Leitsatz (redaktionell)

Einer selbständigen Handwerkerin steht beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des RVÄndG nur dann das vorzeitige Altersruhegeld zu, wenn ihre Eintragung in der Handwerksrolle gelöscht ist.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. April 1964 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. April 1963 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist Schneidermeisterin. Sie übt ihren Beruf in einem selbständigen Gewerbebetrieb aus und ist in der Handwerksrolle eingetragen. Durch Beschluß der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 11. Januar 1960 ist sie mit Wirkung vom 1. November 1959 an nach Art. 2 § 52 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) von der Versicherungspflicht befreit.

Am 13. April 1962 beantragte sie, ihr vorzeitiges Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewähren. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 18. Oktober 1962 den Antrag ab, weil die Klägerin, solange sie in der Handwerksrolle eingetragen sei, noch eine an sich versicherungspflichtige Beschäftigung ausübe. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 16. April 1963 den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 3 RVO seit dem 1. April 1962 zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 15. April 1964). Es hat die Auffassung vertreten, eine Versicherte übe eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 3 RVO nur dann aus, wenn die Beschäftigung oder Tätigkeit mit einer Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zur Rentenversicherung verbunden sei; die bloße Ausübung einer an sich rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ohne Berücksichtigung einer persönlichen Beitragsfreiheit genüge nicht.

Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 1248 Abs. 3 RVO und meint, entgegen der Ansicht des LSG sei im Sinne dieser Vorschrift unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nur eine solche zu verstehen, die an sich versicherungspflichtig sei, wobei es keinen Unterschied mache, ob nach den Vorschriften der §§ 1227 RVO oder der §§ 1 ff des Handwerkerversicherungsgesetzes (HwVG). Auch komme es nicht darauf an, ob die Beschäftigung oder Tätigkeit versicherungsfrei sei oder die Versicherte durch besonders erfüllte Voraussetzungen - hier Befreiungsbeschluß der BfA-versicherungsfrei geworden sei.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Berlin vom 16. April 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin ist in dem Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die Revision ist begründet.

Der Anspruch der Klägerin auf Altersruhegeld für die Zeit vom 1. April 1962 an beurteilt sich nach § 1248 Abs. 3 RVO idF des ArVNG (aF). Nach Art. 5 § 3 des Rentenversicherungsänderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) sind für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen vor dem Inkrafttreten des RVÄndG die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften maßgebend, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Änderung des § 1248 Abs. 3 RVO ist erst am 1. Juli 1965 in Kraft getreten (Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchst. 1 e).

Nach § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO aF erhält Altersruhegeld auf Antrag auch die Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist und wenn sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt. Streitig unter den Beteiligten ist allein, ob die Voraussetzungen dieser Bestimmung auch insoweit erfüllt sind, daß die Klägerin "eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt". Anders als das LSG und das SG hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid das Vorliegen dieser gesetzlichen Voraussetzung mit Recht verneint.

Das Bundessozialgericht hat bereits in seinem Urteil vom 1. Juli 1965 (BSG 23, 163 ff = SozR RVO § 1248 Nr. 35) entschieden, daß einer selbständigen Handwerkerin beim Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen des § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des RVÄndG nur dann das vorzeitige Altersruhegeld zusteht, wenn ihre Eintragung in der Handwerksrolle gelöscht ist. In diesem Urteil ist ausgeführt, unter einer "solchen" Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO aF sei eine derartige zu verstehen, die an sich versicherungspflichtig ist, ohne Rücksicht darauf, ob die Versicherte aus einem besonderen Grunde versicherungsfrei ist, es sei denn, es handle sich um eine gelegentliche Aushilfe im Sinne des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO; es wäre mit dem Sinn der umstrittenen Vorschrift unvereinbar, wenn man einer selbständigen, in der Handwerksrolle eingetragenen Handwerkerin das vorzeitige Altersruhegeld gewähren und damit in diesem Zusammenhang zwischen noch beitragspflichtigen und schon beitragsfreien, aber noch erwerbstätigen Handwerkerinnen unterscheiden wollte, der Sinn der Vorschrift sei nämlich, durch das vorzeitige Altersruhegeld für weibliche Versicherte nach deren Ausscheiden aus dem Erwerbsleben - aber auch nur dann - das Arbeits- oder Erwerbseinkommen der bis dahin berufstätigen Versicherten zu ersetzen nicht aber solle das vorzeitige Altersruhegeld als weitere Einnahme zu dem Arbeits- oder Erwerbseinkommen hinzutreten; für diese Auslegung spreche auch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 23. Juni 1964 (BSG 21, 137 = SozR RVO § 1248 Nr. 27), worin entschieden worden sei, daß eine Beamtin eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 1248 Abs. 3 RVO aF ausübe, obwohl sie für ihre Person versicherungsfrei sei. Auch der 1. Senat habe sich in seinem Urteil vom 25. Mai 1965 (BSG 23, 67 = SozR RVO § 1248 Nr. 34) dahin ausgesprochen, daß eine Versicherte keinen Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO aF habe, wenn und solange sie gegen Entgelt beschäftigt oder sonst erwerbstätig sei, auch wenn ihre Beschäftigung oder Tätigkeit nicht rentenversicherungspflichtig sei; schließlich werde diese Rechtsprechung zu § 1248 Abs. 3 RVO aF durch die am 1. Juli 1965 für künftige Versicherungsfälle in Kraft getretene Neufassung des § 1248 Abs. 3 RVO gerechtfertigt, nach der das vorzeitige Altersruhegeld erst gewährt werde, wenn die Versicherte "eine Beschäftigung gegen Entgelt oder eine Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt". Von diesen Entscheidungen abzuweichen, sieht der Senat keinen Anlaß.

Die Tätigkeit der selbständigen Handwerker ist nach § 1 Abs. 1 HwVG versicherungspflichtig, solange sie in der Handwerksrolle eingetragen sind. Mag die Klägerin auch auf Grund des Beschlusses der BfA vom 11. Januar 1960 nach Art. 2 § 52 AnVNG von der Versicherungspflicht befreit worden sein, so übt sie doch, solange sie in der Handwerksrolle eingetragen ist, eine n sich versicherungspflichtige Tätigkeit aus. Deshalb kann ihr das Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO aF nicht gewährt werden, solange nicht die Löschung in der Handwerksrolle erfolgt ist.

Die Beklagte hat sonach der Klägerin in dem angefochtenen Bescheid das vorzeitige Altersruhegeld mit Recht versagt. Die gegen den Bescheid gerichtete Klage muß daher unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidungen der Vorinstanzen abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2351509

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