Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz bei Tätigkeit für Bruder

 

Orientierungssatz

1. Ein Verwandter wird dann nicht wie ein Beschäftigter iS des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO, sondern als Verwandter tätig, wenn die zum Unfall führende Verrichtung nach Art und Umfang durch das verwandtschaftliche Verhältnis geprägt ist.

2. Eine Hilfe beim Holzfällen und Brennholzzubereiten von dreieinhalb bis vier Tagen im Jahr ist nach Art und Umfang noch als eine von dem Verwandtschaftsverhältnis unter Brüdern geprägte Tätigkeit anzusehen.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30; RVO § 539 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 06.03.1986; Aktenzeichen L 5 U 70/85)

SG Trier (Entscheidung vom 13.03.1985; Aktenzeichen S 3 U 149/84)

 

Tatbestand

Am 24. März 1984 half der Beigeladene seinem Bruder in einem von diesem ersteigerten Holzlos beim Holzfällen und Brennholzschneiden. Dabei rutschte er auf dem nassen Boden aus und geriet mit dem rechten Bein in die laufende Motorsäge; infolge der dadurch erlittenen Verletzungen mußte er stationär behandelt werden und war bis 13. August 1984 arbeitsunfähig krank. Die Klägerin hat Krankenhilfeleistungen in Höhe von 15.011,58 DM erbracht.

Das von den Brüdern bearbeitete Holz war ausschließlich für den Verbrauch im Haushalt des Bruders des Beigeladenen bestimmt. Der Beigeladene hatte seinem Bruder bereits einige Wochen vorher ebenfalls an einem arbeitsfreien Samstag vier bis fünf Stunden bei der gleichen Tätigkeit geholfen; es war beabsichtigt, daß - ohne Eintritt des Unfalles - die Arbeit noch an zwei weiteren arbeitsfreien Tagen fortgeführt werden sollte. Eine Vergütung für seine Mithilfe erhielt der Beigeladene nicht.

Der Beklagte lehnte Ersatzansprüche der Klägerin ab.

Die Klägerin hat im September 1984 Klage erhoben, der das Sozialgericht (SG) ua mit der Begründung stattgegeben hat (Urteil vom 13. März 1985): Der Beigeladene habe eine dem Haushalt seines Bruders dienliche Tätigkeit verrichtet. Das Verwandtschaftsverhältnis habe nur bei der Entscheidung des Beigeladenen mitgewirkt, bei einer Tätigkeit zu helfen, die ein Nichtverwandter wohl unentgeltlich nicht übernommen hätte. Der Hinweis des Beklagten, der Beigeladene sei nach § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst c der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungsfrei gewesen, gehe fehl.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 6. März 1986). Es hat zur Begründung ua ausgeführt: Die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Gründe für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO seien gegeben. Nach dem geplanten zeitlichen Umfang der Arbeiten und des dafür aufzubringenden körperlichen Einsatzes seien die von dem Beigeladenen im Interesse seines Bruders und dessen Haushalt freiwillig erbrachten Arbeitsleistungen einer Tätigkeit gleichzuachten, wie sie üblicherweise von Personen erbracht werden, die zu dem Unternehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen. Dies um so mehr, als der Beigeladene selbst nicht im Haushalt seines Bruders gelebt und somit keinen erkennbaren Nutzen von seiner unentgeltlich zur Verfügung gestellten Mithilfe habe. Die Meinung des Beklagten, er habe für den Unfall nicht einzustehen, weil der Beigeladene dem in § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst c RVO umschriebenen Personenkreis zuzurechnen sei, sei irrig.

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt ua vor: Bei der Tätigkeit des Beigeladenen habe es sich um eine unentgeltliche Beschäftigung "im Haushalt" des Bruders gehandelt, so daß Versicherungsfreiheit nach § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst c RVO gegeben sei. Falsch angewendet sei aber auch die Vorschrift des § 539 Abs 2 RVO. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß die Tätigkeit geprägt gewesen sei durch die enge verwandtschaftliche Beziehung zwischen den Brüdern und den ländlichen Verhältnissen. Vorsorglich werde auch eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gerügt.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland- Pfalz vom 6. März 1986 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 13. März 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hält insbesondere die Voraussetzungen des § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst c RVO nicht für gegeben. Sie widerspricht der Revision auch insoweit, daß dann, wenn es sich um eine verwandtschaftliche Gefälligkeitsleistung handele, die ihr Gepräge aus familiären Beziehungen oder einem familienhaften Gemeinschaftsverhältnis erhalte, kein Versicherungsschutz bestehe. Allerdings werde die Grenze der verwandtschaftlichen Gefälligkeitsleistungen von der Rechtsprechung und den Kommentaren von den Umständen des Einzelfalles abhängig gemacht. Sofern es sich bei der Gefälligkeitsleistung tatsächlich um eine Leistung handele, die ihrem Charakter nach als arbeitnehmerähnliche Leistung anzusehen sei, werde der Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO bejaht. Diese arbeitnehmerähnliche Leistung sei gegeben, so daß die Revision mit ihrem Vortrag, das dargestellte Regel-Ausnahmeverhältnis bei verwandtschaftlichen Hilfeleistungen sei vom LSG verkannt worden, nicht gehört werden könne.

Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet.

Ist eine Krankheit die Folge eines Arbeitsunfalles, den der Träger der Unfallversicherung zu entschädigen hat, so hat dieser, wenn der Verletzte bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Kosten mit Ausnahme des Sterbegeldes zu erstatten, die nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstehen (§ 1504 Abs 1 Satz 1 RVO). Ausgenommen sind nach § 1504 Abs 1 Satz 2 RVO die Kosten der Krankenpflege iS des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO. Die Kosten der Krankenhauspflege sind vom ersten Tag an zu erstatten (§ 1504 Abs 1 Satz 3 RVO).

Die Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift, daß die Verletzungen des Beigeladenen Folge eines Arbeitsunfalles waren, ist nicht erfüllt.

Der Beigeladene war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für seinen Bruder tätig, so daß er nicht nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert gewesen ist.

Das LSG hat für den hier allein in Betracht kommenden Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG und dem Schrifttum (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, Seite 475h mwN) zutreffend ausgeführt, daß der Beigeladene eine dem Haushalt seines Bruders zu dienen bestimmte und auch dem erklärten Willen seines Bruders entsprechende ernsthafte Tätigkeit verrichtet hat, die auch ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen. Der Versicherungsschutz des Beigeladenen ist auch nicht - wovon das LSG ebenfalls mit Recht ausgegangen ist - schon allein deshalb ausgeschlossen, weil der Beigeladene seinem Bruder geholfen hat. Ebenso wie ein Verwandtschaftsverhältnis nicht von vornherein ein Beschäftigungsverhältnis ausschließt (s Brackmann aaO Seite 471p ff.), scheidet auch eine Tätigkeit wie ein Beschäftigter iS des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO nicht allein deshalb aus, weil die Tätigkeit für einen Verwandten verrichtet wird. Schließlich hat das LSG auch nicht verkannt, daß aber ein Verwandter dann nicht wie ein Beschäftigter iS der angeführten Vorschriften, sondern als Verwandter tätig wird, wenn die zum Unfall führende Verrichtung nach Art und Umfang durch das verwandtschaftliche Verhältnis geprägt ist (s Brackmann aaO Seite 475v ff., 476p jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Senat kommt aber deshalb zu einem anderen Ergebnis als das LSG, weil er eine Hilfe beim Holzfällen und Brennholzzubereiten von dreieinhalb bis vier Tagen im Jahr nach Art und Umfang noch als eine von dem Verwandtschaftsverhältnis unter Brüdern geprägte Tätigkeit ansieht. Daß der Beigeladene nicht im Haushalt seines Bruders lebt und keinen erkennbaren Nutzen von seiner unentgeltlichen Hilfe hatte, steht dem nicht entgegen, sondern kann zumindest ebensogut dafür angeführt werden, daß seine Tätigkeit als Hilfe für den Bruder geprägt war.

Da schon deshalb ein Versicherungsschutz des Beigeladenen ausscheidet und ein Ersatzanspruch der Klägerin demnach nicht besteht, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob Versicherungsfreiheit nach § 541 Abs 1 Nr 5 Buchst c RVO gegeben gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666204

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