Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Erstattung von Leistungen, die er in Ausführung eines später aufgehobenen Urteils erhalten hat.

Er ist 1924 geboren, von Beruf Diplom-Volkswirt und hatte vom 27. April bis 3. Juni 1973 Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezogen. Sein Wiederbewilligungsantrag wurde vom Arbeitsamt (ArbA) abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, dem Kläger auf seinen Antrag vom 8. Mai 1975 Alhi zu gewähren (Urteil vom 16. August 1977). Das Landessozialgericht (LSG) hob das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (Urteil vom 16. Juni 1981). Nichtzulassungsbeschwerde, Verfassungsbeschwerde und Wiederaufnahmeklage des Klägers blieben ohne Erfolg (Beschluß des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 25. März 1982 - 7 BAr 93/81 -; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1983 - 2 BvR 585/82 -; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 8. März 1989 - L 3 Ar 1815/88 -).

Ein im Berufungsverfahren gestellter Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hatte zur Bewilligung von Alhi in Ausführung des erstinstanzlichen Urteils ab 1. Dezember 1979 in Höhe von wöchentlich 188, 40 DM geführt (Bescheid vom 6. Dezember 1979). In diesem Zusammenhang hatte das ArbA dem Kläger u.a. mitgeteilt, daß der zu erwartende Bewilligungsbescheid und alle künftigen Bewilligungsbescheide nur eine Bewilligung im Rahmen des SG-Urteils darstellten (Schreiben vom 5. Dezember 1979). Die Gegenvorstellungen des Klägers mit dem Ziel, die Wiederbewilligung der Sozialhilfe bzw. die Gewährung von Alhi als vorläufige Leistung zu erreichen, blieben erfolglos (Bescheid des Beigeladenen vom 11. Dezember 1979 und Widerspruchsbescheid vom 25. März 1981). Nach einer Erkrankung des Klägers (18. bis 27. Januar 1980) bewilligte das ArbA die Leistung erneut ab 28. Januar 1980 (Bescheid vom 13. Februar 1980). Ab 1. Dezember 1980 gewährte es Alhi aufgrund Dynamisierung (Bescheid vom 10. Dezember 1980). Anläßlich der letzterwähnten Bewilligungen erhielt der Kläger ähnlich lautende Mitteilungen wie zur erstgenannten Bewilligung (Schreiben vom 6. März und 8. Dezember 1980). Ab 11. Januar 1981 stellte das ArbA die Zahlung von Alhi ein, da der Kläger an einer Fortbildungsmaßnahme teilnahm und Unterhaltsgeld bezog. Ohne die Alhi hätte der Kläger nach den Feststellungen des LSG in der Zeit vom 1. Dezember 1979 bis 10. Januar 1981 Anspruch auf laufende Sozialhilfe in Höhe von 7.013,-- DM gehabt. Eine entsprechende Erstattungsforderung ist von der Beklagten gegenüber dem Beigeladenen bislang nicht geltend gemacht worden.

Einer Bitte des Klägers entsprechend berechnete das ArbA den Alhi-Anspruch auch für die Zeit vom 16. August 1977 bis 30. November 1979 und zahlte den auf diesen Zeitraum entfallenden Anteil (20.411, 70 DM) abzüglich der vom Beigeladenen erbrachten Sozialhilfe (11.922,-- DM) in Höhe von 8.489, 70 DM aus (Verfügung vom 4. Juni 1981); ein Bewilligungsbescheid erging nicht. Die auf den Beigeladenen für die Zeit vom 16. August 1977 bis 30. November 1979 übergeleitete Forderung wurde in Höhe von 11.922,-- DM beglichen. Dasselbe geschah in Höhe von 445,-- DM für den Monat Dezember 1979. Weiter waren vom ArbA im Juli 1980 wegen eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses 88, 40 DM an die Staatsanwaltschaft überwiesen worden. Insgesamt erbrachte das ArbA damit Leistungen in Höhe von 30.929, 26 DM.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. August 1981 hob das ArbA unter Berufung auf das LSG-Urteil vom 16. Juni 1981 die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi ab 16. August 1977 auf und forderte vom Kläger die Erstattung von 30.652, 69 DM. Der Unterschied zu den oben genannten 30.929, 26 DM beruht nach den Feststellungen des LSG auf einer Nichtberücksichtigung der für die Zeit vom 28. Januar bis 6. Februar 1980 erbrachten Leistungen in Höhe von 276, 57 DM. Wegen Rückerstattung der auf den Zeitraum von August 1977 bis Dezember 1979 entfallenden Sozialhilfe durch den Beigeladenen in Höhe von 12.367,-- DM (11.922,-- DM + 445,-- DM) ermäßigte das ArbA seine Forderung durch Bescheid vom 4. Dezember 1981 auf 18.285, 69 DM, nachdem es den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 13. August 1981 durch Widerspruchsbescheid vom 17. September 1981 mit dem Hinweis als unzulässig verworfen hatte, daß es an einem Verwaltungsakt fehle und sich die Erstattungspflicht des Klägers unmittelbar aus dem LSG-Urteil ergebe.

Das SG hat den Bescheid vom 13. August 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 1981 insoweit aufgehoben, als die gezahlte Alhi auch in der Höhe zurückgefordert wurde, in der ein Anspruch auf Sozialhilfe bestanden hätte; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. März 1983). Gegen dieses Urteil haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Berufung eingelegt. Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG abgeändert und den Bescheid vom 13. August 1981 (Widerspruchsbescheid vom 17. September 1981) in der Gestalt des Bescheides vom 4. Dezember 1981 ganz aufgehoben und die Berufung der Beklagten sinngemäß zurückgewiesen (Urteil vom 8. März 1989).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, als Grundlage der Erstattungsforderung der Beklagten komme allein § 50 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) in Betracht. Die Rückforderung für die Zeit vom 1. Dezember 1979 bis 10. Januar 1981 habe allenfalls auf § 50 Abs. 1 i.V.m. § 45 SGB X gestützt werden können. Die Vorschrift des § 50 Abs. 1 SGB X setze eine Aufhebung i.S. der §§ 45, 48 SGB X voraus. Ein automatischer Wegfall des Ausführungsbescheides nach Aufhebung des zusprechenden SG-Urteils sei jedenfalls in den Fällen zu verneinen, in denen - wie hier - Leistungsbewilligung und Bezugnahme auf das angefochtene Urteil voneinander getrennt seien. Demgegenüber beurteile sich die Rückforderung, soweit sie sich auf die Zeit vom 16. August 1977 bis 30. November 1979 beziehe, nach § 50 Abs. 2 i.V.m. § 45 SGB X, da insoweit ein Bewilligungsbescheid nicht vorliege.

Die Voraussetzungen des § 45 SGB X seien hinsichtlich eines Teilbetrages von 7.013,-- DM schon deshalb nicht erfüllt, weil es an der Rechtswidrigkeit der Bewilligung fehle. In Höhe der genannten Summe stehe der Beklagten gegen den Beigeladenen ein Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X zu, der über § 107 Abs. 1 SGB X dazu führe, daß die Bewilligung als rechtmäßig anzusehen sei. Die Vorschrift des § 103 Abs. 3 SGB X stehe dazu nicht in Widerspruch. Es müsse möglich sein, durch rechtzeitige Mitteilung der Sozialhilfebedürftigkeit den Erstattungsanspruch auszulösen. Andernfalls laufe diese Regelung gegenüber dem Sozialhilfeträger leer, da der nachträgliche Anspruchswegfall i.S. des § 103 Abs. 1 SGB X niemals eine aktuelle, sondern immer nur eine nachträgliche Schutzbedürftigkeit mit sich bringe. Vorliegend sei dem Beigeladenen die - aufgrund des § 154 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgeschobene - Sozialhilfebedürftigkeit des Klägers bekannt gewesen; denn der Kläger habe nicht nur Sozialhilfe beantragt, sondern sich gegen ihre Versagung mit dem zulässigen Rechtsbehelf zur Wehr gesetzt, wobei er den Beigeladenen auf die Vorläufigkeit der zu gewährenden Alhi hingewiesen habe.

Die Vorschrift des § 103 SGB X finde hier auch Anwendung. Das Erstattungsverfahren sei bei Inkrafttreten dieser Bestimmung nicht abgeschlossen gewesen. Im übrigen sei das Gericht weder durch § 114 SGB X noch durch die Bestandskraft des Widerspruchsbescheides des Beigeladenen vom 25. März 1981 an der Feststellung der Erstattungspflicht gehindert. Es handele sich bei dieser lediglich um die Vorfrage der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X. Überdies habe die Versagung der Sozialhilfe gegenüber dem Kläger für den Erstattungsanspruch der Beklagten aus § 103 SGB X keine Bedeutung.

Soweit die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X reiche, könne die Alhi-Bewilligung nicht mangels Rechtswidrigkeit zurückgenommen werden. Ihre Bewilligung stelle sich nämlich nachträglich als (rechtmäßige) Bewilligung von Sozialhilfe dar. Zumindest stehe die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X der entsprechenden Rückforderung entgegen.

Im übrigen lägen die weiteren Rücknahme- bzw. Erstattungsvoraussetzungen i.S. von § 45 und § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X zwar vor. Die Bewilligung der Alhi sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen. Das ArbA habe den Kläger von Anfang an nicht darüber im unklaren gelassen, daß es die Leistungen ausschließlich aufgrund des SG-Urteils und belastet mit der möglichen Rückzahlungspflicht erbringe. Gleichwohl seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, weil die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen, ob und inwieweit sie die erbrachten Leistungen zurückfordere, keinen Gebrauch gemacht habe. Darüber hinaus mangele es an der erforderlichen Begründung für eine Ermessensentscheidung (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Noch in seinem Widerspruchsbescheid habe das ArbA die Auffassung vertreten, die Rückforderung beruhe unmittelbar auf dem Urteil des LSG vom 16. Juni 1981, so daß es eines zusätzlichen Bescheides nicht bedürfe.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 35 Abs. 1, 45 Abs. 2, 50 Abs. 1 und 2, 103 Abs. 1 und 107 Abs. 1 SGB X. Zur Begründung macht sie geltend, ihr stehe, was sie des näheren ausführt, gegen den Beigeladenen ein Erstattungsanspruch gemäß §§ 102ff. SGB X nicht zu. Sie dürfe die Folgen des aufgehobenen SG-Urteils nachträglich beseitigen.

Die Ausführungen des LSG zur Anwendbarkeit des § 50 Abs. 1 SGB X in bezug auf die Zeit ab 1. Dezember 1979 seien fehlerhaft. Leistungen, die aufgrund eines zusprechenden, aber angefochtenen Urteils erfolgten (§ 154 Abs. 2 SGG), würden ohne Verwaltungsakt erbracht (§ 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Ein entsprechender Ausführungsbescheid werde, ohne daß es einer Aufhebung bedürfe, hinfällig, wenn das zusprechende Urteil aufgehoben werde. Zudem sei der Kläger wiederholt auf seine Rückzahlungspflicht für den Fall der Aufhebung des SG-Urteils hingewiesen worden.

Die Ausführungen des LSG zur Frage der Ermessensausübung überzeugten nicht. Der Kläger habe sowohl wegen der Rückforderungsvorbehalte als auch wegen des Berufungsverfahrens nicht damit rechnen dürfen, die erbrachten Leistungen behalten zu können. Er habe dies ausweislich des Schriftverkehrs mit der Beklagten und dem Beigeladenen auch nicht getan. Ermessen sei im Rahmen sachgerechter Erwägungen auszuüben. Danach sei dem Begünstigten eine zu Unrecht erbrachte Leistung zu belassen, wenn sein Vertrauen schutzwürdig sei und das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes überwiege. Hier habe es am Vertrauen des Klägers in die Rechtmäßigkeit der Leistung gefehlt. Eine Interessenabwägung habe sich deshalb erübrigt. Allerdings habe das BSG in ähnlich gelagerten Fällen die Rechtmäßigkeit der Rückforderung am Maßstab der besonderen Härte gemessen (§ 42 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -≪SGB I≫). Eine Anwendung dieses Gedankens verbiete sich jedoch vorliegend; denn der Leistungsträger habe sich der Ausführung eines von ihm für unrichtig gehaltenen Urteils nicht widersetzen können.

Die angefochtenen Bescheide seien sonach Rechtens. Einer etwaigen finanziellen Belastung des Klägers könne ggf im Rahmen des § 59 Bundeshaushaltsordnung (BHO) und der Niederschlagungs-Anordnung (AnO) Rechnung getragen werden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG und das Urteil des SG - soweit es der Klage stattgegeben hat - aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält die zweitinstanzliche Entscheidung, soweit sie seinem Klagebegehren stattgegeben hat, für zutreffend und erwidert, Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides für die Zeit vom 1. Dezember 1979 bis 10. Januar 1981 sei, da Bewilligungsbescheide vorlägen, § 45 i.V.m. § 50 Abs. 1 SGB X. Die Vorschrift des § 45 SGB X komme in Höhe von 7.013,-- DM schon deshalb nicht zum Tragen, weil der Beklagten insoweit wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den Beigeladenen zustehe (§ 103 Abs. 1 SGB X).

In bezug auf den Zeitraum vom 16. August 1977 bis 30. November 1979 richte sich die Erstattung, da ein Bewilligungsbescheid nicht ergangen sei, nach § 50 Abs. 2 i.V.m. § 45 SGB X. Insoweit stelle sich die Frage des Vorliegens einer besonderen Härte (§ 42 Abs. 3 Nr. 3 SGB I). Diese hätte vom LSG bejaht werden müssen. Im übrigen habe die Beklagte versäumt, das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben, so daß der angegriffene Bescheid schon aus diesem Grunde rechtswidrig sei.

Der Beigeladene, der keinen Antrag stellt, vertritt die Ansicht, daß die Beklagte gegen ihn einen Erstattungsanspruch habe (§ 103 Abs. 1 SGB X). Die Alhi-Bewilligung habe sich wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X nachträglich als Bewilligung von Sozialhilfe dargestellt. Diese könne nicht zurückgenommen werden, da die Voraussetzungen des Anspruchs auf Sozialhilfe vorgelegen hätten. Doch seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, weil die Beklagte im Rahmen der Rückforderung der Alhi nicht, wie erforderlich, das ihr obliegende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt habe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. August 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 1981 (§ 95 SGG), beide in der Gestalt des Bescheides vom 4. Dezember 1981. Danach ist nicht die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der sog Ausführungsbescheide im Streit. Das hatte die Beklagte bereits in ihrem Widerspruchsbescheid klargestellt. Umstritten ist allein die Pflicht zur Erstattung der 18.285, 69 DM, die dem Kläger von der Beklagten in Ausführung des SG-Urteils vom 16. August 1977 erbracht worden sind. Hiervon sind auch die Vorinstanzen ausgegangen.

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten waren zulässig (§ 143 SGG). Der Ausschließungsgrund des § 149 SGG greift nicht ein. Der Beschwerdewert belief sich sowohl im Fall der Berufung des Klägers als auch im Fall der Berufung der Beklagten auf mehr als 1.000,-- DM.

In der Sache selbst sind die angegriffenen Bescheide rechtswidrig. Sie sind nicht durch die Rechtsgrundlage des § 50 i.V.m. § 45 SGB X, die hier allein in Betracht kommt, gedeckt.

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben wird, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Gemäß § 50 Abs. 2 SGB X sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten (Satz 1); § 45 SGB X gilt entsprechend (Satz 2). Diese Vorschriften finden, obschon es um Erstattung sog Urteilsleistungen u.a. für die Zeit vor dem 1. Januar 1981 geht, vorliegend Anwendung (Art II § 40 Abs. 2 SGB X). Die Rechtsprechung aus der Zeit vor dem 1. Januar 1981 (BSG SozR 4100 § 152 Nr. 11 m.w.N.) hat sich insoweit erledigt.

Offengeblieben ist bislang, ob sich die Erstattung sog Urteilsleistungen nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 50 SGB X richtet. Während sich der 4. Senat für eine sinngemäße Anwendung des § 50 SGB X entschieden hat (BSGE 57, 138, 143 = SozR 1300 § 50 Nr. 6; ähnlich Hauck/Haines, SGB X/1, 2, Stand: 1. Mai 1991, § 50 Rz 14a), hat der 5. Senat der Anwendung des § 50 Abs. 2 SGB X den Vorzug gegeben (BSG SozR 1500 § 154 Nr. 8; BSG vom 3. Februar 1988 - 5/5b RJ 60/86 -; vgl. auch etwa Wiesner in Schroeder-Printzen (Hrsg), SGB X, 2. Aufl 1990, § 50 Anm. 3.1.2). Der erkennende Senat hält mit dem 5. Senat eine Heranziehung des § 50 Abs. 2 SGB X für angezeigt. Soweit Urteilsleistungen - wie hier für die Zeit vom 16. August 1977 bis 30. November 1979 - ohne Ausführungsbescheid erbracht worden sind, liegt die Anwendung des § 50 Abs. 2 SGB X ohnehin auf der Hand. Aber auch soweit Urteilsleistungen - wie hier für die Zeit vom 1. Dezember 1979 bis 10. Januar 1981 - durch Ausführungsbescheide (insbesondere hinsichtlich der Höhe) konkretisiert worden sind, drängt sich dieser Lösungsweg auf. Denn Ausführungsbescheide werden mit der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils hinfällig, ohne daß es ihrer Aufhebung bedarf (BSG SozR 4100 § 152 Nr. 11 m.w.N.). Eine der Erstattung vorhergehende Prüfung, ob wegen der Urteilsleistung Vertrauensschutz zu gewähren ist oder ob es aus Ermessensgründen bei der Leistungserbringung verbleibt, wie sie § 50 Abs. 1 SGB X in den Fällen des § 45 SGB X voraussetzt, findet dabei nicht statt. Hinzu kommt, daß die Leistungserbringung im Wege von Ausführungsbescheiden nicht, wie § 50 Abs. 1 SGB X nach Sinn und Zweck voraussetzt, auf einer eigenen Entscheidung des Leistungsträgers, sondern auf der durch das erstinstanzliche Urteil ausgesprochenen Verpflichtung beruht (§ 154 Abs. 2 SGG).

Hiernach hatte die Beklagte, da § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X auf § 45 SGB X verweist, im Rahmen der Geltendmachung ihrer Erstattungsforderung eine Vertrauensschutzprüfung vorzunehmen. Deren Umfang wird durch die entsprechende Anwendung des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X bestimmt. Danach wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den Fällen von Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 des § 45 SGB X zurückgenommen. Von diesen einschränkenden Vorschriften kommt vorliegend die Nr. 3 des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zum Tragen. Danach kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Halbs 1); grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Halbs 2). Bei wörtlicher Auslegung ist diese Norm in Fällen der vorliegenden Art niemals erfüllt; denn der Begünstigte vertraut auf das erstinstanzliche Urteil und auf die Rechtmäßigkeit der Ausführungsbescheide. Dies kann indes zumindest in den Fällen nicht hingenommen werden, in denen der Begünstigte in Zusammenhang mit den Ausführungsbescheiden darauf hingewiesen worden ist, daß die Urteilsleistungen zu erstatten sind, falls das Urteil aufgehoben wird. Ein solcher Hinweis schließt - obwohl darin keine Nebenbestimmung oder Bedingung des Verwaltungsaktes i.S. von § 32 SGB X zu erblicken ist, weil nur wiedergegeben wird, was ohnehin Rechtens ist (Hauck/Haines, a.a.O., § 32 Rz 5; Kopp, VwVfG, 4. Aufl 1986, § 36 Rz 22) - die Gutgläubigkeit des Begünstigten nach Sinn und Zweck des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X aus (BSGE 57, 138, 144 = SozR 1300 § 50 Nr. 6; BSG SozR 1500 § 154 Nr. 8; BSG vom 3. Februar 1988 - 5/5b RJ 60/86 -).

So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Das ArbA hatte den Kläger in Zusammenhang mit dem Ausführungsbescheid vom 6. Dezember 1979 durch Schreiben vom 5. Dezember 1979 darauf aufmerksam gemacht, daß der zu erwartende Bewilligungsbescheid und alle künftigen Bewilligungsbescheide nur eine Bewilligung im Rahmen des SG-Urteils darstellten; im Fall einer Aufhebung dieses Urteils durch das LSG seien diese Leistungen zurückzuzahlen; der vom Zentralamt der Beklagten maschinell erstellte Bescheid sei aus technischen Gründen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung, nicht aber mit einem Rückzahlungsvorbehalt versehen. Anläßlich des Ausführungsbescheides vom 10. Dezember 1980 wurde unter dem 8. Dezember 1980 ein ähnlich lautendes Schreiben versandt. In bezug auf den Ausführungsbescheid vom 13. Februar 1980 erging ein entsprechender Hinweis zwar erst nachträglich (Schreiben vom 6. März 1980); hinsichtlich der Alhi-Zahlung für die Zeit vom 16. August 1977 bis 30. November 1979 erfolgte kein entsprechender Hinweis. Doch kann sich der Kläger hierauf nicht mit Erfolg berufen. Denn das ArbA hatte bereits mit dem Schreiben vom 5. Dezember 1979 das Erforderliche getan, um etwaige Gutgläubigkeit des Klägers auszuschließen. Im übrigen war dem Kläger die mögliche Vorläufigkeit des Alhi-Bezuges bekannt. Andernfalls hätte er sich, wie das LSG mit Recht betont, nicht um die Gewährung von Sozialhilfe bzw. die Gewährung von Alhi als vorläufige Leistung bemüht (Bescheid des Beigeladenen vom 11. Dezember 1979; Widerspruchsbescheid vom 25. März 1981).

Wenngleich der Kläger nicht den Vertrauensschutz des § 50 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X genießt, ist ihm nicht jeglicher Schutz versagt. Weiterer Schutz kann sich, wie der 4. und 5. Senat hervorgehoben haben, aus dem Gedanken des § 42 Abs. 3 Nr. 3 SGB I ergeben. Nach dieser Regelung, die u.a. auch bei vorläufigen Leistungen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB I) Platz greift, ist der Erstattungsanspruch zu erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Leistungsempfänger eine besondere Härte bedeuten würde. Eine solche ist anzunehmen, soweit der Betroffene (nachträglich nicht mehr realisierbare) Sozialhilfeansprüche gehabt hätte oder soweit er durch die Rückzahlung sozialhilfebedürftig würde (BSGE 57, 138, 145 = SozR 1300 § 50 Nr. 6; BSG SozR 1500 § 154 Nr. 8; BSG vom 3. Februar 1988 - 5/5b RJ 60/86 -; Burdenski/v. Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum SGB I, 2. Aufl 1981, § 42 Rz 35; Wiesner, a.a.O.; § 50 Anm. 3.1.2). Dieser Mindestschutz muß auch dem Empfänger von Urteilsleistungen zuerkannt werden. Letzterer stünde sonst schlechter da, als wenn das für ihn positive erstinstanzliche Urteil nicht ergangen wäre. Das von der Beklagten vorgebrachte Argument, sie habe sich der Ausführung des von ihr für unrichtig gehaltenen SG-Urteils nicht widersetzen können, ist unzutreffend. Auch wenn ihre Berufung keinen Aufschub bewirkte, soweit es um die Zahlung von Beträgen für die Zeit nach Erlaß des angefochtenen Urteils ging (§ 154 Abs. 2 SGG), hätte die Beklagte nämlich nicht von sich aus zu leisten brauchen, sondern die Ankündigung der Vollstreckung durch den Kläger (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG) abwarten und ggf Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung stellen können (§ 199 Abs. 2 SGG). Statt dessen hat sie dem Kläger die Urteilsleistungen - jedenfalls für die Zeit vom 1. Dezember 1979 bis 10. Januar 1981 - ausbezahlt, ohne dazu von Rechts wegen verpflichtet zu sein. Dies rechtfertigt die Anwendung des hinter den §§ 42 Abs. 3 Nr. 3 und 43 Abs. 2 Satz 1 SGB I stehenden Schutzgedankens.

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet das: Die Rückzahlungspflicht des Klägers entfällt, soweit er ohne die Gewährung der Urteilsleistungen auf die Gewährung von Sozialhilfe angewiesen gewesen wäre (ähnlich Stix, Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1988, 335, 338). Nach den Feststellungen des LSG hätte der Kläger ohne die Alhi in der Zeit vom 1. Dezember 1979 bis 10. Januar 1981 Anspruch auf laufende Sozialhilfe in Höhe von 7.013,-- DM gehabt. Zumindest in Höhe dieses Betrages sind die angegriffenen Bescheide daher rechtswidrig. Ob der Beklagten gegen den Beigeladenen in Höhe der genannten 7.013,-- DM ein Erstattungsanspruch zusteht (§ 103 SGB X) und ob sich die Alhi-Bewilligung wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X nachträglich als Bewilligung von Sozialhilfe darstellt, ist für die Entscheidung dieses Falles nicht erheblich.

Zu der Frage, ob der Kläger durch die Rückzahlung der verbleibenden Erstattungsforderung von 11.272, 69 DM (18.285, 69 DM -7.013,-- DM) sozialhilfebedürftig würde, hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Einer Zurückverweisung der Sache an das LSG bedarf es deswegen indes nicht. Denn die Beklagte hat, wie das LSG zu Recht herausstellt, nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form der Ermessensausübung genügt. Sie kann dies auch nicht mehr nachholen.

Die entsprechende Anwendung des § 45 SGB X innerhalb des § 50 Abs. 2 SGB X macht - nicht anders als die unmittelbare Anwendung von § 45 SGB X - eine Ermessensentscheidung erforderlich. Das leitet sich aus dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 SGB X ab, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden "darf" (BSGE 66, 204, 206f. = SozR 3-1300 § 45 Nr. 1; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 5 jeweils m.w.N.). Der Leistungsträger hat das ihm zustehende Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch (§ 39 Abs. 1 SGB I).

Bei der Frage, ob die Beklagte eine rechtmäßige Ermessensentscheidung vorgenommen hat, kommt es u.a. auf die Begründung an. Diese muß zunächst deutlich machen, daß die Beklagte eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Darüber hinaus muß die Begründung die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Die notwendige Begründung kann nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens oder, falls ein solches nicht stattfindet, bis zur Erhebung der Klage nachgeholt werden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X). Fehlt die Ermessensentscheidung als solche, gilt nichts anderes. Hier hat die Beklagte im Bescheid vom 13. August 1981 kein Ermessen ausgeübt und folgerichtig die Ausübung von Ermessen nicht begründet. Im Widerspruchsbescheid vom 17. September 1981 hat sie den Widerspruch des Klägers mit dem Hinweis als unzulässig verworfen, daß es an einem Verwaltungsakt fehle und sich die Erstattungspflicht unmittelbar aus dem LSG-Urteil ergebe. Insofern sah sich die Beklagte von ihrem eigenen Rechtsstandpunkt aus nicht zur Ausübung von Ermessen veranlaßt. Selbst im Bescheid vom 4. Dezember 1981, der im übrigen nach Klageerhebung erging, mangelt es an der Ausübung von Ermessen. Die Ermäßigung des Erstattungsbetrages von 30.652, 69 DM um 12.367,-- DM auf 18.285, 69 DM erfolgte nämlich nicht aufgrund einer Interessenabwägung, sondern weil der Beigeladene der Beklagten die auf den Zeitraum von August 1977 bis Dezember 1979 entfallende Sozialhilfe in Höhe von 12.367,-- DM rückerstattet hatte. Eine Ermessensausübung erübrigte sich hier auch nicht etwa deshalb, weil eine Reduzierung des Ermessens auf Null eingetreten wäre. Von einer Ermessensschrumpfung auf Null kann nur dann gesprochen werden, wenn jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre (Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl 1974, § 31 IIe 2). Davon kann vorliegend keine Rede sein.

Das Fehlen der Ausübung von Ermessen hat die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Bescheide zur Folge. Die fehlende Ermessensentscheidung kann von der Beklagten nicht mehr nachgeholt werden. Auch im Rahmen einer entsprechenden Anwendung des § 45 SGB X innerhalb des § 50 Abs. 2 SGB X gilt die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Die für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis bezieht sich nicht darauf, daß die Geltendmachung der Erstattung die Ausübung von Ermessen voraussetzt, sondern auf die Kenntnis der Tatsachen, welche die Erstattung für die Vergangenheit rechtfertigen und für eine Vertrauenabwägung notwendig sind (BSGE 65, 221, 225 = SozR 1300 § 45 Nr. 45; BSGE 66, 204, 209f. = SozR 3-1300 § 45 Nr. 1; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 5). Hier wußte die Beklagte spätestens im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 13. August 1981, daß die Voraussetzungen der Erstattungspflicht des Klägers gegeben waren. Ebenso waren ihr - abgesehen von der Rückzahlung von 12.367,-- DM durch den Beigeladenen - sämtliche für die Ausübung einer Ermessensentscheidung relevanten Umstände bekannt. Gleichwohl hat sie von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Dies kann von ihr wegen des Fristablaufes jetzt nicht mehr nachgeholt werden.

Die angefochtenen Bescheide erweisen sich sonach als rechtswidrig. Auf den von der Beklagten gegebenen Hinweis, einer etwaigen Belastung des Klägers könne ggf im Rahmen des § 59 BHO bzw. der Niederschlagungs-AnO Rechnung getragen werden, kommt es nicht an. Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518206

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge