Leitsatz (amtlich)

1. Enthält ein auf RKG § 93 Abs 2 (= RVO § 1301) gestützter Rückforderungsbescheid neben der Anordnung eines ratenweisen monatlichen Schuldabtrags die Feststellung, daß der Leistungsempfänger insgesamt eine bestimmte Summe zu Unrecht erhalten hat, so handelt es sich hierbei um die Feststellung einer vermögenswerten Rechtsposition, die auf die Erben übergeht.

2. Die Verpflichtungen zum ratenweisen monatlichen Schuldabtrag, die in einem Rückforderungsbescheid angeordnet ist, geht nicht auf den Gesamtrechtsnachfolger des Leistungsempfängers über.

 

Normenkette

RKG § 93 Abs. 2 Fassung: 1969-07-28; RVO § 1301 Fassung: 1965-06-09; BGB §§ 1922, 1967

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. November 1970 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Revisionsklägerin ist kraft gesetzlicher Erbfolge Miterbin nach dem während des Revisionsverfahrens verstorbenen Rentner H R (R.).

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hatte R. durch Urteil vom 25. Juni 1963 die Versichertenrente (Gesamtleistung) wegen Berufsunfähigkeit zugesprochen. Die beklagte Knappschaft führte zwar das Urteil ab dem Tage seines Erlasses aus, legte jedoch zugleich hiergegen Berufung ein. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 25. Juni 1966 nahm R. die Klage gegen den Rentenablehnungsbescheid zurück. Daraufhin forderte die Beklagte durch den streitigen Bescheid vom 22. März 1967, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1967, von R. die in Ausführung des sozialgerichtlichen Urteils gezahlten Beträge von zusammen 4.628,68 DM als zu Unrecht empfangen zurück, und zwar in der Weise, daß sie eine Einbehaltung an dem R. inzwischen seit 1965 gewährten Knappschaftsruhegeld in Höhe von monatlich 10,- DM ab 1. April 1967 anordnete. Das SG hat die gegen die Rückforderung erhobene Klage R's. zurückgewiesen; das LSG hat diese Entscheidung mit dem angefochtenen Urteil vom 12. November 1970 bestätigt. Es ist der Auffassung, daß die Rückforderungsvoraussetzungen des § 93 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) gegeben sind, weil die Beklagte kein Verschulden an den zu Unrecht erbrachten Zahlungen treffe und die ratenweise Rückforderung für R. auch wirtschaftlich vertretbar sei. Die Revision hat das Gericht zugelassen.

Heinrich R. hat die Revision eingelegt und vorgetragen: Die Rückforderung sei im Sinne des § 93 Abs. 2 RKG nicht wirtschaftlich vertretbar, weil er durch die von der Beklagten angeordneten Renteneinbehaltungen nur deswegen nicht Sozialhilfe habe in Anspruch nehmen müssen, weil ein fiktiver Unterhaltsbetrag eines seiner Söhne angenommen worden sei.

Der Gesetzgeber könne nicht gewollt haben, daß der Versicherungsträger durch Rückforderung eine Versorgungslücke schaffe, die über die Sozialhilfe oder nahe Verwandte hätte geschlossen werden müssen.

Am 3./4.April 1971 ist R. verstorben. Die Revisionsklägerin hat als gesetzliche Miterbin das Verfahren aufgenommen.

Die Revisionsklägerin beantragt,

die angefochtene Entscheidung, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12. Juni 1968 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. März 1967 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1967 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie führt aus: Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Rückforderung der von R. zweifellos zu Unrecht empfangenen Beträge komme es auf die Zeit seit Erlaß des Widerspruchsbescheides, also auf die Verhältnisse ab Mai 1967 an. Seither habe R. ein Knappschaftsruhegeld zwischen 556,20 DM und 664,60 DM sowie zusätzlich eine Werksrente von monatlich 89,- DM bzw. 48,- DM erhalten. Diese Beträge lägen über den Sätzen der Pfändungsschutzbestimmungen der Zivilprozeßordnung (ZPO) sowie über den Mindestbeträgen der Regelsätze des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Ein monatlicher Rückzahlungsbetrag von 10,- DM belaste R. nicht in unzumutbarer Weise. Der Rückforderungsanspruch könne gemäß § 90 Nr. 4 RKG durch Aufrechnung gegen die fälligen monatlichen Rentenansprüche R's befriedigt werden.

II

Die Revision ist zulässig und zum Teil auch begründet.

Die Revisionsklägerin ist laut Erbschein des Amtsgerichts (AG) Mülheim gesetzliche Miterbin nach dem während des Revisionsverfahrens im April 1971 verstorbenen ursprünglichen Revisionskläger Heinrich R. Sie hat das durch den Tod R.s. gemäß § 68 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 239 Abs. 1 ZPO unterbrochene Verfahren wirksam aufgenommen. Der erkennende Senat hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß jeder einzelne Miterbe berechtigt ist, ein Verfahren fortzusetzen, in dem es um die Aufhebung eines Verwaltungsaktes geht, der einen Rückforderungsanspruch gegen den Versicherten feststellt, weil er sich nach dessen Tode gegen den Erben, nicht aber gegen den Sonderrechtsnachfolger nach § 88 RKG (= § 1288 RVO) richtet (SozR Nrn. 10 und 12 zu § 1288 RVO). Es bedarf keiner Entscheidung, ob sich die Vererblichkeit von Ansprüchen und Verbindlichkeiten, die - wie hier - dem öffentlichen Recht angehören, in erster Linie nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen oder nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts richtet (vgl. BVerwG 16, 68; 21, 303; vgl. auch Staudinger/Boehmer, Komm. zum BGB, 11. Aufl., Rd.Nr. 207 zu § 1922); denn auf vermögensrechtliche Ansprüche und Verbindlichkeiten öffentlich-rechtlicher Art ist der Rechtsgedanke der §§ 1922, 1967 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zumindest entsprechend anzuwenden, soweit - wie dies bei Rückforderungsansprüchen eines Sozialversicherungsträgers der Fall ist - Vorschriften des öffentlichen Rechts über eine Vererblichkeit fehlen. Dies genügt, um die Beteiligtenrolle der den Rechtsstreit aufnehmenden Miterbin nach H R. zu bejahen.

In der Sache stützt die Beklagte den streitigen Rückforderungsanspruch zu Recht auf § 93 Abs. 2 RKG (= § 1301 RVO). Nach Satz 2 aaO darf die beklagte Bundesknappschaft eine Leistung nur zurückfordern, wenn sie für die Überzahlung kein Verschulden trifft, soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand, und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist. Der Senat hat in seinem Urteil vom 27. Februar 1973 (SozR Nr. 18 zu § 1301 RVO) bereits entschieden, daß der Versicherungsträger eine Leistung, die er vor rechtskräftiger Entscheidung in Ausführung der vorläufigen Vollziehbarkeit eines sozialgerichtlichen Urteils nach § 154 Abs. 2 SGG erbringen mußte, grundsätzlich immer zurückfordern darf, wenn das Urteil später beseitigt wird; der Senat hat dabei hervorgehoben, daß § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG auf einen solchen Fall der später beseitigten vorläufigen Vollziehbarkeit eines nicht rechtskräftigen Urteils nicht ausgerichtet ist und daher diese Bestimmung mit der Modifizierung anzuwenden ist, daß der Rückforderungsanspruch des Versicherungsträgers immer besteht, wenn nur die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers vertretbar ist.

Bei der hiernach notwendigen Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist für den vorliegenden Fall zunächst herauszustellen, daß der streitige Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 22. März 1967 in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheides mehrere Verfügungssätze enthält. Zum einen stellt die Beklagte allgemein fest, daß R. auf Grund des später durch Klagerücknahme beseitigten, vorläufig vollziehbaren Urteils des SG Duisburg vom 25. Juni 1963 insgesamt 4.628,68 DM zu Unrecht erhalten und daher zurückzuzahlen habe. Weiterhin fordert die Beklagte durch den genannten Bescheid von R. einen angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse ratenweisen monatlichen Abtrag dieser Schuld in Höhe von 10,- DM und erklärt insoweit zugleich eine entsprechende Aufrechnung an seinem Knappschaftsruhegeld.

Was diesen zweiten Verfügungssatz - monatlichen Schuldabtrag - betrifft, sind die Zeitabschnitte vor und nach dem Tode des Versicherten am 3./4. April 1971 rechtlich unterschiedlich zu beurteilen.

Da die Höhe des ratenweisen Abtrags der Schuld nach § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG in Verbindung mit der angeführten Rechtsprechung des erkennenden Senats von der in der Person des Versicherten begründeten wirtschaftlichen Vertretbarkeit abhängt, kann nach dessen Tod der Anspruch der Beklagten auf monatlich wiederkehrende Tilgungsraten nicht weiterbestehen; er kann daher auch nicht auf die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin übergegangen sein. Für die Zeit nach dem Tode H R's. kann daher der bezeichnete zweite Verfügungssatz des angefochtenen Rückforderungsbescheids und können daher die bestätigenden Urteile der Vorinstanzen nicht bestehen bleiben.

Für die Zeit bis zum Tode des Versicherten ist das LSG bezüglich des monatlichen Schuldabtrags zwar richtig davon ausgegangen, daß die wirtschaftliche Vertretbarkeit in dessen Person zu prüfen ist. Gleichwohl konnte das Urteil des Berufungsgerichts auch insoweit nicht Bestand haben, weil dessen Auffassung unrichtig ist, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit als Voraussetzung der Rückforderung komme es nicht entscheidend darauf an, ob der Versicherte zeitweise für besondere Lebenslagen Leistungen der Sozialhilfe habe in Anspruch nehmen müssen. Diese Auffassung würde darauf hinauslaufen, daß der Rückforderungsanspruch letztlich zu Lasten der Allgemeinheit aus den Mitteln der Sozialhilfe befriedigt werden müßte. Nichts anderes kann für Zeiten gelten, in denen der Leistungsempfänger nur deswegen keine Sozialhilfe erhalten hat, weil zu seinem Einkommen ein Unterhaltsanspruch gegen Kinder hinzugerechnet worden ist: Im Ergebnis müßte dann der Unterhaltsverpflichtete für die Rückzahlung einstehen oder es würde - wenn der Unterhaltsverpflichtete tatsächlich nicht zahlt - der Leistungsempfänger auf ein unter den Sätzen der Sozialhilfe liegendes Einkommen verwiesen. Beides ist nicht angängig; bei Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG kommt es gerade darauf an, ob die Rückforderung in bezug auf die Person des Leistungsempfängers wirtschaftlich vertretbar ist.

Durch Aufhebung und Zurückverweisung der Streitsache war dem LSG Gelegenheit zu der Feststellung zu geben, ob und während welcher Zeitabschnitte der Versicherte ohne Berücksichtigung etwaiger Unterhaltsansprüche gegen Kinder nach dem BSHG anspruchsberechtigt und daher wirtschaftlich nicht in der Lage war, seine Schuld abzutragen.

Was die im streitigen Rückforderungsbescheid weiterhin getroffene Feststellung angeht, R. schulde die Rückzahlung von insgesamt 4.628,68 DM, so handelt es sich nach der Ansicht des Senats um eine der sachlichen Bindung fähige Feststellung einer vermögenswerten Rechtsposition, die auf die Revisionsklägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin übergegangen ist. Jedenfalls dann, wenn die beklagte Knappschaft - wie im vorliegenden Fall - unter Berücksichtigung der in § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG genannten wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers einen Abtrag der Schuld in monatlichen Raten anordnet, gibt die Feststellung der Gesamtschuld den in monatlichen Raten zu begleichenden Teilschulden ihr Maß und ihre Grenze. Aus der festgestellten Gesamtschuld und nur bis zu ihrer Erschöpfung entsteht in einem solchen Falle für den Versicherungsträger jeweils mit dem Beginn eines neuen Kalendermonats eine vom wirtschaftlich Vertretbaren beeinflußte Teilschuld. Die vom Versicherungsträger festgestellte Gesamtschuld ist nur deswegen noch nicht eine in einem Betrag zu begleichende Vollschuld, weil dem insoweit die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Rückforderung entgegensteht. Hiernach handelt es sich bei der Feststellung der Gesamtschuld um eine vermögenswerte Rechtsposition, die einer vermögensrechtlichen Anwartschaft ähnelt und daher als Nachlaßverbindlichkeit auf den Gesamtrechtsnachfolger übergeht (zum Übergang von Rechtspositionen auf den Gesamtrechtsnachfolger, wenn der Verpflichtungstatbestand in der Person des Erblassers noch nicht erfüllt war, vgl. auch Staudinger/Lehmann, aaO, Rd.Nr. 3 a-d bei § 1967 BGB).

Freilich bedarf es erst weiterer konkreter Verwaltungsakte der Beklagten, um die aus dieser globalen Rechtsposition entspringenden Pflichten des Rechtsnachfolgers vollziehbar auszugestalten, so etwa die Geltendmachung einer Forderung in konkreter Höhe unter Berücksichtigung nunmehr der in der Person des Rechtsnachfolgers gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse, die Anordnung eines ratenweisen Abtrags der Schuld in einer den genannten wirtschaftlichen Verhältnissen angepaßten Höhe, die Erklärung der Aufrechnung gegen etwaige Leistungsansprüche - z.B. gegen eine Witwenrente - und dergleichen mehr. Da solche konkrete, vollziehbare Pflichten der Revisionsklägerin begründende Verwaltungsakte seitens der Beklagten bislang nicht erlassen worden sind, hat der Senat keine Möglichkeit, insoweit schon jetzt eine Sachentscheidung zu treffen. Durch die vom Senat ausgesprochene Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz ist indessen der Beklagten insoweit Gelegenheit gegeben worden, entsprechende Bescheide zu erlassen und so dem LSG die Prüfung zu ermöglichen, ob sie in Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind.

Nach alledem war zu entscheiden, wie geschehen und der Kostenausspruch der Endentscheidung vorzubehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 137

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