Leitsatz (redaktionell)

1. Zur Frage des "Überganges" des Übergangsgeldes nach RVO § 183 Abs 6 und der Geltendmachung dieses Anspruchs durch Verwaltungsakt zwischen Versicherungsträger und Versicherten bzw Widerklage der KK gegen die beigeladene LVA.

2. Die Widerklage nach SGG § 100 kann auch noch in der Berufungsinstanz erhoben werden.

3. Bewilligt der Rentenversicherungsträger Übergangsgeld für eine Zeit, für die bereis Kranken- oder Hausgeld gezahlt ist, so geht der Anspruch auf Übergangsgeld in entsprechender Anwendung des RVO § 183 Abs 3 S 2 und 3 bis zur Höhe des gezahlten Kranken- bzw Hausgeldes auf die KK über.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 6 Fassung: 1961-07-12; SGG § 100 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. Januar 1965 insoweit aufgehoben, als diese verurteilt worden sind beziehungsweise die Widerklage der Beklagten abgewiesen worden ist.

Auf die Widerklage der Beklagten wird festgestellt, daß die Beigeladene 1.122,- DM an die Beklagte auszuzahlen hat.

Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) gewährte dem Kläger auf seinen Antrag vom 7. September 1961 Heilbehandlung vom 8. November bis 6. Dezember 1961. Die Arbeitsfähigkeit des Klägers besserte sich dadurch nicht wesentlich. Daraufhin beantragte der Kläger Ende Dezember 1961 die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit. Diese wurde ihm durch Bescheid vom 31. Juli 1962 mit Wirkung ab 14. Dezember 1961 gewährt. Von der Nachzahlung in Höhe von 1.666,30 DM wurden 1.424,70 DM einbehalten und gemäß § 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an die beklagte Ortskrankenkasse (OKK) abgeführt. Durch Bescheid vom 11. Oktober 1962 gewährte die LVA dem Kläger noch für die Zeit vom 1. September bis 7. November 1961 ein Übergangsgeld in Höhe von 1.482,40 DM. Während dieser Zeit hatte der Kläger von der beklagten OKK ein Krankengeld in Höhe von 1.122,- DM bezogen. Die LVA zahlte an den Kläger nur 360,40 DM aus. Die restlichen 1.122,- DM behielt sie zurück.

Da der Kläger der beklagten OKK die von ihr geforderte Abtretungserklärung in Höhe von 1.122,- DM verweigerte, erließ sie am 22. August 1962 einen "Rückforderungsbescheid" mit der Begründung, daß der Kläger gemäß § 183 Abs. 6 RVO keinen Anspruch auf Krankengeld gehabt habe, da ihm Übergangsgeld gewährt worden sei; er habe daher den Betrag von 1.122,- DM zu Unrecht bezogen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos, ebenso seine Klage. Daraufhin hat der Kläger Berufung eingelegt.

Er hat beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts (SG) Schleswig vom 21. Januar 1964 und die Bescheide vom 22. August 1962 sowie vom 15. Februar 1963 aufzuheben und die beklagte Krankenkasse zu verurteilen, darein zu willigen, daß die von der beigeladenen LVA zurückbehaltenen 1.122,- DM an ihn ausgezahlt werden,

2. die beigeladene LVA zu verurteilen, die ihm bisher vorenthaltenen 1.122,- DM Übergangsgeld an ihn zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen,

2. Widerklage erhebend: Den Kläger zu verurteilen, darein zu willigen, daß die beigeladene LVA die restlichen 1.122,- DM Übergangsgeld an sie, die Beklagte, auszahlt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 26. Januar 1965 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, darein zu willigen, daß die beigeladene LVA die von ihr einbehaltenen 1.122,- DM Übergangsgeld an den Kläger auszahlt.

Die erhobene Widerklage der Beklagten hat das LSG abgewiesen. Schließlich hat es die Beigeladene verurteilt, an den Kläger die restlichen 1.122,- DM Übergangsgeld zu zahlen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Bejahung des gesetzlichen Forderungsüberganges könne nur bei einem gesetzmäßig begründeten Übergangsgeld in Frage kommen. Dem Kläger sei das Übergangsgeld jedoch in wohlwollendem Übersehen der engen gesetzlichen Voraussetzungen bewilligt worden. Der Kläger habe den Antrag auf Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit erstmals im Dezember 1961 gestellt. Die LVA habe jedoch - entsprechend der Verwaltungspraxis - den Antrag des Klägers auf Gewährung von Heilbehandlung vom 7. September 1961 bereits als Rentenantrag angesehen. Die wohlwollende Zuwendung der LVA an den Kläger dürfe nicht der AOK zugute kommen, nur weil die Zuwendung als Übergangsgeld bezeichnet sei. Die Rückforderungsbescheide seien rechtswidrig, weil es dafür an den erforderlichen Voraussetzungen mangele, dies um so mehr, als der Kläger das Übergangsgeld nicht empfangen habe. Die AOK dürfe dem Kläger auch nicht den von der LVA einbehaltenen Teil des "Übergangsgeldes" streitig machen. Die Widerklage der Beklagten sei deswegen unbegründet, weil die Beklagte auf die Zuwendung in Form von "Übergangsgeld" keinen Anspruch erheben könne.

Gegen dieses Urteil haben die beklagte OKK und die beigeladene LVA die - zugelassene - Revision eingelegt. Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 6. Januar 1965 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Schleswig vom 21. Januar 1964 zurückzuweisen,

hilfsweise:

festzustellen, daß die LVA verpflichtet ist, den einbehaltenen Betrag von 1.122,- DM an sie zu zahlen.

Sie trägt vor: Der Rückforderungsbescheid sei lediglich dahin zu verstehen, daß darin festgestellt werde, das Übergangsgeld in Höhe von 1.122,- DM stehe ihr und nicht dem Kläger zu, wie sich aus § 183 Abs. 6 RVO ergebe. § 183 Abs. 3 RVO sei in ergänzender Rechtsanwendung dahin auszulegen, daß er auch dann Anwendung finde, wenn während des Bezuges von Übergangsgeld Krankengeld gewährt werde. Auf den Anspruch des Versicherten auf Übergangsgeld komme es nicht an. Entscheidend sei, daß das Übergangsgeld tatsächlich gewährt worden sei.

Die beigeladene LVA beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 26. Januar 1965 aufzuheben.

Sie macht geltend: Ihre bisherige, aber inzwischen aufgegebene Praxis, den Antrag auf Gewährung einer Heilmaßnahme auch als Rentenantrag anzusehen, beruhe auf einem Rundschreiben des Reichsversicherungsamts (RVA) in AN 1941 II 311. Es könne mithin nicht davon gesprochen werden, daß dem Kläger das Übergangsgeld ohne Rechtsgrund gewährt worden sei. Sie habe im Grunde keine Bedenken, der Beklagten 1.122,- DM zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 26. Januar 1965 zurückzuweisen mit der Maßgabe, festzustellen, daß die beigeladene LVA verpflichtet ist, den einbehaltenen Betrag an den Kläger auszuzahlen.

Die beigeladene LVA beantragt demgegenüber,

die Feststellungsklage des Klägers abzuweisen.

II

Die Revision der Beklagten ist, soweit das LSG den Bescheid vom 22. August 1962 sowie den Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1963 aufgehoben hat, nicht begründet. Durch den Bescheid vom 22. August 1962 hat die Beklagte dem Tenor des Bescheides nach das gewährte Krankengeld in Höhe von 1.122,- DM vom Kläger zurückgefordert. In der Begründung zu diesem Bescheid heißt es wörtlich: "Nach Mitteilung der LVA Schleswig-Holstein in Lübeck erhalten Sie vom 1.9. - 7.11.1961 ein tgl. Übergangsgeld von 21,80 DM. Da nach § 183 Abs. 6 RVO der Anspruch auf Krankengeld entfällt, solange vom Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld gewährt wird, haben Sie den o.a. Betrag zu Unrecht bezogen." Der Bescheid geht mithin ersichtlich davon aus, daß dem Kläger das Übergangsgeld gewährt worden ist. Das trifft jedoch nicht zu. Das Übergangsgeld ist dem Kläger nur insoweit ausgezahlt worden, als es den Betrag des Krankengeldes - der zurückgefordert wird - übersteigt. Da nun eine Auszahlung an den Kläger nicht stattgefunden hat, kann das Geld von diesem auch nicht zurückgefordert werden. Eine Rückforderung setzt begrifflich voraus, daß etwas - wenn auch zu Unrecht - geleistet worden ist. Soweit die Beklagte nun meint, mit der Rückforderung sollte gegenüber dem Kläger nur festgestellt werden, daß er auf den von der LVA einbehaltenen Betrag keinen Anspruch hat, fehlt es ebenfalls an der rechtlichen Grundlage für diesen Bescheid. Hat kein gesetzlicher Forderungsübergang hinsichtlich des entsprechenden Teils des Übergangsgeldes stattgefunden, kann die Beklagte nicht zurückfordern. Hat aber ein gesetzlicher Forderungsübergang stattgefunden, kann die Beklagte ebenfalls nicht vom Kläger zurückfordern, da er insoweit das Übergangsgeld nicht erhalten hat. Insoweit hätte die Beklagte wegen des Forderungsüberganges einen unmittelbaren Anspruch gegen die Beigeladene; denn die RVO überläßt der Krankenkasse nicht den im Erfolg unsicheren Weg, einen Rückforderungsanspruch wegen zu Unrecht geleisteten Krankengeldes gegen den Versicherten durchsetzen zu müssen. Deshalb verbleibt den Versicherten das gezahlte Krankengeld; die Krankenkasse wird dafür durch den Übergang des Anspruchs auf Rente entschädigt (BSG 25, 6, 7).

Die Revision der Beklagten mußte aber insoweit Erfolg haben, als das LSG zu Unrecht ihre Widerklage abgewiesen hat.

Die Widerklage war zulässig, weil der Gegenanspruch der Beklagten mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch zusammenhängt (§ 100 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); die Widerklage konnte auch in der Berufungsinstanz erhoben werden (BSG 3, 136). Ihr mangelte es auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis, da - wie oben ausgeführt - die Beklagte ihren Anspruch auf Zahlung des Übergangsgeldes in Höhe des gewährten Krankengeldes nicht durch vollstreckbaren Verwaltungsakt vom Kläger verlangen kann.

Die Widerklage ist auch begründet. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß dem Kläger kein Übergangsgeld gewährt worden ist, weil das durch Bescheid vom 11. Oktober 1962 gewährte Übergangsgeld in Höhe von 1.482,40 DM - von dem 1.122,- DM wegen des Anspruchs der Beklagten bezüglich des gezahlten Krankengeldes einbehalten worden sind - "vergönnungsweise" gezahlt worden sei und ein Forderungsübergang nur bei einem gesetzmäßig begründeten Übergangsgeld in Frage kommen könne.

Diese Auffassung vermochte der Senat nicht zu teilen. Fest steht, daß dem Kläger durch Bescheid vom 11. Oktober 1962 von der Beigeladenen Übergangsgeld gewährt worden ist. Der Bescheid war auch nicht nichtig; denn er war nicht mit einem besonders schweren und offenbaren Mangel behaftet (BSG 24, 162, 164; Schroeder-Printzen, SozSich 1966, 145). Dem steht auch nicht die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 19, 265, 268 entgegen. Zwar hat hier der 4. Senat ausgesprochen, daß Bescheide, durch welche Rente der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt oder Vorschüsse auf solche Renten gewährt werden, als mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakte in der Regel nichtig sind, wenn es an der Mitwirkung des Versicherten, nämlich an der Antragstellung, mangelt; denn es bestehe ein Interesse des Versicherten, daß ihm Leistungen nur dann gewährt werden, wenn er es wünscht. Abgesehen davon, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um Rente, sondern um Übergangsgeld handelt, ist der Senat der Auffassung, daß der Antrag des Klägers auf Rehabilitationsmaßnahmen zwar in erster Linie darauf gerichtet war, ihm eine Kur zu bewilligen, daß in ihm aber gleichzeitig enthalten ist, für den Fall eines mangelnden Kurerfolges Übergangsgeld zu erhalten (vgl. auch Rundschreiben des RVA in AN 1941 II 311, vgl. auch BSG 23, 293, 295, nach dem der Antrag auf Altersruhegeld in der Regel - stillschweigend - auch den Hilfsantrag auf Gewährung wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit enthält). Dies gilt umso mehr, als er dadurch Vorteile erlangen konnte und erlangt hat, nämlich zumindest einen Teil des Übergangsgeldes. Im übrigen stellt es § 183 Abs. 6 RVO auch lediglich objektiv darauf ab, daß Übergangsgeld gewährt wurde.

Ist der Bescheid, der Übergangsgeld bewilligt, nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar, und ist er nicht angefochten worden, dann durfte das LSG nicht prüfen, ob das Übergangsgeld zu Recht oder zu Unrecht gewährt worden war, sondern war wegen der Tatbestandswirkung an den Bescheid gebunden. Ist das aber der Fall, dann hat die Beklagte auch ein Recht auf das Übergangsgeld in der Höhe, als sie Krankengeld gezahlt hat (§ 183 Abs. 6 RVO), und dies auch dann, wenn nachträglich Übergangsgeld für eine Zeit bewilligt wird, für die Krankengeld bereits gezahlt worden ist; denn § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO ist entsprechend anzuwenden (BSG in SozR RVO § 183 Nr. 14; BSG 25, 6).

In diesem Rahmen ist auch die Revision der Beigeladenen begründet. Ist aber das Übergangsgeld in der von der Beigeladenen einbehaltenen Höhe auf die Beklagte übergegangen, so hat der Kläger keinen Anspruch auf dasselbe. Das Urteil des LSG, das das klageabweisende Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufgehoben hat, weil die Beklagte zu Unrecht die Rückforderungsbescheide erlassen hatte, konnte insoweit bestehen bleiben. Im übrigen war es jedoch aufzuheben und entsprechend dem Widerklageantrag der beklagten OKK zu entscheiden.

Da in diesem Rechtsstreit Körperschaften des öffentlichen Rechts beteiligt sind, mußte die an Stelle einer an sich möglichen Leistungsklage erhobene Feststellungsklage als zulässig angesehen werden, weil davon auszugehen ist, daß die Beigeladene - eine Körperschaft des öffentlichen Rechts - im Falle ihres Unterliegens auch ohne Leistungsurteil den Anspruch der Revisionsklägerin - ebenfalls eine Körperschaft des öffentlichen Rechts - befriedigen werde (vgl. BSG, SozR SGG § 54 Nr. 73; BSG 10, 21, 24 mit weiteren Nachweisen sowie auch BGHZ 27, 190, 195). Diese Feststellung wirkt auch gegenüber dem Kläger (§ 141 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365162

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