Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Bauherrn für Beiträge zur Unfallversicherung bei nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten. Jahresfrist des § 729 Abs 2 S 1 RVO

 

Orientierungssatz

1. Für die Abgrenzung der nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten iS des § 729 Abs 2 S 1 RVO von den gewerbsmäßigen Bauarbeiten ist entscheidend die Bestandssicherung des die Bauarbeiten ausführenden Unternehmens (vgl BSG vom 26.9.1986 2 RU 60/85 = HV-INFO 1986, 1892).

2. Die Inanspruchnahme eines Bauherrn nach § 729 Abs 2 RVO ist nicht davon abhängig, daß er wußte, sein Bauauftrag werde von einem Unternehmer nichtgewerbsmäßiger Bauarbeiten ausgeführt. Seine Haftung entsteht vielmehr mit der Erfüllung des - objektiven - Tatbestands dieser Vorschrift (Festhaltung BSG vom 18.12.1969 2 RU 314/67 = BSGE 30, 230).

3. Für die Haftung des Bauherrn nach § 729 Abs 2 RVO ist eine Klageerhebung innerhalb der Ausschlußfrist von einem Jahr nicht erforderlich (vgl BSG 28.7.1983 2 RU 45/82 = SozR 2200 § 729 Nr 3).

4. Es steht einer Geltendmachung der Haftung nach § 729 Abs 2 RVO innerhalb eines Jahres nach endgültiger Feststellung der Beitragsschuld nicht entgegen, daß die Beitragsschuld bei der Anzeige der Haftung noch nicht beziffert wurde.

 

Normenkette

RVO § 729 Abs 2 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.04.1985; Aktenzeichen L 3 U 81/84)

SG Speyer (Entscheidung vom 27.04.1984; Aktenzeichen S 2 U 165/83)

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten (Bauherrn) für

Der Beigeladene meldete im September 1979 bei der Stadtverwaltung Kaiserslautern die Eröffnung eines Gewerbes an, dessen Gegenstand "Holz- und Bautenschutz" sein sollte. Von der Handelskammer der Pfalz wurde er mit diesem Gewerbe in das Verzeichnis der handwerksähnlichen Gewerbe eingetragen. Die Klägerin erfuhr durch Berichte von Durchgangsärzten über Unfälle im Februar, März und Juni 1980, daß der Kläger Dachdeckerarbeiten selbständig ausführte. Die Meisterprüfung für das Dachdeckerhandwerk hat der Beigeladene nicht abgelegt. Die Handwerkskammer beantragte auf Anregung der Klägerin bei der Stadtverwaltung Kaiserslautern im September 1980, dem Beigeladenen die Fortsetzung des Dachdeckerbetriebes gemäß § 16 Abs 3 der Handwerksordnung (HwO) zu untersagen. Die Stadtverwaltung Kaiserslautern teilte der Handwerkskammer im August 1981 mit, sie habe "zum derzeitigen Zeitpunkt" auf Maßnahmen gemäß § 16 Abs 3 HwO verzichtet, da der Beigeladene erklärt habe, lediglich im Frühjahr 1980 Dachdeckerarbeiten ausgeführt zu haben, und ihm solche Arbeiten nur für die Zeit von Februar bis März 1980 hätten nachgewiesen werden können. Die Klägerin lehnte die Aufnahme des Beigeladenen in ihr Unternehmerverzeichnis ab, weil die Voraussetzungen zur Führung eines selbständigen Dachdeckerbetriebes nicht gegeben seien; für die Dauer seiner selbständigen Tätigkeit gelte er bei der unerlaubten Ausübung von Dachdeckerarbeiten als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten und somit als Mitglied ohne Eintragung in das Unternehmerverzeichnis (Bescheid vom 29. September 1980).

Nachdem die Klägerin den Beigeladenen vergeblich zur Vorlage von Lohnnachweisen aufgefordert hatte, setzte sie aufgrund einer Auskunft der AOK Kaiserslautern bei einer angenommenen Lohnsumme von DM 29.000 für die Zeit von Februar bis Mai 1980 gegen den Beigeladenen einen Beitrag in Höhe von DM 5.127,20 fest (Bescheid vom 27. Januar 1981). Der Beigeladene hat den Beitragsbescheid nicht angefochten, den Betrag aber auch nicht gezahlt. Vollstreckungsversuche der Klägerin im März und September 1981 blieben ohne Erfolg.

Aufgrund einer Auskunft der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Kaiserslautern vom 17. Februar 1982 erfuhr die Klägerin Anschriften und Rechnungsbeträge von Auftraggebern des Beigeladenen, ua des Beklagten. Durch Schreiben vom 22. Februar 1982 mit dem Betreff "Ausführung nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten durch F. (den Beigeladenen), Dacharbeiten-Gerüstbau, hier: Haftbarmachung nach § 729 Abs 2 RVO" unterrichtete die Klägerin den Beklagten über die Haftung gemäß § 729 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und forderte ihn ua auf, zur Feststellung der anteiligen Beträge, für deren Erfüllung er, soweit die tatsächlichen Voraussetzungen vorlägen, als Haftungsschuldner verantwortlich sei, die von dem nicht gewerbsmäßigen Unternehmer ausgestellte Rechnung vorzulegen. Nach Erhalt der Rechnung des Beigeladenen vom 28. März 1980 über DM 6.000 zuzüglich DM 780 Umsatzsteuer verlangte sie durch Schreiben vom 2. Juni 1982 von dem Beklagten die Zahlung eines Beitragsanteils in Höhe von DM 530,40 zuzüglich Säumniszuschläge und anteilige Vollstreckungskosten. Der Beklagte lehnte die Zahlung ab.

Die im Mai 1983 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 27. April 1984). Die Klägerin habe den Beklagten nicht innerhalb der einjährigen Ausschlußfrist des § 729 Abs 2 RVO in Anspruch genommen. Der Beitragsbescheid vom 27. Januar 1981 sei, da nicht angefochten, gegenüber dem Beigeladenen am Montag, dem 2. März 1981, bindend geworden. Das innerhalb der Jahresfrist dem Beklagten zugesandte Schreiben der Klägerin vom 22. Februar 1982 (dem Empfänger ausgehändigt am 23. Februar 1982, s Bl 19 II BG-Akte) habe nicht die erforderliche Zahlungsaufforderung enthalten. Selbst wenn jedoch eine Information über den Anspruch dem Grunde nach als ausreichend anzusehen wäre, fehle es an der eindeutigen Behauptung des Haftungsanspruchs dem Grunde nach, weil die Klägerin im Schreiben vom 22. Februar 1982 ausgeführt habe, der Beklagte müsse die Forderungen erfüllen, "soweit die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen." Dies habe der Beklagte so verstehen müssen, daß die Klägerin noch nicht abschließend geprüft habe, ob die Voraussetzungen des § 729 Abs 2 RVO dem Grunde nach gegeben seien.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 24. April 1985) und zur Begründung ua ausgeführt: Die Formulierungen im Schreiben der Klägerin vom 22. Februar 1982 hätten zwar genügt, das Freiwerden des Bauherrn von der Haftung gemäß § 729 Abs 2 RVO auszuschließen. Der Beklagte hafte dennoch nicht für die Beitragsschulden des Beigeladenen, weil er ohne Verschulden die Unzulässigkeit der von dem Beigeladenen ausgeführten Dachdeckerarbeiten nicht gekannt habe. Für die Begriffsbestimmung der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten iS der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 729 Abs 2 RVO) sei zwar auf die Rechtmäßigkeit der Betätigung, namentlich darauf abzustellen, ob sich das Unternehmen ohne gesetzliche Erlaubnis bauhandwerklich betätige (s BSGE 30, 230, 236). Jedoch sei es nicht sinnvoll und nötig, den Bauherrn haften zu lassen, wenn er - wie hier, glaubhaft - die Rechtswidrigkeit des Leistungsangebots und damit seiner Auftragserteilung nicht gekannt habe oder hätte erkennen müssen. Auch bei der Vermögensübernahme gemäß § 419 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) werde inzwischen eine eingeschränkte subjektive Theorie vertreten, nach welcher die Haftung des Erwerbers davon abhängig gemacht werde, daß er zumindest die Verhältnisse kenne, aus denen sich die Übernahme des einzigen wesentlichen Vermögensgegenstandes des Übertragenden ergebe (s BGHZ 55, 107).

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und macht geltend: Das LSG sei bewußt von der Entscheidung des BSG vom 18. Dezember 1969 (BSGE 30, 230) abgewichen, nach welcher die Haftung des Bauherrn bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten bereits mit der Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 729 Abs 2 RVO als gegeben erachtet worden sei. Es sei entgegen der Auffassung des LSG davon auszugehen, daß der Gesetzgeber bei ausgefallenen Beiträgen zur Unfallversicherung den Bauherrn als "näher" zur Beitragspflicht angesehen habe als den Konkurrenzunternehmer, dem der Auftrag nicht erteilt worden sei. Die Folgen der vertraglichen Übernahme des gesamten Vermögens (§ 419 BGB) seien mit der milden Haftung des Bauherrn nicht vergleichbar.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von DM 610,98 zuzüglich 0,6 % Säumniszuschlag für jeden angefangenen Monat ab 1. Mai 1983 aus einer Beitragsforderung von DM 530,40 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.

Nach § 729 Abs 2 Satz 1 RVO haftet bei nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten der Bauherr für Beiträge und die übrigen Leistungen zahlungsunfähiger Unternehmer während eines Jahres, nachdem die Verbindlichkeit endgültig festgestellt ist.

Der Beigeladene hat im Jahre 1980 für den Beklagten Bauarbeiten ausgeführt; der Beklagte haftet daher als Bauherr für die von dem Beigeladenen geschuldeten Beiträge zur Berufsgenossenschaft, da auch die übrigen Voraussetzungen des § 729 Abs 2 RVO vorliegen.

Bei den vom Beigeladenen für den Beklagten verrichteten Bauarbeiten hat es sich um nichtgewerbsmäßige Bauarbeiten gehandelt. Für die Abgrenzung der nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten iS des § 729 Abs 2 Satz 1 RVO von den gewerbsmäßigen Bauarbeiten ist entscheidend die Bestandssicherung des die Bauarbeiten ausführenden Unternehmens. Der erkennende Senat hat dies in seinem Urteil vom 18. Dezember 1969 (BSG 30, 230) im einzelnen, insbesondere unter Bezug auf die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) dargelegt (BSGE aaO S 235) und daran auch angesichts der vom 9. Senat des BSG geäußerten rechtsstaatlichen Bedenken (BSG SozR 2200 § 729 Nr 2) festgehalten (BSG SozR aaO Nr 3; BSG Urteil vom 26. September 1986 - 2 RU 60/85 -). Das vom Beigeladenen im Jahre 1980 betriebene Unternehmen "Dacharbeiten-Gerüstebau" war in seinem Bestand nicht gesichert. Es war ein Handwerksbetrieb iS des § 1 Abs 2 HwO. Die Ausübung dieses Gewerbes war dem Beigeladenen daher nach § 1 Abs 1 HwO nur gestattet, wenn er in die Handwerksrolle eingetragen gewesen wäre. Diesen Antrag hatte der Beigeladene nicht gestellt. Die Untersagung der Fortsetzung des Dachdecker-Gewerbes nach § 16 Abs 3 HwO erfolgte nach dem Schreiben der Stadtverwaltung Kaiserslautern vom 4. August 1981, das in den Akten der Klägerin enthalten ist, auf die das LSG Bezug nimmt, lediglich deshalb nicht, weil der Beigeladene mitgeteilt hatte, er habe lediglich in den Monaten Februar/März 1980 Dachdeckerarbeiten ausgeführt und werde nicht mehr im Dachdeckergewerbe tätig werden.

Der Haftung des Beklagten steht nicht entgegen, daß er - wie er unwiderlegt vorträgt - nicht wußte, sein Bauauftrag werde von einem Unternehmen nichtgewerbsmäßiger Bauarbeiten ausgeführt. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 18. Dezember 1969 (BSGE 30, 230, 237) ausgeführt hat, ist die Inanspruchnahme eines Bauherrn nach § 729 Abs 2 RVO nicht davon abhängig, daß er wußte, sein Bauauftrag werde von einem Unternehmer nichtgewerbsmäßiger Bauarbeiten ausgeführt. Seine Haftung entsteht vielmehr mit der Erfüllung des - objektiven - Tatbestands dieser Vorschrift. An dieser Auffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung fest. Dies entspricht auch dem Bescheid des RVA vom 12. Januar 1899 (AN 1988, 470), dem eine dem objektiven Haftungstatbestand vorangeschaltete "subjektive Komponente" entgegen der Ansicht des Revisionsbeklagten nicht zu entnehmen ist. Der Senat hat auch nicht, wie das LSG meint, die Haftung des Bauherrn "mit nichts weiter als dem Hinweis" auf diesen Bescheid des RVA begründet. Der Wortlaut des § 729 Abs 2 Satz 1 RVO gibt keinen Anhaltspunkt für die Auffassung des LSG. Aber auch Sinn und Zweck der Norm vermögen ein Abweichen von der Rechtsprechung des Senats nicht zu rechtfertigen. Die Haftung des Bauherrn gemäß § 729 Abs 2 RVO ist seit jeher in Rechtsprechung und Schrifttum als eine Art Bürgschaft angesehen worden. Der vom LSG gezogene Vergleich mit der Haftung bei Vermögensübernahme nach § 419 BGB erscheint dem Senat bei der Haftung für Beitragsforderungen zur gesetzlichen Unfallversicherung wegen Bauarbeiten an einem Bauvorhaben des Bauherrn nicht überzeugend. Ebenso wie der Bürge, der eine Bürgschaftserklärung erteilt, sich über die wirtschaftliche Situation des Hauptschuldners unterrichten kann, ist dies auch dem Bauherrn vor Erteilung des Bauauftrages hinsichtlich des Hauptschuldners der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für Tätigkeiten an dem Bauvorhaben möglich. Handelt es sich um nichtgewerbsmäßige Bauarbeiten, so muß er mit der Möglichkeit einer Haftung nach § 729 Abs 2 RVO rechnen. Der Senat verkennt nicht, daß anders als bei der Erteilung einer Bürgschaftserklärung dem Bauherrn seine der Bürgschaft entsprechende Haftung nach § 729 Abs 2 RVO nicht selten unbekannt sein wird. Jedoch gilt auch hier, daß die Verpflichtung nicht von der Kenntnis der entsprechenden Norm abhängig ist, ebenso wie auch ein Bürge aufgrund eines Bürgschaftsvertrages nicht geltend machen kann, er habe nachweislich von den Vorschriften über den Umfang seiner Bürgenhaftung keine Kenntnis gehabt. Somit ist der Bauherr bei einer Haftung wie ein Bürge nicht wesentlich schlechtergestellt als ein Bürge aufgrund eines Bürgschaftsvertrages. Ebenso wie der Bürge von der Erteilung der Bürgschaftserklärung absehen kann, wenn ihm das wirtschaftliche Risiko der Inanspruchnahme als Bürge zu groß ist, kann auch der Bauherr von der Erteilung des für ihn günstigen Auftrages zu nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten absehen, wenn ihm dabei die Gefahr der Haftung nach § 729 Abs 2 RVO zu groß erscheint.

Die Klägerin hat die Bauherrnhaftung gegenüber dem Beklagten als Bauherrn auch innerhalb der Ausschlußfrist vom einem Jahr geltend gemacht. Eine Klageerhebung innerhalb dieses Jahres war nicht erforderlich (BSG SozR 2200 § 729 Nr 3). Den Beitragsbescheid vom 27. Januar 1981 hat der Beigeladene nicht angefochten. Die Zwangsvollstreckung im April 1981 ist ergebnislos verlaufen. Nachdem die Klägerin die nichtgewerbsmäßigen Bauarbeiten des Beigeladenen in den jeweils in Betracht kommenden Zeiträumen ermittelt hatte, wies sie den Beklagten mit Schreiben vom 22. Februar 1982 auf dessen Haftung nach § 729 Abs 2 RVO hin und erbat von ihm Angaben über die auf sein Bauvorhaben entfallende Bruttolohnsumme oder die Vorlage aller Rechnungen, die von dem nichtgewerbsmäßigen Unternehmen auf ihn ausgestellt worden waren. Dieses Schreiben enthielt somit noch keine ziffernmäßige Bezeichnung der Beitragsschuld, für die der Beklagte als Bauherr haftet. Dies steht jedoch einer Geltendmachung der Haftung nach § 729 Abs 2 RVO innerhalb eines Jahres nach endgültiger Feststellung der Beitragsschuld nicht entgegen.

Die Haftung des Bauherrn ist - wie bereits erwähnt - seit jeher in Rechtsprechung und Schrifttum als eine Art Bürgschaft angesehen worden. Es wurde daher auch für unbedenklich gehalten, die für das zivilrechtliche Bürgschaftsverhältnis geltenden Grundsätze anzuwenden (BSGE 30, 230, 233 mwN; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 542a). Die Haftung ist mit einer Ausfallbürgschaft vergleichbar, bei der der Bürge, ohne die Einrede der Vorausklage erheben zu müssen, erst dann haftet, wenn der Gläubiger trotz Zwangsvollstreckung beim Schuldner einen Ausfall gehabt hat (Palandt/Thomas, BGB, 46. Aufl, Einführung vor § 765 Anm 2 Buchst c). Ist die Bürgschaft (Haftung) - wie hier - auf ein Jahr, nachdem die Verbindlichkeit des Schuldners endgültig festgestellt ist, befristet, bedarf es einer Anzeige des Gläubigers an den Bürgen innerhalb dieses Zeitraums, daß er ihn in Anspruch nehme, andernfalls der Bürge frei wird (vgl § 777 Abs 1 Satz 2 BGB, wo allerdings die Anzeige erst unverzüglich nach Ablauf des bestimmten Zeitraumes zu machen ist). Die Anzeige, daß der Bürge in Anspruch genommen werde, hat den Zweck, den Bürgen darüber zu informieren, ob er haftet oder nicht. Das trifft sowohl bei der echten Zeitbürgschaft (§ 777 Abs 1 BGB) als auch bei der unechten Zeitbürgschaft zu, bei der die Inanspruchnahme des Bürgen bis zu einem bestimmten Termin zu erklären ist (vgl OLG Karlsruhe MDR 1985, 585). Diese Anzeige muß nicht beziffert sein, denn dem Zweck wird genügt, wenn der Gläubiger dem Bürgen mitteilt, daß er ihn als Bürge in Anspruch nehme. Das Interesse des Bürgen erfordert keine Bezifferung der Forderung, zumal da der Gläubiger dem aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft (Verzicht auf die Einrede der Vorausklage) haftenden Bürgen schon vor dem Ablauftermin der Bürgschaft und Eintritt der Fälligkeit der Hauptschuld die Inanspruchnahme anzeigen kann (BGHZ 76, 81). Der Umfang der Verpflichtung des Bürgen bestimmt sich aber nach dem Umfang der Hauptschuld im Zeitpunkt des Endtermins der Bürgschaft (§ 777 Abs 2 BGB). Der Bürge wäre daher auch bei einer bezifferten Anzeige des Gläubigers innerhalb der Frist nicht immer vor einer nachträglichen Erhöhung des Risikos während der Frist geschützt, etwa weil - wie hier - die Anteile der Beitragsschuld, die auf Bauarbeiten des Beigeladenen für den Beklagten entfallen, sich nachträglich ändern können. Wenn auch die zeitlich beschränkte Haftung des Bauherrn nach endgültiger Feststellung der Verbindlichkeit des zahlungsunfähigen Unternehmers den Bürgen davor schützen soll, auf unbestimmte Zeit für die Beiträge in Anspruch genommen zu werden (vgl RVA EuM 22, 210, 211), erfordert dies jedoch keine strengere Regelung hinsichtlich der Anzeige des Gläubigers an den Bürgen, als dies im bürgerlichen Recht bei der Zeitbürgschaft der Fall ist; denn dort ist die Haftung des Bürgen erst ausgeschlossen, wenn weder eine bezifferte noch eine unbezifferte Anzeige in dem maßgebenden Zeitraum über die Inanspruchnahme des Bürgen gemacht worden ist.

Die Klägerin hat dem Beklagten mit Schreiben vom 22. Februar 1982 mitgeteilt, daß sie ihn wegen der Beitragsschulden der Firma F., Dacharbeiten-Gerüstbau, Kaiserslautern, dem Grunde nach in Anspruch nehme. Dieses Schreiben hat der Beklagte erhalten, wie bereits dem Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 20. Juli 1982 zu entnehmen ist. Ausweislich des Nachforschungsergebnisses des Postamtes Karlsruhe ist der Einschreibebrief vom 22. Februar 1982 dem Beklagten bereits am folgenden Tage ausgehändigt worden. Die Mitteilung des Postamtes befindet sich bei den Akten der Beklagten, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat.

Der Beklagte hat die Beitragsforderung der Klägerin in seinem Schriftsatz vom 12. Juli 1983 auch hinsichtlich der Höhe vorsorglich beanstandet. Das SG und das LSG haben - aus ihrer rechtlichen Sicht - keine tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Höhe der Klageforderung getroffen. Der Senat kann die für eine endgültige Entscheidung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen, so daß der Rechtsstreit insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war. Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666254

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