Leitsatz (amtlich)

Strafgefangenenhilfsaufseher sind nach der durch die veränderte Auffassung vom Wesen und der Bedeutung des Strafvollzugs bestimmten Verkehrsauffassung Angestellte und daher nicht in der Arbeiterrenten-, sondern in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig (Abweichung von der Grundsatzentscheidung des RVA Nr 2892, AN 1925, 301).

 

Orientierungssatz

Die "Bestimmung von Berufsgruppen der Angestelltenversicherung" vom 1924-03-08 (RGBl 1 274, 410 = BGBl 3 821-1-1) ist auch heute noch maßgebend.

 

Normenkette

RVO § 1227 Fassung: 1957-02-23; AVG § 3 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AnVBerufsBest Fassung: 1924-03-08

 

Tenor

Die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 1959 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der beigeladene Werner Sch ist seit dem 1. Dezember 1957 bei dem Gerichtsgefängnis in Sch. tätig. Zunächst wurde er als Hilfsaufseher beschäftigt. Seine Vergütung errechnete sich nach der Gruppe IX der Tarifordnung A für Angestellte im öffentlichen Dienst (TOA). Die Beteiligten streiten darüber, ob er in der Arbeiterrentenversicherung (ArV) oder in der Angestelltenversicherung (AnV) versicherungspflichtig ist.

Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat durch Urteil vom 19. März 1959 den vom Lande Schleswig-Holstein angefochtenen Bescheid der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) vom 10. Februar 1958 und deren Widerspruchsbescheid vom 3. März 1958, die Versicherungspflicht in der ArV angenommen hatte, aufgehoben und festgestellt, daß der seit dem 1. Dezember 1957 als Hilfsaufseher beschäftigte beigeladene Werner Sch der AnV unterliegt. Die hiergegen von der beklagten AOK und von der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) eingelegten Berufungen sind vom Schleswig- Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 10. September 1959 zurückgewiesen worden.

Nach den Feststellungen des LSG hat das Gerichtsgefängnis Sch. zwölf Zellen, die zumeist mit 15 bis 18 Häftlingen, überwiegend Untersuchungsgefangenen, belegt sind. Als Aufsichtspersonal waren zwei planmäßige Hauptwachtmeister und der beigeladene Sch eingesetzt. Diese wechselten sich nach einem bestimmten Zeitplan im Dienst ab. Nach dem Dienstplan versah der Hilfsaufseher Sch nachgeordnet nach den Hauptwachtmeistern vollen Gefängnisaufseherdienst. Zu Beginn seiner Tätigkeit im Gerichtsgefängnis in Sch. war er vier Wochen lang von einem der beiden Hauptwachtmeister, den er auf allen Arbeitswegen hatte begleiten müssen, praktisch und theoretisch in seinen Aufgabenbereich eingewiesen worden. Den außerdem vorgesehenen vierwöchigen Kursus auf einer Strafvollzugsschule hatte er nicht besuchen können, weil derartige Kurse Ende 1957 noch nicht wieder durchgeführt wurden. Der tägliche Dienst begann für ihn um 7.00 Uhr mit dem Wecken und einer Kontrolle der Zellen und ihrer Insassen sowie (ab 7,30 Uhr) mit der Überwachung des Essenempfanges. Es folgte die Beaufsichtigung der Gefangenen während ihres Aufenthalts auf dem Hof des Gefängnisses, anschließend gab Sch zusammen mit dem ihm unterstellten Hausreiniger das Arbeitsmaterial und das Werkzeug an die Strafgefangenen aus, wies ihnen die Arbeit zu und kontrollierte und unterstützte sie hierbei. Ferner überwachte er etwaige Besuche. Zwischendurch holte er die Post, brachte sie ins Gefängnisbüro und verteilte sie später an die Gefangenen, von denen er nunmehr auch Briefe und sonstige Eingaben entgegennahm. Vor dem Essen (11,30 Uhr) wurde das Werkzeug wieder eingesammelt. Anschließend überwachte Sch die Essenausgabe. Während der Mittagsstunde erledigte er etwaige schriftliche Arbeiten. Nachmittags mußten die Gefangenen wieder arbeiten, wobei sie wiederum vom Beigeladenen Sch beaufsichtigt wurden. Beim Arbeitsschluß um 17.00 Uhr trug er das Arbeitsergebnis in Listen ein; dabei hatte er zu beurteilen, wie und wieviel jeder einzelne gearbeitet hatte, womit er zugleich über die Höhe der von ihm festzustellenden täglichen Arbeitsbelohnung der einzelnen Gefangenen entschied. Bei der Entlassung des Gefangenen berechnete er sodann dessen Gesamtverdienst.

Das LSG ist der Auffassung, Sch sei nach § 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 23. Februar 1957 angestelltenversicherungspflichtig. Die Gründe, die das frühere Reichsversicherungsamt (RVA) in der Grundsätzlichen Entscheidung (GE) Nr. 2892 (An 1925, 301) veranlaßt hätten, einen Hilfsgefangenenaufseher der Invalidenversicherung zuzuweisen, träfen heute jedenfalls für den Beigeladenen S. nicht mehr zu. Die Aufsichts- und Anordnungsbefugnisse der Hilfsaufseher seien nicht mehr so eng begrenzt wie 1925; man könne daher nicht mehr sagen, daß sie eine Tätigkeit ausübten, an die keine erhöhten geistigen Anforderungen gestellt würden. Die Funktion der durch allgemeine erzieherische Aufgaben mitbestimmten Aufsicht über mit Freiheitsentzug bestraften Menschen stelle den Aufseher heutzutage vor ganz anders geartete vollzugsethische Aufgaben als früher, als allein der Vergeltungs- und Sühnegedanke im Vordergrund des Freiheitsentzuges gestanden habe. Zwar scheine bei vielen Tätigkeiten der Hilfsaufseher die körperliche Arbeit wesentlich zu sein, so bei den Kontrollgängen, dem Öffnen und Schließen der Zellentüren usw; selbst insoweit wirke sich aber auf die Gestaltung der Arbeit aus, daß beim Strafvollzugsdienst der erzieherisch-pflegerische Faktor im Umgang mit den unter Ausnahmebedingungen lebenden Gefangenen im Vordergrund stehe. Dazu müsse der Aufseher den geistigen und seelischen Zustand des Gefangenen, sein Alter, die Art und Schwere seiner Straftat kennen und auch sein Verhalten in der Anstalt angemessen berücksichtigen. Darüber hinaus arbeite der Beigeladene Sch zum Teil auch selbständig. Die Vielseitigkeit der ihm übertragenen Aufgaben erfordere umfassende Kenntnisse und Fähigkeiten, wie sie in der Nr. 24 der Strafvollzugsordnung über die Ausbildung für den Anstaltsdienst dargetan seien. Nachdem das RVA in der GE Nr. 5531 (AN 1943, 282) sogar hauptberufliche Jagdaufseher auf Grund der Verkehrsanschauung als Angestellten beurteilt habe, müsse dies erst recht für die Hilfskräfte des Aufsichts- und Werkdienstes des Strafvollzugs gelten. Zudem habe im Jahre 1943 der damalige Reichsjustizminister durch einen Erlaß die Überführung der nichtbeamteten Hilfskräfte des Aufsichts- und Werkdienstes bei den Vollzugsanstalten der Reichsjustizverwaltung, die nach der Vergütungsgruppe IX der TOA "im Angestelltenverhältnis beschäftigt" wurden, in die AnV angeordnet. Daher müsse insoweit ein bleibender Wandel in der Verkehrsanschauung angenommen werden. Die Tätigkeit des Beigeladenen Sch sei nach alledem nicht als vorwiegend körperliche Beschäftigung anzusehen, sie sei vielmehr durch verantwortungsvolle erzieherisch-pflegerische Aufgaben sowie durch Anordnungs- und Aufsichtsbefugnisse und durch eine gewisse Selbständigkeit gekennzeichnet, so daß es sich um eine vorwiegend geistige Betätigung handele.

Gegen das vorgenannte Urteil hat die beigeladene LVA die vom LSG nach § 161 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassene Revision eingelegt. Gerügt wird Verletzung des § 1227 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigten nicht die Annahme, daß der Beigeladene Sch Angestellter sei. Er habe als Hilfsaufseher den Gefängnisaufsichtsdienst nie allein ausgeübt, sondern stets nur neben einem der beiden übrigen Gefängnisaufseher des Gefängnisses in Sch., denen er nachgeordnet gewesen sei. Er sei für seine Tätigkeiten nur vier Wochen lang von einem der beiden sonst im Gefängnis beschäftigten Hauptwachtmeister praktisch und theoretisch in seinen Aufgabenbereich eingewiesen worden. Seine Tätigkeit habe sich im wesentlichen auf Schließaufgaben, Anwesenheit bei der Essenausgabe, Beaufsichtigung der Gefangenen im Hof, Material- und Werkzeugausgabe, Zuweisung und Beaufsichtigung der Gefangenenarbeiten usw. erstreckt. Die damit verbundenen Listenführungen seien nur unerheblich gewesen. Im übrigen hätte er Botendienste verrichtet. Danach sei für ihn die körperliche Arbeit wesentlich, so daß seine Tätigkeit nicht derjenigen von Angestellten in den Berufen der Erziehung und Wohlfahrt gleichgestellt werden könne. Die ethischen Forderungen der Strafvollzugsordnung an die Gefängnisaufseher beschrieben lediglich Merkmale zur Bestimmung der Eignung einer Person zum Gefängnisaufseher. Damit seien ihnen aber noch nicht erzieherische Funktionen übertragen. Desgleichen könne mit Rücksicht hierauf noch nicht gefolgert werden, daß die Hilfsaufseher entscheidende Aufsichts- und Anordnungs- sowie Erziehungsbefugnisse hätten. Die Hilfsaufseher arbeiteten zudem nicht selbständig, sie könnten daher nicht zu den Angestellten gerechnet werden.

Mit Rücksicht darauf, daß der Beigeladene Sch mit Wirkung vom 1. Januar 1963 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Oberwachtmeister ernannt worden ist, beantragt die Revisionsklägerin,

das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, daß die Beschäftigung des beigeladenen Hilfsaufsehers Werner Sch beim Land Schleswig-Holstein bis zum 31. Dezember 1962 der Arbeiterrentenversicherung unterlegen hat.

Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) tritt der Auffassung der Revisionsklägerin bei. Ihrer Ansicht nach hat sich die Tätigkeit der nichtbeamteten Hilfsaufseher im Strafvollzugsdienst gegenüber den früheren Verhältnissen nicht so grundlegend geändert, daß deshalb von der genannten GE Nr. 2892 abgewichen werden müßte.

Die beklagte AOK schließt sich ebenfalls der Ansicht der Revisionsklägerin an.

Das klagende Land beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das LSG habe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einwandfrei seine Auffassung begründet. Die Ansicht der Revisionsklägerin, ein Hilfsaufseher sei nur eine körperlichmechanisch handelnde Person, verkenne Sinn und Zweck des heutigen Strafvollzugs. Man dürfe nicht aus versicherungsrechtlichen Gründen die Entwicklungsgeschichte unseres Sozialdenkens und unsere heutige Auffassung vom Strafrecht, Strafverfahren und insbesondere vom Strafvollzug zurückversetzen auf den Stand und die Auffassungen der zwanziger Jahre, die der erwähnten RVA-Entscheidung zugrunde gelegen hätten. Die heutige Bedeutung der Erziehungs- und Aufsichtsaufgaben der Strafvollzugsbeamten komme ua darin zum Ausdruck, daß inzwischen auch im Lande Schleswig-Holstein - ebenso wie schon früher in den übrigen Ländern des Bundesgebietes - die Beamten des Aufsichtsdienstes bei den Justizvollzugsanstalten allgemein in den mittleren Dienst überführt worden seien. Nach dem 2. Gesetz zur Änderung des Besoldungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein vom 29. März 1961 (GVOBl. S. 51) sei jetzt der Oberwachtmeister bei einer Justizvollzugsanstalt in die Besoldungsgruppe A 5 eingestuft und erhalte eine ruhegehaltsfähige Stellenzulage, der Hauptwachtmeister sei in der Besoldungsgruppe A 6, der Verwalter in der Besoldungsgruppe A 7 und der Oberverwalter in der Besoldungsgruppe A 8. Dementsprechend sei für den schleswig-holsteinischen Vollzugshaushalt des Jahres 1962 auch für die im Strafvollzugsdienst tätigen Angestellten des Aufsichtsdienstes eine erhebliche Vermehrung der BAT VIII - Stellen beantragt, um mit Rücksicht auf die Art und die Bedeutung der Tätigkeit dieser Aufsichtsangestellten eine entsprechende Höhergruppierung und Vergütung sicherzustellen.

Der Beigeladene Sch hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

II

Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthafte Revision ist nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Beklagten, die mit derjenigen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger übereinstimmt (DOK 1956, 56), hat das LSG zu Recht angenommen, daß der Beigeladene Sch während seiner Tätigkeit als Hilfsaufseher am Gerichtsgefängnis Sch. in der AnV versicherungspflichtig war.

Zunächst ist festzustellen, daß es nach geltendem Recht einen fest abgegrenzten und allgemein gültigen Angestelltenbegriff nicht gibt (vgl. ua Nikisch, Arbeitsrecht Erster Band 1961 S. 125 ff; Poelmann, Arbeit und Recht 1963, 22 sowie Bulla, Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und Sozialgerichte zu Eingruppierungsstreitigkeiten von Angestellten und Arbeitern, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Heft 9 Bd. I S. 242).

Die gesetzliche Ordnung kennt nur einige Typen von Berufen und Berufsgruppen, die kraft ausdrücklicher Bestimmung jeweils zum Angestellten qualifizieren. Ihnen sind auch zumeist sehr allgemein gehaltene Begriffsmerkmale beigegeben, die aber in ihrer generalklauselhaften Formulierung keine festen Anhaltspunkte oder Richtlinien bringen. Zudem handelt es sich bei den gesetzlichen Bestimmungen, welche im einzelnen Ausführungen darüber enthalten, wer zu den Angestellten rechnet, in der Regel nur um beispielhafte Aufzählungen. Dies gilt auch für § 3 AVG idF des AnVNG. Er gibt ebenfalls keine erschöpfende Aufzählung. Das Gesetz beschränkt sich, ohne den Begriff des versicherungspflichtigen Angestellten zu definieren, darauf, eine Anzahl von Berufsgruppen in dem durch den Oberbegriff "Angestellte" gezogenen Rahmen herauszustellen und deren Versicherungspflicht damit als Beispiel festzulegen. Der Angestelltenbegriff in der Sozialversicherung ist deshalb durch Auslegung zu bestimmen. Er läßt sich wegen der ständigen Fortbildung und Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der damit zusammenhängenden Umschichtung und Änderung der Berufsgruppen im Wirtschaftsleben nicht in eine feste und unveränderliche Form gießen. Er muß vielmehr nach der jeweils herrschenden und damit Veränderungen unterworfenen Verkehrsanschauung ausgelegt werden (vgl. die GE des RVA Nr. 3272, An 1928, 315). Die Entscheidung, ob ein Arbeitnehmer der Rentenversicherung der Angestellten oder der der Arbeiter angehört, hängt nach der Verkehrsanschauung im allgemeinen davon ab, ob der Betreffende eine überwiegend geistige Beschäftigung verrichtet oder ob er als Handarbeiter vorwiegend körperlich tätig ist (BSG 10, 82, 83; 16, 98, 105).

Allerdings ergibt sich die AnV-Pflicht der Strafgefangenenhilfsaufseher nicht schon etwa daraus, daß sie früher nach der TOA und jetzt nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) besoldet werden und damit insoweit als Angestellte gelten. Nach § 1 Abs. 1 TOA erstreckte sich der persönliche Geltungsbereich der TOA auf die Arbeitnehmer, die entweder in einer ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden, nach § 1 AVG aF (jetzt § 3 AVG nF) versicherungspflichtigen Beschäftigung tätig sind, oder aber in der Anlage 1 zur TOA aufgeführt sind. Dabei handelte es sich um zwei selbständige Voraussetzungen, die jede für sich die Geltung der TOA für ein Arbeitsverhältnis begründete. Für die Anwendbarkeit der ersten Alternative des § 1 Abs. 1 TOA kam es darauf an, ob die von dem Arbeitnehmer ausgeübte Beschäftigung an sich nach dem AVG versicherungspflichtig war. Infolgedessen fielen, auch wenn sie in der Anlage 1 zur TOA nicht aufgeführt waren, auf Grund der ersten Alternative des § 1 Abs. 1 TOA alle die Arbeitnehmer unter die TOA, die im öffentlichen Dienst einer Beschäftigung nach § 1 aF bzw. § 3 nF AVG nachgehen, und zwar sowohl dann, wenn sie angestelltenversicherungspflichtig sind, als auch dann, wenn im Einzelfall auf Grund der im AVG vorgesehenen Ausnahmen (z. B. Überschreitung der Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes) eine Versicherungspflicht nicht besteht. Auf Grund der zweiten Alternative des § 1 Abs. 1 TOA wurden dagegen Arbeitnehmer ohne Rücksicht darauf, ob sie einer angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigung i. S. des AVG nachgehen, von der TOA dann erfaßt, wenn sie in deren Anlage 1 aufgeführt waren, d. h. nach der ausgeübten Tätigkeit in eine Vergütungsgruppe der Anlage einzuordnen waren. Dabei bedeutete, soweit darin nochmals das Wort "Angestellter" bei der Beschreibung von Tätigkeiten verwendet wurde, dies nicht die Aufstellung eines zusätzlichen Tätigkeitsmerkmales für die in Betracht kommenden Fallgruppen. Vielmehr bestimmte die TOA damit lediglich für ihren Bereich, daß solche Tätigkeiten diejenigen von Angestellten seien, so daß es gleichgültig war, ob die TOA hierbei ausdrücklich bestimmt, "wenn sie als Angestellte beschäftigt sind" oder nicht (vgl. BAG 8,33, 35; 12, 275, 277). Die Hilfsaufseher an den Strafvollzugsanstalten sind in der Vergütungsgruppe IX besonders aufgeführt. Sie könnten also trotz ihrer Erfassung in der TOA an sich durchaus arbeiterrentenversicherungspflichtig sein.

Desgleichen hat das LSG es in diesem Zusammenhang zu Recht abgelehnt, die Strafgefangenenhilfsaufseher in den auch heute noch maßgebenden (vgl. SozR § 1227 RVO Bl. Aa 1 Nr. 3) Berufsgruppenkatalog vom 8. März 1924 einzuordnen. Sie können insbesondere weder unter die Gruppe C (Berufe der Erziehung und Wohlfahrt) gebracht werden noch etwa unter die Gruppe A XVIII (Polizei und Feuerwehr). An einer Strafanstalt werden im allgemeinen keine pädagogischen Aufgaben und Ziele nach Art einer Schule oder eines artgleichen Berufs- oder Bildungsinstituts verfolgt. Ebensowenig können die eingeschränkten, auf die Strafanstalt begrenzten Aufsichts- und sonstigen polizeiähnlichen Befugnisse der Strafgefangenenhilfsaufseher ohne weiteres mit den umfassenderen hoheitlichen Aufgaben der übrigen "Beamten" im Polizei-, Feuerwehr- und sonstigen Sicherheitsdienst gleichgesetzt werden, wenn auch nicht zu übersehen ist, daß die Hilfsaufseher den genannten Personen recht nahe stehen.

Gleichwohl ist das LSG im Ergebnis zu Recht und aus im wesentlichen zutreffenden Erwägungen zu der Auffassung gekommen, daß die Strafgefangenenhilfsaufseher jetzt angestelltenversicherungspflichtig sind; ihm ist in vollem Umfang zuzustimmen, wenn es auf Grund des von ihm festgestellten und für den Senat bindenden tatsächlichen Sachverhalts entgegen der oben angeführten grundsätzlichen Entscheidung des RVA vom 6. Juni 1925 (GE Nr. 2892) im Hinblick auf die veränderte Auffassung über Wesen und Bedeutung des Strafvollzugs und unter Berücksichtigung der dadurch bedingten jetzigen Verkehrsanschauung die Hilfsaufseher nicht mehr zu den Arbeitern zählt. Die dahingehende Beurteilung läßt rechtliche Fehler nicht erkennen. Wenn das LSG dabei ausführt, die Tätigkeit des Beigeladenen S. sei nicht als überwiegend körperliche Beschäftigung anzusehen, sie sei vielmehr durch verantwortungsvolle erzieherisch-pflegerische Aufgaben und durch Anordnungs- bzw. Aufsichtsbefugnisse sowie durch eine gewisse Selbständigkeit dahin gekennzeichnet, daß es sich um eine vorwiegend geistige Betätigung handele, so kann dem nur beigepflichtet werden. Dazu kommt - und das erklärt auch die derzeitige Verkehrsanschauung -, daß auf Grund des vom LSG zu Recht angeführten Erlasses des früheren Reichsjustizministers vom 15. März 1943 (EuM 51, 172; Mittl. der RfA 1943, 28), der die Überführung der Hilfsaufseher in die AnV angeordnet hatte, die Strafgefangenenhilfsaufseher nunmehr schon seit mehr als zwanzig Jahren in der AnV geführt werden, und daß sie auch - wie dargelegt - nach dem Recht der TOA als Angestellte gelten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit etwa der genannte Erlaß noch gilt (vgl. Koch/Hartmann, AVG Bd. I S. 116; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II S. 302 d).

Jedenfalls ist das LSG zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß die Strafgefangenenhilfsaufseher an den Strafvollzugsanstalten der Bundesrepublik auf Grund der veränderten Verhältnisse und der heutigen Verkehrsanschauung nunmehr zu den Angestellten zu zählen sind und damit der AnV unterliegen. Der entgegenstehenden Auffassung der beteiligten Versicherungsträger kann nicht gefolgt werden. Diese berücksichtigen vor allem nicht genügend den vom Kläger hervorgehobenen Umstand, daß die veränderte Auffassung von den Aufgaben und der Bedeutung der Tätigkeit des Strafvollzugspersonals sich jetzt auch darin zeigt, daß die beamteten Kräfte dieses Dienstzweiges nunmehr in den mittleren Dienst übergeführt sind, und daß die nichtbeamteten jetzt vielfach nach der TOA VIII bezahlt werden. Mit Rücksicht hierauf erscheint es nicht mehr angängig, die Angehörigen der Eingangsstufe zu dieser Beamtenlaufbahn den Arbeitern und damit der Arbeiterrentenversicherung zuzurechnen. Zugleich ist damit die von der beigeladenen BfA vermißte Veränderung der Verhältnisse gegeben, die es rechtfertigen, von der GE Nr. 2892 abzuweichen.

Damit mußte die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 176

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge