Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentengewährung nach fehlgeschlagener medizinischer Rehabilitation. geltendes Recht. Übergangsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Auf die vor Inkrafttreten des SGB 6 beantragte, im Anschluß an eine fehlgeschlagene Rehabilitationsmaßnahme zu gewährende Rente findet übergangsrechtlich noch das AVG Anwendung.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

RVO § 1247 Abs. 2, §§ 1240, 1241d Abs. 2 S. 1; AVG § 24 Abs. 2, §§ 17, 18d Abs. 2 S. 1; SGB VI § 300 Abs. 2, § 301 Abs. 1; AVG § 18d Abs. 4 S. 1; RVO § 1241d Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.09.1994; Aktenzeichen L 11 An 1355/93)

SG Stuttgart (Urteil vom 16.06.1993; Aktenzeichen S 12 An 3356/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. September 1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 1993 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21. Mai 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1992 verurteilt, dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente nach Maßgabe der Berechnungsvorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente (EU-Rente) des Klägers.

Der im Jahre 1932 geborene, seit August 1991 arbeitsunfähig erkrankte Kläger beantragte am 4. November 1991 eine Rente wegen EU. Die Beklagte gewährte ihm hierauf zunächst eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme für die Zeit vom 14. Januar bis 11. Februar 1992 und bewilligte ihm anschließend mit Bescheid vom 21. Mai 1992 eine Rente wegen EU; in dem Bescheid stellte sie fest, die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen EU seien seit dem 4. November 1991 erfüllt; Rentenbeginn sei der 1. Dezember 1991; für die Zeit vom 1. Dezember 1991 bis 11. Februar 1992 sei die Rente jedoch nicht zu zahlen, da der Kläger während dieser Zeit einen Anspruch auf Übergangsgeld (Übg) habe; insoweit ergehe nach Überprüfung ein weiterer Bescheid.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe im Oktober 1991 eine EU-Rente nach altem Recht beantragt, seine Rente beginne laut Bescheid ab 1. Dezember 1991, berechnet worden sei die Rente jedoch nach den – ab 1. Januar 1992 geltenden – für ihn ungünstigen Bestimmungen des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI); hierdurch habe er etwa 110,00 DM weniger monatlich an Rente. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1992 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus: Gemäß § 116 Abs 1 SGB VI habe er neben dem Anspruch auf Übg keinen Anspruch auf Rente; die Rentenleistungen seien erst ab 12. Februar 1992 zu erbringen; und die Rente mithin nach neuem Recht zu berechnen; bei dem im Bescheid genannten Zeitpunkt, dem 1. Dezember 1991, handele es sich lediglich um einen fiktiven Rentenbeginn, von dem an das Übg zu zahlen sei.

Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat durch Urteil vom 16. Juni 1993 die Klage abgewiesen. Die Berufung gegen dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 19. September 1994 mit folgender Begründung zurückgewiesen: Die Rente sei nach den Bestimmungen des SGB VI zu berechnen. Der Kläger sei zwar bereits am 1. Dezember 1991 erwerbsunfähig gewesen und habe auch bereits zu diesem Zeitpunkt die sonstigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 24 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) für den Bezug einer EU-Rente erfüllt. Allerdings sei dieser Rentenanspruch im Hinblick auf § 18d Abs 2 AVG ausgeschlossen; sowohl während der Dauer des Heilverfahrens als auch ab 1. Dezember 1991 bis zum Beginn des Heilverfahrens bestehe allein ein Anspruch auf Übg bzw vorgezogenes Übg. Bei Übg und Rente handele es sich um verschiedene, nicht vergleichbare Sozialleistungen. Mithin habe ein Rentenanspruch erst seit dem 12. Februar 1992 bestanden, so daß die Sonderregelung des § 300 Abs 2 SGB VI keine Anwendung finde und gemäß § 300 Abs 1 SGB VI neues Recht anzuwenden sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 300 SGB VI iVm §§ 17, 18d AVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung. Er trägt vor: Er habe den Antrag auf EU-Rente bereits am 4. November 1991, also vor dem 31. März 1992, gestellt, und zwar für eine Zeit vor dem 1. Januar 1992. Infolgedessen sei gemäß § 300 Abs 2 SGB VI die Rente noch nach den Bestimmungen des AVG zu berechnen. Zwar sei vor Zuerkennung der EU-Rente eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden; diese habe jedoch die EU nicht abgewendet. Nach medizinischer Befunderhebung sei der Eintritt der EU von der Beklagten auf den 4. November 1991 festgelegt worden. Damit hätten sämtliche versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 1991 vorgelegen. Der Bezug von Übg dürfe für ihn nicht nachteilig sein, ihm müsse vielmehr die Rechtsposition eingeräumt werden, die ihm ohne die – erfolglose – Rehabilitationsmaßnahme zugestanden hätte.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. September 1994, das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 1993 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1992 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Zugrundelegung der Bestimmungen des Angestelltenversicherungsgesetzes in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Entgegen der Auffassung des Klägers finde § 300 Abs 2 SGB VI keine Anwendung. Wegen des ihm über den 31. Dezember 1991 hinaus gewährten Übg habe kein Anspruch auf Rente vor dem 1. Januar 1992 bestanden. Infolgedessen müsse die EU-Rente nach dem SGB VI und nicht nach dem AVG berechnet werden. Im übrigen gebe es Fallkonstellationen, in denen im Hinblick auf den Wegfall der sog Halbbelegung der Zahlbetrag einer nach dem SGB VI berechneten Rente höher sei als derjenige einer Rente nach den Bestimmungen des AVG. Die Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) in der Entscheidung vom 23. Juni 1994 (SozR 3-2600 § 300 Nr 3) bestätigten, daß § 300 Abs 2 SGB VI hier nicht einschlägig sei. Denn der Anspruch auf erstmalige Zahlung der EU-Rente sei nicht vor dem 1. Januar 1992 fällig geworden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet.

Auf die Revision des Klägers sind die Urteile des LSG und des SG aufzuheben. Die Beklagte ist unter Abänderung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, dem Kläger eine nach den Vorschriften des AVG – und nicht nach denjenigen des SGB VI – zu berechnende EU-Rente zu gewähren (§§ 17, 18d Abs 1 und Abs 4, 24 AVG iVm § 301 Abs 1 SGB VI in entsprechender Anwendung).

Die für das Übergangsrecht geltende allgemeine Grundregel des § 300 Abs 1 SGB VI, wonach die Vorschriften dieses Gesetzes von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an, dem 1. Januar 1992, auf einen Sachverhalt oder Anspruch anzuwenden sind, auch wenn der Sachverhalt oder der Anspruch bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat, greift hier nicht ein. Ebenfalls nicht einschlägig ist entgegen der Auffassung des Klägers die Sonderregelung des § 300 Abs 2 SGB VI; danach sind ausnahmsweise (Abs 2 aaO) aufgehobene Vorschriften – also diejenigen des AVG – noch nach diesem Zeitpunkt auf einen „bis dahin bestehenden Anspruch” anzuwenden, sofern dieser bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird; dem Kläger stand nämlich bis zum Ablauf des 31. Dezember 1991 kein derartiger durchsetzbarer, fälliger Anspruch auf eine EU-Rente zu (1.). Jedoch ist § 301 Abs 1 SGB VI – und damit das AVG – entsprechend anzuwenden. Der Anwendungsbereich dieser, speziell für Leistungen zur Rehabilitation vorgesehenen Übergangsvorschrift erstreckt sich auch auf Ansprüche von solchen Versicherten, die vor dem 1. Januar 1992 Leistungen zur Rehabilitation beantragt hatten, deren Rehabilitationsverfahren jedoch erst im Jahre 1992 endete, ohne daß ihre Erwerbsfähigkeit wiederhergestellt worden wäre; für die sich im Rahmen der Abwicklung des fehlgeschlagenen Rehabilitationsverfahrens ergebenden Rentenansprüche findet übergangsrechtlich das AVG ebenfalls Anwendung (2.).

Der Kläger hat einen Anspruch auf eine EU-Rente gemäß § 24 AVG.

1. Übergangsrechtliche Grundlage für eine Anwendung der Bestimmungen des AVG bei der Berechnung der EU-Rente ist nicht die Sonderregelung des § 300 Abs 2 SGB VI. Denn der Kläger hatte am 31. Dezember 1991 keinen „bestehenden” Anspruch auf eine EU-Rente im Sinne dieser Vorschrift. Anspruch in diesem Sinne ist allein ein fälliger – durchsetzbarer – Einzelanspruch auf die konkrete Leistung aus dem (Renten-)Leistungsverhältnis. Ein solcher stand dem Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht zu. Vorhanden war allein ein subjektives (Stamm-)Recht. Es entsteht, sobald die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale als solche – wie hier Antrag und Eintritt der EU – vorliegen. Dieses subjektive Recht begründet erst das (Renten-)Leistungsverhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Leistungsträger. Es ist die rechtliche Wurzel, aus der regelmäßig wiederkehrend „Einzel”-)Ansprüche auf konkrete Leistungen und Nebenpflichten erwachsen. Das Stammrecht selbst ist nicht durchsetzbar, dh notfalls vollstreckbar (vgl hierzu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3). Durchsetzbar in diesem Sinne ist allein der Anspruch auf die konkrete Einzelleistung, wie etwa der Anspruch auf die monatliche EU-Rente. Einen derartigen Anspruch hatte der Kläger jedoch am 31. Dezember 1991 nicht. Aufgrund des Rentenantrags vom 4. November 1991 stand ihm erstmals nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme am 11. Februar 1992 zum 12. Februar 1992 ein (Einzel-)Anspruch auf EU-Rente zu. Vor diesem Zeitpunkt hatte er allein einen Anspruch auf Übg bzw auf vorgezogenes Übg gemäß § 18d Abs 1 iVm Abs 4 Satz 3 AVG wenigstens in Höhe der Rente. Unerheblich ist, daß dem Kläger – offenbar – bis zum Erlaß des Rentenbescheides ein Übg nicht ausgezahlt worden war. Denn abgestellt wird in § 18d Abs 2 Satz 1 AVG nicht auf die Auszahlung des Übg, sondern auf den Anspruch als solchen (vgl BSGE 17, 238 f = SozR Nr 1 zu § 1242 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫).

1.1 Der og Anspruch auf Übg hat gemäß § 18d Abs 2 Satz 1 iVm Abs 4 Satz 3 AVG für die Zeit vom 1. Dezember 1991 bis 11. Februar 1992 einen Anspruch auf Rente ausgeschlossen. Der Anspruch auf Rente gelangte während des og Zeitraums mithin bereits nicht zur Entstehung. Er kann daher weder gegenüber dem Anspruch auf Übg subsidiär sein noch zu ihm in einer Anspruchskonkurrenz stehen. Denn sowohl Subsidiarität als auch Anspruchskonkurrenz würden einen neben dem Anspruch auf Übg bestehenden – wenn auch ggf nicht durchsetzbaren – Anspruch auf Rente (§ 194 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) voraussetzen, was jedoch, wie § 18d Abs 2 Satz 1 AVG zu entnehmen ist, nicht der Fall ist; infolgedessen hatte der Kläger zum 31. Dezember 1991 allein einen Anspruch auf die Rehabilitationsleistung Übg und nicht auf eine EU-Rente.

Die Auslegung entspricht nicht nur dem Wortlaut von § 18d Abs 2 Satz 1 AVG; sie ist auch Sinn und Zweck der medizinischen Rehabilitation zu entnehmen. Diese dient ua der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten und ist damit Ausfluß – und demnach auch – Bestandteil der sich aus dem (Renten-)Versicherungsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten. Im Interesse sowohl des Versicherten als auch der Versichertengemeinschaft hat nämlich einerseits der Rentenversicherungsträger alles zu unternehmen, damit die Erwerbsfähigkeit des Versicherten bis zum Bezug der Altersrente erhalten bleibt; andererseits ist der Versicherungsnehmer im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet, die ihm – bei einer entsprechenden günstigen Prognose (vgl § 18d Abs 3 AVG, und entsprechend § 116 Abs 1 Satz 1 SGB VI) – angebotene Rehabilitationsmaßnahme zur Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit anzunehmen und alles zu tun, um dieser zum Erfolg zu verhelfen. Das Übg ist dabei eine das Rehabilitationsverfahren begleitende unterstützende Leistung, die der wirtschaftlichen Sicherung des Versicherten und seiner Familienangehörigen dient (vgl hierzu entsprechend zu § 20 SGB VI: BT-Drucks VI/3742). Zugleich soll durch ein Übg – und nicht etwa durch Gewährung einer Rente auf Zeit – das Interesse des Versicherten an einer ernsthaften Mitarbeit während der Rehabilitationsmaßnahme erhalten bleiben (vgl hierzu BSGE 17, 238, 239 f = SozR Nr 1 zu § 1242 RVO; SozR 2200 § 1241d Nr 8).

Durch diese Grundwertung des Gesetzes, nämlich eines „Vorrangs der Rehabilitation” und einer erst nachrangig in Betracht kommenden Versicherungsleistung einer EU- oder Berufsunfähigkeits-Rente, wird das Verhältnis zwischen Übg und Rente bestimmt; es handelt sich daher insoweit systematisch um unterschiedliche Leistungsarten (vgl BSG SozR 3-2600 § 95 Nr 1). Sie sind nicht austauschbar und können einander nicht ersetzen.

1.2 Der Anspruch auf Übg ändert seinen Charakter als eine Rehabilitationsleistung auch dann nicht und wird zu einem am 31. Dezember 1991 „bestehenden Anspruch” iS von § 300 Abs 2 SGB VI, wenn sich nach Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme herausstellt, daß – wie beim Kläger – die Erwerbsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden konnte. Dem Versicherten steht zwar in diesem Fall ein Anspruch auf Übg „wenigstens in Höhe der Rente” – jedoch kein Anspruch auf Rente – zu. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, bei Erfolglosigkeit der Maßnahme den Versicherten finanziell so zu stellen, als ob er von vornherein, ab Antragstellung, der Höhe nach einen Anspruch auf Rente gehabt hätte. Mit Hilfe von § 18d Abs 4, 1 iVm Abs 2 AVG soll vermieden werden, daß der Versicherte während der Maßnahme sich bereits auf Renten-(Zahlungen) und damit auf die Aussichtslosigkeit des Rehabilitationsverfahrens einstellt und den Rehabilitationserfolg gefährdet (vgl BSGE 17, 238 ff = SozR Nr 1 zu § 1242 RVO). Das Übg tritt auch insoweit an die Stelle der an sich zu zahlenden Rente (vgl BSG SozR 2200 § 1241d Nrn 12, 14) und schließt den Anspruch auf Rente aus. Die Fiktion eines früheren, bei Erfolglosigkeit der Rehabilitationsmaßnahme auf den Zeitpunkt der Antragstellung vorverlegten Rentenbeginns (§ 18d Abs 4 AVG) soll verhindern, daß der Versicherte einen wirtschaftlichen Verlust erleidet, wenn er zunächst – entsprechend seiner Mitwirkungspflicht – versucht, eine EU mit Hilfe einer Rehabilitationsmaßnahme zu beheben. Das Übg bleibt mithin weiterhin eine Rehabilitationsleistung. Gewollt ist lediglich die wirtschaftliche Gleichstellung des Versicherten mit dem Empfänger einer EU-Rente. Eine Rückabwicklung des Rehabilitationsleistungsverhältnisses und eine „Umwandlung” in ein Rentenleistungsverhältnis findet trotz des fiktiven, auf den Zeitpunkt der Antragstellung (vor)verlegten Rentenbeginns gemäß § 18d Abs 4 Satz 1 AVG nicht statt; der Mißerfolg der Rehabilitationsmaßnahme löst dieses Leistungsverhältnis nicht etwa rückwirkend auf (vgl entsprechend §§ 158 Abs 2, 159 BGB). Dem steht zum einen der die Rehabilitationsmaßnahme bewilligende bestandskräftige Bescheid entgegen (§ 77 SGG), der erst wieder aufgehoben werden müßte. Zum anderen folgt dies aus dem Gesamtkonzept des Rehabilitationsverfahrens; dieses ist gerade auch unter Einbeziehung der Möglichkeit einer unzutreffenden Prognose über die Erfolgsaussicht und somit eines Mißerfolges der Rehabilitationsmaßnahme ausgestaltet, wie sich aus § 18d Abs 4 AVG ergibt. Damit der Versicherte das Angebot auf Rehabilitationsleistungen annimmt, sichert der Gesetzgeber ihm gerade für den Fall der Erfolglosigkeit der Maßnahme und bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs auf EU-Rente (vgl BSG SozR 2200 § 1241d Nr 12; SozR 3-2200 § 1304a Nr 2) zu, er werde keinen finanziellen Nachteil erleiden, da er in diesem Fall ab Antragszeitpunkt Übg wenigstens in Höhe der Rente erhalte.

Nach alledem hatte der Kläger zum 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Übg wenigstens in Höhe der Rente, nicht jedoch einen „bestehenden” Anspruch auf eine EU-Rente iS von § 300 Abs 2 SGB VI; folglich kann der Kläger seinen Anspruch auf eine höhere EU-Rente – nach den Bestimmungen des AVG – nicht auf diese Sonderregelung stützen.

2. Dies hat jedoch nicht zur Folge, daß die Grundregel des § 300 Abs 1 SGB VI eingreift und für die Berechnung der Rente die Vorschriften des SGB VI maßgebend sind. Zugunsten des Klägers findet vielmehr § 301 Abs 1 SGB VI entsprechende Anwendung, so daß die EU-Rente des Klägers nach Maßgabe der Bestimmungen des AVG zu berechnen ist.

2.1 Eine direkte Anwendung von § 301 Abs 1 SGB VI entfällt. Geregelt ist dort nur der Fall, daß Versicherte, die vor Inkrafttreten der neuen Vorschriften Leistungen zur Rehabilitation beantragt oder bezogen haben und die die Voraussetzungen für diese Leistungen erfüllt haben, die Leistungen zur Rehabilitation nach dem vor Inkrafttreten der neuen Regelung geltenden und damit einheitlich nach demselben Recht erhalten (vgl BT-Drucks 11/4124 S 206). Die Vorschrift trifft somit eine Regelung allein für die im Zusammenhang mit der Rehabilitationsmaßnahme zu erbringenden Leistungen, etwa darüber, nach welchen Bestimmungen das während der Rehabilitationsmaßnahme – bzw ab dem Zeitpunkt, ab dem an sich eine Rente zu zahlen wäre – zu bewilligende Übg zu berechnen ist. Nicht erfaßt wird von der Übergangsvorschrift, welche Bestimmungen für die im Rahmen der Abwicklung der „mißglückten Rehabilitation” im Anschluß an die Rehabilitationsmaßnahme zu zahlende Rente Anwendung finden.

2.2 § 301 Abs 1 SGB VI enthält keine vollständige Übergangsregelung für das komplette Normprogramm der Rehabilitation, es fehlt nämlich eine Regelung für den Fall, daß die Rehabilitationsmaßnahme nicht zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten führt. Insoweit liegt eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vor (vgl zur Auslegung bei Gesetzeslücken: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl, S 373 ff). Ob von einer derartigen planwidrigen Lücke auszugehen ist, beurteilt sich nach der dem Gesetz zugrundeliegenden Regelungsabsicht, dem mit ihr verfolgten Zweck und dem gesetzgeberischen Plan (vgl Larenz, aaO, S 373). Heranzuziehen sind hier mithin Sinn und Zweck sowohl des Rehabilitationsverfahrens, wie es in den Regelungen des AVG – und im Einklang damit auch des SGB VI (§§ 25 Abs 2, 24 Abs 4, 116 Abs 1 Satz 2 SGB VI) – Ausdruck gefunden hat, als auch der das Rehabilitationsverfahren betreffenden Übergangsvorschrift. Beide mit den Gesetzen verfolgten Ziele gemeinsam lassen den Regelungsrahmen des § 301 Abs 1 SGB VI erkennen.

2.2.1 Wie ausgeführt, soll mit Hilfe des Normprogramms „Rehabilitation” die Grundwertung des Gesetzes, nämlich der Vorrang von Rehabilitationsmaßnahmen vor der Gewährung von Rentenleistungen, verwirklicht werden. Infolgedessen hat einerseits der Rentenversicherungsträger die Pflicht aus dem Versicherungsverhältnis – auch im Rahmen seiner Fürsorge für den Versicherten – ihm bei günstiger Prognose Rehabilitationsmaßnahmen unter für ihn optimalen Bedingungen anzubieten; andererseits hat der Versicherte die sich ebenfalls aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Pflicht, dieses Angebot – auch um Schäden von der Versichertengemeinschaft infolge vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben und damit einhergehender vorzeitiger Rentenzahlung abzuwenden – anzunehmen. Diesem Zweck entsprechend hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Durchführung der Rehabilitation eine Reihe von Regelungen getroffen, die dem Versicherten verdeutlichen, er werde wirtschaftlich nicht benachteiligt, wenn sich nach Beendigung der Maßnahme herausstellt, seine Erwerbsfähigkeit sei nicht wiederhergestellt worden. Für den Fall der mißglückten Rehabilitation gilt der Antrag auf Rehabilitation als Antrag auf Rente; dem Versicherten ist ebenso wie in den Fällen, in denen der Antrag bereits vor Beginn der Maßnahme gestellt worden war, Anspruch auf Übg wenigstens in Höhe der Rente zu gewähren (vgl § 18d Abs 1 und Abs 4 AVG). Bei Antragstellung und vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme ist damit für den Versicherten überschaubar und erkennbar, welche Leistungen in welcher Höhe ihm auch im Falle des Scheiterns der Rehabilitationsmaßnahme zustehen werden. Für diesen Fall wird ihm ein Zahlbetrag wenigstens in Höhe der Rente (vgl § 18d Abs 1 und Abs 4 AVG; nach neuem Recht §§ 25 Abs 2, 24 Abs 4 SGB VI) gewährleistet, der nahtlos nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme wegen des nunmehr bestehenden Rentenanspruchs weitergewährt wird. Im Hinblick auf das Gesamtpaket der Regelungen kann der Versicherte mithin bei Antragstellung darauf vertrauen, wirtschaftlich werde er auch bei mißglückter Rehabilitation dem Empfänger einer EU-Rente mit einer entsprechenden Versicherungsbiographie und entsprechender Antragstellung gleichgestellt. Dieses Konzept hat der Gesetzgeber sowohl im AVG (bzw der RVO) als auch im SGB VI eingehalten und damit dem Vertrauen des Versicherten Rechnung getragen. Der Versicherte wird danach – ohne die Gesetzesänderung – bei einer erfolglosen Rehabilitationsmaßnahme zu Beginn und Ende der Maßnahme wirtschaftlich einem Rentenempfänger gleichgestellt.

2.2.2 Das Vertrauen des Versicherten auf eine überschaubare Gesetzeslage, die es ermöglicht, Vor- und Nachteile eines Rehabilitationsverfahrens gegeneinander abzuwägen, hat der Gesetzgeber übergangsrechtlich teilweise durch § 301 Abs 1 SGB VI geschützt. Danach sind für Leistungen zur Rehabilitation bis zum Ende der Leistungen die Vorschriften weiter anzuwenden, die (ua) im Zeitpunkt der Antragstellung gegolten haben. Damit hat der Gesetzgeber das Vertrauen auf den Fortbestand der gesetzlichen Vorschriften in einem Fall der tatbestandlichen Rückanknüpfung – bei einem vor der Gesetzesverkündung noch nicht vollständig abgeschlossenen Tatbestand (vgl BVerfGE 68, 287, 306 f; 76, 256, 356 f) – grundsätzlich anerkannt. Dabei hat er jedoch das Vertrauen des Versicherten ausschließlich bezogen auf das Leistungs(schuld-)verhältnis „Rehabilitation”, beginnend mit der Antragstellung, endend am letzten Tag der Durchführung der Rehabilitation. Nicht geschützt hat er hingegen dessen Vertrauen auf seinen wirtschaftlichen Besitzstand zum Zeitpunkt der Antragstellung und bei Beendigung der Maßnahme bei mißglückter Rehabilitation, obwohl die der Übergangsregelung zugrundeliegende Gesamtkonzeption des Rehabilitationsverfahrens im Hinblick auf die og Interessenlage des Versicherten und der Versichertengemeinschaft einen derartigen Schutz in gleicher Weise erfordert. Das Abwicklungsverhältnis „mißglückte Rehabilitation” umfaßt die nahtlose Überleitung in ein Rentenversicherungsverhältnis, wie sich ua aus der Antragsfiktion des § 18d Abs 4 Satz 1 AVG sowie der Höhe des Übg (wenigstens in Höhe der Rente) ergibt. Der Zahlbetrag des Übg wenigstens in Höhe der Rente orientiert sich an den Verhältnissen bei Antragstellung (fiktiver Rentenbeginn), dem Zeitpunkt, an dem in diesem Falle auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der EU-Rente vorgelegen haben müssen und – mithin – das subjektive (Stamm-)Recht auf Rentenleistungen entstanden und lediglich die Einzelleistung aus dem Stammrecht wegen des Anspruchs auf Übg während dieses Zeitraums ausgeschlossen war (anders in einem obiter dictum der 8. Senat im Urteil vom 25. Juli 1995 ≪SozR 3-2600 § 95 Nr 1≫ ohne nähere Begründung). Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber nur für einen Teil des Normprogramms eine Übergangsregelung schaffen und für einen weiteren, wesentlichen Teil seines Konzepts, der sein Programm erst vervollständigt, eine derartige Regelung unterlassen wollte.

Demgegenüber tritt das öffentliche Interesse an einer möglichst umgehenden Umsetzung des SGB VI zur Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl BT-Drucks 11/4121 S 135 ff) zurück. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb im Rahmen der Übergangsregelung das gesetzgeberische Gesamtkonzept für Rehabilitationsleistungen getrennt und damit aufgegeben werden und für einen Teil neues Recht Anwendung finden sollte. Daß dem Kläger erstmals nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme, ab 12. Februar 1992, also nach Inkrafttreten des SGB VI, ein fälliger, durchsetzbarer (Einzel-)Anspruch auf eine EU-Rente zugestanden hat, ist im Hinblick auf die beabsichtigte wirtschaftliche Sicherung des Versicherten und den damit verbundenen Vertrauensschutz unerheblich. Durch die entsprechende Anwendung von § 301 Abs 1 SGB VI wird nicht etwa rückwirkend der materiell-rechtliche Anspruch auf Übg geändert, sondern allein übergangsrechtlich bestimmt, daß für die Berechnung der dem Kläger erstmals ab 12. Februar 1992 zustehenden Rente die bei Antragstellung, also die bis zum 31. Dezember 1991, geltenden Bestimmungen des AVG anzuwenden sind.

Die Revision des Klägers hat nach alledem Erfolg; gemäß § 130 Satz 1 SGG ist die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine EU-Rente, berechnet nach den Vorschriften des AVG, zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

SozR 3-2600 § 301, Nr.1

Breith. 1997, 450

SozSi 1997, 198

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