Leitsatz (amtlich)

1. Aufgrund der Gleichstellung spanischer Staatsangehöriger mit deutschen Staatsangehörigen durch Abk Spanien SozSich Art 4 steht einem spanischen Staatsangehörigen kein Beitragserstattungsanspruch nach RVO § 1303 zu, wenn er freiwillige Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung nach RVO § 1233 Abs 1 S 1 entrichten kann. Dabei ist es unerheblich, ob der spanische Staatsangehörige, nachdem er aus der deutschen Pflichtversicherung ausgeschieden und nach Spanien zurückgekehrt ist, von der ihm nach Abk Spanien SozSich Art 30 eingeräumten Möglichkeit, sich nach spanischem Recht freiwillig weiterzuversichern, Gebrauch macht.

2. Sozialversicherungsabkommen sind regelmäßig aus sich heraus auszulegen. Die möglicherweise unterschiedlichen Interessenlagen der jeweils an einem Abkommen beteiligten Staaten reicht aus, um Rückgriffe auf andere Abkommen zum Zwecke der Vertragsauslegung auszuschließen.

 

Normenkette

SozSichAbk ESP Art. 1 Nr. 1 Fassung: 1959-10-29, Nr. 3 Fassung: 1959-10-29, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c Fassung: 1959-10-29, Art. 3 Nr. 1 Fassung: 1959-10-29, Art. 4 Fassung: 1959-10-29, Art. 30 Fassung: 1959-10-29, Art. 7 Fassung: 1959-10-29, Art. 8 Fassung: 1959-10-29, Art. 54 Fassung: 1959-10-29; GG Art. 116 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 157 Fassung: 1924-12-15, § 1233 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1303 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. Juni 1974 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1973 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Hälfte der in der Bundesrepublik Deutschland entrichteten Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung zu erstatten.

Für die am ... 1925 geborene Klägerin, eine Spanierin, sind für die Dauer ihrer Beschäftigung als Hilfsarbeiterin in der Bundesrepublik Deutschland vom 26. August 1968 bis 13. August 1971 Beiträge zur deutschen Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin, die nach ihrer Rückkehr nach Spanien dort nicht versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig ist und einer Bescheinigung des Instituto Nacional de Prevision vom 13. September 1973 zufolge keine Versicherungszeiten in Spanien zurückgelegt hat, ab, ihr die Hälfte der genannten Beiträge zu erstatten (Bescheid vom 3. Dezember 1973). Die Beklagte begründete dies u. a. damit, die Klägerin sei als spanische Staatsangehörige nach Art. 4 des deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommens den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt und daher wie ein deutscher Staatsangehöriger zur freiwilligen Versicherung nach § 1233 der Reichsversicherungsordnung (RVO) berechtigt, und zwar auch, wenn sie sich in Spanien oder einem dritten Staat aufhalte.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Bayreuth den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1973 aufgehoben und die Beklagte zur Beitragserstattung verpflichtet; es hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 11. Juni 1974).

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit schriftlicher Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 1303 Abs. 1 RVO und des Art. 30 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit geschlossenen Abkommens vom 29. Oktober 1959 (BGBl 1961, II 599).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Bayreuth vom 11. Juni 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 1973 ist abzuweisen.

Mit Recht hat die Beklagte es abgelehnt, der Klägerin auf deren Antrag die Hälfte der zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichteten Beiträge zu erstatten. Dem steht keine Bestimmung des am 1. Oktober 1961 auf Grund der Bekanntmachung vom 25. September 1961 (BGBl 1961, II 1630) in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 29. Oktober 1959 (BGBl 1961, II 599) entgegen. Dieses Abkommen ist anzuwenden, weil es auf den Fall der Klägerin sowohl in sachlicher als auch in persönlicher Hinsicht zutrifft: Es erstreckt sich in der Sache nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) u. a. auf die Rechtsvorschriften über die Rentenversicherung der Arbeiter. Die hier maßgeblichen §§ 1303 und 1233 RVO gehören zu diesen Rechtsvorschriften. Da die Klägerin als Spanierin Staatsangehörige des Spanischen Staates ist (vgl. Art. 1 Nrn. 1 und 3 des Abkommens), gilt für sie dieses Abkommen nach Art. 3 Nr. 1 ("Dieses Abkommen gilt nur für 1. Staatsangehörige der Vertragsstaaten ..., soweit nicht Art. 7 und 8 etwas anderes besagen"); Art. 7 und 8 finden nach der Lage des Falles keine Anwendung.

Die Klägerin ist nach Art. 4 des Abkommens "in ihren Rechten und Pflichten aus den Rechtsvorschriften des anderen Staats dessen Staatsangehörigen gleichgestellt"; der in Art. 4 enthaltene Vorbehalt von Art. 54 hinsichtlich des Wahlrechts und der Wählbarkeit der Versicherten und ihrer Arbeitgeber zu den Organen der Träger und ihrer Verbände sowie zu den Behörden der Sozialversicherung greift hier nicht ein. Die Gleichstellung nach Art. 4 des Abkommens bewirkt, daß die Klägerin wie ein deutscher Staatsangehöriger (Deutscher i. S. des Grundgesetzes - GG - für die Bundesrepublik Deutschland; vgl. Art. 1 Nr. 3 des Abkommens) unter den Voraussetzungen des § 1303 Abs. 1 RVO berechtigt ist, von der Beklagten zu verlangen, ihr die Hälfte der während ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter zu erstatten. Ein solches Recht hat die Klägerin aber nicht. Die Beitragserstattung ist nämlich nur dann zulässig, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht (§ 1303 Abs. 1 Satz 1 RVO). Da die Klägerin nach ihrer Rückkehr nach Spanien nach deutschen Rechtsvorschriften nicht versicherungspflichtig ist, kann sie auf Grund der Gleichstellungsregelung des Art. 4 des Abkommens wie ein deutscher Staatsangehöriger von dem diesem in § 1233 Abs. 1 Satz 1 RVO eingeräumten Recht, für Zeiten nach Vollendung des 16. Lebensjahres freiwillige Beiträge zu entrichten, Gebrauch machen. Wegen dieses der Klägerin zustehenden Rechts zur freiwilligen Versicherung mußte die Beklagte die Beitragserstattung verweigern. Dabei ist es unerheblich, daß die Klägerin, seitdem sie die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat, ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien hat. Ebenso wie Deutsche i. S. des Art. 116 Abs. 1 GG, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, gemäß § 1233 Abs. 1 Satz 2 RVO berechtigt sind, sich freiwillig zu versichern, steht spanischen Staatsangehörigen gerade auf Grund der Gleichstellungsregelung des Art. 4 des Abkommens das Recht der freiwilligen Versicherung zu, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, hier in Spanien, haben.

Allerdings meint das SG, dem Art. 30 des Abkommens entnehmen zu können, daß § 1233 RVO dann nicht anzuwenden ist, wenn ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaates, der aus der deutschen Rentenversicherungspflicht ausgeschieden ist, sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet des Spanischen Staates aufhält und mit Hilfe der deutschen Vorversicherungszeiten sich nach spanischen Rechtsvorschriften freiwillig weiterversichern kann. Das trifft jedoch nicht zu. Art. 30 Abs. 1 des Abkommens lautet:

"Personen, die sich im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten und aus einer Pflichtversicherung für den Fall der Invalidität, des Alters und zugunsten der Hinterbliebenen nach den Rechtsvorschriften des anderen Staates ausgeschieden sind, können sich in dem ersten Staat unter denselben Bedingungen freiwillig weiterversichern wie die Personen, die aus der in diesem Staat geltenden Pflichtversicherung für den Fall der Invalidität, des Alters und zugunsten der Hinterbliebenen ausgeschieden sind. Dabei werden Beitragszeiten, die nach den Rechtsvorschriften des zweiten Staates in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zurückgelegt sind, soweit erforderlich, wie Beitragszeiten des ersten Staates angerechnet".

Diese Regelung gestattet einem spanischen Staatsangehörigen, der nach Spanien zurückkehrt, nachdem er aus der deutschen Pflichtversicherung ausgeschieden ist, sich nach spanischem Recht freiwillig weiterzuversichern. Besondere Bestimmungen enthalten die Abs. 2 und 3 des Art. 30 für die Fälle, in denen eine Person nach ihrem Eintreffen in der Bundesrepublik Deutschland nicht in der deutschen Rentenversicherung pflichtversichert gewesen ist (Abs. 2) und in denen eine Person nach ihrem Eintreffen in Spanien nicht nach den spanischen Rechtsvorschriften pflichtversichert gewesen ist (Abs. 3). Da die Klägerin, nachdem sie nach Spanien zurückgekehrt war, nach spanischen Rechtsvorschriften nicht pflichtversichert gewesen ist, hätte sie sich bei dem für sie zuständigen spanischen Gegenseitigkeitsverein für Arbeitnehmer freiwillig weiterversichern können, jedoch nur dann, wenn sie damit binnen drei Monaten nach Ablauf des Kalendermonats begonnen hätte, in dem sie aus der nach den deutschen Rechtsvorschriften versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden ist (Abs. 3 Satz 2). Diese Frist hat die Klägerin freilich nicht genutzt, so daß sie nicht mehr berechtigt ist, sich nach spanischen Rechtsvorschriften freiwillig weiterzuversichern.

Der Verlust des Rechts zur freiwilligen Weiterversicherung nach spanischen Rechtsvorschriften schließt aber entgegen der Auffassung des SG nicht zugleich den Verlust des Rechts zur freiwilligen Versicherung nach § 1233 RVO mit ein. Das Abkommen bestimmt derartiges nicht. Dies wäre aber, wenn die Schlußfolgerung des SG richtig wäre, notwendig gewesen. Denn eine solche Regelung, die, wie im Falle der Klägerin, dem spanischen Staatsangehörigen das Recht zur freiwilligen Versicherung nach § 1233 RVO aberkannt hätte, wäre mit dem in Art. 4 des Abkommens verbürgten Gleichstellungsgrundsatz unvereinbar. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hätte ausdrücklich geregelt werden müssen. Das ist aber unterblieben.

Soweit das SG zur Auslegung des Art. 30 des Abkommens Art. 35 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit vom 25. April 1961 (BGBl 1963, II 679) heranzieht, kann ihm nicht gefolgt werden. In Art. 35 Abs. 1 dieses Abkommens ist zwar bestimmt, daß eine Person, die sich im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei gewöhnlich aufhält und aus einer Pflichtversicherung für den Fall der Invalidität, des Alters und zugunsten der Hinterbliebenen nach den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei ausgeschieden ist, sich "nur" nach den Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei freiwillig weiterversichern kann. Diese dort verfügte Einschränkung des Rechts der freiwilligen Weiterversicherung durch das Wort "nur" läßt sich aber nicht auf die hier allein maßgebliche Vorschrift des Art. 30 des deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommens übertragen. Schon der in Art. 3 des Abkommens festgelegte persönliche Geltungsbereich ("Dieses Abkommen gilt nur für 1. Staatsangehörige der Vertragsstaaten ...") steht dem entgegen. Zudem ist jedes Sozialversicherungsabkommen regelmäßig nur aus sich heraus auszulegen, so daß die Möglichkeit einer generellen Beachtung anderer Abkommen von vornherein ausscheidet (vgl. Rudolf Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, 1963, S. 86, 88). Auch der deutlich abweichende Wortlaut der vom SG miteinander verglichenen beiden Regelungen verbietet die vom SG vorgenommene Auslegung. Dem Vertragstext ist bei völkerrechtlichen Verträgen im allgemeinen eine größere Bedeutung beizumessen als dem Wortlaut bei der Auslegung innerstaatlicher Gesetze (BSGE 36, 125, 126). Die Abweichungen können in beiden Abkommen auf unterschiedlichen Interessenlagen der jeweils beteiligten Staaten beruhen. Das reicht aus, um den Rückgriff auf das deutsch-griechische Abkommen vom 25. April 1961 zum Zwecke der Auslegung des hier anzuwendenden deutschspanischen Abkommens auszuschließen (vgl. BSG aaO; ferner ebenso: Lüdtke, Die Auslegung von Sozialversicherungsabkommen, DOK 1974, 625, 627). Andernfalls würden die Ausgangspunkte jeder zwischenstaatlichen Regelung, die Grundsätze der Gegenseitigkeit, Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung in Frage gestellt, die Ausgangslagen für Gegenseitigkeitsabkommen verändert und der Abschluß von Sozialversicherungsabkommen erschwert, weil das Interesse des anderen Staates an einer zusätzlichen vertraglichen Regelung entfallen könnte.

Schließlich versagt auch der Hinweis des SG auf § 157 RVO. Das SG meint, mit dieser alternativen Ermächtigung zum Abschluß von Sozialversicherungsabkommen lasse es sich nicht vereinbaren, Art. 30 des Abkommens und § 1233 RVO dahin auszulegen, daß sie die freiwillige Versicherung sowohl nach den in Art. 30 des Abkommens vorgesehenen spanischen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften als auch nach den deutschen Rechtsvorschriften ermöglichen sollten. Dem ist nicht zuzustimmen. § 157 Abs. 1 RVO als Ermächtigungsnorm für Sozialversicherungsabkommen schreibt vor, daß die Bundesregierung unter Wahrung der Gegenseitigkeit vereinbaren kann, in welchem Umfang sie Vereinbarungen mit einem anderen Staat trifft. Diese Ermächtigungsnorm enthält zwar das Wort "oder", schließt aber nicht zwingend unterschiedliche Regelungen für den einen oder anderen Vertragsstaat aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 284

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge