Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Abgabengerechtigkeit. Bestimmtheitsgebot. Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit. Störfall. Überschreitung der Überwachungswerte. Überwachungsermessen. Zusammenhang zwischen wasserbehördlicher Überwachung und Abgabenhöhe. Typisierung. Verwaltungspraktikabilität. Meßverfahren. qualifizierte Stichprobe. 2-Stunden-Mischprobe. Höchstgrenze

 

Leitsatz (amtlich)

§ 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG ist trotz der Abhängigkeit der endgültigen Abgabenhöhe von den Ergebnissen der im Ermessen der Wasserbehörde stehenden Überwachung sowohl unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots als auch des Grundsatzes der Tatbestandsmäßigkeit von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt im Rahmen der Erhöhungsvorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG weder eine gesetzliche Sonderregelung für Störfälle noch eine gesetzliche Höchstgrenze der Abgabenbelastung.

Die (typisierende) Berechnung der maßgeblichen Zahl der Schadeinheiten nach den Ergebnissen einzelner Kontrollmessungen und der darin liegende Verzicht auf eine Dauermessung gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG sind mit dem Gebot der Abgabengerechtigkeit vereinbar.

Die qualifizierte Stichprobe und die 2-Stunden-Mischprobe sind grundsätzlich gleichwertige Meßverfahren; die Wasserbehörde kann deshalb im Rahmen ihres Überwachungsermessens auch dann das Verfahren der qualifizierten Stichprobe wählen, wenn sie bei der „regulären” Überwachung das andere Meßverfahren anwendet.

 

Normenkette

AbwAG § 3 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1990-11-06, Abs. 4 Fassung: 1990-11-06, § 4 Abs. 4 S. 2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Urteil vom 28.04.1997; Aktenzeichen 3 L 7502/95)

VG Lüneburg (Entscheidung vom 25.07.1995; Aktenzeichen 3 A 157/93)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. April 1997 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 321 944 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Berufungsurteil leidet weder unter dem gerügten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), noch kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

I.

Das Berufungsgericht hat nicht gegen die ihm von Amts wegen obliegende Pflicht zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verstoßen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Die Beschwerde wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, eine maßgebliche Urkunde – nämlich den Einleitungsbescheid vom 4. Mai 1990 – nicht „mit ihrem gesamten Inhalt” seiner Entscheidung zugrunde gelegt zu haben. Da das Berufungsgericht den fraglichen Bescheid jedoch unzweifelhaft herangezogen und sich mit ihm und seiner Bedeutung im einzelnen auseinandergesetzt hat (Berufungsurteil S. 13 f.), geht es in Wahrheit nicht um einen Aufklärungsmangel in tatsächlicher Hinsicht, sondern um einen nach Ansicht der Beschwerde begangenen Fehler bei der Auslegung des Regelungsinhalts und damit um die zutreffende oder unzutreffende Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Damit wird jedoch kein Verfahrensfehler bezeichnet; vielmehr ist eine solche Rüge revisionsrechtlich in aller Regel dem materiellen Recht zuzurechnen und deshalb grundsätzlich der Überprüfung auf eine Verfahrensrüge entzogen (vgl. Beschluß vom 14. Mai 1975 – BVerwG VI C 91.74 – Buchholz 448.0 § 34 WPflG Nr. 43 S. 1 ≪4≫; Beschluß vom 10. Februar 1978 – BVerwG 1 B 13.78 – Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 8 S. 10 ≪13≫). Im übrigen ist das Revisionsgericht an die auf der Grundlage der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung gewonnene Tatsachenfeststellung gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bis zur Grenze des Rechtsirrtums bzw. des Verstoßes gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder Auslegungsregeln gebunden (stRspr, vgl. Beschluß vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – DVBl 1996, 108 und Urteil vom 13. September 1990 – BVerwG 2 C 20.88 – Buchholz 442.08 § 27 BBahnG Nr. 1 S. 1 ≪4≫). Der Beschwerde ist keine Verletzung eines solchen allgemeinen Beweiswürdigungsgrundsatzes zu entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Anordnung der 2-Stunden-Mischprobe durch Anlage 3 zum Einleitungsbescheid vom 4. Mai 1990 ausschließlich auf regelmäßige Untersuchungen, nicht aber auf Störfälle bezogen. Die in der Begründung des Bescheids auf S. 9 enthaltene Formulierung – auf die die Beschwerde ihre gegenteilige Auffassung stützt –, „für die behördliche Überwachung (seien) 2-Stunden-Mischproben erforderlich”, steht diesem Auslegungsergebnis nicht zwingend entgegen, denn der Begriff der Überwachung kann ohne Verstoß gegen die Denkgesetze auch einschränkend im Sinne des Berufungsurteils verstanden werden. Die Ansicht des Berufungsgerichts ist deshalb jedenfalls nicht schlechterdings unhaltbar.

Die in der Bemerkung der Beschwerde, das Berufungsgericht habe den auf die Auslegung des Bescheids gerichteten Vortrag der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen, möglicherweise liegende Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO), greift ebenfalls nicht durch. Zwar verpflichtet das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten ernsthaft in Erwägung zu ziehen; daraus folgt jedoch nicht die Verpflichtung, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen im einzelnen ausdrücklich zu befassen (vgl. etwa Beschluß vom 9. März 1988 – BVerwG 7 B 188.87 – Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 81 S. 21 ≪22≫). Das Berufungsgericht hat sich in seinem Urteil mit dem Problemkreis der Auslegung des Einleitungsbescheids beschäftigt und ist dabei der Argumentation der Klägerin offenkundig nicht gefolgt. Anhaltspunkte dafür, daß es den schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin insoweit nicht zur Kenntnis genommen hätte, sind nicht ersichtlich. Gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Beurteilung schützt der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht (vgl. Beschluß vom 7. Oktober 1987 – BVerwG 9 CB 20.87 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 31 S. 1 ≪2≫).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen werden. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

1. Die erste von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob bei der Berechnung der Abwasserabgabe Störfallwerte berücksichtigt werden dürfen, die nach einer anderen Probenahmeart gewonnen wurden als die Werte im Rahmen der regulären Überprüfung,

ist nicht klärungsbedürftig. Das Berufungsgericht geht – wie dargelegt ohne durchgreifende Verfahrensrügen – davon aus, daß der Einleitungsbescheid für Störfälle keine bindende Festlegung des Meßverfahrens enthält. Entgegen der Auffassung der Beschwerde läßt sich auch dem Abwasserabgabengesetz in Verbindung mit der allgemeinen Rahmen-Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer zu § 7 a WHG die von der Beschwerde für richtig gehaltene Festlegung auf eine bestimmte Probenahmeart nicht entnehmen. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 AbwAG verweist hinsichtlich der Bestimmung der Schädlichkeit auf die Anlage zu diesem Gesetz; in deren Teil B wird das jeweilige Meßverfahren nur ansatzweise angesprochen, im übrigen auf die erwähnte Rahmen-Verwaltungsvorschrift verwiesen. In deren Anhang 1 (Gemeinden) werden jedoch unter Ziffer 2.1 die „qualifizierte Stichprobe oder 2-Stunden-Mischprobe” ohne Einschränkungen nebeneinander aufgeführt und damit offenkundig als zur Ermittlung der Schädlichkeit des eingeleiteten Abwassers gleichwertige Verfahren betrachtet. Welche der beiden Probenahmearten die Wasserbehörde wählt, steht danach in ihrem Ermessen (vgl. auch Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl., S. 84; Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, S. 281 ff.). Das schließt die Möglichkeit ein, sich bei Störfällen für die qualifizierte Stichprobe auch dann von Rechts wegen entscheiden zu können, wenn für die reguläre Überwachung im Einleitungsbescheid bindend die 2-Stunden-Mischprobe vorgesehen und durchgeführt wurde. Die Beschwerde hat ihre Ansicht nicht näher belegt, daß und warum der Wechsel zwischen den – je für sich zulässigen – Meßverfahren zu einer Verfälschung des Ergebnisses führen könne. Der bloße Hinweis darauf, daß die qualifizierte Stichprobe über einen kürzeren Zeitraum entnommen wird als die 2-Stunden-Mischprobe und deshalb „regelmäßig punktuelle Ergebnisse” ergibt, während die 2-Stunden-Mischprobe die Abwasserqualität über einen längeren Zeitraum widerspiegele, sagt nichts darüber aus, daß die durch Stichproben ermittelten Ergebnisse falsch seien. Sind aber auch Stichproben nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich verwertbar – was auch die Beschwerde offenbar nicht in Zweifel zieht –, so ist schwer nachvollziehbar, warum ihre Werte dann nicht berücksichtigungsfähig seien sollen, wenn sie neben regulär gewonnenen Ergebnissen aus Mischproben erzielt worden sind. Die Auffassung der Beschwerde wird dementsprechend – bei aller Umstrittenheit der Meßverfahrensproblematik – in der Literatur, soweit ersichtlich, nirgends vertreten; auch die Beschwerde selbst führt insoweit keine Belege an. Das Oberverwaltungsgericht hat derartige Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt. Erst sie würden jedoch die Entscheidungserheblichkeit der für klärungsbedürftig gehaltenen Frage begründen. Hat aber das Berufungsgericht Tatsachen, die vorliegen müßten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Frage in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich aufgeworfen würden, nicht festgestellt, kann die Revision im Hinblick auf diese Frage wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden (vgl. Beschluß vom 30. Juni 1992 – BVerwG 5 B 99.92 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309 S. 43).

Daß das Abwasserabgabengesetz selbst keine unmittelbare Festlegung des maßgeblichen Meßverfahrens im einzelnen – über die in Anlage B zu § 3 AbwAG enthaltenen Grundlagen hinaus – enthält, ist nicht zu beanstanden (vgl. zu ähnlichen umweltrechtlichen Bestimmungen BVerfGE 49, 89 ≪134 ff.≫; Meßerschmidt, a.a.O., S. 283).

2. Die weiteren Fragen,

ob § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG bestimmt genug ist, um eine Geldleistungspflicht des Abgabenschuldners zu begründen,

und

ob nicht § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG dem hergebrachten Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit von Steuergesetzen widerspricht,

sind nicht klärungsbedürftig, weil die in der Fragestellung liegenden verfassungsrechtlichen Einwände gegen die angesprochene Norm nicht durchgreifen; einer Vertiefung durch ein Revisionsverfahren bedarf es hierzu nicht. Verfassungsrechtliche Bedenken in der mit der Beschwerde bezeichneten Richtung sind gegen § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG – bereits die ursprüngliche Gesetzesfassung vom 13. September 1976 (BGBl I S. 2721) enthielt eine sinnentsprechende Regelung – in der Rechtsprechung bisher nicht erhoben worden; die Beschwerde kann sich für ihre Auffassung auch nicht auf die einschlägige Literatur berufen (vgl. Berendes, a.a.O., S. 83 f.; Meßerschmidt, a.a.O., S. 279 ff. und 288; die Bedenken Henselers, NVwZ 1987, 551 ≪553≫, gehen in eine andere Richtung). Die Beschwerde leitet ihre verfassungsrechtlichen Zweifel daraus ab, daß die Meßergebnisse im Rahmen der wasserbehördlichen Überwachung sich gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG auf die Höhe der geschuldeten Abwasserabgabe auswirken, weil eine Überschreitung der Überwachungswerte je nach Häufigkeit und Intensität der Überschreitung zu einer Erhöhung der die Abgabenberechnung bestimmenden Zahl der Schadeinheiten führt. Sie hält diese Folge mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung für verfassungswidrig, weil die Abgabenhöhe wegen ihrer Abhängigkeit von den Ergebnissen der Überwachung für den Abgabepflichtigen nicht vorab berechenbar sei und die Überwachung überdies im Ermessen der Wasserbehörde stehe. Beide Einwände greifen nicht durch.

a) Das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Bestimmtheitsgebot – das selbst im Steuerrecht in seiner praktischen Anwendung nicht einschränkungslos umgesetzt wird (vgl. u.a. Tipke/Lang, Steuerrecht, 15. Aufl., § 4 Rn. 167 ff. m.w.N.) – stellt keine einheitlichen, in gleicher Weise für alle Abgaben geltenden Voraussetzungen auf. Vielmehr ist der Grad der von Verfassungs wegen geforderten Regelungsbestimmtheit sowohl von der Eigenart des geregelten Sachverhalts und den jeweiligen (Grundrechts-)Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen als auch von der Art und Intensität des zugelassenen behördlichen Eingriffs abhängig (vgl. BVerfGE 48, 210 ≪222≫; 56, 1 ≪13≫). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht für das Gebühren- und Beitragsrecht festgestellt, daß das Bestimmtheitsgebot nur die dem jeweiligen Sachzusammenhang angemessene Regelungsdichte erfordere und ein Verstoß in der Regel nur dann anzunehmen sei, wenn eine willkürliche Handhabung durch die Behörden eröffnet werde (Urteile vom 2. Juli 1969 – BVerwG IV C 68.67 – JZ 1970, 183 und vom 16. November 1984 – BVerwG 4 C 3.81 – NVwZ 1985, 271). Die danach auch im Abwasserabgabenrecht zu berücksichtigende Eigenart der zu regelnden Materie und des jeweiligen Sachzusammenhangs gestattet bei der hier zu beurteilenden Sonderabgabe (vgl. zur Rechtsnatur der Abwasserabgabe: Berendes, a.a.O., S. 13; P. Kirchhof, Verfassungsrechtliche Beurteilung der Abwasserabgabe des Bundes, 1983, S. 47) eine differenzierte Anwendung dieses Gebots (Meßerschmidt, a.a.O., S. 262 und 268). Dabei ist eine Rücknahme der (gesetzlichen) Regelungsdichte im Hinblick auf die Effektivität der mit der Sonderabgabe verbundenen Lenkungsfunktion gerechtfertigt. Die dynamische Weiterentwicklung des Gewässerschutzes gestattet nicht nur im wasserrechtlichen Ordnungsrecht eine weitgehende Bezugnahme auf die sich rasch ändernden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Regeln, sondern läßt auch bei der dieses Ordnungsrecht flankierenden Abwasserabgabe (vgl. BTDrucks 10/5533 S. 9 Ziff. II 4 und III 6) eine entsprechende Anknüpfung zu.

Unter Anlegung dieser Maßstäbe wird mit der durch § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG angeordneten Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten bei Überschreitung der Überwachungswerte gesetzlich hinreichend bestimmt, wann und in welchem Ausmaß (vgl. § 4 Abs. 4 Sätze 3 bis 6) der maßgebliche Berechnungsfaktor für die Höhe der Abgabe ansteigt. In Wahrheit rügt die Beschwerde nur, daß sich der im (Überwachungs-)Ermessen der Wasserbehörde stehende Vollzug faktisch – nämlich über die höhere Wahrscheinlichkeit der Feststellung einer Überschreitung bei vermehrten Kontrollen – erheblich auf die letztliche Höhe der Abgabe auswirkt. Vollzugsermessen und Ermessen im Rahmen der Festsetzung der Abgabe sind aber im Grundsatz zu unterscheiden (Meßerschmidt, a.a.O., S. 279; Berendes, a.a.O., S. 100). Hier handelt es sich nicht in erster Linie um eine Frage der Bestimmtheit des gesetzlichen Abgabentatbestandes, sondern des Gesetzesvollzugs. Das von der Beschwerde gerügte Ermessen der Wasserbehörden bezieht sich nicht spezifisch auf die Erhebung der Abgabe. Vielmehr ist umgekehrt die Abgabe – wegen ihrer den wasserrechtlichen Vollzug unterstützenden Funktion – von der ordnungsrechtlichen Wasseraufsicht und damit auch von dem dort unstreitig zulässigen Ermessen nicht zu trennen. Insoweit rechtfertigt jedenfalls die Besonderheit des hier zu regelnden Sonderabgabenrechts den mittelbaren Einfluß von Ermessensvollzugsakten auf die Abgabenhöhe. Im übrigen ist auch im Steuerrecht die Höhe der faktisch eingeforderten Steuerschuld vielfach davon abhängig, ob, wie häufig und wie intensiv die Steuerverwaltung kontrolliert, ohne daß dieses Verwaltungsermessen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wäre (vgl. Tipke/Kruse, AO, § 3 Tz. 28). Schließlich wird selbst für steuerliche Tatbestände ein gewisser Ermessensspielraum nicht durchweg abgelehnt (vgl. P. Kirchhof, StuW 1975, 357 ≪361≫). Letztlich hängt die Höhe der Abgabe in derartigen Fällen von dem tatsächlichen Einleiteverhalten des Abgabepflichtigen ab (Berendes, a.a.O., S. 100), das sich schon im Ansatz einer eingehenderen gesetzlichen Regelung entzieht. Der Pflichtige kann deshalb in Kenntnis des von ihm eingeleiteten Abwassers (– etwa durch eigene Überwachung –) auf der Grundlage der gesetzlichen Regelung im Grundsatz die Höhe der Abwasserabgabe vorausberechnen, wenn er sich an die ihm bekannten Überwachungswerte hält; die Folge etwaiger Überschreitungen lassen sich abstrakt ebenfalls vorausberechnen. Mehr kann vernünftigerweise – weil von dem künftigen tatsächlichen Verhalten des Abgabepflichtigen selbst abhängig – gesetzlich nicht vorab geregelt werden.

b) Aus den dargelegten Gründen verletzt § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG auch nicht den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden (BVerfGE 19, 253 ≪267≫; 73, 388 ≪400≫) Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit abgaberechtlicher Regelungen. Zwar ist danach im Ansatzpunkt zu fordern, daß die maßgeblichen abgabebestimmenden Voraussetzungen – Abgabesubjekt, Abgabeobjekt, Bemessungsgrundlage und Abgabesatz – im Gesetz angegeben werden, so daß der Steuerpflichtige anhand der gesetzlichen Bestimmungen seine Abgabenschuld berechnen kann (vgl. Tipke/Kruse, AO, § 3 Tz. 25, 27). Doch wird diese Forderung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffend nicht in dem Sinne verstanden, daß sich die Abgabe schon aus dem Gesetz selbst ohne weiteres pfenniggenau ergeben müsse; vielmehr sind auch im Steuerrecht „Konkretisierungen” durch Verordnungen und – im Rahmen auslegungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe – durch Verwaltungsvorschriften zulässig. Erst recht verletzt es nicht den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit, wenn die Höhe einer Abgabe vom (rechtswidrigen) Verhalten des Abgabepflichtigen selbst abhängt und mit Zahl und Ausmaß seiner eigenen Übertretungen – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben – steigt. § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG ist – soweit überhaupt möglich – gesetzlich vorab hinreichend bestimmt; die verbleibende Ungewißheit betrifft – wie dargelegt – allein das tatsächliche Verhalten des Abgabepflichtigen und die Aufdeckung etwaiger abgabeerhöhender Verstöße im Rahmen der wasserbehördlichen Überwachung.

Dieser Hinweis verdeutlicht zugleich, daß die gewisse Abhängigkeit der Abgabenbemessung von der Intensität der staatlichen Überwachung an sich den Abgabepflichtigen nur begünstigt. Denn soweit in Abwassereinleitungen enthaltene Schadstoffe nicht ausnahmsweise kontinuierlich gemessen werden, können behördliche Überprüfungen – gleich nach welchem Meßverfahren – stets nur weniger Überschreitungen feststellen, als tatsächlich von dem Abgabepflichtigen begangen wurden (Berendes, a.a.O., S. 100). Der Abgabepflichtige hat also nach dem Regelungssystem des § 4 Abs. 4 AbwAG in seiner Anknüpfung an staatliche Meßergebnisse nie eine höhere Abgabe zu zahlen als „an sich” von ihm geschuldet. Die Abhängigkeit von der im Ermessen der Wasserbehörden liegenden Häufigkeit der Kontrollen und ihrer – gelegentlich gerügten – Meßungenauigkeit (vgl. Meßerschmidt, a.a.O., S. 283 f. und 288 f.) wirft deshalb allenfalls im Zusammenhang mit der internen Abgabengerechtigkeit innerhalb des Kreises der Abgabenschuldner Probleme auf; derartige – letztlich bei keinem Verfahren vermeidbare – Ungenauigkeiten sind aber als zulässige, weil durch Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigte Typisierungen gerechtfertigt (Berendes, a.a.O., S. 58 und 99 f.), zumal sich die Streuung der Meßergebnisse nicht einseitig zu Lasten des Abgabepflichtigen auswirkt und von dem Ausgleich der Meßungenauigkeiten im Laufe der Zeit ausgegangen werden darf (Meßerschmidt, a.a.O., S. 289; vgl. auch Urteil vom 12. Februar 1988 – BVerwG 4 C 24.85 – Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 1 S. 1 ≪7≫).

3. Die Frage,

ob § 4 Abs. 4 AbwAG gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, weil eine Beschränkung der Zahl der Schadeinheiten und der Abwasserabgabe der Höhe nach nicht vorgesehen ist,

ist ebenfalls ohne weiteres zu verneinen. Die Beschwerde stellt in diesem Zusammenhang insbesondere auf die abgabenrechtlichen Auswirkungen von Störfällen ab, die ihrer Ansicht nach zu unangemessen hohen, im Einzelfall sogar ruinösen Abgabenbelastungen führen könnten und deshalb von Gesetzes wegen eine „Höchstgrenze der Abgabenbelastung” verlangten.

Zwar ist nicht zu verkennen, daß Störfälle zu erheblichen Überschreitungen der Überwachungswerte und damit zu einer starken Erhöhung der Abgabe führen können; auch kann es zutreffen, daß Störfälle von den Abgabepflichtigen nicht verschuldet worden sind (vgl. zur Problematik: Berendes, a.a.O., S. 97). Beides führt jedoch nicht zu der geltend gemachten Unverhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber mußte im Rahmen der Erhöhungsvorschrift des § 4 Abs. 4 AbwAG keine Sonderregelung für Störfälle und auch keine gesetzliche Höchstgrenze anordnen.

Zunächst ist davon auszugehen, daß das Regelungssystem des § 4 Abs. 4 AbwAG – wie auch die dem Abwasserabgabengesetz zugrundeliegende „Bescheidlösung” insgesamt – maßgeblich darauf abzielt, durch den Druck der Abgabenbelastung den Einleiter dazu anzuhalten, die festgelegten Überwachungswerte von sich aus einzuhalten und sogar möglichst zu unterbieten (Meßerschmidt, a.a.O., S. 255 f.; Urteil vom 12. Februar 1988 – BVerwG 4 C 24.85 –, a.a.O., S. 3), um damit zugleich den wasserrechtlichen Verwaltungsvollzug ohne Verlust an Effektivität zu entlasten. Der Gesetzgeber hat sich zur Verstärkung dieser abgabenrechtlichen Flankierungswirkung bewußt für harte finanzielle Folgen bei Überschreitungen der Überwachungswerte entschieden (Berendes, a.a.O., S. 96 f.; BTDrucks 10/5533, S. 9 f.) und ausdrücklich schon eine einmalige Überschreitung als Rechtfertigung für eine überproportionale Abgabensteigerung ausreichen lassen. Damit hat der Gesetzgeber die Abgabenrelevanz sog. „Ausreißer” grundsätzlich in Kauf genommen (BTDrucks 10/5533, S. 12). Auch diese Typisierung ist aus den genannten Gründen zulässig, weil angesichts der statistischen Erwartung jedenfalls typischerweise kein offensichtlicher Widerspruch zum wahrscheinlichen Emissionsverlauf anzunehmen ist. Die gesetzliche Lösung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Sie dient im Zusammenhang der Gesamtregelung der Effektivität der Abwasserabgabe als Flankierungsinstrument zur Sicherung des wasserrechtlichen Vollzugs, indem sie den Anreiz für die Einleiter deutlich erhöht, weitgehende Vorsorge zur Verhinderung von Störfällen zu treffen. Sie ist demnach geeignet und nach dem gesetzlichen Bescheidsystem erforderlich, um das mit der Abwasserabgabe verbundene Lenkungsziel effektiv zu erreichen. Diese Auswirkung der Erhöhungsregelung des § 4 Abs. 4 AbwAG ist auch nicht unangemessen im engeren Sinne. Der Einleiter hat es – jedenfalls regelmäßig – in der Hand, durch Vorsorgemaßnahmen die Entstehung von Störfällen zu verhindern oder zumindest ihr Ausmaß in Grenzen zu halten. Auch soweit dies für den Einleiter im Einzelfall nicht möglich sein sollte, bleibt er abwasserrechtlich „Verursacher” der Gewässerschädigung und muß ggf. finanziellen Rückgriff auf den für den Störfall letztlich Verantwortlichen nehmen, um den ihm durch die Abgabenerhöhung entstandenen Schaden auszugleichen. Im übrigen nimmt § 4 Abs. 4 AbwAG insoweit auf die Problematik von Störfällen Rücksicht, als das Gesetz von einer Erhöhung dann absieht, wenn ein Überwachungswert – trotz tatsächlicher Überschreitung – „als eingehalten gilt”. Damit läßt es zu (vgl. Ziff. 2.2.4 der Rahmen-Abwasser-VwV zu § 7 a WHG), einen „Ausreißer” in einer Kette von 5 Messungen als unbeachtlich einzustufen. Angesichts dessen und der Möglichkeit, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie dem Willkürverbot im Rahmen des behördlichen Ermessens bei der wasserrechtlichen Überwachung in der Weise Geltung zu verschaffen, daß anläßlich eines Störfalls jedenfalls in der Regel nicht mehr als ein Meßergebnis einbezogen wird, brauchte der Gesetzgeber über die bereits anderweitig geregelten Vorschriften über Erlaß und Stundung hinaus keine spezielle Höchstgrenze in § 4 Abs. 4 AbwAG vorzusehen (ebenso: Meßerschmidt, a.a.O., S. 258; Berendes, a.a.O., S. 97 und 98 f.).

4. Schließlich ist auch die Frage,

ob § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG mit dem Grundsatz der abgabenrechtlichen Gleichbehandlung zu vereinbaren ist,

zu bejahen.

Die Beschwerde begründet ihre Bedenken insoweit zunächst mit der ihrer Ansicht nach unzulässigen „Vermischung eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs mit einem Wirklichkeitsmaßstab”. Dieser Einwand trifft nicht zu. Es fehlt schon an den ihm zugrundeliegenden Annahmen. Der in der Anknüpfung der Abgabenerhöhung an eine Überschreitung der Überwachungswerte gesehene Einbruch des „Wirklichkeitsmaßstabs” stellt sich in Wahrheit ebenfalls als eine typisierende Wahrscheinlichkeitsbetrachtung dar. Denn ihr liegt die auf verwaltungspraktische Gründe zurückzuführende Beschränkung auf stichprobenartige Einzelprüfungen anstelle einer – die Wirklichkeit getreu widerspiegelnden – Dauermessung und die daraus resultierende pauschale Verallgemeinerung einzelner Meßergebnisse für das ganze Veranlagungsjahr zugrunde (vgl. Berendes, a.a.O., S. 97). Derartige Typisierungen sind aus verwaltungspraktischen Gründen – die hier angesichts der praktischen Undurchführbarkeit oder Unverhältnismäßigkeit einer Dauermessung auf der Hand liegen – zulässig und schließen notwendig eine gewisse Abweichung von dem tatsächlichen Ausmaß der Gewässerschädigung, bezogen auf das gesamte Kalenderjahr, ein. Ebenso wie hinsichtlich der Bescheidlösung insgesamt ist auch auf der nachgeordneten Stufe der Bescheidüberwachung eine die Vollzugsmöglichkeiten berücksichtigende praktikable Lösung gerechtfertigt (Meßerschmidt, a.a.O., S. 289). Daß sich die mit der punktuellen Überwachung verbundenen Ungenauigkeiten auf Dauer nicht einseitig zu Lasten des Abgabenpflichtigen auswirken und deshalb aus der Sicht des typisierenden Gesetzgebers vernachlässigt werden durften, wurde bereits dargelegt (siehe oben zu 2 b). Es läßt sich auch trotz der Maßgeblichkeit einzelner, ggf. sogar weniger behördlicher Kontrollen ein noch hinreichender Bezug der daraus „hochgerechneten” Abgabe zur Wirklichkeit der Gewässerbelastung feststellen, denn der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, daß sich die Zufälligkeiten einzelner Stichproben auf Dauer „ausgleichen” und im statistischen Sinne gleich häufig (weitere) Überschreitungen der Überwachungswerte unentdeckt bleiben (vgl. Meßerschmidt, a.a.O., S. 289 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13, 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Kleinvogel, Sailer, Golze

 

Fundstellen

BVerwGE

BVerwGE, 144

DÖV 1997, 1046

NuR 1998, 133

DVBl. 1998, 51

UPR 1998, 66

ZfW 1998, 425

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