Leitsatz (amtlich)

Eine Rente, die nur aus Beiträgen zur Höherversicherung gewährt wird, begründet keinen Anspruch auf einen Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4.

 

Normenkette

RVO § 381 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1967-12-21; AVG § 38 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1261 Fassung: 1957-02-23; AVG § 49 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1272 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 72 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1295 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 4 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 4 Fassung: 1972-10-16; RVO § 381 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Juni 1974 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Beitragszuschusses zu einer Rente aus der Höherversicherung.

Die Klägerin ist bei der B Ersatzkasse freiwillig gegen Krankheit versichert. Sie entrichtete im November 1972 einen freiwilligen Beitrag der Beitragsklasse 100 zur Rentenversicherung der Angestellten sowie einen Höherversicherungsbeitrag (HV-Beitrag) der entsprechenden Beitragsklasse für diesen Monat. Zuvor hatte sie noch keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Die Klägerin beantragte weiterhin, ihr Altersruhegeld und Beitragszuschuß zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu gewähren.

Mit Bescheid vom 23. August 1973 erkannte die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Altersruhegeld aus Beiträgen der Höherversicherung in Höhe von monatlich 0,20 DM mit Wirkung ab 1. Dezember 1972 an, weil der Versicherungsfall am 30. November 1972 eingetreten sei; gleichzeitig lehnte sie einen Anspruch auf Rente aus dem entrichteten Grundbeitrag ab, weil die Klägerin die Wartezeit nicht erfüllt habe. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag lehnte sie auch die Zahlung eines Beitragszuschusses ab, weil die der Klägerin zuerkannte Rente ausschließlich auf Beiträgen zur Höherversicherung beruhe.

Das Sozialgericht (SG) Münster hat die Klage, mit der die Klägerin ihr Ziel auf Gewährung eines Beitragszuschusses weiterverfolgt hat, als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 12. Februar 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat ihre Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20. Juni 1974): Eine nur den Wortlaut des § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) berücksichtigende Gesetzesanwendung könne zwar zugunsten der Klägerin sprechen, jedoch ergebe sich aus dem Willen des Gesetzgebers und der Entstehungsgeschichte des Rentenreformgesetzes (RRG), daß beitragsunabhängige Leistungen nur für solche Rentner bestimmt seien, die die Rentenvoraussetzungen im Wege "normaler" Beitragsentrichtung erfüllt hätten. Dabei sei zu berücksichtigen, daß es zur Gewährung der Höherversicherungsrente an die Klägerin ohnehin nur durch eine Zeitdifferenz beim Inkrafttreten des RRG gekommen sei. Die Möglichkeit des freiwilligen Beitritts, die die Klägerin zur Entrichtung des Beitrags ausgenutzt habe, sei nämlich am 19. Oktober 1972 eröffnet worden, während die Abschaffung der reinen Höherversicherungsrente erst am 1. Januar 1973 in Kraft getreten sei. Da das Gesetz insoweit keine Regelung treffe, liege eine planwidrige Lücke im Gesetz vor, die der Richter zu schließen habe. Danach erweise sich der Anspruch der Klägerin als unbegründet.

Die Klägerin wendet sich mit der zugelassenen Revision gegen diese Rechtsauffassung. Sie hält § 381 Abs. 4 RVO und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes für verletzt. Das LSG habe nicht eine Lücke im Gesetz ausgefüllt, sondern das Recht in unzulässiger Weise fortgebildet. Eine Rechtsfortbildung praeter legem komme deshalb nicht in Betracht, weil sich die vom LSG behauptete Regelungslücke nicht aus dem Gesetz ergebe (Gesetzeslücke), sondern aus einer zeitlichen Differenz beim Inkrafttreten verschiedenartiger Regelungen entstanden sei. Eine Rechtsfortbildung contra legem komme deshalb nicht in Frage, weil die vom Bundesverfassungsgericht dafür aufgestellten Voraussetzungen nicht gegeben seien.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des SG Münster vom 12. Februar 1974 und unter Abänderung des Urteils des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Juni 1974 den Bescheid der Beklagten vom 23. August 1973 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Beitragszuschuß ab 1. Dezember 1972 an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Vorentscheidungen für zutreffend und vertritt die Ansicht, daß die Ablehnung des Klageanspruchs sich bereits aus der sinngemäßen Auslegung der Vorschrift des § 381 Abs. 4 RVO ergebe. Dabei sei zu berücksichtigen, daß auslegbar nicht nur einzelne Tatbestandsmerkmale oder einzelne Rechtssätze seien, sondern auch die jeweilige Norm als Gesamtregelung. Einer Rechtsfortbildung bedürfe es unter diesen Umständen gar nicht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Beitragszuschusses zu ihrer Rente aus der Höherversicherung.

Die Beklagte hat mit dem bindend gewordenen Bescheid vom 23. August 1973 den Anspruch der Klägerin auf ein Altersruhegeld aus der Höherversicherung anerkannt. Über diese Frage besteht zwischen den Beteiligten kein Streit, über sie ist mithin nicht zu befinden (vgl. dazu BSG 37, 124, 126, 127; SozR 2200 § 1295 RVO Nrn. 2 und 3). Weiter steht zwischen den Beteiligten außer Streit, daß der Klägerin, wie im Bescheid festgestellt, mangels Erfüllung der Wartezeit kein Anspruch auf ein Altersruhegeld aus dem entrichteten Grundbeitrag zusteht.

Die Zuerkennung der Leistung aus der Höherversicherung bedingt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, daß ihr auch ein Anspruch auf Beitragszuschuß zur Rentnerkrankenversicherung zustünde. Die festgestellte Leistung aus der Höherversicherung ist nicht als Rente i. S. des § 381 Abs. 4 RVO anzusehen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift hängt die Berechtigung zum Beitragszuschuß, soweit es sich, wie hier, um eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten handelt, davon ab, daß "die Voraussetzungen für den Bezug ... eines Ruhegelds oder einer Hinterbliebenenrente" erfüllt sind (§ 381 Abs. 4 Satz 1 RVO) oder daß es sich um "Empfänger von Renten oder Hinterbliebenenrenten" handelt (§ 381 Abs. 4 Satz 2 RVO). Obwohl einerseits in der Formulierung des Satzes 1 das Wort "Rente" und andererseits in der Formulierung des Satzes 2 das Wort "Ruhegeld" nicht verwendet wird, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß beide Vorschriften den Anspruch auf Beitragszuschuß nicht an unterschiedliche, sondern an die gleichen Versicherungsleistungen aus der Angestelltenversicherung knüpfen wollen, und zwar an Rentenleistungen i. S. des § 22 und des § 40 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Der Senat hat bereits in dem Urteil vom 21. März 1961 (BSG 14, 112, 115, 116) eingehend dargelegt, daß sich aus der unterschiedlichen Formulierung keine sachliche Differenzierung herleiten läßt. Der Senat hat diese Entscheidung auch späterhin aufrechterhalten (vgl. BSG 26, 73, 76). Sie hat im Schrifttum keinen Widerspruch gefunden (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl. 1975, § 381, Anm. 7 b; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl. 1975, S. 452 f II; Schlemmer/Zaft, Fortbildung und Praxis, KVdR, S. 90), so daß sie als Ergebnis gesicherter Rechtsprechung anzusehen ist. Schon daraus folgt, daß die Wortfassung des § 381 Abs. 4 RVO für sich allein nicht hinreichend darüber Auskunft gibt, welche Leistungen aus der Angestelltenversicherung geeignet sind, den Anspruch auf Beitragszuschuß auszulösen, und insbesondere, ob auch eine Zahlung, die ausschließlich auf der Entrichtung von HV-Beiträgen beruht, dazu geeignet sein kann. Unter diesen Umständen ist es erforderlich, den Norminhalt unter Beachtung der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelung sowie seiner Einbettung in das Gefüge der Gesamtregelung der Sozialversicherung zu erschließen.

Die gesetzliche Regelung der Höherversicherung geht zurück auf einen Antrag im ersten Deutschen Bundestag (Drucks. Nr. 1323), der in §§ 2 und 3 die Einführung eines bestimmten HV-Beitrags vorsah und in § 4 die leistungsrechtlichen Folgen einer solchen Beitragszahlung regelte. Dazu schlug der Entwurf vor, für jeden HV-Beitrag einen Steigerungsbetrag von 1/6 der Beitragssumme festzusetzen und diesen zusätzlich zur Mindestrente nach dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz zu gewähren, "wenn diese Rente zu zahlen ist". Diese Konzeption macht deutlich, daß die Höherversicherung nur dazu dienen sollte, zu der eigentlichen Rente einen finanziellen Zuschlag zu bieten. Diese Zweckbestimmung ist auch bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs klargestellt (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, 87. Sitzung, S. 3249) und es ist betont worden, daß gegen die Leistung aus der Höherversicherung keine versicherungstechnischen Bedenken bestehen, weil sie nur neben der Mindestrente gewährt werden sollte. Der Ausschuß für Sozialpolitik legte jedoch einen neuen Entwurf vor (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucks. Nr. 1745), der die Leistungsgewährung änderte. Danach wurden zwar gleicherweise die HV-Beiträge mit Steigerungsbeträgen entgolten, jedoch nicht in gleichmäßiger, sondern in differenzierter Höhe. Weiter sah dieser Entwurf vor (vgl. § 4 Abs. 2), daß die Gewährung der Steigerungsbeträge nicht an die Erfüllung der Wartezeit und an die Erhaltung der Anwartschaft gebunden wird und daß die Steigerungsbeträge, sofern sie geringeren Umfang haben, auch jährlich oder als einmalige Abfindung ausgezahlt werden können. Mit diesem Inhalt ist der Entwurf - einstimmig - Gesetz geworden (Gesetz über die Höherversicherung in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten vom 14. März 1951 - BGBl I 188). Die Änderung entgegen dem Entwurf ist damit begründet worden, daß die Höherversicherung nur eine zusätzliche Versicherungsart zu den Grundversicherungsarten (Pflicht-, Selbst- und Weiterversicherung) darstelle und daß für die Höherversicherung nur Steigerungsbeträge zu zahlen seien (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, 111. Sitzung, S. 4190). Da der Versicherte nur mit seinen Grundbeiträgen die Voraussetzungen für Rentenleistungen erfüllen könne, könnten die HV-Beiträge anders als die Grundbeiträge entgolten werden und die Höherversicherungsleistung brauche nicht an die Erfüllung der Wartezeit oder Aufrechterhaltung der Anwartschaft gebunden zu werden. Der Gesetzgeber hat mithin deutlich zwischen der eigentlichen Rente, die auf Beiträgen nach den Grundversicherungsarten beruhte, die Erfüllung versicherungstechnischer Voraussetzungen - nach damaligem Recht Wartezeit und Anwartschaft - erforderte und die sich aus einem für alle Versicherten gleichen Grundbetrag und dem nach der individuellen Beitragsleistung bemessenen Steigerungsbetrag errechnete, und der bloßen Höherversicherungsleistung unterschieden. Diese gestaltete er nur als Zusatzzahlung aus, die sich aus den Steigerungsbeträgen für die einzelnen entrichteten HV-Beiträge zusammensetzte. Sie war somit als Leistung von den Grundbeiträgen versicherungsmäßig unabhängig und konnte demgemäß auch für sich allein - ohne Bestehen eines eigentlichen Rentenanspruchs - gezahlt werden.

In dieser Gestalt bestand die gesetzliche Regelung noch, als die Rentnerkrankenversicherung durch das Gesetz über KVdR vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) neu geordnet und dabei der Beitragszuschuß zur Rente (§ 381 Abs. 4 RVO) eingeführt wurde. Wenn auch bei diesem Gesetzgebungswerk umstritten war, ob die Versicherungspflicht sich nur auf Rentner mit hinreichender Vorversicherungszeit erstrecken (vgl. Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, Drucks. Nrn. 1234, 2256, zu 2256) oder ob sie alle Rentner erfassen sollte (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, 141. Sitzung, Anl. 4, S. 7348), so bestand doch allseits darin Übereinstimmung, daß die neue Regelung an die seit 1941 bestehende Krankenversicherung der Rentner anknüpfte. Danach kamen aber als Rentner nur Personen in Frage, die die versicherungsrechtlichen Rentenvoraussetzungen (Wartezeit und Anwartschaft) erfüllt hatten. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber des Gesetzes über KVdR die Berechtigung zum Pflichtbeitrag (§ 381 Abs. 2 RVO) oder zum Beitragszuschuß (§ 381 Abs. 4 RVO) einem anderen Personenkreis hätte zubilligen wollen, zumal zu diesem Zeitpunkt die Vorschriften über Regelleistungen aus der Rentenversicherung - nach jetzigem Recht § 12 Nr. 5 AVG, nach damaligem Recht § 23 AVG aF - Aufwendungen für die Rentnerkrankenversicherung noch nicht erwähnten. Weder aus dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der KVdR noch aus den Begründungen dazu läßt sich auch nur ein Hinweis darauf entnehmen, daß die Bezieher eines bloßen Steigerungsbetrags aus der Höherversicherung dem Kreis der eigentlichen Rentenbezieher gleichgestellt werden sollten. Es hätte auch keinerlei Veranlassung für eine solche Maßnahme bestanden. Es war und ist ein Wesensmerkmal der gesetzlichen Rentenversicherung, die wichtigste Leistung aus diesem Versicherungszweig - die Rente - nur den Versicherten zu gewähren, die zuvor ein Versicherungsrisiko erfüllt hatten, um auf diesem Wege unangemessene Inanspruchnahmen der Rentenversicherung zu vermeiden. Der Grund dafür liegt darin, daß diese Sozialversicherungsleistung sowohl ihrer Entstehung wie auch ihrer Berechnung nach dem sozialen Ausgleich zu dienen bestimmt ist. Das Versicherungsrisiko findet seinen versicherungstechnischen Ausdruck neben anderem in der Bedingung der Wartezeit. Zur Erfüllung dieser Bedingung taugen jedoch nur Grundbeiträge, denn nur sie sind sozialadäquat, weil sie auf das Beschäftigungsverhältnis zurückgehen und sich auch der Höhe nach an dem Arbeitsentgelt orientieren. Das gleiche galt nach damaligem Recht für die freiwilligen Beiträge (§ 185 AVG aF), weil auch sie entsprechend der Höhe des Einkommens entrichtet werden mußten. Im Gegensatz dazu standen die Beiträge zur Höherversicherung. Sie waren weder an ein Beschäftigungsverhältnis noch an eine Einkommenshöhe gebunden, sondern konnten völlig frei gewählt werden. Da sie ohne das Versicherungsrisiko der Wartezeiterfüllung zu einer Leistung führten, die nach rein versicherungsmathematischen Grundsätzen bemessen war, boten sie für das Prinzip des sozialen Ausgleichs keinen Anwendungsraum; die Zahlung aus den Steigerungsbeträgen (zur Höherversicherung) hatte demgemäß nicht den Charakter einer sozialadäquaten Leistung. Sie konnte mithin auch nicht die gleichen Rechtsfolgen wie eine solche Leistung auslösen. Der Gesetzgeber der Rentnerkrankenversicherung beabsichtigte, der Gruppe der (damals) Pflichtversicherten eine kostenfreie Rentnerkrankenversicherung zu verschaffen, und er gewährte den nicht Pflichtversicherten den Beitragszuschuß aus Gründen der Gleichbehandlung (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, 141. Sitzung, S. 7277 D, 7278 A). Diese Vergünstigungen fanden ihre Rechtfertigung in der wirtschaftlich ungünstigen Lage der Rentner. Sie waren mithin sozial begründet und konnten demgemäß nur für diejenigen in Betracht kommen, bei denen die sozialadäquaten Leistungsvoraussetzungen- Grundbeiträge, Wartezeit - erfüllt waren (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 29. April 1976 - 4 RJ 165/75 - über die Frage des Kinderzuschusses zur Höherversicherungsleistung).

An dieser Rechtslage hat sich durch den Erlaß der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze im Prinzip nichts geändert. Auch danach konnten HV-Beiträge nicht für sich allein entrichtet werden (§ 11 AVG), Leistungen aus der Höherversicherung hingegen waren selbst bei Nichterfüllung der Wartezeit zu gewähren. Das Gesetz hat zwar für diese Leistung aus der Höherversicherung auch die Bezeichnung "Rente" verwendet - § 23 Abs. 4, § 24 Abs. 4, § 25 Abs. 7 Satz 3, § 40 Abs. 3 AVG -, jedoch war mit dieser Textfassung, die überdies auch schon zuvor an einer einzelnen Stelle (§ 5 Abs. 5 Satz 1 des Gesetzes vom 14. März 1951) Verwendung gefunden hatte, kein Funktionswandel der Leistung verbunden. Für die eigentliche Rente blieb aber auch nach der Rentenreform 1957 die Erfüllung der Wartezeit als Anspruchsvoraussetzung bestehen.

Schließlich zeigt die für die Höherversicherungsleistung vorgesehene Berechnungsmethode (§ 38 AVG schreibt lediglich die Gewährung von Steigerungsbeträgen auf die gezahlten HV-Beiträge vor), die im Gegensatz zur Berechnungsweise der auf Grundbeiträgen beruhenden Rente (vgl. §§ 30 bis 37 b, 49 AVG) steht, daß die bloße Leistung aus der Höherversicherung einen anderen Rechtscharakter hat als die Rente i. S. der §§ 22, 40 Abs. 1 AVG (vgl. dazu BSG SozR Nr. 19 zu § 183 RVO). In diesem Zusammenhang erlangt die Vorschrift des § 49 Abs. 3 AVG besondere Bedeutung, denn sie schließt Leistungen aus der Höherversicherung von den gerade für das neue Rentensystem typischen Maßnahmen der Rentendynamik aus.

Spätere Änderungen des Rentenversicherungsrechts haben an der rechtlichen Verschiedenheit zwischen reiner Höherversicherungsleistung und eigentlicher Rente nichts geändert. Das gilt auch für die Einführung eines Eigenbeitrags für Rentner und Bezieher von Beitragszuschüssen durch Art. 1 § 1 Nr. 14 des Finanzänderungsgesetzes 1967 (BGBl I 1259). Selbst wenn die von der Klägerin daraus gezogenen Schlußfolgerungen zutreffen sollten - der Senat läßt diese Frage unerörtert -, könnte für die Entscheidung des Rechtsstreits daraus nichts gewonnen werden, weil der Eigenbeitrag alsbald wieder weggefallen ist und jedenfalls in der Zeit, aus der die Klägerin ihre Ansprüche herleitet, die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen bereits wieder außer Kraft gewesen sind (vgl. Art. I § 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Wegfall des von Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragenden Beitrags vom 14. April 1970 - BGBl I 337).

An der rechtlichen Differenzierung - für die hier zu entscheidende Zeit - hat schließlich auch das RRG vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) nichts geändert. Die Neufassung der Vorschrift des § 72 AVG, wonach eine Rente aus der Höherversicherung als regelmäßig wiederkehrende Leistung nur zusammen mit einer Rente aus den Grundbeiträgen zu zahlen ist und anderenfalls die Leistung aus der Höherversicherung lediglich in Form einer Kapitalabfindung gewährt werden kann, gilt nur für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1972 (Art. 2 § 25 a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes -AnVNG), mithin nicht für die Klägerin. Im übrigen läßt sich aus dieser Neuregelung auch nur eine Bestätigung der bisherigen Rechtslage ableiten, denn der Gesetzgeber hat damit die rechtliche Differenzierung zwischen der Höherversicherungsleistung und der Rente aus Grundbeiträgen für die Zukunft nur noch deutlicher herausgestellt.

Entgegen der Auffassung des LSG ist Art. 2 § 49 a Abs. 4 AnVNG (eingefügt durch Art. 2 § 2 Nr. 14 RRG) nicht geeignet, die vorliegende Rechtsfrage zu lösen. Abgesehen davon, daß es sich dabei um eine Sondernorm für bestimmte Nachentrichtungsbeiträge handelt, die schon deshalb einer extensiven Auslegung nicht zugänglich ist, setzt die Anwendung dieser Vorschrift voraus, daß der Versicherte die Wartezeit - wenn auch nur mit Hilfe jener Beiträge - erfüllt hat und deshalb eine Grundrente bezieht. Im vorliegenden Rechtsstreit ist hingegen gerade über den Fall zu entscheiden, daß der Versicherte nicht zum Bezug einer Grundrente berechtigt ist.

Zu den "Voraussetzungen für den Bezug einer Rente" i. S. des § 381 Abs. 4 Satz 1 RVO, die für einen Anspruch auf Beitragszuschuß erfüllt sein müssen, gehört mithin auch die versicherungsrechtliche Bedingung der erfüllten Wartezeit. Das gleiche gilt für den Anspruch auf Beitragszuschuß, der sich auf § 381 Abs. 4 Satz 2 RVO gründet, weil beide Vorschriften sich auf den gleichen Personenkreis beziehen.

Die Klägerin hat nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG nur einen freiwilligen (Grund-) Beitrag und einen HV-Beitrag zur Angestelltenversicherung entrichtet. Damit ist die Wartezeit für ein Altersruhegeld aus der Grundversicherung nicht erfüllt, es sind auch keine Tatsachen ersichtlich, nach denen sie als erfüllt gelten könnte. Dementsprechend hat die Beklagte mit dem bindend gewordenen Bescheid vom 23. August 1973 zutreffend die Gewährung eines Altersruhegelds aus den Grundbeiträgen abgelehnt und nur den Anspruch auf die Leistung aus der Höherversicherung anerkannt. Mangels Erfüllung der Wartezeit gehört die Klägerin nicht zu dem Personenkreis, der Ansprüche nach § 381 Abs. 4 RVO erheben kann. Ihrer Revision mußte somit der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 232

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