Leitsatz (amtlich)

1. Der im zweiten Weltkrieg geleistete Eisenbahndienst der Reichsbahnbediensteten, die von ihrer vorgesetzten Reichsbahndienststelle nicht zur Wehrmacht, sondern zu einer anderen Reichsbahndienststelle zur Dienstleistung abgeordnet waren, ist kein militärähnlicher Dienst im Sinne des BVG § 3 Abs 1 Buchst d Halbs 1, auch wenn der Dienst in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Ostgebieten geleistet worden ist.

2. Auf diesen Dienst ist mangels einer Dienstverpflichtung oder eines Arbeitsvertrages bei der Wehrmacht auch die Vorschrift des BVG § 3 Abs 2 nicht anzuwenden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Bindung an eine vor dem Inkrafttreten des BVG ergangene Entscheidung über den Versorgungsanspruch kommt nur dann in Frage, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch nach dem BVG erfüllt sind, wenn also dem einer früheren Entscheidung zugrunde liegenden Versorgungstatbestand eine Vorschrift des BVG entspricht. Das ergibt sich daraus, daß vom Inkrafttreten des BVG an die in BVG §§ 1 bis 5 aufgezählten Tatbestände die alleinige Grundlage für die Versorgung bilden, und daß ältere Entscheidungen durch die im BVG § 84 erfolgte Aufhebung früherer Versorgungsgesetze ihre Rechtswirkungen verloren haben. Nur die Entscheidungen über den medizinischen Zusammenhang sind für die Entscheidung nach dem BVG rechtsverbindlich.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 3 Abs. 1 Buchst. d Hs. 1 Fassung: 1950-12-20, Abs. 2 Fassung: 1950-12-20, § 84 Fassung: 1950-12-20, § 85 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. November 1954 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Ehemann der Klägerin war Beamter der Deutschen Reichsbahn. Er wurde während des zweiten Weltkrieges in den Bezirk der Reichsbahnverkehrsdirektion D abgeordnet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts verunglückte er am 22. März 1944 bei einer Eisenbahnfahrt nach O und starb am 2. April 1944 an den Folgen dieses Unfalles. Die Klägerin bezog nach dem Tode ihres Ehemannes Witwengeld nach beamtenrechtlichen Vorschriften. Ferner bewilligte ihr das Versorgungsamt (VersorgA.) L mit Bescheid vom 12. Februar 1945 Leistungen nach der Personenschädenverordnung (PSchVO) in der Fassung vom 10. November 1940 (RGBl. I S. 1482) in Verbindung mit dem Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz (WFVG) vom 26. August 1938 (RGBl. I S. 1077). Der Rentenantrag der Klägerin vom 4. Juni 1951 wurde durch Bescheid des VersorgA. L vom 10. November 1952 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 20. Dezember 1950 (BGBl. I S. 791) mit der Begründung abgelehnt, daß der Verstorbene nicht zur Wehrmacht abgeordnet gewesen sei. Der Bevollmächtigte der Klägerin machte im Einspruchsverfahren geltend, daß der Verstorbene auf der Rückfahrt vom Heimaturlaub auf einer Bahnstation in Rumänien schwer verletzt worden sei. Es könne wohl angenommen werden, daß der Tod auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen sei. Der Beschwerdeausschuß des VersorgA. L wies den Einspruch zurück: Der Verstorbene habe keinen militärähnlichen Dienst geleistet. Da er auf einer Dienstfahrt verunglückt sei, könnten wehrdiensteigentümliche Verhältnisse nicht vorgelegen haben. Das Sozialgericht (SG.) Lübeck hat die Klage mit Urteil vom 17. März 1954 im wesentlichen aus denselben Gründen abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG.) Schleswig hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 12. November 1954 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt: Die Berufung sei nach § 150 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Der Anerkennungsbescheid nach der PSchVO vom 12. Februar 1945 habe keine Rechtswirkungen für den Anspruch nach dem BVG. Nach diesem Gesetz habe die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung, weil ihr Ehemann weder militärischen noch militärähnlichen Dienst geleistet habe, zumal er nicht zur Wehrmacht abgeordnet gewesen sei. Die im Bezirk der Reichsbahnverkehrsdirektion D eingesetzten Eisenbahnbeamten hätten die Transporte für die Wehrmacht in ihrer Eigenschaft als Bedienstete der Reichsbahn und nicht im Dienst der Wehrmacht ausgeführt. Im übrigen hätten auch die zur Wehrmacht abgeordneten Reichsbahnbediensteten in den besetzten Ostgebieten nach Nr. 2 Abs. 1 Nr. 3 a der Verwaltungsvorschriften zu § 3 BVG nach dem 14. Januar 1942 keinen militärähnlichen Dienst mehr geleistet, weil die Deutsche Reichsbahn von diesem Zeitpunkt ab in den besetzten sowjetischen Gebieten unter eigener - ziviler - Verwaltung gestanden habe. § 3 Abs. 1 Buchst. d 2. Halbsatz BVG betreffe nicht den Dienst der Reichsbahnbediensteten. Die Revision sei im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob der Ehemann der Berufungsklägerin militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG geleistet habe, zuzulassen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. Januar 1955 zugestellte Urteil mit einem beim Bundessozialgericht (BSG.) am 9. Februar 1955 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und in der beim BSG. am 28. März 1955 eingegangenen Revisionsbegründung - die Revisionsbegründungsfrist ist bis 31. März 1955 verlängert worden - die Verletzung der §§ 85 Satz 1, 3 Abs. 1 Buchst. d BVG gerügt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts komme es für die Anwendbarkeit des § 85 Satz 1 BVG auf die letzte vor dem Inkrafttreten des BVG nach versorgungsrechtlichen Vorschriften getroffene rechtskräftige Feststellung an. Der Versorgungsanspruch sei auch nach § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG begründet, weil die nach dem Osten abgeordneten Reichsbahnbediensteten hinsichtlich der Verkehrs- und Transportaufgaben den Weisungen des militärischen Befehlshabers Ost unterstanden hätten. Die Eisenbahndirektionen im besetzten russischen Gebiet hätten ihre Aufgaben den Anforderungen der militärischen Verwaltung anpassen müssen. Der Anspruch auf Versorgung sei ferner nach § 3 Abs. 2 BVG begründet, weil der Einsatz des Verstorbenen mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden gewesen sei. Sollte dennoch der Standpunkt vertreten werden, daß der Ehemann der Klägerin keinen militärähnlichen Dienst geleistet habe, so sei vorliegend das besondere Unfallgeschehen zu berücksichtigen. Der Ehemann der Klägerin habe am 22. März 1944 auf der Rückfahrt von seinem Heimaturlaub auf dem Bahnhof T in Rumänien auf den Anschlußzug nach Odessa gewartet. Im Wartesaal habe ihn eine Pistolenkugel, die sich aus der Dienstpistole eines Unteroffiziers der Deutschen Luftwaffe gelöst habe, in den Bauch getroffen. An den Folgen der erlittenen Verletzung sei er gestorben. Diesem Tatbestand sei bisher überhaupt keine Bedeutung beigemessen worden. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat ferner in einem beim BSG. am 15. August 1955 eingegangenen Schriftsatz vorgebracht, daß bei einer richtigen Handhabung des richterlichen Fragerechts die näheren Umstände des Unfalls schon in den Vorinstanzen bekannt geworden wären.

Die Klägerin hat beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG. Schleswig vom 12. November 1954 und des SG. Lübeck vom 17. März 1954 nach dem Klagantrag zu erkennen;

hilfsweise: die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Schleswig zurückzuverweisen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das Berufungsgericht habe das Vorliegen militärähnlichen Dienstes zutreffend verneint. § 85 BVG verbiete nicht die Prüfung der Frage, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs nach dem BVG gegeben seien. Das Revisionsgericht könne nicht prüfen, ob der Versorgungsanspruch der Klägerin nach anderen rechtlichen Gesichtspunkten begründet sei, weil es an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden sei. Außerdem habe das LSG. die Revision nur im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob der Ehemann der Klägerin militärähnlichen Dienst geleistet habe, zugelassen. Im übrigen sei der Versorgungsanspruch der Klägerin auch dann nicht begründet, wenn man ihr neues Vorbringen als wahr unterstelle.

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Der Ansicht des Beklagten, das LSG. habe die Revision nur im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob der Ehemann der Klägerin militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG geleistet habe, zugelassen, kann nicht gefolgt werden. Aus dem Tenor des Urteils ergibt sich, daß die Revision insgesamt und unbeschränkt zugelassen worden ist. Die Ausführungen in den Urteilsgründen stellen nur die Begründung für die erfolgte Zulassung dar. Abgesehen davon kann aber auch die Zulassung einer Revision nicht auf bestimmte Rechtsfragen, sondern allenfalls auf einzelne Ansprüche, beschränkt werden (vgl. Urteil des 1. Senats des BSG. vom 3.7.1956 - 1 RA 87/55 -, NJW. 1956 S. 1415). Die Revision ist daher unbeschränkt statthaft. Da sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist, ist sie zulässig (§ 164 SGG).

Die Revision ist auch begründet.

Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die Prozeßvoraussetzungen für das Klage- und Berufungsverfahren vorliegen (BSG. 2 S. 225; Urteil des 8. Senats vom 26.10.1956 - 8 RV 17/55 - mit weiteren Hinweisen). Zu den Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren gehört die Statthaftigkeit der Berufung. Diese hat das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht bejaht. Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet nach § 143 SGG die Berufung statt, soweit sich aus den §§ 144-149 SGG nichts anderes ergibt. Da im vorliegenden Fall keiner der in den §§ 144-149 SGG genannten Berufungsausschließungsgründe vorlag, war die Berufung zulässig, ohne daß es - wie das Berufungsgericht meint - auf § 150 Nr. 3 SGG angekommen wäre. Diese Vorschrift greift erst dann Platz, wenn die Berufung an sich nach §§ 144-149 SGG ausgeschlossen ist. Das LSG. hat daher mit Recht in der Sache entschieden.

Die Revisionsrüge, daß das Berufungsgericht den § 85 Satz 1 BVG verletzt habe, ist nicht begründet. Nach dieser Vorschrift ist eine Entscheidung nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften über die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG auch nach dem BVG rechtsverbindlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das Berufungsgericht meint - unter "bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften" im Sinne dieser Vorschrift nur solche zu verstehen sind, die unmittelbar vor dem Inkrafttreten des BVG gegolten haben, oder ob auch eine Entscheidung nach der PSchVO zu diesen Entscheidungen gehört. Denn eine Bindung an eine vor dem Inkrafttreten des BVG ergangene Entscheidung über den Versorgungsanspruch kommt nur dann in Frage, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch nach dem BVG erfüllt sind, wenn also dem einer früheren Entscheidung zugrundeliegenden Versorgungstatbestand eine Vorschrift des BVG entspricht. Das ergibt sich daraus, daß vom Inkrafttreten des BVG an die in den §§ 1 - 5 aufgezählten Tatbestände die alleinige Grundlage für die Versorgung bilden, und daß ältere Entscheidungen durch die im § 84 BVG erfolgte Aufhebung früherer Versorgungsgesetze ihre Rechtswirkungen verloren haben. Nur die Entscheidungen über den medizinischen Zusammenhang sind für die Entscheidung nach dem BVG rechtsverbindlich (vgl. Urteil des 10. Senats vom 16. 10. 1955 - 10 RV 1050/55 - mit weiteren Hinweisen, SozR. BVG § 85 Nr. 4 Bl. Ca 2). Das Berufungsgericht hat daher mit Recht geprüft, ob der verstorbene Ehemann der Klägerin militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet hat.

Das LSG. hat zunächst zutreffend festgestellt, daß der Verstorbene im Zeitpunkt des Unfalls keinen militärischen Dienst geleistet hat. Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Es hat auch das Vorliegen militärähnlichen Dienstes ohne Rechtsirrtum verneint. Dabei bedurfte es keiner Feststellung, ob es sich um einen Unfall während eines Urlaubs gehandelt hat. Denn schädigende Folgen eines während des Urlaubs erlittenen Unfalls können nur dann einen Versorgungsgrund darstellen, wenn der Dienst, im Verlaufe dessen der Unfall eingetreten ist, selbst militärähnlicher Dienst gewesen ist. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 27. September 1956 - 8 RV 301/54 - entschieden, daß der im zweiten Weltkrieg geleistete Eisenbahndienst der von ihrer vorgesetzten Reichsbahndienststelle nicht zur Wehrmacht, sondern zu einer anderen Reichsbahndienststelle abgeordneten Reichsbahnbediensteten kein militärähnlicher Dienst im Sinne des § 1 Abs. 1 des Württemberg-Badischen KB-Leistungsgesetzes, § 4 Abs. 1 Buchst. b 1. Halbsatz der Dritten DurchfVO zu diesem Gesetz vom 23. Juli 1949 (Reg. Bl. 1949 S. 212) gewesen ist, auch wenn dieser Dienst in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Ostgebieten geleistet worden ist. Da § 3 Abs. 1 Buchst. d 1. Halbsatz BVG mit der Vorschrift des § 4 Abs. 1 Buchst. b 1. Halbsatz der genannten DurchfVO wörtlich übereinstimmt, bestehen keine Bedenken, diesen Grundsatz auch bei der Beurteilung der Frage anzuwenden, ob der Dienst eines in den Ostgebieten tätigen Reichsbahnbediensteten militärähnlicher Dienst im Sinne des BVG gewesen ist. Auch nach § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG gilt nur der Dienst der zur Wehrmacht abgeordneten Reichsbahnbediensteten als militärähnlicher Dienst, nicht dagegen der zu Reichsbahndienststellen abgeordneten Bediensteten der Deutschen Reichsbahn. Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzes. Der (26.) Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestages ist bei seinen Verhandlungen über den Regierungsentwurf eines Bundesversorgungsgesetzes dem Vorschlag des Verbandes der Kriegsbeschädigten, den Entwurf zu ändern und in § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG die Worte "und der Dienst der blauen Eisenbahner im Operationsgebiet" einzufügen, nicht gefolgt und hat die Fassung der Regierungsvorlage ohne Berücksichtigung und Benennung der sogenannten blauen Eisenbahner beibehalten. Daran wurde auch anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes durch den Deutschen Bundestag nichts geändert. Daraus folgt, daß die Gesetzgebungsorgane davon ausgegangen sind, daß bei dem Wortlaut des Gesetzentwurfs ("der Dienst der zur Wehrmacht abgeordneten Reichsbahnbediensteten") der Dienst der durch Abordnungsverfügung ihrer vorgesetzten Reichsbahndienststelle zu außerhalb der Reichsgrenzen befindlichen Reichsbahndienststellen abgeordneten Reichsbahnbediensteten nicht mit erfaßt werden sollte (vgl. Protokolle über die Verhandlungen des (26.) Ausschusses des Deutschen Bundestages S. 5 A und B, S. 6 D und 7 A). Die Versorgung dieses Personenkreises nach dem BVG soll deshalb regelmäßig ausgeschlossen sein, weil den abgeordneten Bediensteten eine Versorgung nach der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge oder der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt wird, wenn sie durch ihren Dienst eine Gesundheitsschädigung erlitten haben (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27.9.1956). Da der Ehemann der Klägerin nicht zur Wehrmacht, sondern zur Reichsbahnverkehrsdirektion D. abgeordnet war, sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Buchst. d 1. Halbsatz BVG nicht erfüllt. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die gesamten Transporte in diesem Gebiet ohne Beteiligung militärischer Formationen und im Auftrag und auf Weisung der Wehrmacht durchgeführt worden sind. Entscheidend ist vielmehr, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ob der einzelne Reichsbahnbedienstete zur Wehrmacht oder zu einer Reichsbahndienststelle abgeordnet war.

Auch § 3 Abs. 1 Buchst. d 2. Halbsatz BVG trifft auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zu. Danach gilt als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG der Dienst der Beamten der Zivilverwaltung, die auf Befehl ihrer Vorgesetzten zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet und damit einem militärischen Befehlshaber unterstellt waren. Ob diese Vorschrift, wie das Berufungsgericht meint, auf Reichsbahnbedienstete überhaupt nicht anwendbar ist, weil die Voraussetzungen für ihre Versorgung im 1. Halbsatz des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG geregelt seien, kann hier dahingestellt bleiben. Da der Ehemann der Klägerin keinem militärischen Befehlshaber unterstellt war, kann § 3 Abs. 1 Buchst. d 2. Halbsatz BVG schon aus diesem Grunde nicht angewendet werden.

Der Versorgungsanspruch ist auch nicht nach § 3 Abs. 2 BVG begründet, wonach ein auf Grund einer Dienstverpflichtung oder eines Arbeitsvertrages bei der Wehrmacht geleisteter Zivildienst dann als militärähnlicher Dienst gilt, wenn der Einsatz mit besonderen, kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden war. Entgegen der Ansicht des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin begründet nicht jeder mit besonderen, kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbundene Zivildienst einen Versorgungsanspruch; der Dienst muß vielmehr bei der Wehrmacht geleistet sein. Das war hier nicht der Fall; denn der Ehemann der Klägerin hat bei der Reichsbahn Dienst geleistet. Diese erfüllte ihre Transportaufgaben selbständig und stand zu der Wehrmacht in keinem sie allgemein verpflichtenden Vertragsverhältnis. Es erübrigt sich daher eine Stellungnahme zu der Frage, ob § 3 Abs. 2 BVG ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen dem Dienstleistenden und der Wehrmacht erfordert oder ob ein mittelbares Vertragsverhältnis genügt. Ferner besteht keine Veranlassung, zu dem Urteil des LSG. Rheinland-Pfalz vom 19. Oktober 1955 (Breith. 1956 S. 298) Stellung zu nehmen, in dem entschieden worden ist, daß es sich "bei den zum sogenannten "Osteinsatz" abgeordneten "blauen Eisenbahnern" um militärähnlichen Dienst gehandelt habe", da es sich dort um einen anderen Sachverhalt gehandelt hat. Somit ist die Feststellung des Berufungsgerichts, der Ehemann der Klägerin habe keinen militärähnlichen Dienst geleistet, nicht zu beanstanden.

Das angefochtene Urteil mußte aber deshalb aufgehoben werden, weil das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob der Tod durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung (§§ 1 Abs. 2 Buchst. a, 5 BVG) herbeigeführt worden ist. In dieser Hinsicht hat das LSG. keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, obwohl der Akteninhalt dazu Veranlassung gegeben hat; denn der Bevollmächtigte der Klägerin hatte im Einspruchsverfahren geltend gemacht, daß der Ehemann der Klägerin auf einer Bahnstation in Rumänien schwer verletzt worden sei, und daß deshalb die Mitwirkung von wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen angenommen werden könne, zumal die schwere Verletzung im Kriegsgebiet eingetreten sei. Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht, das den Versorgungsanspruch der Klägerin unter allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen hatte, das Vorliegen einer unmittelbaren Kriegseinwirkung prüfen müssen. Die Unterlassung dieser Prüfung macht das Urteil fehlerhaft; denn es besteht die Möglichkeit, daß das LSG. zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es den geltend gemachten Versorgungsanspruch unter diesem Gesichtspunkt geprüft hätte. Da die tatsächlichen Feststellungen des LSG., der Ehemann der Klägerin sei am 22. März 1944 bei einer Eisenbahnfahrt nach Odessa verunglückt, zu einer Bejahung oder Verneinung einer unmittelbaren Kriegseinwirkung nicht ausreichen, kann das BSG. die vom Berufungsgericht unterlassene Prüfung dieser Frage nicht nachholen und auch nicht in der Sache selbst entscheiden. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigte sich eine Stellungnahme zu der Frage, ob die Klägerin ordnungsmäßige und begründete Verfahrensrügen erhoben hat. Das LSG. wird nun die näheren Umstände des Unfalles aufzuklären und zu entscheiden haben, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung herbeigeführt worden ist.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG. vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380640

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