Leitsatz (amtlich)

Ein Beschäftigter, der sich aus Gründen der körperlichen Reinigung durch einen Kopfsprung in einen unweit der Arbeitsstätte befindlichen Baggersee begibt, dabei auf Grund gerät und sich Verletzungen zuzieht, hat jedenfalls dann keinen Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn der Kopfsprung unter den gegebenen Umständen in hohem Maße gefahrbringend und vernunftwidrig war.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger war als Vorarbeiter im Bimsbaustoffwerk Gebr. F... oHG in Ettlingen beschäftigt. Am Samstag, dem 20. Juni 1959, hatte er mit drei Arbeitskameraden Steine zu verladen. Ungefähr um 12 Uhr - zu dieser Zeit war kein Fahrzeug mehr zu beladen, die Arbeitszeit für den Kläger aber noch nicht beendet - begaben sich einige Arbeiter, unter ihnen der Kläger, zu einem 70 m entfernten alten Baggersee, um sich dort zu reinigen. Da sich auf den Betriebsgelände zwar eine Wasserleitung, aber keine ausreichende Reinigungsanlage befand, hatte die Arbeitgeberin von dem Pächter des Baggersees für die Betriebsangehörigen die Erlaubnis erwirkt, in dem See Reinigungs- und Erfrischungsbäder zu nehmen. Zuerst begab sich der Arbeiter G... in den Baggersee, dann der Kläger. Beide sprangen - ein Sprungbrett war nicht vorhanden - von der 3 m hohen Böschung aus mit einem Kopfsprung ins Wasser. Dabei geriet der Kläger auf Grund und zog sich einen Bruch des 5. und 6. Halswirbels mit Lähmung der Arme und Beine sowie Abrisse der Dornfortsätze des 3. bis 5. Halswirbels zu.

Den Entschädigungsanspruch des Klägers lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 26. Oktober 1959 ab, weil er einer selbst geschaffenen, den Zusammenhang mit dem Betrieb lösenden Gefahr erlegen sei.

Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat der zusammengefaßten Aufhebungs- und Leistungsklage nach Beweiserhebung durch Urteil vom 5. Mai 1960 mit folgender Begründung stattgegeben: Der Baggersee sei in die Einrichtungen des Betriebes einbezogen worden. Waschen, Baden oder Schwimmen und Kopfsprung seien als einheitliche Handlung anzusehen, zumal da der Kopfsprung dazu gedient haben könnte, den Körper des Klägers zur Reinigung möglichst vollständig zu benetzen. Zudem pflege der Kläger als gelernter Schiffer jede Reinigung in öffentlichen Gewässern mit einem Kopfsprung au beginnen. Der Kopfsprung sei also der Anfang der Reinigung gewesen. Ein unangemessenes, vielleicht grob leichtfertiges Verhalten führe nicht zur Lösung vom Betriebe. Daß der Kläger durch den Kopfsprung eine zusätzliche Gefahr geschaffen habe, sei unbeachtlich, da die schmutzerzeugende Betriebsarbeit letztlich die eigentliche und wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 15. Dezember 1960 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Wenn der Kläger im Baggersee lediglich gebadet hätte, so hätte er dabei unter Versicherungsschutz gestanden, weil er nach der schmutzigen Tätigkeit im Unternehmen seinen ganzen Körper habe reinigen dürfen, ohne damit völlig den Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit zu verlieren. Ob Schwimmen ebenso zu beurteilen sei, könne dahingestellt bleiben, weil sich der Unfall nicht beim Schwimmen ereignet habe. Der Kopfsprung habe jedoch außerhalb aller betriebsbedingten Bedürfnisse nach Reinigung und Erfrischung gelegen. Er sei insbesondere dann, wenn er nicht in einer Badeanstalt, sondern in einem freien Gewässer und aus beträchtlicher Höhe erfolge, ein so gefährliches Unternehmen, daß hier der Gesichtspunkt der selbstgeschaffenen Gefahr zum Zuge kommen müsse. Der Kläger hätte das Ziel, seinen Körper zu benetzen, auch ohne den gefährlichen Kopfsprung erreichen können. Entgegen der Auffassung des SG sei die Betätigung des Klägers einschließlich des Kopfsprungs nicht als einheitlicher Vorgang anzusehen, vielmehr müsse man den gefährlichen Kopfsprung von den übrigen Handlungen des Klägers trennen und für jenen den Versicherungsschutz ablehnen. Eine Betätigung zum Zwecke der körperlichen Reinigung stehe nicht unter Versicherungsschutz, wenn und soweit sie mit einer betriebsfremden besonderen Gefahr verbunden sei, die der Versicherte selbst geschaffen habe und der er ohne Mitwirkung betrieblicher Auswirkungen erlegen sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist dem Kläger am 15. Januar 1961 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 10. Februar 1961 Revision eingelegt und diese am 14. April 1961 begründet, nachdem die Frist zur Begründung des Rechtsmittels bis zum 15. April 1961 verlängert worden war.

Die Revision rügt Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), indem sie ausführt:

Das LSG hätte feststellen müssen, ob der Kläger den Kopfsprung mit vorgestreckten oder angelegten Händen ausgeführt habe. Gefahrvoll sei nur die zweite Art, während bei der ersten Art eine Grundberührung weitgehend durch die vorgestreckten Hände aufgefangen werde. Es habe den Anschein, als sei das LSG von der zweiten Art des Kopfsprungs ausgegangen; der Kläger sei aber mit vorgestreckten Händen gesprungen.

Außerdem rügt die Revision Verkennung des Begriffs "Arbeitsunfall''. Sie führt aus: Wenn man die Reinigung im Baggersee als betriebsbezogen anerkenne, so müsse dies auch für die Benetzung des Körpers durch Ausführung eines Kopfsprungs gelten. Ein solcher mit vorgestreckten Händen (Startsprung) sei keine außergewöhnliche Maßnahme, keineswegs aber völlig unvernünftig. Er werde von der Mehrheit der sich ins Wasser begebenden Personen ausgeführt. Auch der Zeuge ≪!X!≫... sei so verfahren, ohne Schaden zu erleiden. Zudem sei dem Kläger der Baggersee bekannt gewesen. Im übrigen sei den von einer einheitlichen Beurteilung des gesamten Vorgangs ausgehenden Ausführungen des SG zuzustimmen.

Der Kläger beantragt in erster Linie,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 20. Juni 1959 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die gesetz- und satzungsmäßig zustehenden Leistungen zu gewähren.

Hilfsweise beantragt er Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die erhobene Verfahrensrüge für unbegründet und das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Die Vorinstanzen sind von dem Rechtsstandpunkt ausgegangen, daß eine während der Arbeitszeit auf der Betriebsstätte oder in ihrem örtlichen Gefahrenbereich vorgenommene körperliche Reinigung grundsätzlich der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei und somit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Das LSG hat weiter "zu Gunsten des Klägers unterstellt, daß nicht nur das bloße Waschen der unbedeckten Körperteile, sondern auch das Baden im Baggersee noch unter Versicherungsschutz gestanden hätte, weil der Kläger nach der schmutzigen Tätigkeit in Unternehmen seinen ganzen Körper reinigen durfte, ohne damit völlig den Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit zu verlieren".

Dieser Rechtsstandpunkt bedeutet eine Lockerung der auch vom erkennenden Senat in seinem Urteil vom 28. Februar 1962 - 2 RU 110/59 - als zu streng und mit den Belangen der Arbeitshygiene nicht vereinbar bezeichneten Auffassung des Reichsversicherungsamts (RVA), nach der das Baden in einem öffentlichen Gewässer nur dann versichert sein soll, wenn sich die Notwendigkeit der körperlichen Reinigung aus der Natur des Betriebes ergibt, und zwar in der Weise, daß die baldige Reinigung zu einem unabweisbaren, über das allgemeine Verlangen nach Reinigung und Erfrischung erheblich hinausgehenden Bedürfnis wird, wie dies z.B. für Beschäftigte eines Hüttenwerks, nicht aber für Steinbrucharbeiter gelten soll (EuM 37, 276).

Für die Entscheidung des vorliegenden Streitfalles brauchte die Berechtigung des von der Auffassung des RVA abweichenden, vom LSG als einhellig bezeichneten Rechtsstandpunktes der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und des neueren Schrifttums nicht abschließend geprüft zu werden. Selbst wenn er zutrifft, folgt daraus noch nicht, daß - wie die Revision meint - der gesamte Vorgang des Badens, gleichgültig wie er sich abspielte und auf welche Weise vor allem der Kläger ins Wasser gelangte, versichert gewesen wäre. Es kommt entscheidend darauf an, ob der Unfall des Klägers mit seiner versicherten Tätigkeit bzw. mit der ihr möglicherweise zuzurechnenden körperlichen Reinigung in einem ursächlichen Zusammenhang im Sinne der Unfallversicherung gestanden hat. Dabei sind als Ursachen oder Mitursachen nicht alle Umstände anzusehen, die irgendwie zum Unfall beigetragen haben, sondern nur diejenigen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt in einer nach der Auffassung des täglichen Lebens beachtlichen Weise und damit rechtlich wesentlich mitgewirkt haben (vgl. RVA, AN 1912, 930 und 1914, 411; EuM 23, 421; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl. S. 64). Eine solche Wertung hat im Ergebnis auch das LSG vorgenommen, indem es geprüft hat, ob der Kläger einer selbst geschaffenen, nicht betriebsbedingten besonderen Gefahr erlegen ist. Indes ist bei der Anwendung dieses Begriffs Vorsicht geboten, weil trotz Schaffung einer betriebsfremden Gefahr andere Umstände wesentlich mitgewirkt haben können, die der betrieblichen Sphäre zuzurechnen sind und deshalb den Versicherungsschutz erhalten (zum Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr vgl. auch BSG 6, 164, 169 und 14, 64, 67).

Im vorliegenden Falle ist ein entfernter innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall allerdings insofern vorhanden, als der Kläger durch das Bedürfnis, sich zu reinigen, veranlaßt wurde, sich in den Baggersee zu begeben. Die augenfälligste Bedingung, die zu dem Unfall geführt hat, lag jedoch in der Durchführung des Kopfsprungs. Diese Verhaltensweise war zur Erreichung des betriebsbedingten Zweckes nicht geboten und auch nicht üblich oder naheliegend. Daran ändert es nichts, daß in künstlich geschaffenen Schwimmbädern, in denen die Wassertiefe erkennbar oder ohne weiteres feststellbar ist und deren Wände senkrecht abfallen, viele Menschen sich mittels Kopfsprungs von einem Sprungbrett oder vom Beckenrand ins Wasser zu begeben pflegen. Bei dem im vorliegenden Falle benutzten Baggersee waren die Verhältnisse insofern anders, als der Kläger zu dem Kopfsprung, bedingt durch die schräg abfallende und drei Meter hohe Böschung, entsprechend weit außerhalb des Wasserrandes ansetzen und, da sich die Böschung unter dem Wasser fortsetzte, auch noch eine gewisse Entfernung in den See hinein überwinden mußte. Die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, war um so schwieriger zu lösen, als er den Kopfsprung - wie der vom LSG in Bezug genommenen Aussage des Klägers vor dem SG zu entnehmen ist - aus dem Stand ausführte. Unter diesen gefährlichen Umständen war das Verhalten des Klägers in hohem Maße sorglos und vernunftswidrig. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es dem Zeugen C... unmittelbar vorher gelungen war, von derselben Stelle aus einen Kopfsprung ohne Selbstschädigung durchzuführen.

Für die Beurteilung, ob und in welchem Maße der Kläger sich vernunftswidrig verhalten hat, erscheint es dem Senat bedeutungslos, ob der Kopfsprung mit vorgestreckten Händen - wie die Revision behauptet - oder mit angelegten Händen ausgeführt worden ist. Bei einer Sprunghöhe von drei Metern allein bis zum Wasserspiegel konnten die vorgestreckten Hände die Wucht des Aufpralls nicht nennenswert mildern und somit den Kläger nicht vor einer Schädigung bewahren. Deshalb war eine weitere Aufklärung des Sachverhalts in dem von der Revision angeführten Sinne nicht geboten und die Rüge der Verletzung des § 103 SGG unbegründet.

Bei der Abwägung der verschiedenen Bedingungen, die zu dem Unfall geführt haben, ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß dem unvernünftigen Verhalten des Klägers eine überragende Bedeutung zukommt. Im Verhältnis zu diesem Verhalten tritt der Umstand, daß der Kläger sich zu Reinigungszwecken ins Wasser begeben wollte, völlig in den Hintergrund. Rechtlich allein wesentliche Bedingung ist das unter den gegebenen Umständen höchst unvernünftige Verhalten des Klägers, das zu dem betriebsbedingten Zweck der Reinigung in keinem ursächlichen Zusammenhang steht; es ist der persönlichen Sphäre des Klägers zuzurechnen und läßt deshalb den Versicherungsschutz entfallen (vgl. hierzu auch LSG Rheinland-Pfalz, Breith. 1958, 125 betr. Schwimmen in erhitztem Zustand ohne vorherige Abkühlung).

Der Auffassung des Senats steht nicht entgegen, daß nach § 542 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung verbotswidriges Handeln allein die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht ausschließt. Der Versicherungsschutz kann nur erhalten bleiben, wenn eine rechtlich wesentliche, wenn auch verbotswidrig herbeigeführte Ursache oder Mitursache des Unfalls der betrieblichen Sphäre zuzurechnen ist. Dies trifft aber hier, wie ausgeführt wurde, nicht zu.

Hiernach mußte die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2277321

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