Rettungsdienstes Niedersachsen mit der Festlegung von Benutzungsgebühren in einer Satzung gegen § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.d.F. des Art. 1 Nr. 82 Gesundheitsstrukturgesetz verstoße, wenn er die dort für 1993 festgelegte Preisobergrenze überschreite. In der Regelung des § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V habe der Gesetzgeber auch die in § 133 Abs. 2 SGB V angesprochenen, nach landes- oder kommunalrechtlichen Bestimmungen festgelegten Entgelte einbeziehen wollen. Ob diese Absicht des Gesetzgebers im Wortlaut des § 133 SGB V ausreichend zum Ausdruck gekommen sei, erscheine zweifelhaft. Darauf komme es aber nicht an, weil die niedersächsische Finanzierungsregelung sich als einheitliches, der Vertragslösung folgendes Modell darstelle, das den Regelungen des § 133 Abs. 1 SGB V unterliege.

 

Entscheidungsgründe

Der erkennende Senat verneint die vorgelegte Rechtsfrage.

1. Die Vorlage ist zulässig; denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Vorlagefrage ist auch entscheidungserheblich. Die Antragstellerin erleidet – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – durch die Rettungsdienstsatzung, die die Grundlohnanbindung oder “Preisdeckelung” des § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht berücksichtigt, einen Nachteil, denn sie muß höhere Kosten für den Rettungsdienst übernehmen, als sie zu tragen hätte, wenn dem § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V bei den Gebührenansätzen Rechnung getragen worden wäre. Diesen Nachteil erleidet sie, gleichgültig, ob die Versicherten wegen der Fahrtkosten gegen die Antragstellerin einen Sachleistungs- oder einen Kostenerstattungsanspruch haben. Im Unterschied zu den Privatkrankenkassen und damit zu dem am 21. Dezember 1995 vom beschließenden Senat entschiedenen Fall BVerwG 3 C 34.94 – bei dem es im übrigen um eine Rechtsbeeinträchtigung nach § 42 Abs. 2 VwGO und nicht um einen Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ging – führen die Gebührenansätze der Rettungsdienstsatzung des Antragsgegners unmittelbar, d. h. durch Gesetz und nicht erst auf Grund einer weiteren Willensentscheidung, etwa eines noch hinzukommenden privatrechtlichen Vertrages zur Belastung der Antragstellerin. Die gesetzlichen Krankenkassen sind gemäß § 60 SGB V von Gesetzes wegen verpflichtet, die Fahrtkosten ihrer Versicherten zu tragen; sie können diese Last im Grundsatz nicht ausschließen. Ob sie einen Teil der Belastung – möglicherweise, aber nicht notwendigerweise den über die Grenzen des § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V hinausgehenden Teil – nach § 133 Abs. 2 SGB V von sich zu Lasten der Versicherten abwenden können, ist ungewiß; jedenfalls räumt diese Möglichkeit den Nachteil nicht aus. Es ist der Antragstellerin nicht zuzumuten, von dieser Möglichkeit ihren Versicherten gegenüber Gebrauch zu machen, zumal das Vorliegen der Voraussetzungen des § 133 Abs. 2 SGB V problematisch sein dürfte und sich zudem in tatsächlicher Hinsicht Beweisschwierigkeiten einstellen können.

Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage kann auch nicht mit Erwägungen in Frage gestellt werden, die dem Urteil des 8. Senates vom 23. Juni 1995 – BVerwG 8 C 14.93 – (Buchholz 401.84 Nr. 76) zugrunde lagen. Der 8. Senat hatte den Ansatz von kommunalen Benutzungsgebühren für die bei Notfalleinsätzen im Rahmen des Rettungsdienstes erbrachte ärztliche Behandlung von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen aufgrund kommunaler Satzungen im Hinblick auf die umfassende Regelung der vertragsärztlichen Versorgung im 5. Buch des SGB beanstandet. Der Rettungsdienstsatzung des Antragsgegners, insbesondere ihrem § 2 kann nicht entnommen werden, daß die festgesetzten Gebühren in irgendeiner Weise auch ein Entgelt für ärztliche Leistungen enthalten.

Schließlich ist die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage auch nicht dadurch weggefallen, daß die Begrenzung des Preisanstiegs durch Grundlohnanbindung nur für die Jahre 1993 bis 1995 vorgesehen war, dieser Zeitraum aber nunmehr verstrichen ist. Erweisen sich nämlich die für diesen Zeitraum erhobenen Rettungsdienstgebühren als gesetzwidrig überhöht, können sich Ansprüche auf Rückabwicklung oder auf Ausgleich ergeben.

2. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners zwingt nicht schon der Wortlaut des § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Verneinung der Vorlagefrage. Nach dieser Vorschrift schließen die Krankenkassen Verträge über die Vergütung von Leistungen des Rettungsdienstes und über das Entgelt für andere Krankentransporte mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen, soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt. Die Argumentation des Antragsgegners, § 133 Abs. 1 SGB V sei auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, weil der kommunale Rettungsdienstträger kein “Unternehmer” oder keine diesem gleichgestellte “Einrichtung” im Sinne des § 133 Abs. 1 SGB V sei, überzeugt nicht. Daß der kommunale Rettungsdienstträger über die Aufgabe des sicheren Transports hinaus – wie sie dem Unternehmer obliegt – weitere gesetzliche Aufgaben hat, wie § 2 NRettDG zeigt, ist für die Bestimmung der Begriffe “Unternehmer” und “Einrichtung” ohne Bedeutung. Entscheidend ist, wer durch den Abschluß von Verträgen maßgeblichen Einfluß auf die Festlegung der Entgelte des Rettungsdienstes hat. Der bundesgesetzlichen Regelung kommt es darauf an, daß die Krankenkassen – soweit möglich – Entgeltvereinbarungen treffen, um ihre und des Bundesgesetzgebers Preisvorstellungen durchzusetzen. Ersichtlich hat der Bundesgesetzgeber mit dem Begriff der Einrichtung in § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V einen möglichst umfassenden Begriff verwenden wollen, der die mühelose Anknüpfung an die unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen auf dem Gebiete des Rettungsdienstes ermöglicht (so auch R…, Gutachten S. 24). Jedenfalls hat der vergleichsweise unbestimmte Begriff “Einrichtung” die Funktion, denjenigen zu bezeichnen, der als Vertragspartner für die in § 133 Abs. 1 SGB V vorgesehenen Verträge in Betracht kommt, der also über die Entgelte mitzubestimmen hat. Da denkbar ist, daß dies je nach Gesetzeslage auch einmal der Krankentransportunternehmer selbst sein kann, wurde in § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V auch der Unternehmer genannt. Wer dann im einzelnen den Krankentransport tatsächlich ausführt, ist für den Anwendungsbereich der Regelung des § 133 SGB V unerheblich.

Der Antragsgegner nimmt für seine Rechtsansicht, daß § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V jedenfalls nicht auf satzungsrechtlich festgelegte Entgelte anzuwenden sei, auch dessen Wortlaut in Anspruch. Nach § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V dürfen sich die “Preise” – für die Leistungen des Rettungsdienstes und andere Krankentransporte – “gegenüber den am 1. Dezember 1992 geltenden Preisen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 höchstens um den Vomhundertsatz verändern, um den sich die nach den §§ 270 und 270a zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen je Mitglied verändern; die Vomhundertsätze sind für das Beitrittsgebiet und das übrige Bundesgebiet getrennt festzulegen. ” Der Antragsgegner meint, der Begriff “Preis” deute bereits darauf hin, daß nur privatrechtlich vereinbartes Entgelt gemeint sei. Diesem Begriffsverständnis ist für den Regelfall beizupflichten.

Mit dem Hinweis auf den Begriff des Preises ist jedoch die Vorlagefrage noch nicht beantwortet. Es läßt sich zunächst nicht ausschließen, daß die Preissteigerungsbegrenzung zwar an sich nur für Verträge, die übrigens nicht notwendigerweise privatrechtlich sein müssen, gilt, dann aber auch einseitig hoheitlich festgelegte Entgelte ihrem Sinne nach erfaßt, die an die Stelle vereinbarter Entgelte – der “Preise” – treten. Zu diesem Ergebnis kommt die Antragstellerin unter Berufung auf das Gutachten von R…. Der Wortlaut des § 133 Abs. 1 SGB V deutet freilich nicht in diese Richtung.

3. Gewißheit bringt hier eine systematische Auslegung des gesamten § 133 SGB V; sie zeigt deutlich, daß die Schlußfolgerung der Antragstellerin fehl geht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich der Landesvorbehalt in Satz 1 des § 133 Abs. 1 SGB V grammatikalisch und seiner Stellung in Absatz 1 nach auch auf die Preissteigerungsbegrenzungsvorschrift des Satzes 3 erstreckt. Der sachliche Zusammenhang der Absätze 1 und 2 läßt aber keinen Zweifel, daß auch § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V der Sache nach unter Landesvorbehalt steht. Aus den Absätzen 1 und 2 muß geschlossen werden, daß der Bundesgesetzgeber dem Landesrecht nicht nur im Hinblick auf die Modalitäten des Zustandekommens der Entgelte für Leistungen des Rettungsdienstes, sondern auch und vor allem im Hinblick auf eine Festlegung der Höhe den Vorrang einräumt, also seine eigenen Regelungen in § 133 SGB V zur Höhe der Entgelte, insbesondere § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V zurücktreten läßt. Für den Fall, daß die Entgelte für die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt sind, kennt der Bundesgesetzgeber nämlich nur die Rechtsfolge der Verweisung der Krankenkassen auf die Festbeträge. Er läßt damit zugleich die landesrechtliche Festlegung insgesamt – also zu den Modalitäten über das Zustandekommen der Entgelte wie auch über ihre Höhe – unberührt.

Die gesamte Regelung des § 133 SGB V hat ersichtlich den Sinn, die Ausgaben der Krankenkassen für Krankentransportleistungen zu begrenzen. Dies geschieht in unterschiedlicher Weise: Zum einen wird eine Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung erstrebt, zum andern wird den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt, ihre Leistungen wegen der Krankentransporte auf Festbeträge zu beschränken mit der Folge, daß Kosten, die diese Festbeträge überschreiten, vom Versicherten selbst zu tragen sind; die Kassen sind in beiden Fällen entlastet.

Der Bundesgesetzgeber hat diese beiden Varianten der Kostenentlastung der Krankenkassen in unterschiedlichen Absätzen des § 133 SGB V geregelt: die Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung in Absatz 1, die Beschränkung auf Festbeträge in Absatz 2. Absatz 3 hat insofern keine eigenständige Bedeutung. Den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen der beiden Varianten zufolge knüpft die in Absatz 1 geregelte Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung an den Abschluß von Verträgen an, während die Beschränkung auf Festbeträge in Absatz 2 darauf abstellt, daß die Entgelte für die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes “durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt” sind. Genau genommen und entgegen der Annahme der Beteiligten differenziert § 133 SGB V also nicht nach Vertrag (“Vereinbarungsmodell”) oder einseitiger Festlegung der Entgelte (“Gebührenbestimmungsmodell”) beziehungsweise – wie der Antragsgegner meint – nach dem privatrechtlichen oder dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Entgelts, sondern danach, ob landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen die Entgelte festlegen, ob es also landesrechtliche Rechtsvorschriften über die Höhe der Entgelte gibt, oder ob die Höhe der Entgelte frei ausgehandelt werden können und müssen. Die Überlegung der Antragstellerin, wenn der Landesgesetzgeber überhaupt Vereinbarungen über das Entgelt für Leistungen des Rettungsdienstes zulasse (“Vereinbarungsmodell”) und für diese Vereinbarungen die Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung nach § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V gelte, dann gelte diese Vorschrift auch für die einseitige an die Stelle einer Vereinbarung tretenden Festsetzung der Entgelte, und zwar gleichgültig wie sich die landesrechtlichen Vorschriften im übrigen zur Höhe der Entgelte verhalten, findet weder im Wortlaut noch im System des § 133 SGB V ihren Niederschlag. Hätte der Gesetzgeber nämlich das gewollt, dann hätte man eine Formulierung wie folgt erwarten dürfen: “Läßt Landesrecht Verträge über die Vergütung von Leistungen des Rettungsdienstes zu, so dürfen sich die Preise gegenüber den am 1. Dezember 1992 geltenden Preisen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 höchstens um den Vomhundertsatz ändern, um den sich die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen verändern”.

Regeln die landesrechtlichen Vorschriften zwar die Höhe der Gebühren, lassen sie aber Raum für eine Berücksichtigung der Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung, so kommt § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V zur Anwendung und nicht § 133 Abs. 2 SGB V; denn dann ist das Entgelt für die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes insoweit durch landesrechtliche Bestimmungen nicht festgelegt, die Tatbestandsmerkmale des § 133 Abs. 2 SGB V sind also nicht erfüllt. Der Fall dagegen, daß zwar die Entgelte zunächst ausgehandelt werden, aber landesrechtliche Rechtsvorschriften über die Höhe der Entgelte vorhanden sind, die keinen Raum für eine Berücksichtigung der Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung lassen, fällt unter § 133 Abs. 2 SGB V, denn dann sind letztlich “die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt”. Das Aushandeln ist in Fällen dieser Art bei festen Rechtsvorschriften über die Höhe des Entgelts von der Sache her allerdings nur eine bedingte Möglichkeit der Entgeltfestsetzung.

Ist dem so, dann verliert auch das Argument der Antragstellerin seine Kraft, eine Auslegung, wie sie der Antragsgegner und das Oberverwaltungsgericht vertrete, sei gewissermaßen eine Prämie für den kommunalen Rettungsdienstträger auf das Scheitern der Verhandlungen; nicht das Scheitern der Verhandlungen, sondern das Vorhandensein von landesrechtlichen Vorschriften, die das Entgelt festlegen, lassen die Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung nicht zum Zuge kommen.

4. Angesichts des auf Wortlaut und Systematik fußenden eindeutigen Ergebnisses der Auslegung des § 133 SGB V kommt der Entstehungsgeschichte im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung in § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V ist durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I. 2266) in den § 133 Abs. 1 SGB V allerdings wegen der überproportionalen Ausgabenentwicklung auf dem Gebiete des Rettungswesens eingefügt worden (vgl. Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. – BTDrucks 12/3608). Dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BTDrucks 12/3937 S. 8) zufolge habe die Grundlohnanbindung auch für Vergütungen zu gelten, die nach landesrechtlichen Vorschriften zustande kommen; diese Vorstellung ist aber in der gesetzlichen Fassung des § 133 SGB V nicht zum Ausdruck gelangt, und zwar auch nicht andeutungsweise.

5. § 133 SGB V steht in der Auslegung, die er durch den beschließenden Senat gefunden hat, einer Festlegung der Benutzungsgebühren für den Rettungsdienst durch kommunale Träger des Rettungsdienstes, die die in § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V vorgesehene Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung überschreitet, nicht entgegen. Dabei geht der Senat von den Feststellungen tatsächlicher Art aus, die das Oberverwaltungsgericht getroffen hat, und legt in entsprechender Anwendung des § 562 ZPO in Verbindung mit § 173 VwGO dem Landesrecht die Auslegung zugrunde, die das Oberverwaltungsgericht gegeben hat. Aus den Gründen des Vorlagebeschlusses ergibt sich, daß in Niedersachsen die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes durch landesrechtliche und kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt sind. Damit sind sie der Begrenzung des Preisanstiegs durch Grundlohnanbindung in § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht unterworfen; es liegt vielmehr ein Fall des § 133 Abs. 2 SGB V vor. Nach § 15 Abs. 1 Satz 3 und 4 NRettDG muß nämlich die Summe der Entgelte die vom Träger des Rettungsdienstes und den Kostenträgern einverständlich festgestellten Gesamtkosten des Rettungsdienstes decken, wobei Maßstab der Feststellung die Kosten eines wirtschaftlich arbeitenden Rettungsdienstes sind. Mit diesem Regelungsgehalt bestimmt § 15 Abs. 1 NRettDG die Höhe der Entgelte für Leistungen des Rettungsdienstes. Dem Vorlagebeschluß kann auch im übrigen keine Ausnahme vom Deckungsprinzip nach § 15 Abs. 1 Satz 3 NRettDG zugunsten einer Preissteigerungsbegrenzung durch Grundlohnanbindung und damit kein landesrechtlicher Vorbehalt zugunsten des § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V entnommen werden.

Da inhaltlich kein Widerspruch zwischen der bundesrechtlichen und der landesrechtlichen Regelung festzustellen ist, kann das von den Beteiligten ausgiebig erörterte Problem der Gesetzgebungskompetenz offenbleiben, denn mit dem Vorbehalt des § 133 SGB V zugunsten des Landesrechts ist auch § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V unzweifelhaft kompetenzgerecht.

 

Unterschriften

Dr. Dickersbach, Sommer, Dr. Pagenkopf, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1622087

BVerwGE, 177

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