Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Aktenzeichen 1 N 94.1473)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.

1.1 Die Beschwerde formuliert als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, „ob die Verwirkung des Antragsrechts im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO auch zur Verwirkung eines Feststellungsinteresses, gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit der ursprünglich angegriffenen Fassung des Bebauungsplanes, führt, wenn während des laufenden Normenkontrollverfahrens der angegriffene Bebauungsplan geändert wird und aus diesem Grund das Antragsrecht verwirkt wird”. Für klärungsbedürftig hält der Antragsteller auch die Frage, ob eine Verwirkung bereits bei Antragstellung vorliegen muss oder auch (erst) im Laufe des Verfahrens eintreten kann. Soweit diese Rechtsfragen in einer über den vorliegenden Streitfall hinaus verallgemeinerungsfähigen Weise klärungsfähig sind, besteht kein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass auch die Ausübung prozessualer Rechte den Geboten von Treu und Glauben unterliegt und dass deshalb die Befugnis zur Anrufung der Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen unzulässig sein kann. So hat der beschließende Senat bereits mehrfach ausgesprochen, dass in die Prüfung eines Normenkontrollantrages nicht mehr eingetreten werden kann, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt (BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1989 – BVerwG 4 NB 14.89 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 44 = NVwZ 1990, 554; Beschluss vom 23. Januar 1992 – BVerwG 4 NB 2.90 – NVwZ 1992, 974 ≪975≫ m.w.N.). Diese schrankensetzende Funktion der Grundsätze von Treu und Glauben besteht unabhängig davon, ob der Vorwurf der Treuwidrigkeit an ein Verhalten des Antragstellers vor oder nach Einleitung eines Normenkontrollverfahrens anknüpft. Es liegt ferner auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung, dass ein Antragsteller auch dann dem Vorwurf eines treuwidrigen (rechtsmissbräuchlichen) Verhaltens ausgesetzt sein kann, wenn er zunächst im Rahmen von Vergleichsverhandlungen die Bereitschaft der Antragsgegnerin (Gemeinde), den angegriffenen Bebauungsplan den Vorschlägen des Antragstellers entsprechend zu dessen Gunsten zu ändern, ausnutzt, und nach Erhalt einer auf die Planänderung gestützten Baugenehmigung die gerichtliche Feststellung begehrt, dass der Bebauungsplan vor der in seinem Interesse erfolgten Planänderung nichtig gewesen sei. Ob bei einer solchen Fallkonstellation der Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens berechtigt und einem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis wegen missbräuchlicher Prozessführung abzusprechen ist, entscheidet sich jedoch nach den besonderen Umständen des Einzelfalls. Diese festzustellen und zu würdigen, ist Aufgabe der Tatsachengerichte. Allgemein gültige Grundsätze lassen sich hierzu nicht aufstellen. Das gilt auch hinsichtlich der zusätzlichen Fragen, die die Beschwerde im Anschluss an die vorstehend wiedergegebenen und erörterten Rechtsfragen aufwirft.

1.2 Der Antragsteller möchte ferner geklärt wissen, unter welchen Voraussetzungen ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO zu verneinen ist. Die hierzu aufgeworfenen Fragen könnten die Zulassung der Revision selbst dann nicht rechtfertigen, wenn sie grundsätzliche Bedeutung hätten. Denn das Normenkontrollgericht hat seine Auffassung, dass der erste Hilfsantrag des Antragstellers unzulässig ist, selbständig tragend doppelt begründet. Es hat einerseits darauf abgehoben, dass der Feststellungsantrag rechtsmissbräuchlich sei, und anschließend ausgeführt, dass diesem Antrag darüber hinaus auch das erforderliche Feststellungsinteresse fehle. Ist die vorinstanzliche Entscheidung wie hier in je selbständig tragender Weise doppelt begründet, so kann der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur stattgegeben werden, wenn im Hinblick auf jeden der beiden Begründungsteile ein Zulassungsgrund vorgetragen worden ist und auch vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 1. Februar 1990 – BVerwG 7 B 19.90 – Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22; stRspr). Daran fehlt es hier. Wie ausgeführt greifen die Grundsatzrügen, die die Beschwerde im Hinblick auf den vom Normenkontrollgericht angenommenen Verstoß gegen Treu und Glauben erhebt, nicht durch.

1.3 Die Beschwerde wirft zum zweiten Hilfsantrag die Rechtsfrage auf, ob ein prozessual widersprüchliches Verhalten vorliegt, wenn ein Antragsteller im Normenkontrollverfahren nach der Stellung von Sachanträgen hilfsweise den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Auch diese Frage ist in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass jedenfalls der Übergang zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag (in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) es ausschließt, gleichzeitig eine Erledigungserklärung nach § 161 Abs. 2 VwGO abzugeben. Die auf den Feststellungsantrag zu treffende Sachentscheidung lässt keinen Raum für eine hilfsweise begehrte Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO; denn ein vorrangig zur Entscheidung gestellter Fortsetzungsfeststellungsantrag schließt es aus, die Hauptsache für erledigt zu erklären (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1981 – BVerwG 8 C 39.80 – Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 7 = NVwZ 1982, 560 ≪561≫; Urteil vom 6. März 1987 – BVerwG 8 C 65.84 – NVwZ 1988, 155 ≪156≫; Urteil vom 20. April 1994 – BVerwG 11 C 60.92 – NVwZ-RR 1995, 172 ≪174≫). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass zur Vereinbarkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrages und einer hilfsweisen Erledigungserklärung noch ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht. Der Beschwerde lassen sich insbesondere keine Anhaltspunkte entnehmen, die Anlass für eine Überprüfung der vorbezeichneten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geben könnten.

2. Die Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen nicht durch.

2.1 Die Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind unzulässig. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; denn die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, aus welchem Grund sich dem Normenkontrollgericht ausgehend von seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Der Sache nach zielen die Aufklärungsrügen zur Verwirkung des Haupt- und des Hilfsantrages sowie zum fehlenden Feststellungsinteresse für eine Amtshaftungsklage auf eine Kritik der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall. Die Beschwerde greift die Rechtsansicht des Normenkontrollgerichts an, nach den Umständen des Falles habe die Antragsgegnerin davon ausgehen dürfen, dass der Antragsteller nach Wirksamwerden der 5. Bebauungsplanänderung eine prozessbeendende Erklärung abgeben werde. Die Beschwerde berücksichtigt dabei nicht, dass das Normenkontrollgericht die Verletzung von Treu und Glauben durch den Antragsteller darauf stützt, dass dieser nach Durchführung der 5. Planänderung und Erteilung einer Baugenehmigung den Haupt- und Hilfsantrag weiterverfolgt.

2.2 Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe § 86 Abs. 2 VwGO verletzt, geht fehl. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16. Mai 2000 hat der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof keinen (unbedingten) Beweisantrag gestellt, über den in der mündlichen Verhandlung zu beschließen gewesen wäre. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat lediglich „vorsorglich” beantragt, erneut einen Augenschein durchzuführen. In den Urteilsgründen (S. 7) wird dargelegt, aus welchem Grund von einer erneuten Beweisaufnahme abgesehen wurde.

2.3 Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, greift ebenfalls nicht durch. Das Beschwerdevorbringen ergibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Normenkontrollgericht gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Überzeugungsgrundsatz) verstoßen haben könnte. Es ist insbesondere nicht dargelegt, dass das Normenkontrollgericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen wäre. Die Beschwerde erschöpft sich insoweit in einer Kritik der rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts. Entsprechendes gilt für die weitere Rüge eines Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, in welchem Punkt das Normenkontrollgericht nicht die Gründe angegeben hätte, die für seine richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

2.4 Für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nichts ersichtlich. Soweit der Antragsteller rügt, das Normenkontrollgericht habe nicht berücksichtigt, dass er auch Eigentümer des an das Plangebiet angrenzenden Flurstücks 129/1 sei, ist die Gehörsrüge unbegründet; denn auf Seite 6 des Normenkontrollurteils werden die vom Antragsteller insoweit geltend gemachten Belange (Fehlen von Bürgersteigen, Nichtbeplanung des Tulpenwegs) erörtert. Mit den Einwänden des Antragstellers gegen die 7. Bebauungsplanänderung und dem damit verbundenen Vorwurf der sog. Negativplanung zu Lasten des Antragstellers musste das Normenkontrollgericht sich in den Gründen seiner Entscheidung nicht mehr befassen, nachdem es zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Hauptantrag aus den übergeordneten Gründen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens mit In-Kraft-Treten der 5. Planänderung unzulässig geworden war.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Halama, Rojahn

 

Fundstellen

ZfBR 2001, 287

BRS 2000, 273

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