Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfolgter. Nationalsozialismus. Entschädigungsrente. Bewilligungsanspruch. Entschädigungsrecht. Hinzuziehung. Beiladung. grundsätzlich bindender Vorschlag. Verfolgter des Naziregimes. Anerkennung. Aberkennung. rechtsstaatliche Grundsätze. Gründe für Aberkennung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Zum Recht auf Entschädigungsrente, wenn in der DDR die Eigenschaft als Verfolgter des Naziregimes unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze wieder aberkannt worden war und zur Einwendung, es hätten – andere – rechtsstaatlich bedenkliche Gründe für die Aberkennung vorgelegen.
  • Dem Antragsteller kann gegen die Bundesrepublik nur ein mit der Verpflichtungsklage zu verfolgender Anspruch auf Bewilligung eines gegen die BfA gerichteten Rechtes auf Entschädigungsrente, aber kein Zahlungsanspruch zustehen.
  • Die BfA ist im Verwaltungsverfahren hinzuziehungsberechtigt und im Gerichtsverfahren notwendig beizuladen.
 

Normenkette

EntschRG §§ 1-3, 5-8; SGG §§ 54, 75; SGB X § 12; FEhrPensAnO § 2; VdNAnerkRL §§ 1-2, 4-6, 8; BEG §§ 1-3, 43; EinigVtr Art. 19 S. 2; EinigVtr Anlage II Kap VIII H III Nr. 5

 

Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 26.01.1995; Aktenzeichen L 1 An 1/94)

SG Magdeburg (Urteil vom 07.12.1993; Aktenzeichen S 8 An 92/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Januar 1995 abgeändert: Das Urteil wird aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger vom 3. Oktober 1990 an Entschädigungsrente zu zahlen. Auf die Berufungen des Klägers und der beigeladenen Kommission wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ein Recht gegen die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf Gewährung von Entschädigungsrente ab 3. Oktober 1990 zu bewilligen.

Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Kläger gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland einen Anspruch auf Bewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente hat, das gegen die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gerichtet ist.

Der im November 1929 geborene Kläger wuchs mit seinem älteren Bruder in einer Familie auf, die durch ihre Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas geprägt war. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurde den Eltern im August 1936 aus diesem Grund das Sorgerecht für die Kinder entzogen; diese wurden in einer Erziehungsanstalt untergebracht. Dort erlitt der Kläger 1937 einen doppelseitigen Kieferbruch mit bleibenden Folgen.

Nach Kriegsende wurden Anträge des Klägers, ihn als “Opfer des Faschismus (OdF)” anzuerkennen, zweimal abgelehnt. Der Landesprüfungsausschuß des damaligen Landes Sachsen-Anhalt gab seinem Einspruch hiergegen durch Beschluß vom 2. September 1948 statt. Mit Beschluß vom 13. Mai 1952 verlängerte der Kreisprüfungsausschuß der Dienststelle für die Verfolgten des Naziregimes (VdN-Dienststelle) mit Zustimmung der VdN-Dienststelle beim zuständigen Ministerium des damaligen Landes Sachsen-Anhalt die Anerkennung als VdN im Gleichstellungsweg gemäß § 1 Nr 10 und § 8 der Richtlinien für die Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes (VdN-Richtlinie) vom 10. Februar 1950 (GBl der DDR 1950 S 92). Dem Kläger wurde – als VdN – zunächst eine Teilrente von 60 M der DDR monatlich, ab 1. März 1959 eine Vollrente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt.

Mit Beschluß vom 10. April 1959 entzog der Bezirksprüfungsausschuß des Bezirks M…-… dem Kläger die Rente. Der Beschluß wurde ihm mündlich mitgeteilt und erläutert; eine schriftliche Bestätigung und Begründung wurde ihm verweigert. Angegeben wurde, die Voraussetzungen der VdN-Richtlinien für eine Anerkennung als VdN hätten damals nicht vorgelegen; es sei eine Fehlentscheidung gewesen, weil der Kläger noch zu klein gewesen sei, um aktive Widerstandshandlungen durchzuführen; der Kläger und seine Eltern seien Gegner des Staates und behinderten den Friedenskampf durch ihr “Jehova-Wesen”. Auf eine Eingabe des Klägers hiergegen berichtete die zuständige Abteilungsleiterin beim Rat des Bezirkes M.… dem Ministerpräsidenten der DDR am 8. Juni 1959 ua, es habe eine Überprüfung stattgefunden, um festzustellen, wie sich der Kläger gesellschaftspolitisch einsetze. Die Ermittlungen hätten eine sehr negative Einstellung gegenüber dem Arbeiter- und Bauernstaat ergeben. Die Eltern seien jahrzehntelang fanatische Bibelforscher gewesen. Sie hätten versucht, die frühere Ehefrau des Klägers von gesellschaftspolitisch sinnvollen Aktivitäten abzuhalten. Vater und Sohn könnten sich aufgrund ihres vorzeitigen Rentenstandes noch intensiver der Bibelforscherei widmen. Im Dezember 1986 berichtete eine Mitarbeiterin der VdN-Betreuungsstelle M…-…dem “Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer”, aus den Unterlagen gehe hervor, der “Glaube” des Klägers habe eine große Rolle dabei gespielt, er wolle die Dienststelle offensichtlich nicht verstehen. Auch weitere Bemühungen des Klägers, die Aberkennung rückgängig zu machen, blieben erfolglos.

Im Februar 1993 schlug die beigeladene Kommission der Bundesrepublik Deutschland zum Versorgungsruhens- und Entschädigungsrentengesetz der Beklagten vor, dem Kläger – wie beantragt – mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 “eine Entschädigungsrente” gemäß § 3 Abs 1 des Gesetzes zur Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus (NS) im Beitrittsgebiet (ERG) vom 22. April 1992 (BGBl I 906) zu bewilligen. Es stehe fest, daß die Rücknahme der VdN-Anerkennung gegen die Grundsätze der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit verstoßen habe und mithin aus menschenrechts- und rechtsstaatswidrigen Gründen erfolgt sei; eine nachträgliche Prüfung, ob die ursprüngliche Anerkennung den Richtlinien entsprochen habe, sei nicht möglich.

Die beklagte Bundesrepublik Deutschland lehnte – entgegen diesem Vorschlag – die Bewilligung “einer Entschädigungsrente” nach dem ERG ab, weil der Kläger weder Widerstand iS von § 1 Nr 1 der VdN-Richtlinien geleistet habe noch iS der Nr 2 aaO wegen sonstiger antifaschistischer Handlungen mindestens 18 Monate in Haft gewesen sei. Kinder im Alter von sechs Jahren könnten noch keine bewußten – ihnen zurechenbaren – Handlungen oder Unterlassungen begehen, die als Widerstandshandlungen gegen ein Willkürsystem gewertet werden könnten. Die Entziehung des Sorgerechts und die Unterbringung in einem Erziehungsheim hätten allein im Zusammenhang mit der politischen Verfolgung der religiös eingestellten Eltern gestanden. Rechtlich unerheblich sei, daß sachfremde Erwägungen die Entscheidung über die Aberkennung der VdN-Eigenschaft mit beeinflußt hätten (Bescheid vom 30. März 1993, Widerspruchsbescheid vom 15. November 1994).

Das Sozialgericht (SG) Magdeburg hat die Klage mit Urteil vom 7. Dezember 1993 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hat auf die Berufungen des Klägers und der beigeladenen Kommission das Urteil des SG und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufgehoben und die beklagte Bundesrepublik Deutschland verurteilt, dem Kläger vom 3. Oktober 1990 an Entschädigungsrente zu zahlen (Urteil vom 26. Januar 1995). Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Anerkennung als VdN sei rechtmäßig gewesen. Der Kläger sei von 1936 bis 1938 in entsprechender Anwendung des § 1 Nrn 2, 10, 11 der VdN-Richtlinien ein VdN gewesen. Hinsichtlich der Haftunterbringung bestehe in § 2 Abs 1 und 3 der VdN-Richtlinien eine Regelungslücke, weil die einer Haft gleichzusetzende Unterbringung in einem Erziehungsheim nicht erwähnt worden sei. Dies sei eine planwidrige Lücke, weil die VdN-Richtlinien nach der Gesamtheit ihrer Tatbestände auch diese Fallgruppe hätten erfassen wollen. Es seien nämlich Fälle der Verfolgung aus religiösen Gründen (§ 2 Abs 1 aaO), der Verfolgung ohne eigene Widerstandshandlung (§ 1 Nrn 11 bis 14, 17 aaO) und der Verfolgung von Kindern (§ 1 Nrn 11 bis 14, 17 aaO) geregelt worden. Solche Tatbestände habe der Kläger erfüllt; er sei als Verfolgter seiner Freiheit beraubt gewesen und einem von Sippenhaft Betroffenen vergleichbar. Die Einweisung in das Erziehungsheim habe die Eltern zur Aufgabe ihres Glaubens veranlassen und den Kläger den Einflüssen der NS-Vorstellungen möglichst ausschließlich aussetzen sollen. Ein Anerkennungsausschluß iS von § 4 Nr 1 der VdN-Richtlinien greife nicht ein. Somit habe der Kläger zwar dem Wortlaut nach die Anerkennungstatbestände nicht erfüllt, sei aber zu Recht nach § 8 der VdN-Richtlinien als VdN anerkannt worden. Gründe für die Aberkennung dieser Rechtsposition hätten also niemals vorgelegen. Das Vorgehen der DDR-Behörden im Jahre 1959 sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar gewesen, weil sie sich bewußt von sachwidrigen Erwägungen hätten leiten lassen. Die Mißachtung der Menschenwürde (iS von Art 1 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫) habe sich in der nachteiligen Berücksichtigung der bloßen Glaubenszugehörigkeit, in der Inanspruchnahme verdeckter Ermittlungen, in Drohungen, in der Verletzung des rechtlichen Gehörs und durch die willkürliche Ablehnung einer schriftlichen Bescheidung ausgedrückt. Wegen des Inhalts des angefochtenen Urteils im übrigen wird auf dieses Bezug genommen (Bl 1 bis 8 der Akte des Bundessozialgerichts ≪BSG≫).

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision vor, das Berufungsgericht habe § 3 Abs 3 Satz 1 iVm § 6 Abs 1 Satz 1 ERG verletzt, weil sie für die Auszahlung der Entschädigungsrente unzuständig sei. Ferner sei § 3 Abs 1 Buchst c ERG verletzt, weil der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung einer Entschädigungsrente habe. Voraussetzung für den Bewilligungsanspruch sei nicht nur, daß die Aberkennung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sei, sondern auch, daß Gründe für eine Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgter zu keiner Zeit vorgelegen hätten. Dies sei aber beim Kläger nicht der Fall. Die Voraussetzungen der VdN-Richtlinien für die Anerkennung als VdN hätten niemals vorgelegen; daher seien Gründe für die Aberkennung gegeben gewesen. Die Verwaltungspraxis in der ehemaligen DDR, welche die VdN-Richtlinien auch über den Wortlaut hinaus angewandt habe, führe in Fällen der vorliegenden Art zu einer dem Grundsatz der Gleichbehandlung iS von Art 3 Abs 1 GG widersprechenden Ungleichbehandlung. Dieser Grundsatz schreibe gerade eine Gleichbehandlung im Unrecht nicht vor. Dem stehe nicht entgegen, daß bei anerkannten VdN, die zum 30. April 1992, dem Tag vor dem Inkrafttreten des ERG, eine Ehrenpension bezogen haben, nicht geprüft werde, ob sie zu Recht anerkannt worden seien. Verfolgte iS von § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG), die keine Ehrenpension bezogen hätten und denen Entschädigungsrente nach § 3 ERG nicht zu bewilligen sei, würden gemäß § 8 ERG und den hierzu ergangenen Richtlinien entschädigt. Da die VdN-Richtlinien eine abgeschlossene Auflistung der Anerkennungstatbestände enthielten, habe die Beklagte keinen Spielraum im Sinne einer weiten Auslegung. Wegen des Vorbringens der Beklagten im übrigen wird auf deren Schriftsätze vom 10. April 1995, vom 21. August 1995 und vom 19. März 1996 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Januar 1995 aufzuheben und die Berufungen des Klägers und der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 7. Dezember 1993 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Januar 1995 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Anerkennung als VdN sei rechtmäßig gewesen; sie habe der Anerkennungspraxis der in der DDR mit der Durchführung der VdN-Richtlinien befaßten staatlichen Stellen entsprochen. Nach der Anerkennung habe es nachträglich keine Gründe gegeben, welche die Aberkennung rechtfertigen könnten. § 8 der VdN-Richtlinien habe der VdN-Dienststelle die Möglichkeit eröffnet, mit vorheriger Zustimmung des zuständigen Landesministers Verfolgungstatbestände über die bereits vom Wortlaut der Richtlinie erfaßten hinaus anzuerkennen. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, daß damals die zuständigen Behörden zwingende Gründe für die Gleichstellung des Klägers mit den Verfolgten angenommen hätten, die von den Tatbeständen der VdN-Richtlinien ausdrücklich erfaßt worden seien. Im übrigen komme es nur darauf an, ob die damalige Entscheidung rechtlich vertretbar gewesen sei. Der Zweck des § 8 ERG, die Unvollständigkeit der VdN-Richtlinien hinsichtlich der Erfassung der VdN und ihrer Entschädigung zu beheben, rechtfertige es nicht, rechtmäßig getroffene Entscheidungen aufgrund dieser Richtlinien nunmehr nachträglich nur dem Anwendungsbereich des § 8 ERG zuzuweisen. Wegen des Vorbringens des Klägers im übrigen wird auf die Schriftsätze vom 26. Juni 1995 und vom 29. September 1995 sowie auf die persönlichen Schreiben des Klägers vom 10. März 1995 und vom 26. April 1995 Bezug genommen.

Die beigeladene Kommission stellt keinen Antrag. Sie meint, die nachträgliche Prüfung, ob die ursprüngliche Anerkennung als VdN der Richtlinie entsprochen habe, sei ausgeschlossen. Der Kläger sei nicht in Haft gewesen, sondern in einem Erziehungsheim. Eine politische Verfolgung habe nicht vorgelegen, weil er wegen seines Alters von sechs Jahren keinen bewußten Widerstand gegen das NS-Regime habe leisten können. Entscheidend für die Zuerkennung einer Rente sei aber, daß er ohne die rechtsstaatswidrige Aberkennung des VdN-Status bis zum Erlöschen der DDR noch entschädigungsberechtigt geblieben wäre. Von diesem Grundsatz der Unüberprüfbarkeit von VdN-Anerkennungen gehe auch § 2 ERG aus; bei fortgezahlten Renten werde von vornherein nicht geprüft, ob die DDR den VdN-Status zu Unrecht anerkannt habe. Es führte zu einer rechtsstaatswidrigen Ungleichbehandlung, falls man bei rechtsstaatswidrigen Aberkennungen auch noch prüfen müsse, ob die ursprüngliche Anerkennung dem DDR-Recht entsprochen habe. Wegen des weiteren Vorbringens der Beigeladenen zu 2) wird auf den Schriftsatz vom 19. Mai 1995 verwiesen.

Die beigeladene BfA stellt keinen Antrag; sie hat sich zur Sache nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland ist zulässig, aber nur insoweit begründet, als das Berufungsgericht sie zu Unrecht dazu verurteilt hat, dem Kläger Entschädigungsrente “zu zahlen” (dazu unter A). Die Revision ist unbegründet, soweit die Beklagte sich gegen die Verpflichtung wendet, dem Kläger ein gegen die beigeladene BfA gerichtetes Recht auf Gewährung einer Entschädigungsrente ab 3. Oktober 1990 zu bewilligen (dazu unter B).

A:

Zutreffend rügt die Beklagte, daß das LSG sie zur “Zahlung” von Entschädigungsrente an den Kläger nicht hatte verurteilen dürfen. Die Bundesrepublik Deutschland ist nämlich nicht Verpflichtete aus einem Recht auf Entschädigungsrente und insbesondere nicht Zahlungsschuldnerin hinsichtlich der daraus monatlich entstehenden Zahlungsansprüche (dazu unter 1), sondern hat im Bewilligungsverfahren nach § 3 ERG nur darüber zu entscheiden, ob sie dem Kläger ein subjektives Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA zu gewähren hat, die dann daraus verpflichtet und ggf Zahlungsschuldnerin sein kann (dazu unter 2).

1. Die Beklagte ist mangels Passivlegitimation nicht verpflichtet, dem Kläger Entschädigungsrente zu zahlen:

a) Gemäß § 6 Abs 1 ERG ist die BfA für die Erfüllung der Aufgaben aus dem ERG “zuständig”. Sie ist dasjenige Rechtssubjekt, das – grundsätzlich allein – das Gesetz durchführen muß und alle daraus notwendig werdenden Entscheidungen zu treffen hat (verbandszuständig). Sie hat in den Fällen der Anschlußbewilligung nach § 2 ERG darüber zu entscheiden, ob jemand – anders als der Kläger – im April 1992 iS von § 2 Abs 1 ERG “eine Ehrenpension bezogen”, dh ein zuerkanntes subjektives Recht auf Gewährung einer Ehrenpension hatte. Als mit der Durchführung des ERG beauftragter Entschädigungsträger ist die BfA grundsätzlich auch allein dasjenige Rechtssubjekt, das aus den Rechten auf Entschädigungsrente, die den Verfolgten zuerkannt sind, verpflichtet und ggf Schuldner dieser Ansprüche (passiv legitimiert) ist. Sie ist nur dann nicht (verbands-)zuständig, wenn das ERG ausnahmsweise ein anderes Rechtssubjekt als “zuständig” bestimmt. Dies ist nur in §§ 3, 5 und 8 ERG geschehen.

b) Danach ist die beklagte Bundesrepublik Deutschland (verbands-)zuständig und passiv legitimiert nur, soweit über die Neubewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente nach § 3 iVm § 5 Abs 1 Regelung 1 ERG, über dessen Kürzung oder Entziehung gemäß § 5 Abs 1 Regelungen 2 und 3 ERG oder über eine Auffangbewilligung nach § 8 ERG (iVm den Richtlinien der Bundesregierung für eine ergänzende Regelung über Entschädigungen für NS-Opfer im Beitrittsgebiet vom 13. Mai 1992 ≪BAnz Nr 95 S 4186≫) zu entscheiden ist:

Ist über die Neubewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente auf Antrag einer Person zu entscheiden, die in der DDR als VdN ausdrücklich oder – bei rechtsstaatswidriger Ablehnung – sinngemäß anerkannt war und kein Recht auf eine Ehrenpension erhalten hatte, muß der beklagte Staat nach näherer Maßgabe des § 3 ERG durch das Bundesversicherungsamt (BVA) als seine oberste Bundesbehörde handeln (§ 94 Viertes Buch Sozialgesetzbuch; § 2 des Bundesversicherungsamtsgesetzes); gleiches gilt gemäß § 5 Abs 2 ERG in den Fällen der Kürzung oder Aberkennung eines Rechts auf Entschädigungsrente. In den Fällen der Auffangbewilligung nach § 8 ERG ist der beklagte Staat sowohl (verbands-)zuständig als auch für Zahlungsansprüche passiv legitimiert bei Verfolgten iS von § 1 BEG, die – unter weiteren Voraussetzungen – ein Recht auf Entschädigungsrente erhalten, wenn sie ein solches Recht nicht schon nach den §§ 1 bis 7 ERG haben und wegen ihres Wohnsitzes im Beitrittsgebiet keine Wiedergutmachungsleistungen nach dem BEG oder anderen vergleichbaren Regelungen erhalten konnten. Für die Durchführung des § 8 ERG (iVm den og Richtlinien der Bundesregierung) bedient die Beklagte sich gemäß § 8 der Richtlinien des Bundesministers der Finanzen als Ausführungsorgan.

In den Fällen der – hier streitigen – Neubewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente nach § 3 ERG ist die beklagte Bundesrepublik Deutschland also niemals Zahlungsschuldnerin und hätte demgemäß nicht als solche verurteilt werden dürfen.

2. Der Kläger kann in diesem Rechtsstreit auch kein Zahlungsurteil gegen die BfA erlangen, die – anders als das BVA oder der Bundesminister der Finanzen – keine Behörde des beklagten Staates, sondern ein eigenständiges Rechtssubjekt ist. Sie ist nur als Entschädigungsträger (nicht: als Versicherungsträger iS von § 75 Abs 2 Regelung 2 iVm Abs 5 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) notwendig beigeladen:

Die BfA ist nicht nur im Verwaltungsverfahren vor dem BVA nach Maßgabe von § 6 Abs 3 Satz 1 ERG iVm § 12 Abs 2 Satz 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen und auf ihren Antrag hinzuzuziehen, sondern auch im Gerichtsverfahren gemäß § 75 Abs 2 Regelung 1 SGG notwendig beizuladen, wenn die Beklagte – wie hier – über die Neubewilligung (oder Kürzung oder Aberkennung) eines Rechts auf Entschädigungsrente zu entscheiden hat bzw wenn darum vor Gericht gestritten wird. In diesen Fällen muß nämlich das BVA durch schriftlichen Verwaltungsakt (§ 6 Abs 3 Satz 2 ERG) nicht nur gegenüber dem Anspruchsteller, sondern auch gegenüber dem möglichen Anspruchsgegner, dh gegenüber der BfA, darüber entscheiden, ob dem Antragsteller ein subjektives Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA zuzuerkennen ist, aufgrund dessen er von dem Entschädigungsträger monatlich Zahlungen in Höhe des Wertes dieses Entschädigungsrechtes (§ 2 Abs 2 ERG) verlangen darf. Durch die Neubewilligung wird also ein Entschädigungsrechtsverhältnis zwischen dem NS-Verfolgten und der BfA begründet. Schon deswegen kann die Entscheidung über die zwischen dem Kläger und dem beklagten Staat streitige Frage, ob dieser dem Kläger ein solches Entschädigungsrecht gegen die BfA bewilligen muß, auch der BfA gegenüber nur einheitlich ergehen, die – unbeschadet der Regelung über den Aufwendungsersatz in § 7 ERG – schon als Selbstverwaltungsträger der gesetzlichen Rentenversicherung gesetzwidrige Belastungen durch Organe der vollziehenden Gewalt des beklagten Staates und unzulässige Zugriffe auf das ihrer Verwaltung unterstehende Beitragsaufkommen und Vermögen als Rentenversicherungsträger abwehren können muß.

Das Urteil des LSG kann nach alledem keinen Bestand haben, soweit der beklagte Staat zur “Zahlung” von Entschädigungsrente an den Kläger verurteilt worden ist.

B:

Die Revision der Beklagten ist jedoch im übrigen unbegründet, dh soweit das LSG sie im Ergebnis – wie im Urteilsausspruch klarzustellen war – verpflichtet hat, dem Kläger ein Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA gemäß § 3 Abs 1 Buchst c ERG zu bewilligen. Die nach Durchführung des – vom LSG zutreffend für erforderlich erachteten – Widerspruchsverfahrens (der Vorverfahrensausschluß nach § 6 Abs 4 Satz 2 ERG erfaßt nur Kürzungen oder Entziehungen des Rechts auf Entschädigung nach § 5 ERG) zulässige (Anfechtungs- und) Verpflichtungsklage ist begründet. Der Kläger hat gemäß § 3 Abs 1 Buchst c ERG gegen die Beklagte einen Anspruch auf die begehrte Bewilligung.

1. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt dies sich allerdings nicht – ohne weitere Sachprüfung (dazu unten Nrn 2ff) – bereits aufgrund des Vorschlags der beigeladenen Kommission. Dieser Vorschlag ist weder der Verwaltungsakt, durch den dem Kläger ein Anspruch auf Bewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente zuerkannt wird, noch eine rechtlich eigenständige, dh von der gesetzlichen Anspruchsgrundlage des § 3 Abs 1 ERG losgelöste Grundlage, die den gegen die Beklagte erhobenen Bewilligungsanspruch stützen könnte:

a) Der Beschluß (Vorschlag) der Kommission ist kein Verwaltungsakt; er verändert die Rechtsposition des Klägers nicht unmittelbar:

Nach § 3 Abs 3 Satz 1 ERG “entscheidet das BVA auf Vorschlag der Kommission”. Diese hat ihren Beschluß schriftlich zu begründen (Satz 4 aaO); ferner ist dem Antragsteller nicht nur die Entscheidung des BVA, sondern “auch der Beschluß der Kommission bekanntzugeben” (Satz 5 aaO). Jedoch darf die Beklagte von dem Vorschlag der Kommission abweichen, wenn auch nur “in besonders begründeten Fällen” und mit besonderer Begründungspflicht (Satz 6 aaO). Im gerichtlichen Verfahren ist die Kommission nicht Beklagte (Hauptbeteiligte), kann also über den Streitgegenstand auch vor Gericht nicht verfügen. Sie ist – wie vorliegend geschehen – beizuladen und damit nur Nebenbeteiligte (Satz 7 aaO). Der Vorschlag der Kommission schließt somit das Verwaltungsverfahren nicht einmal teilweise ab und enthält keine unmittelbar außenwirksame Regelung; er ist also kein Verwaltungsakt, sondern ein verwaltungsinterner Mitwirkungsakt in dem Verwaltungsverfahren, dessen Träger das BVA als alleinige nach außen “federführende” Behörde ist. Dieses entscheidet abschließend durch schriftlichen Verwaltungsakt (§ 6 Abs 3 Satz 2 ERG) mit unmittelbarer Außenwirkung für den Antragsteller. Zwar ist die Kommission im Regelfall die in der Sache ausschlaggebende Stelle. Nach der Kompetenz zur außenverbindlichen Regelung beurteilt ist sie aber nur als mitwirkende Behörde in das Verwaltungsverfahren vor dem BVA einbezogen. Ihr Beschluß (Vorschlag) weist dem Kläger noch nicht das Recht auf Entschädigungsrente und auch noch nicht den Rechtsanspruch zu, von der Beklagten die begehrte Bewilligung zu verlangen.

b) Der Vorschlag ist allerdings im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und der Beklagten rechtlich nicht unbeachtlich. Denn er dient auch zu seinem Schutz vor sachlich und rechtlich ungerechtfertigten Ablehnungen durch das BVA. Auf dieses Recht gestützt kann der Antragsteller mit der Anfechtungsklage geltend machen, das BVA sei dem Vorschlag ohne hinreichenden Grund nicht gefolgt. Eine derartige Klage konnte hier aber keinen Erfolg haben, weil das BVA aufgrund seiner – insoweit im Verwaltungsverfahren maßgeblichen – Rechtsansicht befugt war, vom Vorschlag der Kommission abzuweichen:

Das BVA ist in seinem im Bereich der vollziehenden Gewalt des beklagten Staates liegenden Binnenverhältnis (Interorganverhältnis) zur Kommission prinzipiell gehalten, über die Bewilligung eines Rechts auf Entschädigungsrente gegen die BfA gemäß dem Vorschlag der Kommission zu entscheiden. Es darf nur in “besonders begründeten Fällen” (§ 3 Abs 3 Satz 6 aaO), also nur dann von dem Vorschlag abweichen, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen; ggf muß das BVA außerdem gerade “dieses begründen” (Satz 6 aaO), dh im Bescheid verdeutlichen, weshalb es glaubt, berechtigt zu sein, anders zu entscheiden, als von der Kommission vorgeschlagen war. Die Kompetenzen der Kommission sind nicht darauf beschränkt, das BVA (die Beklagte) zu beraten oder ihm Anregungen zu geben; andererseits bedarf das BVA für eine vom Vorschlag abweichende Entscheidung der Zustimmung oder des Einvernehmens der Kommission nicht.

Im gesetzlichen Regelfall folgt das BVA dem Vorschlag der Kommission. Grund hierfür ist, daß diese nach § 3 des Versorgungsruhensgesetzes (≪VRG≫, verkündet als Art 4 des Renten-Überleitungsgesetzes) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606) mit besonderer Fachkunde, gerade auch hinsichtlich der Verhältnisse in der DDR, sowie unabhängig und weisungsfrei entscheidet. Deswegen darf das BVA nicht schon dann abweichen, wenn es der Ansicht ist, die Kommission habe die von ihr erhobenen Beweise unzutreffend gewürdigt, Umstände des Einzelfalles falsch bewertet, Verhältnisse in der DDR nicht richtig beurteilt oder die Voraussetzungen des § 3 ERG (bzw § 5 ERG) aufgrund des von ihr im Einzelfall festgestellten Sachverhalts zu Unrecht bejaht.

Demgegenüber dient die Kompetenz des BVA zur abschließenden und außenverbindlichen Entscheidung dazu, im Einzelfall prüfen zu können, ob die Kommission ihrem Rechtsanwendungsvorschlag ein zutreffendes Verständnis der rechtlichen Vorgaben des ERG zugrunde gelegt und diese beachtet hat. Kommt das BVA zu der Ansicht, die Kommission habe den abstrakten Inhalt von Vorschriften des ERG nicht zutreffend erfaßt, und wäre nach dem von der Kommission festgestellten Sachverhalt bei – nach Ansicht des BVA – “richtiger” Auslegung des ERG eine andere als die vorgeschlagene Entscheidung geboten, liegt – falls die Kommission nach Rückfrage des BVA bei ihrem Vorschlag bleibt – ein “besonders begründeter” Fall vor (Abs 3 Satz 6 aaO). So verhält es sich hier:

Die Beklagte hat in den angefochtenen Entscheidungen klargestellt, daß sie vom Vorschlag der Kommission abgewichen ist, weil sie die rechtlichen Voraussetzungen des § 3 Abs 1 Buchst c ERG anders beurteilt hat. Die Kommission meint, es dürfe bei Anwendung dieser Vorschrift nicht geprüft werden, ob die ursprüngliche Anerkennung des Antragstellers als VdN durch die DDR nach deren Vorschriften zu Recht erfolgt sei, die Beklagte hingegen, das ERG gebiete dies. In einem solchen Fall unterschiedlicher Auslegungen der für die Entscheidung tragenden Vorschriften des ERG mutet das Gesetz der beklagten Bundesrepublik Deutschland nicht zu, dem Antragsteller das Recht auf Entschädigung allein wegen des Vorschlages der Kommission bewilligen zu müssen, obwohl dieser Vorschlag nach ihrer Auffassung auf einer Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung dieses Rechtes beruht. Ein “besonders begründeter Fall” iS von § 3 Abs 3 Satz 5 ERG liegt damit vor.

2. Die Verpflichtungsklage ist begründet, weil der Kläger gemäß § 3 Abs 1 Buchst c und Abs 3 Satz 1 ERG Anspruch gegen die Beklagte auf Bewilligung des Rechts auf eine Entschädigungsrente gegen die BfA ab 3. Oktober 1990 hat. Sein Antrag ist deshalb durch die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen iS von § 54 Abs 2 Satz 1 SGG zu Unrecht abgelehnt worden.

Gemäß § 3 Abs 1 ERG erhalten auf Antrag frühestens ab 3. Oktober 1990 Personen eine Entschädigungsrente, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer derartigen Rente (nach § 2 ERG) nur deshalb nicht erfüllen, weil sie eine Ehrenpension (oder Hinterbliebenenpension) am 30. April 1992 nicht bezogen haben, wenn ein Bewilligungsgrund iS der Buchst a) bis c) aaO vorliegt (dazu unten Nrn 3 und 4) und zu keiner Zeit Gründe für eine Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgter vorgelegen haben (dazu unten Nr 5).

§ 3 Abs 1 Buchst c ERG ist – entgegen der Ansicht der Beklagten, die auf § 8 ERG iVm § 1 BEG verweist – die hier anzuwendende Anspruchsgrundlage:

a) Der Geltungs- und Anwendungsbereich des ERG erfaßt nach dessen § 1 diejenigen, die nach den §§ 1 und 2 der Anordnung über die Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene vom 20. September 1976 (≪EhPensAO≫ vertrauliche Dienstsache – VD – 26/19/76, amtlich nicht veröffentlicht, abgedruckt in Aichberger II, Sozialgesetze, Ergänzungsband für die neuen Bundesländer, Nr 127) “Kämpfer gegen den Faschismus”, “Verfolgte des Faschismus” oder deren Hinterbliebene waren. Bis zum Ablauf des Jahres 1991 war die EhPensAO gemäß Einigungsvertrag (Einigvtr im folgenden EV) Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 5 in der zuvor durch das Rentenangleichungsgesetz (RAnglG) der DDR vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38 S 395) geänderten Fassung kraft bundesgesetzlichen Anwendungsbefehls als sekundäres Bundesrecht weiter anzuwenden; die zuvor zuerkannten “Ehrenpensionen” mußten von der Beklagten auch darüber hinaus weitergezahlt werden.

Durch § 1 ERG wurde das Recht auf Entschädigung wegen NS-Verfolgung für Opfer im Beitrittsgebiet auf eine neue Grundlage gestellt:

b) Soweit im April 1992 ein zuerkanntes Recht auf eine Ehrenpension oder Hinterbliebenenpension nach der EhPensAO bestand, wurde es gemäß § 2 ERG durch ein Recht auf Entschädigungsrente nach dem ERG ersetzt. Die – formfrei zulässige – Umwandlung hatte die BfA durchzuführen. Der Kläger gehört allerdings nicht zu den von § 2 ERG erfaßten Personen. Denn er hat bis zum 30. April 1992 keine Ehrenpension “bezogen”. Diese Voraussetzung ist nämlich nur erfüllt, wenn ein subjektives Recht auf diese Leistung zuvor zuerkannt war; ein Zuerkennungsakt liegt nicht vor.

c) Der Kläger darf jedoch – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht darauf verwiesen werden, eine Auffangbewilligung beim Bundesminister der Finanzen nach § 8 ERG zu beantragen. In diesem Verfahren kann ein Recht auf Entschädigungsrente nur jenen Verfolgten iS des § 1 BEG gewährt werden, die kein Recht auf Entschädigung nach den §§ 2 oder 3 ERG haben und wegen ihres Wohnsitzes im Beitrittsgebiet kein Wiedergutmachungsrecht nach dem BEG oder vergleichbaren Regelungen hatten. § 8 ERG dient – als Auffangbestimmung – nur der rechtsgrundsätzlichen Gleichstellung dieser NS-Opfer mit denjenigen NS-Verfolgten im Beitrittsgebiet, die eine Anschlußgewährung nach § 2 ERG oder eine Neubewilligung nach § 3 ERG verlangen können.

d) Die Neubewilligung nach § 3 ERG bezweckt eine Gleichstellung vor allem der NS-Verfolgten im Beitrittsgebiet, denen die DDR ein Recht auf Wiedergutmachung in rechtsstaatlich unerträglicher Weise verweigert hatte, mit denjenigen, die nach § 2 ERG eine Anschlußbewilligung beanspruchen können. Zu dieser Personengruppe gehört der Kläger (näher unten Nrn 3 und 4); er kann auf § 8 ERG somit nicht verwiesen werden.

e) Einschlägiger Bewilligungsgrund ist § 3 Abs 1 Buchst c ERG:

§ 3 Abs 1 ERG gewährt Personen einen Anspruch auf Neubewilligung, wenn sie

  • in der Zeit vom 1. März 1990 bis zum 2. Oktober 1990 einschließlich als Verfolgte nach den in § 2 der Anordnung über Ehrenpension genannten Vorschriften anerkannt worden sind,
  • die Voraussetzung für die Anerkennung der Eigenschaft als Verfolgte erfüllt haben und die Ablehnung der Anerkennung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des EV unvereinbar ist (Abs 19 Satz 2 EV) oder
  • vor dem 1. März 1990 als Verfolgte anerkannt worden sind und die (Nichtbewilligung oder der Entzug einer Ehrenpension oder die) Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgte mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit Regelungen des EV unvereinbar ist (Art 19 Satz 2 EV)

und (wenn) zu keiner Zeit Gründe für eine Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgte vorgelegen haben.

Buchst a greift nicht ein; denn der Kläger ist nach Wiedereröffnung der Anerkennungsmöglichkeit als VdN im März 1990 nicht mehr als Verfolgter anerkannt worden (Buchst a aaO; vgl hierzu BT-Drucks 12/1790, S 5); Buchst b liegt nicht vor, weil er nur Verfolgte betrifft, deren Anerkennungsanträge in der DDR trotz schlüssiger Anerkennung der Verfolgteneigenschaft aus rechtsstaatswidrigen Gründen abgelehnt wurden; Buchst c ist anzuwenden; er hat nämlich spezialgesetzlich die Fälle erfaßt, in denen jemand vor dem 1. März 1990 als Verfolgter anerkannt worden war, ihm aber – mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit Regelungen des EV unvereinbar – Ehrenpension nicht bewilligt oder entzogen oder die Eigenschaft als Verfolgter aberkannt wurde. Hierauf kann der Kläger sein Begehren stützen.

Er war am 13. Mai 1952 als VdN anerkannt worden (dazu unter 3.); die Aberkennung dieses Rechtsstatus am 10. April 1959 war mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar (dazu unter 4.); zu keiner Zeit haben Gründe vorgelegen, welche eine Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgter hätten rechtfertigen können (dazu unter 5.).

3. Der Kläger ist iS von § 3 Abs 1 Buchst c ERG “vor dem 1. März 1990 als Verfolgter anerkannt” worden, nämlich durch den (Verlängerungs-)Beschluß des Kreisprüfungsausschusses der VdN-Dienststelle vom 13. Mai 1952 mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums. Dies ist die historische Tatsache, die den in § 3 Abs 1 Buchst c ERG genannten Gleichstellungsgrund ergibt. Nur auf diese Tatsache kommt es an. Hingegen ist nach Bundesrecht unerheblich, ob die DDR ihre Vorschriften (hier: VdN-Richtlinien) “richtig” angewandt hat:

a) Unerheblich ist – entgegen der Ansicht der Beklagten –, ob der Kläger – gewissermaßen in nachträglich objektiver Betrachtung – die Voraussetzungen des § 1 Nr 10 der VdN-Richtlinien, der in dem Anerkennungsbescheid genannt ist, oder andere Tatbestände dieser Richtlinien erfüllt hat. Denn die VdN-Richtlinien sind kein anwendbares (sekundäres) Bundesrecht. Dies verdeutlicht schon der Text des § 1 Nr 10 dieser Richtlinien. Danach waren als VdN Personen anzuerkennen,

“die sich gegen Zwangsmaßnahmen des Naziregimes wandten und deswegen mehr als 18 Monate in Haft waren, sofern sie auch nach 1945 eine einwandfreie antifaschistisch-demokratische Haltung bewahrt haben. Die Anerkennung ist ausgeschlossen, wenn die Handlung mit einer persönlichen Bereicherung verbunden war”.

Ein an das GG gebundener, auf die Bewahrung der Grundrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates verpflichteter Staat darf eine derartige Vorschrift weder als Verhaltensanordnung befolgen noch rechtsmaßstäblich anwenden; die VdN-Richtlinien (näher dazu unter b) sind für die bundesrechtlichen Regelungen des ERG kein rechtlicher Maßstab, sondern nur ein tatsächlicher Anknüpfungspunkt, nämlich ein Indiz für die Anerkennungspraxis der DDR.

b) Das ERG kann seine Funktion, die NS-Verfolgten im wiedervereinigten Deutschland rechtlich im wesentlichen gleichzustellen, nur erfüllen, wenn Bewilligungsgrund allein die Tatsache der Anerkennung als NS-Verfolgter (und die rechtsstaatlich unvertretbare Nichtgewährung einer Entschädigung) durch die DDR ist. Gerade weil die Vorschriften der DDR eine rechtsstaatlich unverträgliche Auswahl unter den NS-Opfern vorsehen, kann bei der Anerkennung im Einzelfall typischerweise davon ausgegangen werden, daß der Betroffene NS-Opfer iS von § 1 BEG ist:

Das ERG zielt darauf ab, den NS-Verfolgten, die in der DDR leben mußten, (unter “Bestandsschutz”) jedenfalls rechtsgrundsätzlich gleichartige Wiedergutmachungsrechte zuzuerkennen, wie sie im BEG vorgesehen waren.

Nach Bundesrecht war der die Wiedergutmachungsrechte begründende und damit die Einstandspflicht des Bundes auslösende Tatbestand des § 1 BEG “opferzentriert”. Der Verfolgte (nicht nur: ausgewählte “Widerstandskämpfer”) hatte gemäß § 3 BEG Anspruch auf Entschädigung nach diesem Gesetz. Gemäß der Generalklausel des § 1 Abs 1 BEG ist Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter); weitere Gleichstellungen finden sich in Abs 2 und Abs 3 aaO. Damit hing die Entstehung eines individuellen Wiedergutmachungsrechtes rechtsgrundsätzlich allein davon ab, ob eine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme (§ 2 BEG) gegen eine Person gerichtet worden war und bei ihr eine Beeinträchtigung der in § 1 Abs 1 BEG genannten Rechtsgüter bewirkt hatte; der Inhalt des Wiedergutmachungsrechts im einzelnen ergab sich (“haftungsausfüllend”) grundsätzlich aus der Art und aus dem Ausmaß, in dem das jeweilige Rechtsgut des einzelnen durch den nationalsozialistischen Zugriff verletzt worden war.

Demgegenüber sah die DDR von vornherein grundsätzlich davon ab, alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu entschädigen:

In § 1 der VdN-Richtlinien wurden 18 Fallgruppen genannt, die als “Verfolgte des Naziregimes” anerkannt wurden. Darunter war nur in den Fallgruppen Nrn 12 bis 16 (rassisch verfolgte Juden, “Mischlinge”, “Versippte”, “Sternträger”, nichtjüdische Lebensgefährten von “Sternträgern”, Juden in sog “privilegierten Ehen”) und Nr 18 (Personen, die aus politischen oder rassischen Gründen sterilisiert wurden) nicht “tatbestandliche” Voraussetzung, daß der Betroffene “antifaschistisch” gedacht oder gehandelt hatte oder – wie bei den “Zigeunern” vorgeschrieben – nach 1945 eine antifaschistisch-demokratische Haltung bewahrt hatte. Das bedeutet, daß von vornherein nur Personen als Verfolgte anerkannt wurden, welche die SED als “Antifaschisten” iS ihrer Ideologie einstufte. Deswegen war von vornherein nicht vorgesehen, NS-Opfer, die zB als Widerstandskämpfer aus anderen weltanschaulichen oder politischen Gründen gehandelt hatten, als Verfolgte des Naziregimes anzuerkennen. Gleiches galt im Ergebnis auch für “rassisch” Verfolgte des NS-Regimes; dies ergibt sich aus §§ 4 und 5 der VdN-Richtlinien, nach denen ua die Anerkennung für Verfolgte ausgeschlossen war, “die das Naziregime in der Absicht bekämpften, ein ähnliches faschistisches oder militaristisches System zu errichten”, oder zurückgenommen werden konnte, wenn der Anerkannte “neofaschistischen Bestrebungen Vorschub leistete”; ähnliches folgt aus dem Ausschluß des Anerkennungsausschlusses in § 4 Nr 3 der VdN-Richtlinien, nach dem ein wegen krimineller Straftaten rechtskräftig Verurteilter gleichwohl anzuerkennen war, “wenn die Tat aus fortschrittlichen, politischen oder weltanschaulichen Gründen geschah oder die spätere Haltung des Antragstellers gegenüber dem Naziregime eine Anerkennung rechtfertigte”. Folgerichtig aus dieser Sicht bestand gemäß § 6 Abs 2 der VdN-Richtlinien auch kein Rechtsanspruch auf Anerkennung. Käme es jedoch – wie die Beklagte meint – auf die in den VdN-Richtlinien gespiegelte Auswahl der DDR unter den NS-Opfern an, würden gerade diejenigen Verfolgten den besonderen Beweisschwierigkeiten des § 8 ERG unterworfen, deren Verfolgteneigenschaft schon von der DDR anerkannt worden war und die von ihr besonders benachteiligt worden sind.

c) Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt auch § 3 Abs 1 Buchst a bis c ERG ausschließlich auf das tatsächliche Verhalten von DDR-Organen ab, das im Lichte dieser Vorschrift und sonstigen originären Bundesrechts rechtlich zu würdigen ist. Hierbei ist der die Gleichstellung mit den Anschlußbewilligungen nach § 2 ERG rechtfertigende Grund, daß Organe der DDR einmal ausdrücklich oder sinngemäß anerkannt haben, der Antragsteller sei VdN. Auch diese zweite Gleichstellungsfunktion, die Gleichbehandlung der NS-Opfer, die unter der Herrschaft der DDR leben mußten, untereinander, könnte nicht erreicht werden, wenn die Bundesrepublik Deutschland noch nachträglich die rechtsstaatlich unerträglichen Unterscheidungen zwischen ihnen durchsetzen müßte, welche die DDR im Einzelfall – möglicherweise entgegen ihren Vorschriften – durch ausdrückliche oder sinngemäße Anerkennung als VdN wenigstens ursprünglich nicht vollzogen hatte.

Dieses zweite Gleichstellungsziel spricht § 3 Abs 1 ERG mit den Worten an, daß ein Recht auf Entschädigungsrente nach dieser Bestimmung Personen bewilligt wird, welche die Voraussetzungen des § 2 aaO “nur deshalb nicht erfüllen, weil sie eine Ehrenpension oder Hinterbliebenenpension am 30. April 1992 nicht bezogen haben”.

Dies bedeutet nicht die Verpflichtung der Beklagten, das in § 2 EhPensAO iVm § 1 VdN-Richtlinien enthaltene Unrecht durch ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von NS-Opfern nachträglich noch zu verwirklichen; dies würde insoweit zur Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs 1 ERG führen. Vielmehr soll der vorgenannte Wortlaut des Gesetzes klarstellen, daß auch alle NS-Opfer im Beitrittsgebiet untereinander wiedergutmachungsrechtlich möglichst gleichgestellt werden sollen.

Der Deutsche Bundestag hat es in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise für unzweckmäßig erachtet, beide Gleichstellungsziele durch Wiederinkraftsetzung des BEG zu erreichen. Das Wiedergutmachungsrecht des BEG hätte nämlich mit seinen Anforderungen an den Nachweis konkreter Rechtsgutverletzungen im haftungsbegründenden und an individualisierende Schadensbemessung im haftungsausfüllenden Tatbestand angesichts des sehr hohen Alters des größten Teils der Betroffenen und der sehr weit zurückliegenden maßgeblichen Sachverhalte im Beitrittsgebiet nicht mehr sachgerecht eingeführt werden können (BT-Drucks 12/1790, S 5); außerdem war – wie ausgeführt – bei den Personen, die von der DDR als VdN oder als sog “Kämpfer gegen den Faschismus” anerkannt worden waren, in aller Regel davon auszugehen, daß sie auch Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung iS von § 1 BEG waren (oder eine Gleichstellung mit diesen aus Vertrauensschutzgründen hingenommen werden konnte; bis zur Grenze der sog Unwürdigkeitsklausel des § 5 ERG; vgl § 6 BEG). Deshalb konnte § 2 ERG die Gleichbehandlung von NS-Opfern in den alten und neuen Ländern (BT-Drucks 12/1790, S 5) zu einem großen Teil schon dadurch sichern, daß die Anschlußgewährung des Rechts auf Entschädigungsrente nur davon abhängig gemacht wurde, daß jemandem das Recht auf Ehrenpension zuerkannt worden war und das zuerkannte Recht auch bis Ende April 1992 noch bestand.

§ 3 Abs 1 ERG stellt – § 2 aaO ergänzend – diesen Berechtigten die Personen gleich, deren Status als VdN von der DDR ausdrücklich oder schlüssig anerkannt worden war, aber aus Gründen der Zeitgeschichte (Buchst a, aaO) oder in rechtsstaatlich oder nach dem EV unerträglicher Weise ohne Zuerkennung eines Entschädigungsrechts geblieben war (Buchst b und c, aaO), ohne daß jemals Gründe dafür vorgelegen haben, die dieses (im Lichte des GG) hätten rechtfertigen können.

d) Auch der systematische Vergleich der Tatbestände der Buchst a bis c des § 3 Abs 1 ERG zeigt, daß die historische Tatsache der einmal erfolgten Anerkennung als VdN der den Bewilligungsanspruch begründende Umstand ist:

  • Nach § 3 Abs 1 Buchst a ERG genügt die ausdrückliche Anerkennung des Berechtigtenstatus iS von § 2 der EhPensAO durch die – im demokratischen Umbruch befindliche bzw demokratisierte – DDR; in diesen Fällen ist es zur Zuerkennung eines Rechtes auf Ehrenpension nicht mehr gekommen, so daß diese Personen die Voraussetzungen des § 2 ERG nur deshalb nicht erfüllen, weil ihnen im April 1992 ein Recht auf Ehrenpension noch nicht zuerkannt war.
  • Demgegenüber knüpft § 3 Abs 1 Buchst b ERG an eine sinngemäße Anerkennung der Verfolgteneigenschaft durch die den Antrag auf Anerkennung ablehnenden DDR-Organe an. Irreführend scheint zwar der Wortlaut dieser Bestimmung zu verlangen, die Beklagte müsse prüfen, ob der Antragsteller in der DDR die Voraussetzungen für die Anerkennung als VdN erfüllt hatte; hierauf kommt es aber bei Anwendung dieser Vorschrift von vornherein schon deshalb nicht an, weil eine Ablehnung des Antrags auf Anerkennung als VdN durch die DDR-Organe jedenfalls mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit Regelungen des EV nicht unvereinbar sein kann, wenn der Antragsteller objektiv kein VdN war; denn weder rechtsstaatliche Grundsätze noch Regelungen des EV sehen die Anerkennung von Nichtverfolgten als VdN vor. Die Beklagte hat also auch nach Buchst b aaO nur zu prüfen, ob ein Verhalten von DDR-Organen vorliegt, welches so zu verstehen ist, daß diese davon ausgegangen sind, der Antragsteller sei objektiv von den Nationalsozialisten verfolgt worden oder “Widerstandskämpfer” iS des § 1 Nrn 4 bis 9 der VdN-Richtlinien gewesen, es jedoch aus anderen Gründen abgelehnt haben, den VdN-Status anzuerkennen; sodann ist zu klären, ob die Gründe, die zur Ablehnung der Anerkennung geführt haben, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des EV nicht vereinbar sind.
  • Auch § 3 Abs 1 Buchst c ERG knüpft an die – hier ausdrückliche – Anerkennung durch die DDR, jedoch – anders als nach Buchst a aaO – an eine solche durch die vordemokratische DDR an. Der Gleichstellungsgrund muß also einmal vorgelegen haben, jedoch infolge eines Verhaltens von DDR-Organen nicht zur Zuerkennung eines Rechts auf Ehrenpension geführt haben, das mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des EV unvereinbar ist; hierbei kann es sich nur um die Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgter, die Nichtbewilligung des Rechts auf Ehrenpension oder der Entzug dieses Rechtes trotz anerkannter Verfolgteneigenschaft handeln.

Der beigeladenen Kommission ist also darin beizupflichten, daß § 3 Abs 1 ERG – in sich widerspruchsfrei und in Übereinstimmung mit der Grundregel des § 2 ERG – ausschließlich an bestimmte Verhaltensweisen von DDR-Organen als historische Tatsachen anknüpft, während deren rechtliche Beurteilung ausnahmslos nach Maßgabe von Bundesrecht zu erfolgen hat.

Zutreffend weist die beigeladene Kommission darauf hin, daß die Anwendung des § 3 Abs 1 Buchst a bis Buchst c ERG auch nicht faktisch davon abhängt, daß an das GG gebundene Staatsorgane das Verhalten von DDR-Organen am Maßstab der VdN-Richtlinien überprüfen. Das BSG darf gemäß § 162 SGG ohnehin nur darüber befinden, ob das Berufungsgericht Bundesrecht verletzt hat; es gibt aber keinen bundesgesetzlichen Anordnungsbefehl, der es erlauben würde, die VdN-Richtlinien als sog sekundäres Bundesrecht zu befolgen oder rechtsmaßstäblich anzuwenden.

4. Der Beschluß des Bezirksprüfungsausschusses des Bezirks M.… vom 10. April 1959, der dem Kläger die Eigenschaft als Verfolgter aberkannt hat, ist zwar ein Verwaltungsakt iS von Art 19 Satz 1 EV (vgl § 31 SGB X), jedoch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (Art 19 Satz 2 EV), und daher bei Anwendung von § 3 Abs 1 Buchst c ERG unbeachtlich. Darauf, ob er darüber hinaus nichtig (vgl § 40 Abs 1 SGB X) ist, kommt es folglich nicht an.

a) Ein Verstoß gegen “Grundsätze des Rechtsstaates” iS des ERG erfordert eine Verletzung jener unabänderlichen Kerngehalte des Rechtsstaates iS des GG, die in Art 1 und Art 20 GG sogar für den Verfassungsgesetzgeber (und somit auch für den EV-Gesetzgeber) unabänderbar festgeschrieben worden sind (Art 79 Abs 3 GG). Hierbei handelt es sich vor allem um das Verbot, die Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG) und die im GG als Grundrechte näher ausgestalteten unveräußerlichen Menschenrechte (Art 1 Abs 2 GG) in ihrem Kerngehalt (Art 19 Abs 2 GG) zu verletzen; ferner ist elementar das Gebot der Sachgerechtigkeit staatlichen Verhaltens, nach dem der Staat sich darum bemühen muß, seine Entscheidungen an den Vorgegebenheiten des jeweiligen Lebens- und Sachbereichs auszurichten und von sachfremden Einflüssen freizuhalten; dies bedeutet zumindest ein Willkürverbot. Ein Verwaltungsakt der DDR verstößt damit jedenfalls dann gegen Grundsätze des Rechtsstaates iS des GG (vgl Art 28 Abs 1 Satz 1 GG), wenn er sich bei einer Würdigung seines Inhalts, der seinen Erlaß begleitenden Umstände und des nicht widerlegten äußeren Anscheins als (mutmaßlich weltanschaulich oder “politisch” motivierte) Willkürmaßnahme darstellt (vgl BFHE 177, 317, 320 ff, 323 ff mwN zum Diskussionsstand).

Hingegen reicht – entgegen der Ansicht des LSG – ein Verstoß gegen weitere rechtsstaatliche Grundsätze, die über das Erfordernis einer elementaren Rechtsorientierung des Gemeinwesens hinausgehen, nicht aus, einen Verstoß gegen Grundsätze des Rechtsstaats zu begründen. Dies gilt ua für alle Arten des Gesetzesvorbehaltes, für die rechtsstaatlichen Grundsätze über Verfahrens- und Mitwirkungsrechte des Bürgers im Verwaltungsverfahren und über einen vor unabhängigen Gerichten einklagbaren Rechtsschutz. Diese Einschränkung der vom GG ansonsten in strikter Rechtsbindung (Art 1 Abs 3, 20 Abs 3 GG) den Organen der rechtsprechenden Gewalt vorgegebenen Prüfungsmaßstäbe rechtfertigt sich nur aus der außerordentlichen Umbruchsituation in der Wiedervereinigung. Da die DDR kein Rechtsstaat war, muß das Bundesrecht auch in dem vom ERG geregelten Sachbereich an die vorrechtsstaatliche Normalsituation in der DDR anknüpfen. Anderenfalls, dh bei maßstäblicher Anwendung aller im GG niedergelegten und das BSG im Normalfall bindenden rechtsstaatlichen Grundsätze, gäbe es von vornherein praktisch keinen belastenden Staatsakt der DDR, der iS von § 3 Abs 1 ERG beachtlich und iS von Art 19 Satz 2 EV nicht jederzeit aufzuheben wäre.

b) Die Aberkennung des VdN-Status des Klägers im April 1959 widersprach schwerwiegend dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Gebotes der Sachgerechtigkeit staatlichen Verhaltens iS des Willkürverbots und dem Verbot der Verletzung des Kerngehaltes unveräußerlicher Menschenrechte (Art 1 Abs 2, Art 4 Abs 1, Art 19 Abs 2 GG).

Sie stellt sich nach Inhalt, Verfahren des Zustandekommens und äußerem Bild als SED-ideologisch gewünschte Sanktion zur Disziplinierung eines Andersdenkenden dar. Sie ist daher iS von Art 19 Satz 2 Regelung 1 EV aufhebbar und iS von § 3 Abs 1 Buchst c ERG entschädigungsrechtlich unbeachtlich:

Nach den das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergab sich die Aberkennung als Folge einer Überprüfung des gesellschaftspolitischen Einsatzes des Klägers. Es wurden in seinem Betrieb und in seinem Wohnbezirk geheime Erkundigungen über seine gesellschaftspolitischen Aktivitäten eingezogen und seine Einstellung gegenüber dem “Arbeiter- und Bauernstaat” überprüft. Die dabei angeblich festgestellte negative Haltung des Klägers zur DDR sowie die vermutete Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Zeugen Jehovas mit vermeintlichen Auslandskontakten in die Schweiz (“Bibelforscherei”) war erklärtermaßen der wesentliche Grund dafür, daß ihm die VdN-Anerkennung entzogen wurde. Hingegen ist nichts dafür ersichtlich, die DDR-Stellen hätten ernsthaft Gründe erwogen, weshalb die 1952 getroffene Gleichstellungsentscheidung nach § 8 der VdN-Richtlinien nunmehr widerrufen werden müsse. Soweit darauf hingewiesen wurde, die Voraussetzungen des Haftbegriffes iS § 2 dieser Richtlinien sei nicht erfüllt gewesen, ferner sei der Kläger noch zu klein gewesen, um aktive Widerstandshandlungen durchzuführen, läßt dies das Bemühen um sachgerechte Prüfung des Widerrufs der Gleichstellungsentscheidung schon deshalb nicht erkennen, weil genau diese Umstände die Voraussetzungen dafür waren, daß die Gleichstellungsentscheidung getroffen wurde; ihrer hätte es nämlich nicht bedurft, wenn der Kläger einen der Tatbestände des § 1 der VdN-Richtlinien erfüllt hätte; 1952 war unzweifelhaft, daß dies nicht der Fall gewesen war.

Neue Sachgründe im Zusammenhang mit dem Verfolgungsgeschehen, die 1959 eine Aufhebung der Gleichstellung hätten rechtfertigen können, lagen ersichtlich nicht vor; nach ihnen hat die DDR auch nicht geforscht. Ebensowenig wurden Rücknahmegründe iS des § 5 der VdN-Richtlinien geprüft. Danach war die Anerkennung zurückzunehmen, wenn der Anerkannte die Anerkennung durch falsche Angaben erwirkt oder eine verwerfliche strafbare Handlung begangen oder sich politisch mißliebig gemacht (die politische Bedeutung der VdN herabgesetzt oder “neofaschistischen” Bestrebungen Vorschub geleistet) hatte. Hierauf hat die entziehende Stelle nicht abgehoben. Vielmehr war der Beschluß des Bezirksprüfungsausschusses vom 10. April 1959 nicht einmal ansatzweise an der Frage orientiert, ob es Sachgründe für die Aberkennung des VdN-Status gab. Dies wird auch durch das Verhalten im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Aberkennung deutlich. Sie wurde weder schriftlich mitgeteilt noch schriftlich begründet, obwohl der Kläger mehrfach darauf angetragen hatte. Somit war für den Inhalt der Entscheidung allein maßgeblich, daß der Kläger sich aufgrund vermuteter religiöser Überzeugung und Betätigung, seiner angeblich negativen Einstellung gegenüber dem “Arbeiter- und Bauernstaat” und seiner sonstigen SED-ideologisch mißliebigen Eigenschaften so unbeliebt gemacht hatte, daß ihm ein empfindlicher Nachteil zugefügt werden sollte. Die DDR hat bei der Aberkennung also ua auch auf ein im Rechtsstaat schlechthin als unbeachtlich anzusehendes Differenzierungsmerkmal abgestellt, nämlich auf die Zugehörigkeit zur einer Weltanschauungs- bzw Glaubensgemeinschaft (Art 3 Abs 3 GG).

5. Es haben schließlich “zu keiner Zeit Gründe für eine Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgter vorgelegen”:

a) Die ausschließlich nach Bundesrecht zu beurteilenden Voraussetzungen dieser anspruchsvernichtenden Einwendung sind nur erfüllt, wenn aufgrund der im Verwaltungsverfahren nach § 3 Abs 3 ERG gewonnenen Erkenntnisse entgegen der sich aus der faktischen Anerkennung als VdN im Regelfall ergebenden Vermutung feststeht, daß entweder der Sachverhalt objektiv nicht gegeben war, dessentwegen die Anerkennung als Verfolgter bzw als “Widerstandskämpfer” iS des § 1 Nrn 2, 4 bis 7, 9 der VdN-Richtlinien von der DDR ausgesprochen worden war (Legendenfall) oder daß der Antragsteller die Anerkennung durch arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung oder durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hatte oder daß die Anerkennung schlechthin willkürlich war. Denn in diesen Fällen würde die Beklagte mit der Neubewilligung nach § 3 Abs 1 ERG “sehenden Auges” keine gerechtfertigte Gleichstellung, sondern eine untragbare Privilegierung vornehmen.

Bei der – allen Tatbeständen des § 3 Abs 1 ERG gemeinsamen – Voraussetzung, daß zu keiner Zeit Gründe für eine Aberkennung der Eigenschaft als Verfolgter vorgelegen haben, handelt es sich um eine anspruchsvernichtende Einwendung, die von Amts wegen zu prüfen ist und für deren Voraussetzungen die Beklagte die Darlegungs- und objektive Beweislast trägt. Der Bewilligungsanspruch entsteht nämlich grundsätzlich schon dann, wenn ein nach den oben genannten Kriterien bundesrechtlich zu beachtender Gleichstellungstatbestand infolge der faktischen Anerkennung gegeben ist. Dabei entspricht es – wie ausgeführt – dem Zweck des ERG, der Entscheidung gegen die ausdehnende Wiederinkraftsetzung des BEG und der Anerkennungspraxis der DDR, daß in aller Regel von der Richtigkeit der Anerkennung als Verfolgter auszugehen, diese somit zu vermuten ist. Die Voraussetzungen der Einwendung sind also nur gegeben, wenn die Vermutungsgrundlage durch im Einzelfall festgestellte Tatsachen widerlegt ist; dann greift die Einwendung mit der Folge, daß kein Gleichstellungsgrund vorliegt, so daß der Antragsteller auf das Auffangverfahren nach § 8 ERG angewiesen ist, in dem er für seine Verfolgteneigenschaft iS von § 1 BEG die Darlegungs- und objektive Beweislast trägt. Ein nach dem ERG berechtigter Anlaß, die Einwendungsvoraussetzungen zu prüfen, besteht – wegen des Vereinfachungszwecks der Anknüpfung an die faktische Anerkennung – nur, wenn sich bei Durchführung des Verfahrens nach § 3 Abs 3 ERG aufgrund von bestimmten Tatsachen der Verdacht eines Legendenfalles oder einer unlauteren Erwirkung der Anerkennung ergibt oder sich kein sachlicher Grund erkennen läßt, der die Anerkennung im Lichte der Gleichstellungsziele des ERG als vertretbar erscheinen läßt. Steht zur Überzeugung der Beklagten fest, daß die Einwendung greift, muß sie dies in der Begründung ihres Ablehnungsbescheides (§ 35 SGB X) bzw später im Rechtsstreit darlegen; sie treffen ggf die Folgen der Beweislosigkeit. Unter diesen Umständen kann der beklagte Staat ggf mit rechtsvernichtender Wirkung dem Bewilligungsanspruch entgegenhalten, daß die Anerkennung als Verfolgter mit einem Makel behaftet ist, der auch einen Rechtsstaat zur Aberkennung dieser Rechtsposition berechtigt hätte.

Im übrigen ist diese Einwendung von dem Versagungsgrund (in der sog Unwürdigkeitsklausel) des § 5 Abs 1 Regelung 1 ERG zu unterscheiden (zu § 5 aaO näher Senatsurteile vom 30. Januar 1997, 4 RA 23/96 und 4 RA 99/95, beide zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Vorschrift regelt ein materielles Gegenrecht gegen den bestehenden Bewilligungsanspruch sowie die Ermächtigung der Beklagten, es gegen den Anspruchsinhaber mittels Verwaltungsakt durchzusetzen; es ist gerichtlich nur zu beachten, wenn die Beklagte die Ablehnung der Bewilligung in dem in § 5 aaO geregelten Verfahren aus den dort genannten Gründen verfügt hat. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

b) Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht nicht entgegengehalten, der Sachverhalt, der seiner Anerkennung als VdN zugrunde lag, sei erfunden gewesen. Soweit sie einwendet, der Kläger habe keinen Tatbestand des § 1 der VdN-Richtlinien erfüllt, ist dies – wie ausgeführt – rechtlich unerheblich, weil es nur auf die historische Tatsache der im Gleichstellungswege ausgesprochenen Anerkennung ankommt. Diese war im Falle des Klägers nicht etwa willkürlich. Das Gegenteil trifft nämlich zu. Das BSG (BSGE-23, 89, 90; SGb 1967, 463 ff) hat zu § 43 BEG iVm § 1251 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung mit Bezug auf den Tatbestand von Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingter Freiheitsentziehung bereits geklärt, daß ein Kind Verfolgter iS von § 1 BEG ist, wenn es vom NS-Regime mittels einer staatlichen Stelle gegen den Willen seiner Eltern, die der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörten und denen deshalb das Personensorgerecht für das Kind entzogen worden war, in ein Heim eingewiesen wurde; hierbei handelt es sich um eine Freiheitsentziehung iS des BEG. Schon deshalb kann die Gleichstellungsentscheidung der DDR vom 13. Mai 1952 aus bundesrechtlicher Sicht nur als sachlich gerechtfertigt angesehen werden; dadurch ist eine der (allerdings entgegen der Ansicht des LSG nicht planwidrigen, sondern von der SED gezielt geschaffenen) “Lücken” zwischen den Tatbeständen des § 1 der VdN-Richtlinien im Einzelfall geschlossen worden.

Es liegt auch keine unlautere Erwirkung der Anerkennung vor. Das LSG hat vielmehr geklärt, daß den DDR-Organen der gesamte Sachverhalt in allen Einzelheiten bekannt war. Deshalb wurden die Anträge des Klägers, ihn als “OdF” anzuerkennen, zunächst zweimal abgelehnt und erst auf seinen Einspruch durch Beschluß vom 2. September 1948 günstig beschieden. Auch den Verlängerungsbeschluß vom 13. Mai 1952, mit dem formell der VdN-Status anerkannt wurde, erfolgte gerade in Kenntnis des Alters des Klägers, des Umstandes, daß er in einem Erziehungsheim und – schon altersbedingt – nicht in Haft gewesen war und daß er “Widerstandshandlungen” nicht vorgenommen hatte. In dem Verfahren nach § 8 der VdN-Richtlinien war gerade dies Gegenstand der Erwägungen, die mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums des damaligen Landes Sachsen-Anhalt zur Anerkennung als VdN im Gleichstellungswege führte, ein Verfahren, das in Härtefällen auch dem Bundesrecht nicht völlig fremd ist (vgl zB §§ 89, 1 Abs 3 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes).

6. Nach alledem hätte das LSG zwar die beklagte Bundesrepublik Deutschland nicht zu Zahlungen an den Kläger verurteilen dürfen; das Berufungsgericht hat jedoch die Beklagte zu Recht verpflichtet, dem Kläger ein Recht auf Entschädigungsrente gegen die beigeladene BfA ab 3. Oktober 1990 zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, daß die Revision der Beklagten nur in geringem Umfang begründet, sachlich im wesentlichen aber unbegründet war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 955652

BSGE, 54

SozSi 1998, 76

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