Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 19.07.1995; Aktenzeichen L 4 Kn 15/94)

SG Chemnitz (Urteil vom 21.07.1994)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 21. Juli 1994 abgeändert.

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26. November 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1993 verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Berücksichtigung der in der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten, ob und in welcher Weise die von der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten westdeutschen Versicherungszeiten bei dem monatlichen Wert des Rechts auf Regelaltersrente zu berücksichtigen sind.

Die im Jahre 1924 geborene Klägerin war von 1953 bis 1960, unterbrochen durch Zeiten von Arbeitslosigkeit, versicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Anschließend siedelte sie in die ehemalige DDR über. Mit Bescheid des FDGB – Verwaltung der Sozialversicherung – vom 4. Oktober 1984 wurde ihr eine Altersrente von 270,00 Mark ua auf der Grundlage von 13 Arbeitsjahren versicherungspflichtiger Tätigkeit zugebilligt.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1991 über die „Umwertung und Anpassung der Rente aufgrund des ab 1. Januar 1992 geltenden neuen Rentenrechts” stellte die Beklagte fest, daß statt der bisher gezahlten Versichertenrente nach Beitrittsgebietsrecht künftig eine Regelaltersrente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gewährt werde; der monatliche Zahlbetrag belaufe sich auf 438,74 DM. Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend: Bei der Rentenberechnung sei nicht berücksichtigt worden, daß sie seit Dezember 1952 rentenrechtliche Zeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt und von April 1953 bis Mai 1960 Versicherungsbeiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gezahlt habe. In einem weiteren „Umwertungsbescheid” vom 26. November 1992 berechnete die Beklagte die Rente unter Zuerkennung eines Auffüllbetrages neu; abzüglich des Krankenversicherungsbeitrages betrug der Auszahlbetrag danach ab 1. Januar 1992 445,52 DM. Den Widerspruch im übrigen wies die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 1993 zurück, weil eine gesonderte Bewertung der in den alten Bundesländern zurückgelegten Zeiten gesetzlich nicht vorgesehen sei.

Das Sozialgericht Chemnitz hat die Beklagte mit Urteil vom 21. Juli 1994 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 1992 eine nach den Vorschriften des SGB VI neu berechnete Rente zu zahlen, soweit diese die bisher gewährte Leistung übersteige. Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 19. Juli 1995 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 307a Abs 10 SGB VI ausgeführt: Die Rente der Klägerin sei gemäß § 307a Abs 10 SGB VI neu zu berechnen. In Abs 9 und 10 der Vorschrift sollten alle die Bestandsrentner des Beitrittsgebiets erfaßt werden, die rentenrechtliche Zeiten in der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegt hätten; diese Zeiten sollten mit den höheren Entgeltpunkten (West) bewertet werden. Hinter dieser schlüssigen Gesamtkonzeption müßten die verwaltungstechnischen Bedenken der Beklagten zurücktreten.

Die Beklagte hat die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von § 307a SGB VI und trägt vor:

Der Auslegung des § 307a Abs 10 SGB VI in dem angefochtenen Urteil (und im Urteil des 13. Senats des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 8. November 1995 – 13/4 RA 19/94 = BSGE 77, 35 ff = SozR 3-2600 § 307a Nr 2) könne nicht gefolgt werden. Sie sei zwar mit § 307a Abs 10 SGB VI idF des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606) vereinbar gewesen, habe aber nicht der Regelungsabsicht des Gesetzgebers entsprochen. Durch das Gesetz zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze (SGB VI-ÄndG) vom 15. Dezember 1995 (BGBl I S 1824) sei die Vorschrift um einen Satz 2 ergänzt worden. Danach sei die Beitrittsgebietsrente nicht neu zu berechnen, wenn im Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (Ost) als Arbeitsjahre berücksichtigt worden seien. Diese Ergänzung sei am 1. Januar 1996 gemäß Art 17 Abs 1 SGB VI-ÄndG in Kraft getreten. Sie sei eine authentische Interpretation der Vorschrift durch den Gesetzgeber und daher keine Gesetzesänderung. Infolgedessen stelle sich die Frage, ob eine – unzulässige – Rückwirkung vorliege, hier nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 21. Juli 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Die Ergänzung des § 307a Abs 10 Satz 2 SGB VI durch das SGB VI-ÄndG sei entgegen der Auffassung der Beklagten keine Klarstellung; infolgedessen unterliege die Änderung dem Rückwirkungsverbot. Sie greife nachträglich in der Vergangenheit angehörende – vertrauensgeschützte – Tatbestände zu ihren Lasten ein. Nach der ursprünglichen Regelung sei eine Rente des Beitrittsgebietes nämlich dann neu zu berechnen gewesen, wenn aus den „Westzeiten” noch keine Leistungen eines Rentenversicherungsträgers der Bundesrepublik Deutschland erbracht worden seien. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut von § 307a Abs 10 SGB VI, sondern auch aus der Systematik der Vorschrift. Denn in § 307a Abs 9 bis 11 SGB VI seien die Ausnahmen von der nach § 307a Abs 1 bis 3 SGB VI vorzunehmenden pauschalierenden Umwertung normiert.

Im übrigen begründeten die in Westdeutschland erbrachten Beitragsleistungen Rentenanwartschaften, die dem Eigentumsschutz des Art 14 Grundgesetz (GG) unterliegen würden. Die als Arbeitsjahre in der Beitrittsgebietsrente berücksichtigten Zeiten seien kein Äquivalent der Beitragsleistung. Es sei auch nicht erkennbar, weshalb es der Beklagten in Anbetracht der geringen Anzahl von Personen mit Westbeitragszeiten nicht möglich sein solle, eine neue Berechnung in diesen Fällen vorzunehmen. Schließlich sei auch kein stichhaltiger Grund erkennbar, die Bestandsrentner von der Neuberechnung auszuschließen, eine solche aber für die Neuzugänge ab 1. Januar 1992 vorzunehmen. § 307a Abs 10 Satz 2 SGB VI sei verfassungswidrig.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet.

Gegenstand des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens und damit auch des Revisionsverfahrens ist der (den Umwertungsbescheid vom 2. Dezember 1991 ersetzende) Bescheid vom 26. November 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1993, in dem die Beklagte den im Interesse der Klägerin umfassend auszulegenden Antrag (§ 2 Abs 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) – auf Berücksichtigung ihrer in der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten „Westzeiten”) – aus sämtlichen rechtlichen Gesichtspunkten abgelehnt hatte.

Die Revision der Beklagten hat insoweit Erfolg, als die angefochtenen Urteile, in denen die Beklagte verurteilt worden ist, „Westzeiten” in der „übergeleiteten” SGB VI-Regelaltersrente rentensteigernd zugrunde zu legen, abzuändern sind.

Die Beklagte ist verpflichtet, – erneut – über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden (§ 131 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Denn das Klagebegehren auf Berücksichtigung der „Westzeiten” könnte auch aus einem weiteren, vom LSG nicht herangezogenen und von der Beklagten nicht geprüften – materiellen – Rechtsgrund Erfolg haben. Der Klägerin steht nämlich ab 1. Januar 1992 auch ein Recht auf eine Regelaltersrente nach § 35 SGB VI (§ 300 Abs 1 SGB VI) zu, und zwar auf der Grundlage der in der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten. Daneben besteht ein Recht auf die in das SGB VI als Regelaltersrente übergeleitete Beitrittsgebietsrente gemäß § 307a Abs 1 ff SGB VI. Welche von beiden Renten (subjektive Rechte auf Regelaltersrente) „als die höchste” zu leisten ist, folgt aus der die Anspruchskonkurrenz regelnden Vorschrift des § 89 SGB VI. Die Beklagte hat mithin zu ermitteln und festzustellen, welches das höherwertige Recht auf Regelaltersrente ist; derartige Ermittlungen über den Wert des ausschließlich auf „Westzeiten” beruhenden Rechts auf Regelaltersrente nach § 35 SGB VI hat die Beklagte ausgehend von ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung, in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegte rentenversicherungsrechtlich erhebliche Zeiten seien bei Bestandsrentnern des Beitrittsgebiets zum 1. Januar 1992 unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt relevant, bisher nicht angestellt (vgl zu § 131 Abs 3 SGG: Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 131 RdNrn 12 f; Kopp, VwGO, 10. Aufl, § 113 RdNrn 84, 84a). Sollte die auf „Westzeiten” beruhende Regelaltersrente niedriger sein als die „übergeleitete Beitrittsgebietsrente”, was die Beklagte im Hinblick auf § 89 SGB VI durch Gegenüberstellung zu ermitteln (und festzustellen) hat, wird sie den monatlichen Wert der „übergeleiteten Rente” ab 1. Januar 1992 gemäß § 307a Abs 10 SGB VI aF – individuell – neu zu berechnen und festzustellen haben.

Hierzu im einzelnen:

A. Der Klägerin steht ab 1. Januar 1992 ein Recht auf eine individuell grundrechtlich als Eigentum iS von Art 14 Abs 1 und Abs 2 GG geschützte Regelaltersrente gemäß § 35 SGB VI unter Berücksichtigung ihrer in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1952 bis 1960 zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten zu. Die Voraussetzungen für ein Recht auf eine derartige Regelaltersrente haben am 1. Januar 1992 vorgelegen. Die 1924 geborene Klägerin hatte bereits 1989 das 65. Lebensjahr vollendet und – nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG – auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt (§ 50 Abs 1 Nr 1 SGB VI). Sie hatte demnach – bereits – mit Vollendung des 65. Lebensjahres ein subjektives Stammrecht auf eine Altersrente erlangt. Aus diesem subjektiven Stammrecht hatte sie für die Zeit ab 1. Januar 1992 einen fälligen Einzel(renten)anspruch auf die Regelaltersrente nach § 35 SGB VI aufgrund ihrer „westdeutschen” Versicherungszeiten. Ab diesem Zeitpunkt war die Beklagte verpflichtet, die monatliche Einzelrentenleistung zu erbringen, sie konnte im Hinblick auf das Außerkrafttreten des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zum 31. Dezember 1991 die dem Zahlungsanspruch der Klägerin entgegenstehende Einrede des gewöhnlichen Aufenthaltes in der ehemaligen DDR (§ 96 AVG) nicht mehr erfolgreich geltend machen (vgl hierzu Urteil vom 29. Juli 1997 – 4 RA 41/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Es ist keine Rechtsgrundlage (weder im AVG noch im SGB VI) ersichtlich, die es ermöglicht, durch eigene Beitragsleistungen erworbene eigentumsgeschützte subjektive Rechte – hier: auf eine Altersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres – zu entziehen. Ein Gesetz, das diese Rechtsfolge gegenüber Bestandsrentnern des Beitrittsgebiets, die auch Anwartschaftsrechte bzw Vollrechte aus „Westzeiten” haben, ausspricht, gibt es nicht. §§ 300 ff SGB VI – insbesondere § 300 Abs 4 Satz 1 SGB VI – zeigen vielmehr, daß das SGB VI vom Fortbestand der nach dem AVG erworbenen Rechte ausgeht. Etwas anderes gilt auch nicht für in der Bundesrepublik Deutschland erworbene Rechte der Bestandsrentner des Beitrittsgebietes, die vor dem 1. Januar 1992 sich in der DDR oder im Beitrittsgebiet gewöhnlich aufhielten (vgl hierzu Urteil vom 29. Juli 1997 – 4 RA 41/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

B. Unabhängig von diesem aufgrund eigener Beitragsleistung erworbenen „originären” Recht auf eine Regelaltersrente hatte die Klägerin am 1. Januar 1992 auch das in dem angefochtenen Bescheid (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides) festgestellte Recht auf die im pauschalierten Verfahren gemäß § 307a Abs 1 ff SGB VI als Regelaltersrente in das SGB VI „übergeleitete Beitrittsgebietsrente”. Gemäß dem ab 1. Januar 1992 im ganzen Bundesgebiet gültigen einheitlichen Rentenversicherungsrecht des SGB VI (Art 8 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag (EV) – vom 31. August 1990, BGBl II S 889, iVm Art 30 Abs 5 EV und Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 1) ist diese Rente, die seit dem 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991 aufgrund des zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Sozialversicherungsrechts des Beitrittsgebiets zu gewähren war (Art 9 Abs 2 EV iVm Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F und H), durch ein Recht auf eine Regelaltersrente ersetzt (noviert) worden (ständige Rechtsprechung seit BSGE 72, 50 = SozR 3-8570 § 10 Nr 1; vgl hierzu Urteil vom 29. Juli 1997 – 4 RA 41/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

C. Sind – an sich – beide Leistungen „West”- und „Ost”rente) zu erbringen, so ist die sich hieraus ergebende Anspruchskonkurrenz zwischen den beiden Renten mit Hilfe von § 89 SGB VI zu lösen. Bei mehreren Rentenansprüchen für denselben Zeitraum „aus eigener Versicherung” ist danach nur die höhere Rente zu zahlen. Zur Vermeidung von Doppelleistungen soll niemand aus identischen Versicherungszeiten unabhängig voneinander zwei Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten.

D. Sollte es sich herausstellen, daß die Rente – allein – aus bundesdeutschen Versicherungszeiten höher ist als die übergeleitete SGB VI-Rente, so ist ausschließlich diese zu zahlen. Ist hingegen die „originäre” Westrente der Klägerin am 1. Januar 1992 geringer als die in das SGB VI übergeleitete Beitrittsgebietsrente, so wird die Beklagte den monatlichen Wert dieser Regelaltersrente gemäß § 307a Abs 10 SGB VI aF – individuell – neu zu berechnen und festzustellen haben.

Insoweit, unter der vorgenannten Voraussetzung, gilt folgendes:

1. Die Klägerin hat am 1. Januar 1994 gemäß § 307a Abs 8 Satz 5 und 6 SGB VI iVm § 307a Abs 10 SGB VI aF einen Anspruch auf Erlaß eines Zweitbescheides und auch auf individuelle Neuberechnung und Neufeststellung ihrer Rente für die Zeit ab 1. Januar 1992 erlangt. § 307a Abs 10 SGB VI aF findet für den gesamten streitigen Zeitraum auf das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten Anwendung, und zwar sowohl für die Zeit ab 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1995 (a) als auch für den sich anschließenden Zeitraum ab 1. Januar 1996 (b).

a) Einer Anwendung von § 307a Abs 10 SGB VI aF für den Zeitraum 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1995 steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber die Vorschrift – später – geändert und durch einen Satz 2 ergänzt hat, wonach eine Neuberechnung nicht erfolgt, wenn die im Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bei der Ermittlung der Entgeltpunkte (Ost) als Arbeitsjahre berücksichtigt worden sind. Zwar hat das BSG im Revisionsverfahren neues Recht zu beachten, das – wie hier – nach Erlaß des angefochtenen Urteils in Kraft getreten ist, sofern es das Streitverhältnis erfaßt (BSGE 70, 138, 139 = SozR 3-6180 Art 13 Nr 2; vgl Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 162 RdNr 8). Von letzterem kann jedoch nicht ausgegangen werden, obwohl die „Westzeiten” der Klägerin in der „übergeleiteten Beitrittsgebietsrente” als Arbeitsjahre gemäß §§ 2 Abs 2 Buchst n und 5 Abs 2 Buchst b der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom 23. November 1979 (GBl I Nr 38 S 401 ≪Renten-VO≫) zugrunde gelegt worden sind. Denn die Änderung kann erst ab 1. Januar 1996 Geltung beanspruchen.

aa) Die Neufassung des § 307a Abs 10 SGB VI ist durch Art 1 Nr 63 SGB VI-ÄndG vom 15. Dezember 1995 eingefügt worden und gemäß Art 17 Abs 1 SGB VI-ÄndG erst am 1. Januar 1996 in Kraft getreten. Eine Rückwirkung auf die Zeit vor ihrem Inkrafttreten hat sich die geänderte Vorschrift nicht beigemessen. Eine – andere – Bestimmung, nach der die Neufassung auch vor ihrem Inkrafttreten auf Fallgestaltungen vor dem 1. Januar 1996 Anwendung finden soll, enthält das Gesetz nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus §§ 300 ff SGB VI; im Gegensatz zum Inkrafttreten der Neuregelung des § 315b SGB VI (Art 1 Nr 66 iVm Art 17 Abs 3 SGB VI-ÄndG) hat der Gesetzgeber bei Änderung des § 307a Abs 10 SGB VI gerade nicht angeordnet, daß die Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 1992 in Kraft tritt.

bb) Eine Rückwirkung der geänderten Vorschrift aufgrund einer sog authentischen Interpretation des § 307a Abs 10 SGB VI aF kommt ebenfalls nicht in Betracht. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat § 307a Abs 10 Satz 2 SGB VI nicht lediglich klarstellende Bedeutung in dem Sinne, daß die ursprüngliche Fassung der Vorschrift von Anfang an so auszulegen ist, als hätte Satz 2 aaO bereits bei Inkrafttreten von § 307a Abs 10 SGB VI aF am 1. Januar 1992 gegolten. Die „Interpretation” eines Gesetzes durch den Gesetzgeber, der eine Vorschrift in dem von ihm (jetzt) gewünschten Sinn angewandt wissen will, und zwar entgegen einer Auslegung durch das zuständige Gericht, ist jedenfalls dann nicht zulässig, wenn er einen – wie hier (siehe unten) – schon bekannten streitigen Sachverhalt neu bewertet und dementsprechend gegenüber dem alten Recht eine abweichende Grenze zieht (vgl hierzu BSG SozR 4100 § 168 Nr 22; SozR 3-4100 § 56 Nr 4). In diesen Fällen kann eine Rechtsänderung verfassungsrechtlich zulässig nur aufgrund eines neuen Gesetzes in Bindung an das Rechtsstaatsprinzip, also durch Schaffung neuen Rechts, herbeigeführt werden. Denn nach Verabschiedung des Gesetzes durch den Gesetzgeber und nach seinem Inkrafttreten fällt ein Auslegungsstreit nicht mehr in die Kompetenz der Gesetzgebung; zuständig ist in diesen Fällen allein die rechtsprechende Gewalt, das mit der Anwendung (und Auslegung) der Vorschrift befaßte Gericht (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG).

Die Auslegung von § 307a Abs 10 SGB VI aF war in diesem Sinne streitig. Nach der Entscheidung des 13. Senats vom 8. November 1995 (13/4 RA 19/94 = BSGE 77, 35 = SozR 3-2600 § 307a Nr 2) hatten nämlich alle Bestandsrentner mit „Westzeiten”, die hieraus keine „originäre” beitragsbezogene Leistung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland bezogen, entgegen der Auffassung des „Gesetzgebers” (vgl BT-Drucks 13/3150 S 45) Anspruch auf individuelle Berechnung ihrer Rente unter Zugrundelegung ihrer mit Entgeltpunkten West zu bewertenden rentenrechtlichen Zeiten, und zwar unabhängig davon, ob in der „übergeleiteten Beitrittsgebietsrente” die in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten als Arbeitsjahre mit Entgeltpunkten Ost berücksichtigt waren.

Der Senat folgt der Auffassung des 13. Senats (BSGE 77, 35 = SozR 3-2600 § 307a Nr 2), der den Inhalt des § 307a Abs 10 SGB VI aF zutreffend interpretiert hat. Dies ergibt Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik der Vorschrift.

§ 307a Abs 10 SGB VI aF lautet: „Abweichend von Abs 1 ist eine Rente nach den Vorschriften dieses Buches auch neu zu berechnen, wenn aus im Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten eine Leistung noch nicht erbracht worden ist und die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nach den Vorschriften dieses Buches erfüllt sind”. Begründet wurde diese Vorschrift nach den Materialien (BT-Drucks 12/826 S 19) wie folgt: „Die Regelung in Abs 10 stellt sicher, daß Personen, deren Rente aus dem Beitrittsgebiet grundsätzlich umzuwerten ist, dennoch ihre Rente nach den Vorschriften des SGB VI neu berechnet erhalten, wenn aus rentenrechtlichen Zeiten in den alten Bundesländern eine Leistung noch nicht erbracht wird”. Beispielhaft wurde insoweit auf die Fälle einer Rückkehr in das Gebiet der ehemaligen DDR nach dem 18. Mai 1990 verwiesen, in denen bereits vor 1992 eine Rente nach den Vorschriften des DDR-Rentenrechts bewilligt worden war, ein Anspruch auf eine Rente aus Beitragszeiten in den alten Bundesländern aber (noch) nicht bestanden hat.

Wie sowohl dem Wortlaut als auch der Begründung zu entnehmen ist, handelt es sich bei § 307a Abs 10 SGB VI aF um eine Auffangregelung für alle Bestandsrentner des Beitrittsgebiets mit „Westzeiten”, die aufgrund dieser Zeiten noch keine originäre (beitragsbezogene) Leistung von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten haben. Erfaßt werden von dieser Regelung einmal Bestandsrentner mit „Westzeiten”, die nach dem derzeitigen Stand westdeutsche rentenrechtliche Zeiten nur in einem solch – geringen – Umfang zurückgelegt haben, daß ein Vollrecht (nach dem SGB VI) nicht entstehen kann; unter diese Regelung fallen zum anderen Bestandsrentner, bei denen die zurückgelegten westdeutschen rentenrechtlichen Zeiten – noch – nicht zum Vollrecht erstarkt sind, bei denen also lediglich eine Anwartschaft auf eine zukünftige „originäre” SGB VI-Rente besteht. Letztlich erstreckt sich die Auffangregelung auch auf Bestandsrentner, die sowohl ein Recht auf eine in das SGB VI „übergeleitete Beitrittsgebietsrente” als auch auf eine SGB VI-Rente aus „originären” rentenrechtlichen Zeiten des Bundesgebiets (ohne das Beitrittsgebiet) haben, die jedoch eine Leistung „aus diesen Zeiten” deshalb nicht erhalten, weil der Wert der Rente aus „Westzeiten” geringer ist als derjenige der in das SGB VI „übergeleiteten” Beitrittsgebietsrente und weil im Hinblick hierauf die „originäre” (West)Rente gemäß § 89 SGB VI ruht (vgl hierzu Urteil vom 29. Juli 1997 – 4 RA 41/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen). In diesen Fällen ist anstelle der pauschalierten „Umwertung” nach § 307a Abs 1 ff SGB VI entsprechend §§ 254b und 254d SGB VI zu verfahren und der Wert der Rente entsprechend dem individuellen Versicherungsverlauf sowohl mit Entgeltpunkten West als auch mit Entgeltpunkten Ost individuell zu berechnen (vgl hierzu entsprechend BSGE 77, 35 = SozR 3-2600 § 307a Nr 2).

Diese Auslegung entspricht auch der Systematik des § 307a SGB VI.

§ 307a SGB VI (ebenso wie § 307b SGB VI) regelt in Ausführung von Art 30 Abs 5 EV, wie der monatliche Wert der aus der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) „übergeleiteten” Rente nach dem SGB VI zu bestimmen ist (vgl hierzu Urteil vom 31. Juli 1997 – 4 RA 103/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Gemäß § 307a Abs 1 ff SGB VI werden diese Renten nicht individuell (neu) berechnet und festgestellt; ihr Wert (Rentenhöhe) wird vielmehr in einem pauschalierten Verfahren unter Berücksichtigung von persönlichen Entgeltpunkten (Ost) „umgewertet”, damit er an den Rentenanpassungen teilnehmen kann. Ermittelt werden die persönlichen Entgeltpunkte (Ost), wenn am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine Rente nach dem als sekundäres Bundesrecht bis 31. Dezember 1991 weiter geltenden Rentenrecht des Beitrittsgebiets bestanden hat (Art 9 Abs 2 EV iVm Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F und H).

Abweichend von dieser für die Mehrzahl der Bestandsrentner einer Sozialpflichtversicherungs- und FZR-Rente geltenden, der Verwaltungsvereinfachung dienenden pauschalierenden „Überleitungsregelung” (vgl entsprechend BT-Drucks 12/826 S 19) ist die Rente von Bestandsrentnern des Beitrittsgebiets, die zu dem in § 307a Abs 9 bis 10 SGB VI umschriebenen Personenkreis gehören, unter bestimmten Voraussetzungen unter Berücksichtigung der hierfür vorgesehenen Sonderregelungen (§§ 228 ff SGB VI) individuell neu zu berechnen, sofern sie „westdeutsche” Versicherungszeiten zurückgelegt haben. § 307a Abs 9 Nr 1 SGB VI sieht eine derartige Neuberechnung vor, wenn neben einer Beitrittsgebietsrente auch eine Rente aus in der Zeit von 1949 bis 1961 zurückgelegten westdeutschen Beitragszeiten zu zahlen ist; nach Abs 9 Nr 2 aaO ist eine derartige Neuberechnung bei einem Zusammentreffen einer Beitrittsgebietsrente mit einer solchen nach Art 23 §§ 2 oder 3 des Staatsvertrages vorzunehmen. Beiden Fallgestaltungen ist gemeinsam, daß Bestandsrentner einer Beitrittsgebietsrente auch „Westzeiten” zurückgelegt haben, die im Rahmen einer pauschalen Umwertung nach § 307a Abs 1 bis 3 SGB VI nicht bzw nicht mit dem Wert zu berücksichtigen sind, der bei allen übrigen Beitragszahlern mit in der Bundesrepublik Deutschland (ohne das Beitrittsgebiet) zurückgelegten Beitragszeiten zugrunde gelegt wird. In diesen Zusammenhang ordnet sich § 307a Abs 10 SGB VI aF zwanglos ein. Während in § 307a Abs 9 Nrn 1 und 2 SGB VI bestimmte typische Fallgestaltungen normiert sind, enthält § 307a Abs 10 SGB VI aF entsprechend seiner Stellung einen Auffangtatbestand für alle diejenigen Bestandsrentner des Beitrittsgebiets, die von § 307a Abs 9 SGB VI nicht erfaßt werden, jedoch ebenfalls rentenrechtlich relevante „Westzeiten” im Gebiet der alten Bundesländer zurückgelegt haben. Die Regelung sollte somit nach ihrem Sinn und Zweck sicherstellen, daß alle zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland (ohne das Beitrittsgebiet) entrichteten Beiträge grundsätzlich nicht verloren gehen, sondern rentensteigernd erhalten bleiben.

Zu Unrecht vertritt die Beklagte die Auffassung, der Gesetzgeber habe bei Normierung von § 307a Abs 10 SGB VI aF lediglich die von Art 23 § 3 Abs 2 des Staatsvertragsgesetzes erfaßten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Beitrittsgebiet in der Zeit vom 19. Mai 1990 bis 31. Dezember 1991 „begünstigen” wollen, also diejenigen, deren „Westzeiten” wegen des Wohnsitzwechsels nach dem 18. Mai 1990 im Hinblick auf §§ 20, 21 des Rentenangleichungsgesetzes vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38 S 495, 1457) nicht mehr hätten berücksichtigt werden dürfen. Dieser Auffassung steht bereits die oben dargelegte Systematik entgegen. Nicht gefolgt werden kann der Beklagten auch soweit sie gegen die Auslegung der Vorschrift durch den 13. Senat (BSGE 77, 35 = SozR 3-2600 § 307a Nr 2) einwendet, der Gesetzgeber habe nicht davon ausgehen können, daß im Rahmen einer Beitrittsgebietsrente „Westzeiten” zu berücksichtigen seien, da Rentenansprüche nach der Übersiedlung des Berechtigten in die ehemalige DDR gemäß § 96 AVG „untergegangen” seien. Unabhängig davon, daß die Frage streitig ist, wie die Rentenhöhe bei Vorliegen – auch – rentenrechtlicher Zeiten des „alten Bundesgebietes” zu berechnen ist und nicht etwa, ob Rentenansprüche der „alten” Bundesrepublik Deutschland bei der Übersiedlung in die ehemalige DDR untergegangen sind, trifft diese Auffassung nicht zu. Denn § 96 AVG gewährte dem Rentenversicherungsträger bis 31. Dezember 1991 gegenüber diesen Versicherten – wie ausgeführt – lediglich eine rechtshindernde, die einzelnen monatlichen Zahlungsansprüche betreffende, also die Auszahlung hindernde Einrede (vgl Urteil vom 29. Juli 1997 – 4 RA 41/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Infolgedessen findet § 307a Abs 10 SGB VI aF auf das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten unter den og Voraussetzungen Anwendung, soweit es den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1995 betrifft.

b) Gleiches gilt auch für die Zeit ab 1. Januar 1996. Die den Abs 10 Satz 1 aaO (= aF) einschränkende Regelung (§ 307a Abs 10 Satz 2 SGB VI = nF) bezieht sich nach Sinn und Zweck nicht auf Bestandsrentner des Beitrittsgebietes mit „Westzeiten”, deren Anspruch auf Neuberechnung (und auf Entscheidung über den Antrag auf Neufeststellung) bereits am 31. Dezember 1995 entstanden war.

Zwar könnte dem Wortlaut von § 307a Abs 10 Satz 2 SGB VI entnommen werden, daß eine Neuberechnung des Wertes der Rente nicht erfolgen soll, wenn im Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten bei der Ermittlung der Entgeltpunkte Ost als Arbeitsjahre – bereits – berücksichtigt worden sind. Ginge man allein von diesem Wortlaut des Satzes 2 aaO aus, so könnte man zu dem Ergebnis gelangen, daß ab 1. Januar 1996 einer individuellen Berechnung der Rente in den og Fällen des § 307a Abs 10 SGB VI aF im wesentlichen die materiell-rechtliche Grundlage entzogen werden sollte und auch der Wert der Rente demnach nicht mehr individuell unter Berücksichtigung der „Ost”- und „Westzeiten” zu berechnen, sondern ab 1. Januar 1996 wiederum pauschal nach § 307a Abs 1 ff SGB VI festzustellen wäre; denn grundsätzlich könnten, wie dies auch bei der „Überleitung” der Rente der Klägerin in das SGB VI geschehen, bei der Ermittlung der Entgeltpunkte Ost die „Westzeiten” als Arbeitsjahre berücksichtigt werden (§ 307a Abs 3 Nr 1 SGB VI).

Eine derartige am Wortlaut orientierte Auslegung würde jedoch Sinn und Zweck der Neuregelung widersprechen. Grundanliegen dieser Änderung war die Absicht des Gesetzgebers, aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Entscheidung des 13. Senats (BSGE 77, 35 = SozR 3-2600 § 307a Nr 2) zu § 307a Abs 10 SGB VI aF durch eine „Klarstellung” zu korrigieren, weil andernfalls die Rentenversicherungsträger „Hunderttausende von Bestandsrenten” neu zu berechnen hätten und eine Beschränkung der neuen Berechnung auf den Personenkreis des § 307a Abs 10 SGB VI „kaum noch zu rechtfertigen wäre” (vgl BT-Drucks 13/3150 S 45). Gesetzeszweck der Änderung der Rentenüberleitungsvorschrift war demnach – in erster Linie – der grundsätzlich bei der Ordnung von Massenerscheinungen zulässige Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung. Legt man diesen Gesetzeszweck zugrunde und berücksichtigt zudem, daß der Gesetzgeber eine sachgemäße und ausgewogene Regelung treffen wollte, so wird deutlich, daß der og Personenkreis, zu dem auch die Klägerin zählt, deren Anspruch auf individuelle Berechnung der Rente nach § 307a Abs 10 SGB VI aF also bereits am 31. Dezember 1995 entstanden war, nicht von der Regelung des § 307a Abs 10 SGB VI nF erfaßt werden sollte. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, daß der Gesetzgeber die gesetzliche Verpflichtung der Leistungsträger, Anträge umfassend und schnell zu bearbeiten, damit der Berechtigte ihm zustehende Leistungen möglichst umgehend erhält (§ 17 Abs 1 SGB I), im Auge hatte. Infolgedessen mußte er bei pauschalierender Betrachtung davon ausgehen, daß bis zum Inkrafttreten der Neufassung sämtliche Anträge auf Neuberechnung (und Neufeststellung) bereits bearbeitet und die Versicherungsverläufe mithin bereits erstellt waren. Im Hinblick darauf, daß eine „rückwirkende Klarstellung” der Regelungsabsicht nur als zukünftige Rechtsänderung in Betracht kam (siehe oben), konnte eine Verwaltungsvereinfachung in diesen Fällen, in denen bereits eine „Neuberechnung” in dem og Sinn erfolgt war, bei dem genannten Personenkreis durch die Gesetzesänderung nicht mehr erreicht werden. Es wäre sogar sinnwidrig, wollte man nach Erstellung des individuellen Versicherungsverlaufs den früheren Rechtszustand wieder einführen und ab 1. Januar 1996 die Rente pauschal nach § 307a Abs 1 ff SGB VI berechnen. Der in den Materialien für die Änderung genannte weitere (Neben)Gesichtspunkt einer Verpflichtung zur Neuberechnung aller Bestandsrenten aus Gründen der Gleichbehandlung ist nicht nachvollziehbar. Denn bei der von § 307a Abs 10 SGB VI aF erfaßten Gruppe handelt es sich um einen gegenüber der Mehrzahl der Bestandsrentner begrenzten Personenkreis mit rentenrechtlichen Zeiten im Bundesgebiet (ohne das Beitrittsgebiet).

2. Nach alledem kann § 307a Abs 10 SGB VI nF bereits einfach-rechtlich nicht entnommen werden, daß Berechtigte, die am 31. Dezember 1995 nach § 307a Abs 10 SGB VI aF einen Anspruch auf individuelle Neubewertung (und Neufeststellung) ihrer Rente hatten, von der materiell-rechtlich einschränkenden Regelung des § 307a Abs 10 Satz 2 SGB VI hätten erfaßt werden sollen.

Infolgedessen stellt sich – hier – das Problem einer sog echten Rückwirkung „Rückbewirkung von Rechtsfolgen”) oder einer unechten Rückwirkung „tatbestandliche Rückanknüpfung”) nicht (vgl hierzu BVerfGE 72, 200, 242 f). Daher ist auch nicht zu entscheiden, ob durch Einbeziehung in den Auffangtatbestand des § 307a Abs 10 SGB VI aF und hierdurch bedingter Berücksichtigung von Versicherungszeiten „Ost” und „West”, bewertet mit Entgeltpunkten Ost und West, für Berechtigte überhaupt eine eigentumsgeschützte Rechtsposition geschaffen worden ist, in die der Gesetzgeber – ggf ohne rechtfertigenden Grund – durch die Gesetzesänderung eingegriffen hat.

E. Die Beklagte wird nach alledem die og Ermittlungen anzustellen und die entsprechenden Feststellungen zu treffen haben.

Die Revision hat mithin in dem im Tenor angegebenen Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; zu berücksichtigen ist, daß die Beklagte – wie die im Tenor ausgesprochene Verpflichtung zeigt – erneut über den Antrag der Klägerin zu entscheiden hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173742

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