Leitsatz (amtlich)

Tritt im Verfahren über die gegen einen anderen Versicherungsträger erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage an dessen Stelle der nach FAG SV § 7 Abs 1 Nr 1 zuständige Versicherungsträger als neuer Beklagter auf, ohne den erforderlichen Verwaltungsakt erlassen zu haben, so fehlt es nunmehr an einer Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage. Dieser Mangel wird nicht dadurch geheilt, daß der neue Beklagte sich schriftsätzlich äußert, ohne daß diese prozessuale Äußerung zugleich die Merkmale eines Verwaltungsaktes enthält.

 

Normenkette

SVFAG § 7 Abs. 1 Nr. 1; SGG § 54 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 24. Mai 1955 und des Landessozialgerichts Celle vom 28. August 1956 werden mit Ausnahme der Entscheidungen über die Gebühren des Prozeßbevollmächtigten aufgehoben.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger, der hauptamtlicher Brigadeführer des ehemaligen Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) war, erlitt im Jahre 1935 auf der Fahrt zur Abschlußbesichtigung eines Kraftfahrzeuglehrgangs der Motorsportschule in F mit einem von ihm selbst gesteuerten Dienstkraftwagen einen Unfall, als er einem Kinde auswich, das plötzlich die Fahrbahn überquerte. Er zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu. Die Berufsgenossenschaft für reichsgesetzliche Unfallversicherung (BG. 68) gewährte ihm für die Folgen dieses Unfalls eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v. H. Die Rentenzahlung ging auf die später errichtete Eigenunfallversicherung der ehemaligen NSDAP über.

Am 30. April 1952 beantragte der in H wohnende Kläger die Wiedergewährung der mit dem staatlichen Zusammenbruch im Mai 1945 weggefallenen Unfallrente. Der auf Grund der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 43 vom 6. August 1948 - Arbeitsblatt für die britische Zone, 2. Jahrgang 1948, S. 317 - zuständige Gemeinde-Unfallversicherungsverband Hannover als Ausführungsbehörde der Unfallversicherung für das Land Niedersachsen (GUV.) lehnte durch Bescheid vom 30. Juli 1952 den Wiedergewährungsanspruch mit der Begründung ab, der Kläger sei bei einer Tätigkeit verunglückt, die damals noch nicht unter Versicherungsschutz nach den Vorschriften des 3. Buches der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden habe, so daß ein Entschädigungsanspruch nach der SVA Nr. 43 nicht begründet sei.

Diesen Bescheid hat der Kläger mit der Berufung (a. R.) zum Oberversicherungsamt (OVA.) H angefochten. Der beklagte GUV. hat mit Schriftsatz vom 21. Mai 1953 beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Das Sozialgericht (SG.) Hannover, auf das die Sache gemäß § 215 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) übergegangen war, hat die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (BAfU.) auf Grund des § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG) als Beklagte angesehen. Diese hat sich in dem Verfahren erstmalig durch Schriftsatz vom 10. Juli 1954 geäußert und darin erklärt, sie schließe sich dem Antrag der "Vorgängerbehörde vom 21. Mai 1953 auf Abweisung des Rechtsmittels" an; der Versicherungsschutz sei nach § 5 FremdRG für den Kläger ausgeschlossen, da er den Unfall als Funktionär des NSKK im Zusammenhang mit einer politischen Tätigkeit erlitten habe. Daraufhin ist der Rechtsstreit nur noch zwischen dem Kläger und der BAfU. als der Beklagten fortgeführt worden. Das SG. hat die BAfU. zur Gewährung einer Teilrente von 50 v. H. der Vollrente an den Kläger verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hiergegen hat das Landessozialgericht (LSG.) durch Urteil vom 28. August 1956 unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger könne auf Grund des § 5 FremdRG keine Leistung beanspruchen, da sich der Unfall bei ihm als Funktionär einer Gliederung der NSDAP im Zusammenhang mit einer politischen Tätigkeit im nationalsozialistischen Sinne ereignet habe. Auch unter dem Gesichtspunkt der Lebensrettung sei der Versicherungsschutz nicht zu begründen, da Lebensrettungshandlungen nach den zur Zeit des Unfalls geltenden Vorschriften von der gesetzlichen Unfallversicherung noch nicht erfaßt gewesen seien.

Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt. Er rügt Verletzung des § 5 FremdRG; außerdem habe das LSG. verkannt, daß der Versicherungsschutz bei Lebensrettungshandlungen zur Zeit des Unfalls nach § 553 a RVO in der damals geltenden Fassung gegeben gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Hannover vom 24. Mai 1955 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründung des angefochtenen Urteils Bezug.

II

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Bei einer zugelassenen Revision ist das angefochtene Urteil von Amts wegen daraufhin nachzuprüfen, ob ein in der Revisionsinstanz fortwirkender Verstoß gegen verfahrensrechtliche Grundsätze vorliegt, die im öffentlichen Interesse zu beachten sind und deren Befolgung dem Belieben der Beteiligten entzogen ist. Dabei sind Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen unverzichtbarer Prozeßvoraussetzungen, und zwar auch schon des Klageverfahrens ergeben (BSG. 2 S. 225 (227)). Ein solcher Mangel liegt hier vor; denn die Klage gegen die BAfU. ist unzulässig, da dieser Versicherungsträger nicht das durch einen förmlichen Bescheid abzuschließende Feststellungsverfahren über die Gewährung der beantragten Unfallrente durchgeführt hat. Wohl kam die BAfU. mit dem Inkrafttreten des FremdRG als leistungsverpflichteter Versicherungsträger für den Anspruch des Klägers auf Wiedergewährung der Unfallrente in Betracht (§ 7 Abs. 1 Nr. 1); doch hatte dies nicht zur Folge, daß sie in dem Streitverfahren, das zwischen dem Kläger und dem GUV. bereits anhängig war, ohne weiteres an dessen Stelle als Beklagte eintrat. Vielmehr blieb die Anfechtungs- und Leistungsklage, als welche die Berufung (a. R.) gegen den ablehnenden Bescheid des GUV. vom 30. Juli 1952 mit dem Inkrafttreten des SGG nach § 215 Abs. 2 und 4 dieses Gesetzes auf das SG. übergegangen war, weiterhin gegen den beklagten GUV. gerichtet; denn dieser schied nicht mit der Verkündung des FremdRG aus dem damals beim OVA. schwebenden Verfahren aus und wurde nicht durch die BAfU. als Prozeßbeteiligte ersetzt. Ein Parteiwechsel kraft Gesetzes fand nicht statt. Das FremdRG hat vielmehr lediglich die Zuständigkeit zur Sachbearbeitung und die Leistungspflicht der in § 7 aufgeführten Versicherungsträger begründet, ihnen aber nicht die Stellung eines Beteiligten in den gegen andere Versicherungsträger anhängigen Prozeßverfahren verschafft. Der Revision schwebt allerdings ein derartiger zwangsläufiger Parteiwechsel wohl vor, da sie meint, daß die BAfU. an Stelle des GUV. als dessen Rechtsnachfolgerin in dem anhängigen Verfahren ohne weiteres die ordnungsmäßige Beklagte geworden sei. Diese Ansicht trifft aber nicht zu. Nach den Vorschriften des FremdRG kann die BAfU. nicht als Rechtsnachfolgerin des früher zuständigen Versicherungsträgers angesehen werden; denn bei der Feststellung der Leistungen nach diesem Gesetz handelt es sich um selbständige, gegenüber dem früheren Recht neue Ansprüche, hinsichtlich deren eine Bindung an vorhergehende Bescheide vorbehaltlich der Ausnahmeregelung des § 17 Abs. 6 FremdRG nicht besteht (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 5. Aufl., Bd. I S. 294 d III, IV, 294 k IV/V; Hoernigk-Jahn-Wickenhagen, Fremdrentengesetz, Kommentar, 2. Aufl. Anm. 1 i zu § 2, S. 57; Haensel-Lippert, Fremdrentengesetz, Handkommentar, 2. Aufl., Anm. a zu § 2, S. 20; Wickenhagen, BG. 1953 S. 393; BSG. in SozR. FremdRG § 7 Bl. Aa 2 Nr. 2).

Bei dieser Rechtslage sind die Vorinstanzen zu Unrecht davon ausgegangen, daß die gegen den Bescheid des GUV. gerichtete Klage in dem anhängigen Streitverfahren ohne weiteres gegen die BAfU. fortgesetzt werden durfte. Auch wenn diese für die vom Kläger am 30. April 1952 beantragte Wiedergewährung der Unfallrente allein als leistungsverpflichteter Versicherungsträger in Betracht zu ziehen wäre, hätte sie nicht die Prozeßführung über den Verwaltungsakt (VA) des nicht mehr zuständigen GUV. im Wege der Klagänderung (Wechsel in der Person der Beklagten) übernehmen können. Sie mußte vielmehr erst selbst über den erhobenen Anspruch entscheiden, also selbst einen VA. erlassen. Hierauf könnte auch dann nicht verzichtet werden, wenn der Kläger mit Rücksicht darauf, daß er nach dem Inkrafttreten des FremdRG kein Interesse mehr an der Fortführung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des GUV. hatte, gegen die BAfU. nur noch die Leistungsklage durchgeführt haben wollte. Auch die Erhebung einer Leistungsklage setzt einen VA voraus, es sei denn, daß ein solcher nicht zu ergehen hatte (§ 54 Abs. 5 SGG).

Im vorliegenden Fall mußte indessen ein VA ergehen; denn nach §§ 1569 a, 1583 RVO ist eine förmliche Feststellung durch schriftlichen Bescheid auch bei Ablehnung des Rentenanspruchs erforderlich (Lehmann, Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, 4. Aufl., 5. Bd. S. 138 Anm. 4 zu § 1569 a). Wollte man in diesen Fällen von dem Erfordernis eines VA absehen, so bedeutete dies, dem Versicherungsträger das ihm nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung zustehende Recht zu vereiteln, als Verwaltungsbehörde in dem gesetzlich vorgeschriebenen Feststellungsverfahren sachgestaltend zu wirken (Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Stand Juni 1959, S. 167 Anm. 6 c zu § 54 SGG). Von diesem Recht hätte die BAfU. im vorliegenden Streitverfahren nicht unbedingt in der Weise Gebrauch machen müssen, daß sie einen vom Verfahren losgelösten Ablehnungsbescheid erließ; es hätte vielmehr genügt, daß sie mit einer ihrer Prozeßäußerungen vor den Tatsacheninstanzen zugleich den erforderlichen VA setzte (Brackmann a. a. O. Bd. I S. 232 d; Haueisen, DOK. 1954 S. 462 li. Sp.; BSG. 7 S. 152 (155). Das ist jedoch nicht geschehen. Der hierfür allein in Betracht kommende Schriftsatz der BAfU. an das SG. vom 10. Juli 1954 enthält lediglich eine Prozeßhandlung. Der in diesem Schriftsatz im Anschluß an das Prozeßvorbringen des GUV. gestellte und näher begründete Antrag, die mit dem Inkrafttreten des SGG als Klage auf das SG. übergegangene Berufung (a. R.) abzuweisen, läßt nicht die Merkmale erkennen, welche auf den gleichzeitigen Erlaß eines VA schließen lassen. Nach dem in Rechtslehre und Rechtsprechung entwickelten, in § 25 der Militärregierungs-Verordnung Nr. 165 für die britische Zone definierten Begriff des VA ist darunter jede Verfügung, Anordnung, Entscheidung oder sonstige Maßnahme zu verstehen, die von einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts getroffen wird. Danach gehört zu einem VA im wesentlichen, daß es sich um eine Tätigkeit hoheitlicher Art handelt, durch die eine Verwaltungsbehörde auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts einen Einzelfall mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung für den Betroffenen regelt (Brackmann a. a. O. Bd. I S. 232 b/c; Klinger, Die Verordnung über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone, 1954, 3. Aufl., S. 193 Anm. B 4 zu § 25; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl., 1. Bd., Allg. Teil, S. 183). Eine derartige Regelung ist dem erwähnten Schriftsatz aber nicht zu entnehmen. Sie findet sich auch nicht in späteren Prozeßausführungen der BAfU.; in ihnen beschränkt sie sich lediglich auf eine Vertiefung der Begründung ihres Klageabweisungsantrages. Es kam ihr offensichtlich nicht darauf an, in die nach dem FremdRG zwischen ihr und dem Kläger möglichen Rechtsbeziehungen durch eine eigene hoheitliche Maßnahme unmittelbar gestaltend einzugreifen; sie bediente sich vielmehr zur Durchsetzung ihres behaupteten Rechts auf Abwehrung des Rentenanspruchs der Hilfe des vom Kläger angerufenen Gerichts und wandte sich deshalb mit dem Antrag auf Klageabweisung schriftsätzlich an das SG. Damit trat sie dem Kläger nicht hoheitlich, sondern lediglich als vermeintliche Beteiligte in dem Streitverfahren gegenüber. Hieraus folgt, daß es an einem Wesensmerkmal des VA bei ihren Prozeßäußerungen fehlt (vgl. Eyermann-Fröhler, Kommentar zum Verwaltungsgerichtsgesetz, 2. Aufl., S. 66 Anm. A I 1 a zu § 22). Bei dem gegebenen Sachverhalt konnte ihren Prozeßhandlungen der Charakter eines gleichzeitigen VA auch nicht etwa deshalb beigemessen werden, weil in ihnen die gleichen Sachausführungen enthalten sind, die zur Begründung eines ablehnenden Bescheides in Betracht kämen.

Hiernach fehlt es somit an einem wesentlichen Erfordernis für die Zulässigkeit der Klage. Dieser Mangel ist von so grundlegender Bedeutung, daß ihm gegenüber prozeßwirtschaftliche Gesichtspunkte, die - wie auch der Senat nicht verkannt hat - nach Lage des Falles eine Sachentscheidung in diesem Verfahren nahelegen, zurückzutreten haben. Da der erforderliche Bescheid der BAfU. im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeholt werden kann, mußte die Klage als unzulässig abgewiesen werden.

Der BAfU. wird es nunmehr obliegen, unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte, und zwar auch der Lebensrettung nach § 553 a RVO in der zur Zeit des Unfalls geltenden Fassung, einen Bescheid gegenüber dem Kläger zu erlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 218

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