Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Anforderungen an die Sachaufklärungspflicht. Grundsatz der freien Beweiswürdigung

 

Orientierungssatz

1. Das Gericht hat im Rahmen des § 103 SGG alle geeigneten und notwendigen Ermittlungen anzustellen, die für die Beurteilung des Bestehens oder Nichtbestehens des geltend gemachten Anspruches erheblich sind. Dabei bestimmt das Gericht die Maßnahmen, die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind. Sein Ermessen wird allerdings durch die in § 103 SGG festgelegte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt.

2. Für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage ist ein ausführliches Eingehen auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten und eine ausdrückliche Auseinandersetzung hiermit nicht notwendig, sofern sich aus dem Urteil ergibt, dass alle für die Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt worden sind (vgl BSG vom 16.06.1955 - 3 RJ 118/54 = BSGE 1, 91).

 

Normenkette

SGG §§ 103, 128

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 02.02.1960)

SG Fulda (Urteil vom 05.03.1956)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt vom 2. Februar 1960 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Bei dem Ehemann und Vater der Kläger, der am 30. Juni 1952 an einer Cholangitis und Pancreatitis gestorben ist, waren auf Grund eines versorgungsärztlichen Gutachtens vom 2. Mai 1950 durch Bescheid vom 28. Juni 1950 folgende Gesundheitsschädigungen nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) anerkannt worden: Muskelrheumatische Beschwerden bei chronischem Herdinfekt, geringe Rippenfellverwachsungen rechts, Störung der Lebensnerven und des Blutdruckes. Eine Rente wurde nicht gewährt, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) den gesetzlichen Mindestgrad von 30 v.H. nicht erreiche. Gegen diesen Bescheid legte der Ehemann und Vater der Kläger Berufung zum Oberversicherungsamt (OVA.) ein, die er infolge eines Angebots des Beklagten, ihm vom 1. November 1949 bis 30. September 1950 eine Rente auf Grund einer MdE. um 50 v.H. und vom 1. Oktober 1950 an um 30 v.H. zu gewähren, in der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 1952 zurücknahm.

Im Zusammenhang mit der Rücknahme der Berufung stellte der Ehemann und Vater der Kläger Antrag auf Anerkennung eines Magenleidens, nachdem er im Dezember 1951 an einem callösen Duodenumsgeschwür operiert und eine Magenresektion nach Billroth II vorgenommen worden war. In Ausführung des im Berufungsverfahren vor dem OVA. K am 26. Mai 1952 erfolgten Anerkenntnisses gewährte der Beklagte durch Bescheid vom 10. Juli 1953 unter Übernahme der in dem Bescheid vom 28. Juni 1950 anerkannten Gesundheitsstörungen für die Zeit vom 1. November 1949 bis 30. September 1950 nach dem KBLG eine Rente nach einer MdE. um 50 v.H. Bei der Umanerkennung durch Bescheid vom 11. Juli 1953 wurde unter Anerkennung der bisherigen Schädigungsfolgen vom 1. Oktober 1950 an die MdE. auf 30 v.H. festgesetzt. Durch die Bescheide vom 16. und 17. Oktober 1953 wurden den Klägern die Bezüge für das Sterbevierteljahr und ein Bestattungsgeld in Höhe von nur 120 DM gewährt, weil kein Zusammenhang zwischen der Todesursache und den anerkannten Schädigungsfolgen bestehe. Der von dem Ehemann und Vater der Kläger noch vor seinem Tode gestellte Antrag auf Anerkennung seines Magenleidens wurde durch Bescheid vom 21. Oktober 1953 abgelehnt, weil die im Jahre 1949 festgestellte Magenübersäuerung als konstitutionell bedingte Störung anzusehen sei, für die als Ursache die in der Gefangenschaft durchgemachte Dystrophie nicht in Betracht komme.

Die von den Klägern erhobenen Ansprüche auf Hinterbliebenenrente wurden durch Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA.) F vom 18. Oktober 1954 abgelehnt, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Todesursache und den anerkannten Schädigungsfolgen nicht bestehe. Der Widerspruch der Kläger blieb ohne Erfolg (Entscheidung des Landesversorgungsamts Hessen vom 28. 2. 1955).

Die Kläger haben gegen die Bescheide des VersorgA. Fulda vom 17. Oktober 1953, 21. Oktober 1953, 18. Oktober 1954 und des Landesversorgungsamts Hessen vom 28. Februar 1955 Klage erhoben. Zur Begründung der geltend gemachten Ansprüche haben sie eine gutachtliche Stellungnahme des Dr. S vom 13. November 1953 vorgelegt. Dr. S der den Ehemann und Vater der Kläger wegen des Geschwürleidens im Dezember 1951 operiert hat, ist der Auffassung, daß ein schon jahrelang bestehendes callöses Zwölffingerdarmgeschwür vorgelegen habe. Der Verstorbene sei seit der Entlassung aus der Gefangenschaft dauernd wegen seines Magenleidens in Behandlung gewesen; allerdings sei bei den Untersuchungen in Bad S und F röntgenologisch ein Magenleiden nicht festgestellt worden. Die Operation habe jedoch erwiesen, daß das Geschwür schon jahrelang bestanden haben müsse. Er glaube daher, daß die ersten Anfänge der Magenerkrankung in die Militärzeit oder spätestens in die Zeit der Gefangenschaft fielen, so daß man annehmen müsse, der Ehemann und Vater der Kläger sei an den Folgen seines Wehrdienstes gestorben. Demgegenüber hat Regierungsmedizinalrat Dr. G von der versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle K in seinen Stellungnahmen vom 21. April und 2. November 1955 die Ansicht vertreten, daß das erst im November 1951 festgestellte Zwölffingerdarmgeschwür in der Zeit nach Oktober 1950 entstanden sein müsse, da bei früheren Untersuchungen in dieser Hinsicht nichts habe festgestellt werden können. Ein Zusammenhang mit Einwirkungen der im November 1949 beendeten Kriegsgefangenschaft sei daher unwahrscheinlich. Das Sozialgericht (SG.) hat von der Medizinischen Universitätsklinik M ein Gutachten vom 14. Juli 1955 eingeholt, in dem die Krankheitsgeschichte eingehend gewürdigt worden ist. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch hat dort ausgeführt, daß weder mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang abgelehnt noch befürwortet werden könne, weil es sich um einen ausgesprochenen Grenzfall handele, dessen Beurteilung durch die Vernachlässigung einer Leberuntersuchung kompliziert werde. Es sei aber bei Vernachlässigung aller Dinge, die für und gegen eine Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung des Ulcusleidens durch den Krieg sprächen, in diesem besonderen Falle die Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung durch den Kriegsdienst statthaft. Da über den Zusammenhang zwischen Ulcus callosum und dem zum Tode führenden Leiden (Cholangitis und Pancreatitis ) Zweifel nicht bestünden, sei die Kriegsgefangenschaft mittelbar als Todesursache anzusehen.

Das SG. Fulda hat durch Urteil vom 5. März 1956 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Klägern vom 1. Juli 1952 an Witwen- und Waisenrente in gesetzlicher Höhe abzüglich der durch Bescheid des VersorgA. F vom 16. Oktober 1953 gezahlten Bezüge für das Sterbevierteljahr zu gewähren. Zwischen dem Geschwürleiden und der Kriegsgefangenschaft habe ein Zusammenhang bestanden, weil der Ehemann und Vater der Kläger unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft über Magenbeschwerden geklagt habe. Auch sei in Bad S eine Vergrößerung der Leber festgestellt worden. Dieser Leberbefund erfordere eine entsprechende Berücksichtigung bei der Zusammenhangsfrage. Der vom Schicksalsmäßigen abweichende Verlauf des Geschwürleidens bei dem Verstorbenen sei nur erklärbar, wenn die Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft auf das Magenleiden im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung gewertet würden. Da über den Zusammenhang zwischen Ulcusleiden und Tod Zweifel nicht bestünden, sei die Kriegsgefangenschaft als mittelbare Todesursache anzusehen.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG.) hat durch Urteil vom 2. Februar 1960 die Berufung des Beklagten gegen die Entscheidung des SG. Fulda vom 5. März 1956 zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen wird im wesentlichen folgendes ausgeführt: Da der Beklagte ausdrücklich erklärt habe, daß sich seine Berufung nur gegen die Verurteilung zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente richte, sei das angefochtene Urteil nur insoweit nachzuprüfen gewesen. Auf Grund der Gutachten des Dr. S. vom 28. August 1952, 25. Oktober 1952 und 13. November 1953 und der Universitätsklinik M vom 14. Juli 1955 sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, daß der Ehemann und Vater der Kläger an den Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) gestorben sei. Fehler, die diese Gutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet erscheinen ließen, seien nicht erkennbar, so daß es der Einholung eines weiteren Gutachtens nicht bedurft habe. Regierungsmedizinalrat Dr. G übersehe in seinen Stellungnahmen, daß aus der Tatsache, daß Röntgenuntersuchungen im Jahre 1950 keinen Anhalt für eine Geschwürbildung ergeben hätten, nicht der zwingende Schluß zu ziehen sei, das erst 1951 festgestellte Geschwür sei in der Zeit nach 1950 entstanden. Vielmehr ergebe sich aus dem Operationsbefund, den Dr. S mitgeteilt habe, daß das Geschwür callös gewesen sei und schon jahrelang bestanden haben müsse.

Gegen dieses am 26. Februar 1960 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 21. März 1960 - eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG.) am 22. März 1960 - Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des Hessischen LSG. vom 2. Februar 1960 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte rügt eine Verletzung der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und macht ferner eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend. Das LSG. habe sich in den Entscheidungsgründen lediglich mit allgemein gehaltenen Formulierungen auf die Gutachten des Dr. S und des Prof. Dr. Sch gestützt. Dr. S habe lediglich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Geschwürleiden und der Kriegsgefangenschaft des Ehemannes und Vaters der Kläger bejaht, jedoch die Frage des ursächlichen Zusammenhangs des Magenleidens mit schädigenden Einflüssen des Wehrdienstes nicht geprüft. Auch Prof. Dr. Sch sei nicht zu einer eindeutigen Bejahung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs gekommen. Bei diesem Beweisergebnis hätte das LSG. noch weiter aufklären müssen, welche Einwirkungen der Gefangenschaft zur Entstehung oder Verschlimmerung des Magenleidens wesentlich mitgewirkt hätten, zumal die russische Gefangenschaft im allgemeinen die Entstehung von Magengeschwüren nicht begünstigt habe. Aus den Gutachten des Dr. S und des Prof. Dr. Sch könne ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft und dem Geschwürleiden nicht ohne weitere Aufklärung gefolgert werden, so daß das Berufungsgericht auch die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung dadurch überschritten habe, daß es seine Entscheidung allein auf diese Gutachten gestützt habe. Das LSG. habe lediglich festgestellt, wann nach seiner Auffassung das Magenleiden entstanden sei, ohne zu prüfen, welche Umstände der Gefangenschaft beim Eintritt des Magenleidens wesentlich mitgewirkt hätten. Damit habe das Berufungsgericht bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs die in der Kriegsopferversorgung geltende Kausalitätsnorm verletzt.

Die Kläger beantragen die Verwerfung der Revision als unzulässig; sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden; sie ist auch statthaft.

Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen; sie findet daher nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und auch vorliegt (BSG. 1 S. 150 und 254), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Der Beklagte rügt mit der Revision, daß das LSG. seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es hat alle geeigneten und notwendigen Ermittlungen anzustellen, die für die Beurteilung des Bestehens oder Nichtbestehens des geltend gemachten Anspruchs erheblich sind. Das tatsächliche Vorbringen der Parteien ist im Rahmen dieser Ermittlungen zu berücksichtigen; das Gericht ist jedoch nach § 103 Satz 2 SGG an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Das Gericht bestimmt die Maßnahmen, die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind. Sein Ermessen wird allerdings durch die in § 103 SGG festgelegte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt. Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht stellt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar (vgl. BSG. 1 S. 91 und 194, 2 S. 236). Die Nachprüfung des Verfahrens vor dem Berufungsgericht setzt voraus, daß der Revisionskläger im einzelnen Tatsachen und Beweismittel anführt, aus denen sich mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, daß das LSG. seine gesetzliche Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts verkannt hat oder ihr nicht nachgekommen ist, z.B. indem es Beweismittel ungenützt ließ, obwohl die bisher erhobenen Beweise zu einer sicheren tatsächlichen Feststellung nicht ausreichten. Diese Voraussetzungen für die Rüge unzureichender Sachaufklärung sind im vorliegenden Falle erfüllt.

Der Ehemann und Vater der Kläger ist am 30. Juni 1952 an einer Cholangitis und Pancreatitis gestorben, die nach Ansicht der Sachverständigen - im übrigen zwischen den Parteien unstreitig - mit einem callösen Duodenums-Geschwürleiden in Zusammenhang stehen. Streitig zwischen den Parteien ist lediglich, ob dieses Geschwürleiden Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG ist. Das LSG. hat sich den Gutachten des Dr. S, der den Ehemann und Vater der Kläger wegen des Geschwürleidens operiert hat, und der Universitätsklinik M (Prof. Dr. Sch) ohne nähere Begründung angeschlossen, da diese Gutachten keine Fehler aufwiesen, die sie für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet machen würden. Dr. S hat in seinen Stellungnahmen - insbesondere in der Äußerung vom 13. November 1953 - den zeitlichen Zusammenhang des Geschwürleidens mit dem Militärdienst oder der Kriegsgefangenschaft des Verstorbenen bejaht und daraus ohne weiteres geschlossen, daß der Tod mittelbare Folge des Wehrdienstes gewesen sei. Dr. S hat jedoch zu der für den Anspruch der Kläger entscheidenden Frage keine Stellung genommen, aus welchen Gründen das Geschwürleiden durch Einflüsse des Wehrdienstes oder der Kriegsgefangenschaft entstanden oder wesentlich verschlimmert worden sein soll. Demgegenüber hat sich zwar Prof. Dr. Sch in seinem Gutachten vom 14. Juli 1955 mit der Frage eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen wehrdienstlichen Einflüssen und dem Geschwürleiden auseinandergesetzt; er ist aber insoweit nicht zu einer klaren Bejahung der Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhangs gelangt. Auf Seite 5 seines Gutachtens führt er nämlich aus, daß weder mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang abgelehnt noch befürwortet werden kann. Allerdings neigt der Sachverständige zu der Ansicht, daß "bei Vernachlässigung aller Dinge, die für und gegen eine Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung für das Ulcusleiden durch den Kriegsdienst sprechen, dem das Schicksalsmäßige übertreffenden Verlauf der Erkrankung die wesentlichste Bedeutung zukommt und daß in diesem besonderen Falle die Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung durch den Kriegsdienst statthaft ist". Bei dieser Sachlage durfte sich das LSG. bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs jedenfalls nicht auf die gutachtlichen Äußerungen des Dr. S stützen, weil dieser Sachverständige lediglich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entstehung des Geschwürleidens und der Kriegsgefangenschaft angenommen hat, ohne jedoch zu dem ursächlichen Zusammenhang von Einwirkungen der Kriegsgefangenschaft auf die Entstehung des Geschwürleidens Stellung zu nehmen. Auch das Gutachten des Prof. Dr. Sch ist nicht ohne weiteres geeignet, die ohne nähere Begründung zum Ausdruck gelangte Überzeugung des Berufungsgerichts zu stützen; denn dieser Sachverständige hat die notwendige Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs weder bejaht noch verneint. Zumindest hätte das LSG. in dem angefochtenen Urteil noch darlegen müssen, welche besonderen Einflüsse des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft einen Zusammenhang mit den dort aufgetretenen Magenbeschwerden sowie zwischen diesen und dem Geschwürsleiden wahrscheinlich machen, um so mehr, als es sich hier offenbar um einen Grenzfall handelt. Das Berufungsgericht konnte hiernach seine Überzeugung, daß der Ehemann und Vater der Kläger an Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG gestorben ist, auf die gutachtlichen Äußerungen des Dr. S überhaupt nicht stützen. Auch das Gutachten des Prof. Dr. Sch reichte ohne weitere Sachaufklärung nicht aus, um die in dem angefochtenen Urteil zum Ausdruck gelangte Überzeugung des LSG. zu rechtfertigen; denn dieser Sachverständige hat ausgeführt, daß weder mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang abgelehnt noch befürwortet werden kann. Zumindest hätte das Berufungsgericht - gegebenenfalls durch Rückfrage bei Prof. Dr. Sch - die unklaren und teilweise widerspruchsvollen Ausführungen am Schluß seines Gutachtens aufklären müssen. Es hätte sich im Hinblick auf die für die Beurteilung der von den Klägern geltend gemachten Ansprüche nicht ausreichenden Gutachten des Dr. S und des Prof. Dr. Sch ferner gedrängt fühlen müssen, die Umstände noch weiter aufzuklären, die für die Frage des ursächlichen Zusammenhangs von während der Kriegsgefangenschaft aufgetretenen Magenbeschwerden mit dem Geschwürsleiden von Bedeutung sein konnten. Die gerügte Verletzung der dem Gericht obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts liegt somit vor.

Das Berufungsgericht hat auch die Vorschrift des § 128 SGG verletzt. Danach entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG. (BSG. 1 S. 91) für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage in dem Urteil des Berufungsgerichts ein ausführliches Eingehen auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten und eine ausdrückliche Auseinandersetzung damit nicht notwendig, sofern sich aus dem Urteil ergibt, daß das LSG. alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat. Wie schon aus den Ausführungen zu der Rüge einer Verletzung des § 103 SGG hervorgeht, hat das LSG. die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung dadurch überschritten, daß es sich auf die gutachtlichen Äußerungen des Dr. S gestützt hat, obwohl dieser Sachverständige nur einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entstehung des Geschwürleidens und der Kriegsgefangenschaft des Ehemannes und Vaters der Kläger angenommen hat, ohne sich im einzelnen zu dem ursächlichen Zusammenhang zu äußern. Ferner reicht das Gutachten des Prof. Dr. Sch nicht für eine sichere tatsächliche Feststellung hinsichtlich des streitigen ursächlichen Zusammenhangs aus. Das Berufungsgericht hat somit auch die Grundsätze der freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) verletzt. Die Revision des Beklagten ist daher nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG wegen Vorliegens wesentlicher Verfahrensmängel statthaft.

Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung der §§ 103, 128 SGG, da die Möglichkeit besteht, daß das LSG. anders entschieden hätte, wenn es die nach den vorstehenden Ausführungen erforderliche Sachaufklärung durchgeführt und eine sachentsprechende Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens vorgenommen hätte (BSG. 2 S. 197). Die Revision ist somit auch begründet. Da der erkennende Senat nicht selbst entscheiden kann, weil in dieser Sache noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, mußte das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische LSG. zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2195360

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