Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 27.04.2023; Aktenzeichen 2 S 1/22)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. April 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 40 000 € festgesetzt.

 

Gründe

I

Rz. 1

Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen § 22 der Abfallwirtschaftssatzung des Antragsgegners in der für die Jahre 2021 und 2022 jeweils maßgeblichen Fassung. Die Norm regelt u. a. die Höhe der Benutzungsgebühren für die Entsorgung von Abfällen, die der Landkreis einsammelt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anträge der Antragsteller zu 2 und 4 gegen § 22 der Abfallwirtschaftssatzung 2022 als unzulässig und die Anträge im Übrigen als unbegründet abgewiesen; die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II

Rz. 2

Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Rz. 3

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Diese Voraussetzungen erfüllen die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,

ob es mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG als Gebot der Belastungsgleichheit, dem insoweit darin enthaltenen Prinzip der Leistungsproportionalität und dem ebenfalls darin enthaltenen Äquivalenzprinzip als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Berücksichtigung der Schutzfunktion des Abgabenrechts zugunsten der Gebührenschuldner vereinbar ist, wenn eine Gebührensatzung für die Erhebung einer Abfallgebühr bei der Gebührenbemessung die vorhersehbaren späteren Kosten der Stilllegung und Nachsorge für stillgelegte Deponien (Folgekosten) nicht erst im Zeitpunkt ihres tatsächlichen Anfalls, sondern im Wege der Zuführung zu Rücklagen oder Rückstellungen bereits vorher - auch nach der Beendigung der Ablagerungsphase - in die Gebührenkalkulation einstellt,

ob es mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes vereinbar ist, wenn eine Gebührensatzung für die Erhebung einer Abfallgebühr bei der Gebührenbemessung die unter Ziff. 1 genannten Folgekosten nicht entsprechend dem Umfang der Inanspruchnahme der Deponie während der Ablagerungsphase auf die damals vorhandenen Benutzergruppen (Hausmüll, Baustellen und Gewerbe), sondern auf die aktuellen Benutzer der öffentlichen Abfallverwertungs- und Abfallbeseitigungsanlage verteilt,

nicht.

Rz. 4

1. Soweit die Beschwerde die Anträge der Antragsteller zu 2 und 4 gegen die für das Jahr 2022 gültige Fassung des § 22 der Satzung über die Vermeidung und Verwertung und Beseitigung von Abfällen (Abfallwirtschaftssatzung) betrifft, waren die aufgeworfenen Grundsatzfragen für das angefochtene Urteil schon nicht entscheidungserheblich. Denn insoweit wurden die Normenkontrollanträge als unzulässig abgewiesen, so dass es auf die Beurteilung der materiellen Rechtslage nicht ankam.

Rz. 5

2. Im Übrigen betreffen die formulierten Fragestellungen die Auslegung und Anwendung von Landesrecht, das gemäß § 137 Abs. 1 VwGO der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen und an dessen Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof das Revisionsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO gebunden ist.

Rz. 6

Die Rechtmäßigkeit der satzungsmäßigen Gebührenregelung bestimmt sich in erster Linie nach den Vorgaben in § 13 Abs. 1 und § 18 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 Buchst. b des Kommunalabgabengesetzes Baden-Württemberg (KAG BW). Diese Vorschriften ermächtigen die Gemeinden und Landkreise zur Erhebung von Benutzungsgebühren und enthalten für Gebühren im Bereich der öffentlichen Abfallentsorgung bestimmte Maßgaben zum Begriff der öffentlichen Einrichtung und zur Berücksichtigung von Rücklagen oder Rückstellungen für die Kosten der Stilllegung und der Nachsorge. In der Sache wendet sich die Beschwerde dagegen, dass der Verwaltungsgerichtshof bei der Auslegung von § 18 Abs. 1 Nr. 4 KAG BW maßgeblich auf den Einrichtungsbegriff nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 KAG BW abgestellt und die Gesamtheit aller (auch stillgelegten) Anlagen zur Abfallentsorgung als eine einheitliche Einrichtung der öffentlichen Abfallentsorgung aufgefasst hat. Die - aktuelle - Benutzung dieser einheitlichen Einrichtung bildet nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs die Grundlage für die Gebührenerhebung. Hieraus leitet er sowohl die Zulässigkeit der Bildung von Rückstellungen auch nach Beendigung der Ablagerungsphase und deren Einbeziehung in die aktuellen Kosten als auch die Maßgeblichkeit der aktuellen Benutzergruppen und Verteilungsschlüssel für die Verteilung dieser Kosten ab. Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs handelt es sich bei den in die Gebührenkalkulationen der Jahre 2021 und 2022 eingestellten Zuführungen zu Rückstellungen für die späteren Kosten der Stilllegungen und der Nachsorge um aktuelle Kosten der öffentlichen Einrichtung, die als betriebsbedingt fingiert werden und damit der Leistungserstellung dienen (UA S. 67 f.). Insoweit geht das Gericht von der Ausweitung des Einrichtungsbegriffs in § 18 Abs. 1 Nr. 2 KAG BW und der Ausweitung des Kostenbegriffs in § 18 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG BW aus (UA S. 67 unten). Sowohl der Begriff der öffentlichen Einrichtung als auch der Kostenbegriff sind jedoch dem Landesrecht zuzuordnen und daher grundsätzlich nicht revisibel (vgl. zum Einrichtungsbegriff BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2021 - 9 C 10.20 - BVerwGE 173, 340 Rn. 14 und zum Kostenbegriff BVerwG, Urteil vom 23. März 2021 - 9 C 4.20 - BVerwGE 172, 46 Rn. 16; jeweils m. w. N.).

Rz. 7

3. Eine Revisibilität ergibt sich auch nicht aus den von der Beschwerde angeführten Rechtsgrundsätzen des Bundesrechts.

Rz. 8

a) Soweit die Beschwerde die Vereinbarkeit der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Rechtsauffassung mit dem Gleichheitsgebot und dem Äquivalenzgrundsatz in Frage stellt, wird kein bundesrechtlicher Klärungsbedarf dargelegt. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung des irrevisiblen Landesrechts vermag eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem irrevisiblen Recht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 19. Mai 2011 - 9 B 83.10 - juris Rn. 3 und vom 9. Februar 2023 - 9 BN 4.22 - juris Rn. 12; jeweils m. w. N.). Es muss also grundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der bundesverfassungsrechtlichen Maßstabsnorm selbst bestehen. Daran fehlt es hier.

Rz. 9

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der landesrechtlichen Ausgestaltung des kommunalen Gebührenrechts durch den Gleichheitssatz, dessen Ausfluss das Prinzip der Gebührengerechtigkeit ist, und das Äquivalenzprinzip nur sehr weite bundesrechtliche Grenzen gezogen werden (BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 21). Der Satzungsgeber hat einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen und welche Gebührenmaßstäbe und -sätze er hierfür aufstellen will. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang bereits eingehend zu den Vorgaben Stellung genommen, die sich aus dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz für die Ausgestaltung von Benutzungsgebühren ergeben. Beide Grundsätze fordern danach in Verbindung miteinander, dass die Benutzungsgebühr nach dem Umfang der Benutzung bemessen wird, also nicht in einem groben Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. In Anbetracht des Gestaltungsspielraums des Normgebers kann nicht verlangt werden, dass der zweckmäßigste, vernünftigste, gerechteste oder wahrscheinlichste Maßstab angewendet wird. Vielmehr sind Durchbrechungen des Gleichheitssatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen zulässig, solange die dadurch entstehende Ungleichbehandlung noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 9 B 17.15 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 114 Rn. 6 m. w. N.). Ein striktes Gebot der Leistungsproportionalität ist dem Bundesrecht nicht zu entnehmen (BVerwG, Urteile vom 1. Dezember 2005 - 10 C 4.04 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 100 Rn. 51 und vom 20. Dezember 2000 - 11 C 7.00 - BVerwGE 112, 297 ≪301 f.≫). Der Gleichheitsgrundsatz gebietet nur, bei gleichartig beschaffenen Leistungen, die rechnerisch und finanziell in Leistungseinheiten erfasst werden können, die Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit so zu wählen und zu staffeln, dass sie unterschiedlichen Ausmaßen in der erbrachten Leistung Rechnung tragen, damit die verhältnismäßige Gleichheit unter den Gebührenschuldnern gewahrt bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217 ≪226 f.≫).

Rz. 10

Die Beschwerdebegründung zeigt keine klärungsbedürftigen Aspekte in Bezug auf diese Maßstäbe auf, sondern stellt mit den aufgeworfenen Grundsatzfragen der Sache nach nur die Ergebnisrichtigkeit des angegriffenen Urteils in Frage. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entscheidung die dargestellten bundes(verfassungs)rechtlichen Grundsätze zugrunde gelegt und sie insoweit zutreffend erfasst (UA S. 64 ff.); er kommt lediglich in ihrer Anwendung zu anderen Ergebnissen als die Antragsteller. Soweit die Beschwerde insbesondere einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot und eine dem Verursacherprinzip widersprechende Ungleichbehandlung der vormaligen Benutzergruppen bei Betrieb der Deponie gegenüber den heutigen Benutzergruppen der bereits stillgelegten Deponie rügt, geht dies an der die Entscheidung tragenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs vorbei. Dieser stellt im Zusammenhang mit dem von der Beschwerde angeführten Verursacherprinzip nicht auf die frühere Inanspruchnahme der Deponie in der Betriebs- und Ablagerungsphase ab, sondern auf das besondere Näheverhältnis der (heutigen) Abfallgebührenschuldner zur öffentlichen Abfallentsorgungseinrichtung (UA S. 70). Der Aspekt der Vermeidung von Gebührensprüngen wird dabei - anders als die Beschwerde meint - nicht im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG als sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung der Gebührenschuldner, sondern als Argument für die Anwendbarkeit des § 18 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG BW auch auf die Zeit nach der Stilllegung und die damit verbundene Ausweitung des Kostenbegriffs angeführt.

Rz. 11

b) Die Beschwerde legt auch nicht dar, welcher rechtliche Klärungsbedarf in Bezug auf die Reichweite des Gesetzesvorbehalts (Art. 20 Abs. 3 GG) bestehen soll, sondern beschränkt sich insoweit darauf, im Ergebnis einen Verstoß der angegriffenen Entscheidung gegen dieses Verfassungsprinzip zu rügen. Auch dies zielt im Kern (nur) auf den Inhalt und die Grenzen der Auslegung von irrevisiblem Landesrecht.

Rz. 12

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie entspricht der Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichtshofs.

 

Fundstellen

Haufe-Index 16187491

AbfallR 2024, 47

GK/BW 2024, 73

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