Verfahrensgang

OVG Berlin (Aktenzeichen 3 B 3.94)

 

Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 23. April 1999 wird insoweit aufgehoben, als es über den Zeitraum Dezember 1990 bis einschließlich April 1991 entschieden hat.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 940 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ergibt, daß auf seine Verfahrensrüge das angegriffene Urteil in dem im Tenor bezeichneten Umfang aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).

1. Die Rechtssache hat allerdings nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimißt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Ob „ein Mißbrauchstatbestand des § 18 Abs. 3 WoGG bereits deswegen vor(liegt), weil die angegebenen Einkünfte unterhalb des sozialhilferechtlichen Regelsatzes oder unterhalb der sozialhilferechtlichen Mindestbedarfsgrenze von 70 % des Regelsatzes liegen, wenn eingehend dargelegt und eidesstattlich versichert wurde, wie der Lebensunterhalt bestritten worden sei”, wäre im angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat bereits mehrfach entschieden, daß die Inanspruchnahme von Wohngeld nur dann mißbräuchlich im Sinne des § 18 Abs. 3 WoGG ist, wenn sie auf einen Sachverhalt gestützt wird, der in seiner ungewöhnlichen Beschaffenheit nur aus dem Ziel des Wohngeldbezuges zu erklären ist, sich also mit anderen Worten als um dieses Zieles willen gleichsam konstruiert darstellt (vgl. Urteile vom 25. September 1992 – BVerwG 8 C 68 u. 70.90 – ≪BVerwGE 91, 82, 87 f. = Buchholz 454.71 § 3 WoGG Nr. 6 S. 1, 5 f.≫ und vom 4. November 1994 – BVerwG 8 C 28.93 – ≪ Buchholz 454.71 § 7 WoGG Nr. 1 S. 1, 10 f. = NJW 1995, 1569≫). Ob im konkreten Fall ein derartiger Sachverhalt vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

b) Soweit die Beschwerde die Rechtsfrage bezeichnet, ob „ein Wohngeldanspruch nach dem Wohngeldgesetz (u.a. gemäß § 2 in Verbindung mit §§ 9 ff. WoGG) mit der Begründung abgelehnt werden (darf), die Angaben des Antragstellers seien nicht glaubhaft, weil sie unterhalb des sozialhilferechtlichen Regelsatzes oder unterhalb der sozialhilferechtlichen Mindestbedarfsgrenze von 70 % des Regelsatzes liegen, wenn zugleich ein Vorliegen des Mißbrauchstatbestandes nach § 18 Abs. 3 WoGG nicht angenommen wird”, läßt sie die Darlegung vermissen, warum dieser an den Einzelheiten der Rechtsanwendung im konkreten Fall ausgerichteten Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommen soll.

c) Nicht grundsätzlich klärungsfähig ist, ob das Berufungsgericht „eine Norm als nicht entscheidungserheblich angeben (darf), wenn hiervon die Zulassung der Revision abhängt, und diese Norm inhaltlich zur Begründung doch angewandt wird”. Denn ein solcher Sachverhalt ist nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat nämlich ausweislich seiner Entscheidungsgründe die Klagabweisung durch das Verwaltungsgericht nicht wegen Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 WoGG gehalten, sondern aus einem anderen Grunde, nämlich wegen Nichterweislichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen eines Wohngeldanspruchs nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WoGG.

d) Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen Denkgesetze rügt, zeigt sie nicht auf, inwieweit der vorliegende Fall Gelegenheit geben könnte, grundsätzliche Fragen der Denkgesetze zu klären. Auch die zur Ablehnung der Terminsverlegung durch das Berufungsgericht trotz kurzfristiger Krankmeldung des Klägers gestellten Fragen lassen einen über die Entscheidung des Einzelfalles hinausgehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf nicht erkennen.

2. Ebensowenig ist die Revision wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Eine Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 18 Abs. 3 WoGG liegt bereits deshalb nicht vor, weil das Berufungsgericht sein Urteil – wie bereits ausgeführt – auf § 18 Abs. 3 WoGG nicht gestützt hat.

Soweit die Beschwerde dem Berufungsgericht vorhält, es hätte nicht wegen Nichterweislichkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers den geltend gemachten Wohngeldanspruch nach Beweislastgrundsätzen zur Gänze als unbegründet zurückweisen dürfen, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Nichterweislichkeit der konkreten Einkommensverhältnisse nicht zur Ablehnung des Wohngeldanspruchs dem Grunde nach, sondern zu einer Schätzungsbefugnis der Wohngeldbehörde führt (BVerwGE 41, 220 ≪227≫; Urteil vom 16. Januar 1980 – BVerwG 8 C 24.79 – ≪Buchholz 454.71 § 11 II. WoGG Nr. 2≫), sind die Voraussetzungen einer Divergenzzulassung ebenfalls nicht gegeben. Dabei kann unentschieden bleiben, ob diese Rechtsprechung auch nach Einführung des selbständigen Versagungsgrundes des § 66 Abs. 1 SGB I wegen unzureichender Mitwirkung des Betroffenen ihre Maßgeblichkeit jedenfalls für die Fälle behalten hat, in denen trotz einer hinreichenden Mitwirkung des Antragsberechtigten keine sicheren Anhaltspunkte für die Höhe des maßgeblichen Jahreseinkommens zu gewinnen sind (vgl. Driehaus, Einführung in das Wohngeldrecht der alten und neuen Bundesländer, 1991, Rn. 100 und Tz. 10.11 Abs. 2 WoGVwV). Denn jedenfalls setzt sie voraus, daß die Möglichkeiten der Sachaufklärung erschöpft sind (vgl. BVerwGE 41, 220 ≪227≫). Das aber zieht die Beschwerde selbst in Zweifel.

3. Das Beschwerdevorbringen führt jedoch auf einen Verfahrensmangel, auf dem das angegriffene Urteil beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Im Zusammenhang mit den von ihr aufgeworfenen „Rechtsfragen verfahrensrechtlicher Art” rügt die Beschwerde zu Recht, daß das Oberverwaltungsgericht über die Berufung in Abwesenheit des Klägers und ohne dessen vom Gericht für erforderlich gehaltene Einvernahme verhandelt und entschieden hat. Das Berufungsgericht hat hierdurch sowohl gegen das Gebot verstoßen, dem Kläger rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO), als auch – da es die persönliche Anhörung des Klägers für zur Sachverhaltsaufklärung unverzichtbar gehalten hat – dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht zureichend Rechnung getragen. Ist die Anwesenheit eines Beteiligten (hier das gerichtlich angeordnete persönliche Erscheinen des Klägers) zur Klärung des Sachverhalts nötig, ist die Sache zu vertagen, wenn der Beteiligte dem Termin fernbleibt, aber nicht davon auszugehen ist, er wolle das Verfahren nicht ernsthaft betreiben oder wolle es verschleppen. Eine Vertagung ist selbst in Anbetracht der gebotenen Verfahrensbeschleunigung vor allem dann unumgänglich, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß das Fernbleiben des Beteiligten unverschuldet ist, insbesondere ein die Terminsverlegung rechtfertigender erheblicher Grund im Sinne des § 227 ZPO vorliegt. Einen solchen Grund stellt beispielsweise eine krankheitsbedingte Verhinderung dar, den Termin wahrzunehmen. Hat das Gericht – wie im vorliegenden Fall – das persönliche Erscheinen des Beteiligten angeordnet, muß es den Termin auch von Amts wegen aufheben, so daß es unerheblich ist, daß der Kläger – wie das Berufungsgericht dies dargestellt hat – eine Terminsaufhebung nicht förmlich und ausdrücklich beantragt (vgl. auch BVerwG, Urteile vom 26. November 1987 – BVerwG 6 C 29.87 – und vom 27. November 1989 – BVerwG 6 C 30.87 – ≪Buchholz 303 § 227 ZPO Nrn. 10 und 14≫), sondern lediglich „zu bedenken gegeben” hat (S. 10 unten des Berufungsurteils). Allerdings obliegt es dem Beteiligten, seine Hinderungsgründe schlüssig vorzutragen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen (s. z.B. Beschluß des Senats vom 26. April 1999 – BVerwG 5 B 49.99 –). Letzteres sieht das Gesetz vor, wenn dem Gericht zweifelhaft erscheint, ob der von dem Beteiligten schlüssig behauptete Sachverhalt zutrifft (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung kann aber auch nachträglich erfolgen, der Mangel einer Glaubhaftmachung in den Formen des § 294 ZPO das Gericht je nach den Umständen, insbesondere der Beschaffenheit des behaupteten Hinderungsgrundes und des zur Glaubhaftmachung in Betracht kommenden Beweismittels, darum seinerseits daran hindern, an dem Termin festzuhalten und ihn in Abwesenheit des Beteiligten durchzuführen. Dies folgt mittelbar aus § 227 Abs. 2 ZPO, wonach die erheblichen Gründe für eine Vertagung „auf Verlangen des Gerichts” glaubhaft zu machen sind, die Glaubhaftmachung also keine förmliche Voraussetzung des Vortrags eines erheblichen Grundes im Sinne des § 227 ZPO darstellt, sondern (erst) auf gerichtliches Verlangen hin erforderlich ist. Seinen Bedenken gegen die Richtigkeit des ihm durch das Schreiben des Klägers vom 22. April 1999 (Bl. 126 d.A.) am Vortag des Termins unterbreiteten Sachverhalts („akuter Fall von Heufieber … elendes Allgemeinbefinden … plötzliche Schwerhörigkeit”) hätte das Oberverwaltungsgericht deshalb von sich aus nachgehen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 1989, a.a.O.), selbst wenn sich dann der angesetzte Termin nicht hätte aufrechterhalten lassen. Die Beschwerde rügt es insoweit zu Recht sinngemäß als verfahrensfehlerhaft, daß „dem Kläger (nicht) innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Termin die Möglichkeit (eingeräumt worden ist), ein Attest nachzureichen oder zu der Nichterbringbarkeit eines Attestes Stellung zu nehmen oder eine Erklärung über die Kostenpflichtigkeit eines Attestes einzureichen” (S. 9 unten der Beschwerdebegründung).

Ob die weiteren Verfahrensrügen der Beschwerde Erfolg haben könnten, bedarf daher keiner Entscheidung.

4. Der Senat nimmt den dem angegriffenen Urteil zugrundeliegenden Verfahrensfehler zum Anlaß, das Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluß aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 2 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566388

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