Leitsatz (amtlich)

Die mit dem Rentenantrag beginnende Formalmitgliedschaft in der KVdR führt zur Beitragspflicht des Antragstellers auch dann, wenn dieser nach Bewilligung der Rente, die auf nachentrichteten Beiträgen nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 2) beruht, nicht Mitglied in der KvdR nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3 werden kann (AnVNG Art 2 § 49a Abs 4 = ArVNG Art 2 § 51a Abs 4). Die Formalmitgliedschaft endet mit Ablauf des Monats, in dem der Rentenbescheid bestandskräftig geworden ist (Anschluß an BSG 1975-12-16 11 RA 186/74 = BSGE 41, 85).

 

Leitsatz (redaktionell)

Rentnerkrankenversicherung eines Rentners (Rentenantragstellers), der seine Rente auf Grund der Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 2) erhält und Formalmitgliedschaft nach RVO § 315a:

1. Ein Rentner mit einer auf nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 2) nachentrichteten Beiträgen beruhenden Rente kann nicht nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3 in der Rentnerkrankenversicherung versichert sein.

2. Bis zum 30.6.1977 ist es einem solchen Antragsteller auch nicht möglich gewesen, durch eine Willenserklärung die Formalmitgliedschaft nach RVO § 315a auszuschließen. Eine solche Möglichkeit hat der Gesetzgeber erst durch die Einfügung des RVO § 315b ab 1.7.1977 geschaffen.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21, § 315a Abs. 1 Fassung: 1967-12-21, Abs. 2 Fassung: 1967-12-21; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16, Abs. 4 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16, Abs. 4 Fassung: 1972-10-16; RVO § 315b Fassung: 1977-06-27

 

Verfahrensgang

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 29.09.1975; Aktenzeichen S 11 Kr 1573/74)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Beiträge zur Rentnerkrankenversicherung (KVdR) für die Zeit ab Rentenantragstellung bis zur Bewilligung des Altersruhegeldes zu entrichten hat.

Die Klägerin stellte am 21. Dezember 1972 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Antrag auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. Dezember 1972 und beantragte gleichzeitig die Gewährung von Altersruhegeld. Die BfA ließ die Nachentrichtung für die beantragte Zeit gemäß Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) - unter Verneinung der Nachentrichtungsmöglichkeit nach Abs 1 dieser Vorschrift - zu und bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 13. August 1973 das Altersruhegeld ab 1. Januar 1973. Neben den nachentrichteten Beiträgen lagen der Rentenberechnung noch Pflichtbeiträge für 24 Monate (1. Mai 1927 bis 30. April 1929) sowie eine pauschale Ausfallzeit von 2 Monaten zugrunde. Der Bescheid enthält den Zusatz, daß gemäß Art 2 § 49a Abs 4 AnVNG die Mitgliedschaft in der KVdR nicht in Betracht komme, weil die Rente auf den nach Abs 2 dieser Vorschrift nachentrichteten Beiträgen beruhe.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 1973 forderte die Beklagte von der Klägerin KVdR-Beiträge für die Zeit vom 21. Dezember 1972 bis 30. September 1973 in Höhe von 877,83 DM. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1974). Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. September 1975) und die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz gemäß § 161 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Beschluß vom 2. Dezember 1975 zugelassen. Das SG hat die Auffassung vertreten, der dem Art 2 § 49a Abs 4 AnVNG zugrunde liegende Sachverhalt sei für die Dauer des Rentenverfahrens und soweit es um Beziehungen zur KVdR gehe, dem in § 315a der Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelten vergleichbar. Es stehe nämlich erst nach Abschluß des Rentenverfahrens fest, ob für die Rentengewährung Beiträge nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG maßgebend gewesen seien und infolgedessen die KVdR ausgeschlossen sei.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 315a RVO. Es habe von Anfang an festgestanden, daß sie niemals Mitglied der KVdR habe werden können. Unter diesen Umständen sei der Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung für eine Zwischenzeit keinerlei Rechtswohltat, sondern im Gegenteil nur eine zusätzliche finanzielle Belastung. Die analoge Anwendung des § 315a RVO bedeute, daß während der von ihr völlig unbeeinflußbaren Zeit der Bearbeitung des Antrags auf unbestimmte Zeit eine Doppelversicherung zu ihren Lasten erfolge. Eine solche Regelung könne nicht Rechtens sein, widerspreche Treu und Glauben und verletze den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 1974 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das SG hat zu Recht entschieden, daß die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 5. Oktober 1973 von der Klägerin die Beiträge zur KVdR von der Rentenantragstellung (21. Dezember 1972) an bis 30. September 1973 in Höhe von 877,83 DM fordern durfte. Denn die Klägerin war in dieser Zeit als Rentenbewerberin zur Tragung von Beiträgen als Kassenmitglied (§ 315a RVO) der Beklagten verpflichtet. Wird eine Rente beantragt, ist der Antragsteller entweder kraft Gesetzes nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO in der Krankenversicherung versichert oder nach § 315a RVO Formalmitglied der Krankenkasse. Welche dieser Vorschriften anzuwenden ist, hängt davon ab, ob der Rentenantragsteller die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente erfüllt. Das stellt sich jedoch in der Regel erst im Laufe des Rentenverfahrens heraus. Bis dahin kann zweifelhaft sein, ob die versicherungstechnischen, die medizinischen oder sonstigen Rentenvoraussetzungen bestehen. Der Krankenkasse kann nicht zugemutet werden, selbst vorweg festzustellen, ob ein Rentenanspruch besteht und welcher Art die beantragte Rente sein wird. Auch den Rentenversicherungsträger würde eine solche Vorwegprüfung vor organisatorische und technische Schwierigkeiten stellen. Der Gesetzgeber will jedoch in jedem Fall sicherstellen, daß Krankenversicherungsschutz mit der Antragstellung eintritt. Er erreicht das mit Hilfe der Alternativen der §§ 165 Abs 1 Nr 3 und 315a RVO. Welche dieser Vorschriften anzuwenden ist, kann der Träger der Krankenversicherung zunächst offenlassen, zumal die Rechtsfolgen vorerst gleich sind. Der Antragsteller muß zunächst die Beiträge zur Krankenversicherung zahlen (§ 381 Abs 3 Satz 2 RVO). Unterschiedliche Folgen ergeben sich erst nach der Bestandskraft des Bescheides des Rentenversicherungsträgers. Wird Rente bewilligt, gehört der Antragsteller zu den in § 165 Abs 1 Nr 3 RVO bezeichneten Versicherten; der Rentenversicherungsträger hat nach § 381 Abs 2 RVO ab Rentenbeginn Beiträge an den Träger der Krankenversicherung zu leisten. Infolgedessen zahlt dieser die vom Antragsteller zur Krankenversicherung geleisteten Beiträge gemäß § 381 Abs 3 Satz 3 RVO an den Antragsteller zurück. Wird dagegen Rente abgelehnt, entsteht weder eine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers noch kann der Antragsteller verlangen, daß ihm die Beiträge vom Krankenversicherungsträger zurückgezahlt werden.

Mit dem letztgenannten Fall ist jener gleichzusetzen, in dem eine Rente - hier das Altersruhegeld der Klägerin - allein auf nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruht. Denn eine solche Rente gilt nach Abs 4 derselben Vorschrift "nicht als Rente im Sinne der §§ 165, 381 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung". Die durch das Rentenreformgesetz zugelassene Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art. 2 § 49a Abs 2 AnVNG ist eine Sondervergünstigung, die über die den Pflichtversicherten eingeräumte Möglichkeit hinausgeht. Durch solche Beiträge sollen daher keine dauernden Ansprüche auf Leistungen aus der KVdR entstehen (vgl BT-Drucks VI/2916, S. 48). Der Rentner mit einer auf nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruhenden Rente kann also nicht nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO in der Krankenversicherung versichert sein.

Von der Stellung des Rentenantrags bis zum Ablauf des Monats, in dem dem Antragsteller die Rente, die allein auf nach Art. 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruht, bestandskräftig bewilligt wird, besteht aber eine Formalmitgliedschaft nach § 315a RVO. Denn auch diese Rentenantragsteller erfüllen die Voraussetzungen des § 315a Abs 1 Satz 1 RVO. Danach gelten auch solche Personen als Mitglieder der Krankenkasse, die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten beantragt haben, ohne die Voraussetzungen für den Bezug der Rente - nämlich einer Rente, die den Versicherungsschutz nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO begründen kann - zu erfüllen. Nur solche Renten sind in § 315a Abs 1 RVO gemeint (BSGE 41, 85). Wie der 11. Senat in seinem Urteil vom 16. Dezember 1975 - 11 RA 186/74 - (BSG aaO) bereits ausgeführt hat, endet die Formalmitgliedschaft der Klägerin daher in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 315a Abs 2 Satz 2 RVO mit Ablauf des Monats, in dem ihr die Rente, die allein auf nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruht, bestandskräftig bewilligt worden ist. Das war der 30. September 1973, da die BfA der Klägerin das Altersruhegeld mit Bescheid vom 13. August 1973 bewilligt hat.

Eine solche Anwendung des § 315a RVO auf die Bezieher einer sog. "Artikelrente" entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 315a Abs 1 RVO, wonach Lücken im Krankenversicherungsschutz verhindert werden und Ungewißheit über den Krankenversicherungsschutz sowohl beim Krankenversicherungsträger als auch beim Rentenantragsteller vermieden werden sollen (vgl BSGE 23, 293, 295; SozR Nr 3 zu § 315a RVO; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, RVO § 315a Anm 1; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd II S. 448 i). Eine solche Ungewißheit besteht regelmäßig auch dann, wenn der Antragsteller seinen Antrag lediglich auf Beiträge stützt, die nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichtet worden sind (vgl als anschauliches Beispiel: BSG, Urteil vom 14. Dezember 1976 - 3 RK 24/75 -, das einen Fall betraf, in dem streitig war, ob die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt war). Schwierigkeiten können sich außer bei der Prüfung der Wartezeit auch bei der Prüfung der Halbbelegung ergeben, ua wenn Beiträge entrichtet sind, die unter Art 2 § 54a AnVNG subsumiert werden können und ferner, wenn Beitrags- und Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, an die der Antragsteller bei Antragstellung selbst nicht gedacht hatte. Zur Klärung, welche Rente in Betracht käme, kann nämlich auch nicht auf den Antrag des Versicherten abgestellt werden. Dem Antrag auf Gewährung einer Rente aus Beiträgen nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG kann keine Beschränkung auf Gewährung einer Rente aus diesen Beiträgen entnommen werden. Ebensowenig liegt in dem Auslassen bestimmter Beitragsund Beschäftigungszeiten bei der Antragstellung eine Beschränkung auf die tatsächlich angegebenen Versicherungszeiten. Diese sind vielmehr von Amts wegen zu ermitteln und zu berücksichtigen.

Bis zum 30. Juni 1977 ist es dem Antragsteller auch nicht möglich gewesen, durch eine Willenserklärung die Formalversicherung nach § 315a RVO auszuschließen. Eine solche Möglichkeit hat der Gesetzgeber erst durch die Einführung des § 315b RVO ab 1. Juli 1977 im Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung - Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz - KVKG - (Art 1 § 1 Nr 26 iVm Art 2 § 17) geschaffen. Daraus ist zu folgern, daß bis zum 30. Juni 1977 mit der Stellung eines Rentenantrags - ohne Rücksicht auf seine Formulierung - der Beginn der Formalversicherung nach § 315a RVO in keinem Fall ausgeschaltet werden konnte. Dies alles läßt erkennen, daß es dem Sinn und Zweck des § 315a Abs 1 RVO entspricht, einen Antragsteller auch dann als Formalmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen, wenn er später eine Rente iS des Art 2 § 49a Abs 4 AnVNG erhält.

Durch die Einbeziehung der Antragsteller, die mit dem Rentenbescheid nur eine auf nach Art 2 § 49a AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruhende Rente beziehen, in die Regelung des § 315a RVO wird der Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -) nicht verletzt.

Die Formalversicherung nach § 315a RVO bringt den hier betroffenen Rentenantragstellern keineswegs nur Nachteile. Das widerlegt schon der gewährte Versicherungsschutz. Außerdem bestehen wie bei anderen Versicherten Freistellungsmöglichkeiten nach den §§ 165 Abs 6, 173a RVO.

Bei Vergleich mit anderen Versicherten ist zu beachten, daß die hier in Betracht kommenden Versicherten zwar später eine Rente erhalten, aber eine solche, die eine Mitgliedschaft in der KVdR (§ 165 Abs 1 Nr 3 RVO) gemäß Art 2 § 49a Abs 4 AnVNG nicht begründet. Insoweit sind sie wesentlich gleich mit denjenigen Rentenantragstellern, deren Rente abgelehnt wird und die deshalb ebenfalls nicht in die KVdR nach § 165 Abs 1 Nr. 3 RVO gelangen können. Die Regelung ist somit vom Gesetzgeber nicht willkürlich, dh ohne sachlich einleuchtenden Grund getroffen, so daß der Gleichheitssatz nicht verletzt ist (BVerfGE 1, 52; 35, 272).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653711

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