Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Aktenzeichen 1 B 96.855)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. August 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

I.

Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin beimisst.

1. Mit der Frage, „ob die gesicherte Erschließung im Sinne des … Bundesbaurechts, hier die öffentlich-rechtliche, für ein in Bayern gelegenes, nicht oder nicht mehr (direkt) an das öffentliche Wegenetz angrenzendes bebautes Grundstück auf Dauer entbehrlich ist und dies auch bleibt/bleiben darf, obwohl baurechtswidrige Zustände entstehen/fortbestehen”, zeigt die Klägerin keinen Erörterungsbedarf auf. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass dem planungsrechtlichen Erschließungserfordernis nicht nur dann genügt ist, wenn das Baugrundstück eine unmittelbare Zufahrt zum öffentlichen Wegenetz besitzt oder die Zufahrt zum öffentlichen Straßennetz öffentlich-rechtlich, durch Baulast, gesichert ist. Vielmehr reicht es aus, wenn die Zufahrt dinglich, z.B. durch eine Grunddienstbarkeit, gesichert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 1988 – BVerwG 4 C 54.85 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 246). Ob etwas anderes gilt, wenn im Sinne der Fragestellung der Beschwerde „baurechtswidrige Zustände entstehen/fortbestehen”, bedürfte in dem angestrebten Revisionsverfahren keiner Prüfung. Denn nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Bebauung auf dem Grundstück der Klägerin wegen des schlechten baulichen Zustandes der Zuwegung nicht den baurechtlichen Anforderungen entspricht.

2. Auch die Frage, ob eine „privatrechtliche Sicherung der Erschließung mittels grundbuchrechtlich gesicherter Dienstbarkeiten … auf Dauer anerkannt werden kann”, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, schrieb die Bayerische Bauordnung von 1901, die im Zeitpunkt der Genehmigung des Wohngebäudes auf dem Grundstück der Klägerin im Jahr 1957 galt, nicht zwingend eine öffentlich-rechtlich gesicherte Erschließung vor. An diesem Rechtszustand hat sich aus der Sicht des Planungsrechts weder durch das Bundesbaugesetz noch durch das Baugesetzbuch etwas geändert. Dies bedarf nicht eigens einer Bestätigung in einem Revisionsverfahren.

3. Die Frage, ob das Berufungsgericht dem Druckerboden zu Unrecht für die gesamte Zeitspanne seiner Existenz die Qualität eines öffentlichen Weges abgesprochen hat, wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie betrifft die Anwendung und die Auslegung irrevisiblen Landesrechts, das einer revisionsgerichtlichen Prüfung nach § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht zugänglich ist.

4. Die Frage, ob „noch die Erleichterungen aus § 35 BauGB bei der Erschließung … greifen”, wenn das Baugrundstück in der Folgezeit Teil des Innenbereichs geworden ist, verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass die Belegenheit eines Grundstücks im – unüberplanten – Innenbereich für sich genommen nichts darüber besagt, unter welchen Voraussetzungen sich die Erschließungslast der Gemeinde zu einer Erschließungspflicht verdichten kann. Im Übrigen übersieht die Klägerin, dass sich die Aufgabe, für eine ausreichende Erschließung zu sorgen, nur auf Wege erstreckt, die dem Regime des öffentlichen Straßenrechts unterliegen. Für den ordnungsgemäßen Zustand von Privatstraßen hat nicht die Gemeinde als Trägerin der Erschließung im Sinne des § 123 BauGB einzustehen.

5. Soweit die Klägerin dem Berufungsgericht vorhält, verkannt zu haben, dass die Beklagte 1957 im Zusammenhang mit der Erteilung der Baugenehmigung die Übernahme und den Ausbau des Druckerbodens als öffentlichen Weg zugesagt habe, zeigt sie nicht auf, in welcher Richtung von der vorliegenden Rechtssache Erkenntnisse zu erwarten sein könnten, die über den konkreten Fall hinausreichen. Ob eine behördliche Erklärung die Merkmale einer Zusage aufweist, hängt von den jeweiligen Umständen ab und entzieht sich daher einer grundsätzlichen Klärung.

II.

Die Divergenzrügen greifen nicht durch.

1. Dahinstehen kann, ob sich das Berufungsurteil mit Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vereinbaren lässt. Auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht.

2. Eine Abweichung von der Senatsentscheidung vom 30. August 1985 – BVerwG 4 C 48.81 – (NVwZ 1986, 38) liegt schon deshalb nicht vor, weil der Senat in diesem Urteil gerade betont hat, dass die Mindestanforderungen an die Sicherung einer ausreichenden Erschließung sich nicht abstrakt bestimmen lassen, sondern sich nach dem jeweiligen Vorhaben richten.

3. Das Berufungsgericht hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der in Widerspruch zu Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in den Urteilen vom 1. März 1991 – BVerwG 8 C 59.89 – (NVwZ 1991, 1090) und vom 29. November 1991 – BVerwG 8 C 105.89 – (NVwZ 1992, 490) steht. Die vom 8. Senat behandelte Frage, ob es für das erschließungsbeitragsrechtliche Erschlossensein erforderlich ist, mit einem Kraftfahrzeug an die Grundstücksgrenze heranfahren zu können, spielte für den Ausgang des Rechtsstreits ersichtlich keine Rolle.

4. Soweit in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 1988 – BVerwG 8 C 72.87 – (NVwZ-RR 1989, 497) die Rede vom Erfordernis einer funktionstüchtigen Anbaustraße ist, liegt eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO schon deshalb nicht vor, weil das Berufungsgericht den Druckerboden nicht als Erschließungsanlage qualifiziert hat, die den Regelungen der § 127 ff. BauGB unterliegt.

5. Das Berufungsgericht hat nicht in Abrede gestellt, dass sich die allgemeine Erschließungspflicht unter den im Senatsurteil vom 28. Oktober 1981 – BVerwG 8 C 4.81 – (BVerwGE 64, 186) genannten Voraussetzungen zu Gunsten bestimmter Erschließungsmaßnahmen zu einer aktuellen Erschließungspflicht verdichten kann. Wie sein Zitat belegt, ist es im rechtlichen Ansatz dieser Entscheidung ausdrücklich gefolgt. Dass es wegen der nach seiner Einschätzung abweichenden tatsächlichen Verhältnisse im konkreten Fall nicht zu dem Ergebnis gelangt ist, das die Klägerin für richtig hält, begründet keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

6. Das Berufungsgericht hatte auf der Grundlage seiner Feststellung, dass zu Gunsten des Grundstücks der Klägerin an der Wegeparzelle ein dinglich gesichertes Geh- und Fahrtrecht für Fahrzeuge aller Art besteht, keinen Anlass, die Aussage des Senats im Beschluss vom 27. September 1990 – BVerwG 4 B 34 und 35.90 – (ZfBR 1991, 31) in Zweifel zu ziehen, wonach der bundesrechtliche Begriff der gesicherten Erschließung in den §§ 3035 BauGB nicht verlangt, dass zusätzlich zu einer öffentlich-rechtlichen Baulast auch noch eine privatrechtliche Dienstbarkeit bestellt wird.

7. Dahinstehen kann, ob sich dem Senatsurteil vom 30. August 1985 – BVerwG 4 C 48.81 – (NVwZ 1986, 38) oder sinngemäß auch den Senatsentscheidungen vom 29. Mai 1970 – BVerwG 4 C 141.68 – (BVerwGE 35, 222) und vom 28. November 1975 – BVerwG 4 C 45.74 – (BayVBl 1976, 315) der Rechtssatz entnehmen lässt, dass durch die Erteilung einer Baugenehmigung ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden kann, der ggf. dazu führt, dass sich die Erschließungslast zu einer Erschließungspflicht verdichtet. Denn die Vorinstanz hat sich jedenfalls nicht in Gegensatz hierzu gesetzt. Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, an der 1957 gewährten Baugenehmigung nicht in einer Weise rechtlich mitgewirkt, die hätte geeignet sein können, beim Bauherrn die berechtigte Erwartung zu wecken, dass sie den Druckerboden ausbauen werde. Die Erteilung der Genehmigung hing seinerzeit in Bayern noch nicht vom gemeindlichen Einvernehmen ab, von dem seit In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes eine aufgabenverdichtende Wirkung ausgehen kann.

8. Das Berufungsgericht hat die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11. November 1987 – BVerwG 8 C 4.86 – BVerwGE 78, 266), dass ein qualifizierter Bebauungsplan als Verdichtungsgrund in Betracht kommt, nicht in Zweifel gezogen. Es hat den Wirtschaftsplan der Beklagten, auf den die Klägerin abhebt, zur Kenntnis genommen. Im Urteil des Verwaltungsgerichts, auf das es Bezug nimmt, wird indes ausgeführt, dass die nach altem Recht aufgestellten Wirtschaftspläne allenfalls Flächennutzungsplänen vergleichbar waren und nach dem In-Kraft-Treten des Bundesbaugesetzes lediglich zwei Jahre gültig blieben (§ 173 Abs. 1 BBauG a.F.).

9. Das Berufungsgericht stellt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Folgen rechtswidrigen hoheitlichen Handelns ggf. zu beseitigen sind (Urteil vom 19. Juli 1984 – BVerwG 3 C 81.82 – BVerwGE 69, 366) nicht in Frage. Es begründet näher, weshalb nach seiner Überzeugung ein solcher Folgenbeseitigungsanspruch hier nicht besteht. Die Klägerin tritt dieser Würdigung entgegen. Dies ersetzt indes nicht den Nachweis einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

III.

Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

1.a) Dem Berufungsurteil haftet ein Aufklärungsmangel nicht deshalb an, weil die Vorinstanz davon abgesehen hat, sich durch eine Ortsbesichtigung einen Eindruck von der örtlichen Siedlungsstruktur und dem baulichen Zustand des Druckerbodens zu verschaffen. In welchem Umfang der Sachverhalt nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuklären ist, ist vom materiellrechtlichen Ansatz des Tatrichters her zu beurteilen. Das Berufungsgericht bedurfte bei seiner materiellrechtlichen Sichtweise weder in Bezug auf die Lage des Grundstücks der Klägerin im Innen- oder Außenbereich noch in Bezug auf die Beschaffenheit der Zuwegung zusätzlicher Kenntnisse.

b) Ein Aufklärungsdefizit lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass es die Vorinstanz versäumt habe, die maßgeblichen Bauakten beizuziehen. Wie aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils zu ersehen ist, haben Bauakten vorgelegen. Die Klägerin zeigt nicht auf, wieso sich der Vorinstanz die Anforderung weiterer Akten hätte aufdrängen müssen. Nach ihren eigenen Angaben hat das Berufungsgericht dieses Material „für nicht entscheidungserheblich angesehen”. Kam es für die Entscheidung auf die von der Klägerin aufgelisteten Akten nicht an, so erübrigte es sich, sie beizuziehen. Gleiches gilt für die Wegeakten und die näher bezeichneten Verfahrensakten.

c) Dahinstehen kann, ob mit der Rüge, die vorgelegten Fotodokumentationen seien „nicht in dem erforderlichen Maße genutzt” worden, ein Aufklärungsmangel bezeichnet wird. Die Klägerin legt jedenfalls nicht dar, weshalb das Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus Anlass hatte, intensiver auf das Fotomaterial einzugehen.

d) Ebensowenig zeigt die Klägerin auf, wieso die von ihr benannten Zeugen hätten vernommen werden müssen. Das Berufungsgericht hat nicht in Abrede gestellt, dass Umstände vorliegen, „die eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug zu ihrem Anwesen erschweren”. Es brauchte sich diese Erkenntnis nicht durch Zeugen bestätigen zu lassen. Wenn es die Berufung gleichwohl zurückgewiesen hat, dann beruht dies darauf, dass es den unter Beweis gestellten Verhältnissen keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat.

2.a) Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2000 ergangene Berufungsurteil weist nicht die Merkmale einer Überraschungsentscheidung auf. Die Klägerin macht selbst nicht geltend, im Verhandlungstermin Beweisanträge gestellt zu haben. Von daher ist nicht ersichtlich, worauf ihre Erwartung gründete, das Berufungsgericht werde keine Sachentscheidung treffen, sondern einen Beweisbeschluss erlassen.

b) Die Klägerin kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht daraus herleiten, dass das Berufungsgericht sie in der mündlichen Verhandlung auf eine Parallelentscheidung hingewiesen habe, ohne ihr Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben. Sah sie sich außerstande, sofort Stellung zu nehmen, so stand es ihr frei, auf eine Sitzungsunterbrechung hinzuwirken oder die sonstigen prozessualen Möglichkeiten zu nutzen, die ihr zu Gebote standen, um sich mit der ihr unbekannten Entscheidung vertraut zu machen. Die auf Art. 103 Abs. 1 GG gestützte Rüge ist kein geeignetes Mittel, um dies nachzuholen.

IV.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Paetow, Berkemann, Halama

 

Fundstellen

Dokument-Index HI670725

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