Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch einer geschiedenen Frau, die aus der DDR vor Ablösung des EheG durch die Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung vom 1955-11-24 in das Bundesgebiet zugezogen ist, auf Unterhalt iS des RVO § 1265 S 1 Alternative 1 gegen den ständig in Ostberlin wohnhaft gewesenen, 1959 verstorbenen früheren Ehemann richtet sich nach den Vorschriften des EheG.

 

Normenkette

EheG § 58 Fassung: 1946-02-20; RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; BGBEG Art. 17 Abs. 1, 3

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. August 1969 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die 1898 geborene Klägerin ist die frühere Ehefrau des 1895 geborenen und am 7. Juni 1959 in Ostberlin verstorbenen, dort ständig wohnhaft gewesenen Versicherten A. W.. Ihre Ehe mit ihm ist durch Urteil des Landgerichts Berlin I seit 9. Februar 1926 rechtskräftig geschieden. Wahrend sich die Klägerin nicht wiederverheiratet hat, hat sich der Versicherte noch zweimal verehelicht. Seine letzte Ehefrau erhält in Ostberlin Witwenrente. Die Klägerin ist zwischen dem 2. März 1953 und dem 10. April 1954 aus der DDR in die Bundesrepublik verzogen.

Den Antrag der Klägerin vom 1. Dezember 1964 auf Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. März 1966 ab, weil nicht habe festgestellt werden können, ob der Versicherte die Scheidung verschuldet habe. Außerdem habe die Klägerin nicht nachgewiesen, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten gehabt habe oder daß er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet habe. Auch unter Berücksichtigung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 bestehe kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente, weil eine anspruchsberechtigte Witwe vorhanden sei.

Die Klage gegen diesen Bescheid ist ohne Erfolg geblieben. Am 20. August 1969 hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 28. Oktober 1968 zurückgewiesen und ausgeführt: Der frühere Ehemann habe der Klägerin zur Zeit seines Todes keinen Unterhalt geleistet. Es lasse sich auch nicht feststellen, ob er ihr "aus sonstigen Gründen" zur Leistung von Unterhalt verpflichtet gewesen sei. Der Versicherte habe der Klägerin aber auch zur Zeit seines Todes keinen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten gehabt; diesem Gesetz sei der Versicherte, nachdem er niemals Wohnsitz oder Aufenthalt in der Bundesrepublik oder in Westberlin gehabt habe, nicht unterworfen gewesen; zudem würde eine gerichtliche Durchsetzung einer aus dem EheG 1946 hergeleiteten Unterhaltsforderung daran gescheitert sein, daß sich der Versicherte in Ostberlin aufgehalten habe. Ob § 1265 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anwendbar sei, brauche nicht erörtert zu werden.

Mit der zugelassenen Revision tritt die Klägerin der Entscheidung des LSG entgegen. Sie bringt vor: Durch eine Bescheinigung ihrer Tochter, die sie hiermit vorlege, dürfe hinreichend klargestellt sein, daß sie schuldlos geschieden sei. Ihre Unterhaltsansprüche gegen den früheren Ehemann richteten sich sehr wohl nach den Bestimmungen des EheG 1946. Wollte man die unterhaltsrechtlichen Ansprüche des geschiedenen Ehegatten mit der Begründung zurückweisen, daß die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen des EheG nicht anzuwenden seien, weil der andere Ehegatte in der DDR lebe, so würde ein unerträglicher und praktisch rechtloser Zustand geschaffen. Eine solche Ablehnung unterhaltsrechtlicher Ansprüche des Ehegatten könne auch nicht damit begründet werden, daß ein Unterhaltsurteil der Bundesrepublik im Gebiet der DDR vorläufig nicht vollstreckbar sei. Es müsse genügen, daß Unterhaltsansprüche gegeben seien und "nach unserem Recht" zugesprochen werden müßten. Auch § 1265 Satz 2 RVO sei anwendbar. Bei richtiger rechtlicher Würdigung des Sachverhalts sei davon auszugehen, daß die Beklagte an die in der DDR lebende Witwe des Versicherten eine Witwenrente nicht zu gewähren habe, weil die Witwe dort auf Grund völlig anderer rechtlicher Vorschriften eine Rente erhalte, Witwenrente nach der RVO nicht in Anspruch nehme und auch nicht in Anspruch nehmen könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Celle vom 20. August 1969, das Urteil des SG Braunschweig vom 28. Oktober 1968 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. März 1966 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr eine Hinterbliebenenrente (Geschiedenenrente) ab Antragsmonat zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Ansicht, daß die Klägerin auch dann keinen Anspruch auf Rente nach § 1265 RVO hätte, wenn das EheG der Prüfung des Unterhaltsanspruchs zugrunde gelegt würde. Der Versicherte hätte auch in diesem Falle keinen Unterhalt zu leisten gehabt und habe im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich keinen Unterhalt gezahlt. Eine andere Rechtslage ergebe sich auch nicht aus § 1265 Satz 2 RVO idF des RVÄndG.

II

Die Revision ist zulässig und in der Sache zum Teil begründet.

Nach § 1265 Satz 1 RVO wird einer früheren Ehefrau eines Versicherten, deren Ehe mit ihm geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, nach dessen Tode Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hätte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Das LSG hat ungerügt festgestellt, daß der Klägerin von ihrem ehemaligen geschiedenen Ehemann im letzten Jahr vor seinem Tod kein Unterhalt gewährt worden ist. Unangefochten hat das LSG weiter ausgeführt, es lasse sich auch nicht feststellen, ob die Klägerin gegenüber dem Versicherten zur Zeit von dessen Tod über einen zur Zwangsvollstreckung berechtigenden Unterhaltstitel verfügt habe. Es kann dahinstehen, ob mit dieser Feststellung die Möglichkeit, § 1265 Satz 1 -2. Alternative - RVO (Unterhaltsverpflichtung des Versicherten aus "sonstigen Gründen") auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden, erschöpft ist. Entgegen der Auffassung des LSG scheitert die Anwendbarkeit bereits der 1. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO (Unterhaltsverpflichtung des Versicherten nach den Vorschriften des EheG) auf einen Fall der zu entscheidenden Art nicht schon daran, daß ein Versicherter, der niemals in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt oder sich dort aufgehalten hat, dem ehegesetzlichen Unterhaltsrecht "nicht unterworfen" sein könne.

Es trifft zu, daß zur Zeit des Todes des früheren Ehemannes der Klägerin am 7. Juni 1959 an seinem Wohnort in Ostberlin das EheG vom 20. Februar 1946 (EheG 1946) - nur in dieser Fassung kommt das EheG im Hinblick auf den Zeitpunkt des Todes des Versicherten in Betracht (BSG 5, 179 und 276) - nicht gegolten hat. Zwar war das EheG 1946 als vom Alliierten Kontrollrat erlassene Rechtsnorm (Kontrollratsgesetz Nr. 16, KRABl. S. 77) an 1. März 1946 in allen vier Besatzungszonen in Kraft getreten. Nachdem das gesamte Recht des Kontrollrats im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag zwischen der DDR und der UdSSR vom 20. September 1955 im Bereich der früheren Sowjetischen Besatzungszone außer Kraft getreten war (vgl. im einzelnen Staudinger/Dietz, 10./11. Aufl. 1968, Einleitung vor EheG, Anm. 161), regelte die Verordnung über Eheschließung und Eheauflösung vom 24. November 1955 - EheVO - (DDR GBl. I S. 849) das Eherecht einschließlich des Rechts der Scheidung und der Scheidungsfolgen in der DDR neu; in Ostberlin ist die EheVO durch Verordnung vom 6. Dezember 1955 (VOBl. I S. 519) mit Wirkung vom 8. Dezember 1955 eingeführt worden. Sie ist erst durch das Familiengesetzbuch -FGB - der DDR vom 20. Dezember 1965 (DDR GBl. 1966 I, S. 1), in Kraft ab 1. April 1966, abgelöst worden.

Die Tatsache, daß sich der frühere Ehemann der Klägerin zur Zeit seines Todes in einem Gebiet aufgehalten hat, in dem das EheG 1946 nicht - mehr - galt, berechtigt nicht zu der Folgerung, die zu dieser Zeit bereits in der Bundesrepublik wohnende Klägerin habe von dem Versicherten nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes Unterhalt beanspruchen können. Da der zu beurteilende Sachverhalt in bezug auf den nachehelichen Unterhalt über den Bereich des in der Bundesrepublik geltenden Rechts hinausreicht und den Rechtskreis der DDR berührt, kann nur auf Grund der Bestimmungen des einschlägigen Kollisionsrechts geklärt werden, welches der beiden Rechte im konkreten Fall anzuwenden ist. Die Frage, ob dann, wenn kollisionsrechtlich das Unterhaltsrecht der DDR als anwendbar bestimmt wäre, ein Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau nach DDR-Recht im Rahmen der RVO- Vorschrift des § 1265 Satz 1 - 1. Alternative (wegen der Unanwendbarkeit des in der Bundesrepublik geltenden EheG) oder im Rahmen der 2. Alternative (als sonstiger Grund) berücksichtigt werden müßte, braucht der Senat nicht zu beantworten. Die zuständigen Kollisionsnormen erklären nämlich im vorliegenden Fall das EheG 1946 für anwendbar.

Vorweg ist festzuhalten, daß die Frage, ob die Klägerin von ihrem früheren Ehemann zur Zeit von dessen Tod Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu fordern hatte, entsprechend der "Unterhaltsersatzfunktion" des Hinterbliebenenrentenanspruchs nach § 1265 RVO bürgerlich-rechtlicher Natur ist. Das Sozialversicherungsrecht - Teil des öffentlichen Rechts - und seine Kollisionsnormen können daher die zu entscheidende, dem bürgerlichen Recht angehörige Vorfrage nicht beantworten; so läßt sich z.B. der für das Interlokale Recht im Verhältnis der Bundesrepublik zur DDR hinsichtlich des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung geltende "Wohnsitzgrundsatz" (vgl. BSG 3, 286) nicht heranziehen.

Für den vorliegenden einschlägigen Bereich des bürgerlichen Rechts folgt der Senat der zivilgerichtlichen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung, daß die Regeln des Kollisionsrechts für das Verhältnis der Bundesrepublik zur DDR - gemeinhin als Interlokales Kollisionsrecht bezeichnet - in Anlehnung an das Internationale Privatrecht entwickelt werden müssen (BGHZ 40, 34; Kegel bei Soergel/Siebert, 10. Aufl., Bd. 7, Rd.Nr. 131 vor Art. 7 EGBGB; Staudinger/Dietz, aaO, Einleitung vor EheG, Anm. 201; Marquordt bei Erman, BGB, 4. Aufl., 2. Bd., Anm. 8 a vor Art. 7 EGBGB; Beitzke in Eherecht der europäischen und außereuropäischen Staaten, Bd. 1, 1. Teil, S. 1309). Für die Scheidungsfolgen einschließlich der Unterhaltsansprüche zwischen Geschiedenen ist im Internationalen Privatrecht und demnach auch im Interlokalen Recht jedenfalls im Ausgangspunkt das für die Ehescheidung als anwendbar erklärte Recht, das "Scheidungsstatut", maßgeblich (Kegel/Soergel/Siebert, aaO, Rd.Nrn. 97 und 98 bei Art. 17 EGBGB; Erman/Marquordt, aaO, Anm. 16 bei Art. 17 EGBGB; Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., S. 315, Hofmann/Stephan, Einleitung vor § 58 EheG, Rd.Nr. 73). Hiernach käme in bezug auf die unterhaltsrechtlichen Beziehungen Zwischen geschiedenen Eheleuten im Falle interlokaler Rechtskollision für die Bestimmung des anwendbaren Rechts Art. 17 EGBGB in Betracht; grundsätzlich wäre demnach das Heimatrecht des geschiedenen Ehemannes (Art. 17 Abs. 1 EGBGB), ausnahmsweise an das Heimatrecht der geschiedenen Ehefrau (Art. 17 Abs. 3 EGBGB) anzuknüpfen.

Art. 17 EGBGB ist indessen auf einen Fall der vorliegenden Art nicht entsprechend anwendbar. Nach allgemeiner Auffassung ist auch der in der DDR lebende Versicherte deutscher Staatsangehöriger. Da mit dem Auseinanderfallen der bisher einheitlichen deutschen Rechtsordnung - hier das EheG 1946 im Jahre 1955 - die deutsche Staatsangehörigkeit jedenfalls alleine ungeeignet ist, zu bestimmen, ob BRD-Recht oder DDR-Recht anzuwenden ist, muß im interlokalen Bereich der Anknüpfungspunkt "deutsche Staatsangehörigkeit" durch das "Personalstatut", also durch die durch Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründete Zugehörigkeit zum Rechtskreis eines der beiden deutschen Staaten ersetzt werden. Art. 17 EGBGB entzieht sich in diesen Fällen einer entsprechenden Anwendung. Die Vorschrift bestimmt nämlich das zur Zeit der Scheidung - genauer: Erhebung der Scheidungsklage (Abs. 1 aaO), ausnahmsweise Erlaß des Scheidungsurteils (Abs. 3 aaO) - geltende Scheidungsstatut zum anwendbaren Recht und erklärt damit zugleich einen nach der Scheidung eintretenden Statutenwechsel - für rechtlich unbeachtlich. Damit vermag Art. 17 EGBGB nicht solche Kollisionen von Rechten zu lösen, die gerade deshalb entstehen, daß sich die bis zur Scheidung noch einheitliche Rechtsordnung später aufspaltet (vgl. dazu Neuhaus, Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 1962, S. 207).

Im vorliegenden Fall ist ein kollisionsrechtlich erheblicher Tatbestand erst dadurch entstanden, daß sich Jahrzehnte nach der im Jahre 1926 ausgesprochenen Scheidung das für die Klägerin und den Versicherten gemeinsame - zunächst reichsgesetzliche (BGB, EheG 1930), später besatzungsrechtliche (EheG 1946) - Unterhaltsrecht für Geschiedene aufgespalten hat: Während in der Bundesrepublik, in welche die Klägerin nach den Aktenunterlagen zwischen dem 2. März 1953 und dem 10. April 1954 zugezogen ist, das EheG 1946 weitergalt, wurde am Wohnsitz des Versicherten in Ostberlin im Jahre 1955 neues, die Scheidungsfolgen regelndes Recht in Kraft gesetzt (vgl. §§ 17, 18 EheVO). Damit galt nunmehr für den Versicherten ein von dem der Klägerin abweichendes Personalstatut. Die so entstandene interlokale Rechtskollision läßt sich nicht dadurch lösen, daß das für die Scheidungsfolgen geltende unwandelbare Statut mit der Begründung für wandelbar erklärt wird, der aus der DDR Zugewanderte habe dort bewußt alle Verbindungen abgebrochen (vgl. Erman/Marquordt, aaO, Anm. 8 e vor Art. 7 EGBGB und Anm. 16 e bei Art. 17 EGBGB). Die Zuwanderung der Klägerin in die Bundesrepublik in den Jahren 1953/1954 änderte deren Personalstatut nicht: Für sie galt bei unveränderter deutscher Staatsangehörigkeit wie bisher das EheG 1946. Der Ortswechsel der Klägerin vermag eine Wandlung des zuständigen Statuts weder zu erklären noch zu rechtfertigen.

Ist aber der Tatbestand, der unabweisbar nach einer kollisionsrechtlichen Lösung verlangt, erst nach der Scheidung durch Aufspaltung des bis dahin gemeinsamen Rechts aufgetreten, so liegt auf der Hand, daß eine entsprechende Heranziehung des Art. 17 EGBGB, der die Berücksichtigung eines nach der Scheidung aufgetretenen Statutenwechsels gerade nicht gestattet, das anwendbare Statut nicht bestimmen kann. Im Schrifttum wird für Fälle dieser und ähnlich liegender Art mit verschiedenen Begründungen - zum Teil unter aktuellem Bezug auf die Aufspaltung Deutschlands in Teile mit verschiedener Rechtsordnung - an die Rechtsverhältnisse angeknüpft, die unmittelbar vor der Aufspaltung einheitlich für beide Beteiligte gegolten haben (Neuhaus, aaO; Beitzke, JZ 1961, 649, 655; Kegel/Soergel/Siebert, aaO, RdNrn. 6 und 7 vor Art. 13, RdNrn. 5 und 55 bei Art. 14, RdNrn. 16 und 17 bei Art. 17 EGBGB; aA: Erman/Marquordt aaO). Dieser Anknüpfung an das letzte gemeinschaftliche Statut der geschiedenen - Eheleute ist zuzustimmen. Der Senat braucht sich hierbei mit dem Schrifttum im einzelnen nicht auseinanderzusetzen. Für Fälle der vorliegenden Art ist der kollisionsrechtliche Anknüpfungspunkt aus dem Grundgedanken des Art. 14 Abs. 2 EGBGB zu gewinnen. Auch diese Vorschrift regelt einen Tatbestand, in dem die zu beurteilende Rechtsbeziehung dadurch kollisionsrechtlich relevant geworden ist, daß sich für die beiden am Rechtsverhältnis Beteiligten das bislang einheitliche Personalstatut (Heimatrecht) in der Weise aufgespalten hat, daß es nur noch für einen der Ehepartner weitergilt. Die dem Art. 14 Abs. 2 EGBGB vorgegebene Interessenlage gleicht daher der des vorliegenden Falles in hohem Maße; der dieser Bestimmung zu entnehmende Rechtsgedanke ist demnach geeignet, eine Lücke im an sich zuständigen Scheidungsstatut des Internationalen Privatrechts und entsprechend des Interlokalen Rechts auszufüllen. Für den interlokalen Bereich folgt hieraus, daß an das weitergeltende (deutsche) Personalstatut der - geschiedenen - Ehefrau anzuknüpfen ist, wenn dieses das letzte gemeinschaftliche (deutsche) Statut beider geschiedenen Ehegatten gewesen war. Für den konkreten Fall kann dahinstehen, ob der in Art. 14 Abs. 2 EGBGB normierte Grundsatz unter der Herrschaft des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes zur "allseitigen" Kollisionsnorm geworden ist, also in jedem Fall an das letzte gemeinschaftliche Statut der (geschiedenen) Eheleute, das für einen von ihnen fortgilt, anzuknüpfen ist (vgl. Kegel/Soergel/Siebert, aaO, RdNr. 5 bei Art. 14 EGBGB). Auch wenn dem so wäre, so würde vorliegend das Personalstatut der Klägerin maßgebend sein, weil sie es ist, die das letzte gemeinschaftliche Statut beibehalten hat.

Daraus folgt, daß auf den zur Beurteilung stehenden Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren früheren geschiedenen Ehemann des EheG 1946 anzuwenden ist; dieses Gesetz galt, als die Klägerin in die Bundesrepublik zugezogen ist, für sie und den Versicherten gemeinschaftlich, und es galt für die Klägerin nach dem Inkrafttreten der EheVO in der DDR unverändert weiter.

Diesem Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, das EheG 1946 habe in der DDR schon vor der Ablösung durch die EheVO inhaltliche Veränderungen derart erfahren, daß von einer Gemeinschaftlichkeit mit dem in der Bundesrepublik geltenden EheG 1946 nicht mehr gesprochen werden könne. Zwar trifft zu, daß schon die erste Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 (DDR GBl 4) auch das Familien- und Eherecht - samt dem Recht der Scheidung und der Scheidungsfolgen - beeinflußt hat (vgl. z.B. Schlicht, Das Familien- und Familienverfahrensrecht der DDR, 1970, S. 57 ff). Indessen läßt die Rechtsprechung und die Literatur der DDR vor Inkrafttreten der EheVO im Jahre 1955 klar erkennen, daß die den nachehelichen Unterhalt regelnden Bestimmungen der §§ 58 ff EheG 1946 als weitergeltend behandelt und angewendet worden sind. Wenn auch das Obergericht (OG) der DDR im Urteil vom 16. Oktober 1952 (NJ 1952, 580) entschieden hat, daß bei voller Erwerbsfähigkeit der Frau alle aus einer früheren Ehe herzuleitenden Rechte auf Gewährung des Unterhalts in Wegfall kommen können, so hat das OG alsbald Anlaß genommen, diese Entscheidung einschränkend zu interpretieren. Nachdem das Urteil von einem Oberrichter des OG bereits in NJ 1953, 555 restriktiv ausgelegt worden ist, hat das OG in der weiteren Entscheidung vom 26. November 1953 (NJ 1954, 88) nachdrücklich darauf hingewiesen, daß Unterhaltsansprüche der geschiedenen Frau nach §§ 58 ff EheG nur wegfallen können, wenn sie "längere Zeit hindurch eine berufliche Tätigkeit ausgeübt und wirtschaftliche Selbständigkeit erworben hat”; zugleich hat das OG hervorgehoben, daß die gleichberechtigte Stellung der Frau (Art. 7 und 30 DDR-Verfassung) "nicht zu unzulässiger und lebensfremder Gleichmacherei führen darf". Damit waren die Grenzen der Rechtsprechung der DDR-Gerichte zu §§ 58 ff EheG bis zum Inkrafttreten der EheVO im Jahre 1955 abgesteckt; nach diesen Bestimmungen beurteilten die Gerichte der DDR weiterhin den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau (vgl. OG NJ 1954, 178; 1955, 286 und 609; Kreisgericht Oschatz, NJ 1954, 639). Eine Verweisung der geschiedenen Ehefrau auf Einkünfte aus der eigenen Erwerbstätigkeit ist aber dem § 58 EheG 1946 weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach der Auslegung dieser Bestimmung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik fremd (vgl. dazu z.B. BSG SozR RVO 1265 Nr. 39). Hiernach muß davon ausgegangen werden, daß die Vorschriften der §§ 58 ff EheG 1946 bis zum Inkrafttreten der EheVO im Jahre 1955 in der DDR in beiden Teilen Deutschlands mit im Kern gleichem Inhalt unverändert weitergegolten haben.

Der vom Senat gefundenen Lösung kann auch nicht mit dem Argument entgegengetreten werden, gegenüber dem ständig in Ostberlin wohnhaft gewesenen Versicherten lasse sich allenfalls ein Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau nach dem EheG 1946 theoretisch konstruieren; nach den gegebenen Verhältnissen lasse er sich jedoch nicht realisieren. Eine geschiedene Ehefrau kann gegen ihren in der DDR lebenden früheren Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt vor den Gerichten der Bundesrepublik verfolgen; § 23 a der Zivilprozeßordnung (ZPO), der in Unterhaltssachen einen inländischen Gerichtsstand gegen Personen begründet, die im Inland keinen Gerichtsstand haben, ist nach herrschender Auffassung im Verhältnis zur DDR entsprechend anzuwenden (vgl. LG Dortmund, NJW 1964, 2114; Pernutz, NJU 1968, 234; vgl. ferner zur Frage des inländischen Gerichtsstandes in § 23 ZPO BGHZ 4, 62). Es kann dahinstehen, welche Schwierigkeiten der Vollstreckung eines vor einem Gericht der Bundesrepublik erwirkten Unterhaltstitels in der DDR entgegenstehen könnten (vgl. Berner, Rechtspfleger 1967, 193). Immerhin besteht die gute Möglichkeit, daß sich der in der DDR wohnende frühere Ehemann einem in der Bundesrepublik erwirkten Unterhaltstitel freiwillig unterwirft und an die geschiedene Ehefrau Unterhalt zahlt. Im übrigen kann die geschiedene Frau aus einem in der Bundesrepublik erstrittenen Unterhaltstitel ohne Schwierigkeiten dann vollstrecken, wenn der Unterhaltsschuldner - etwa nach dem Erreichen des "Rentenalters" - in die Bundesrepublik gelangt oder wenn er im Bundesgebiet Vermögenswerte besitzt, in die vollstreckt werden kann. Bei diesen Gegebenheiten ist ein Unterhaltsanspruch einer geschiedenen Frau nach den ehegesetzlichen Bestimmungen gegen den in der DDR wohnhaften Versicherten jedenfalls nicht nur theoretischer Art; höhere Anforderungen, etwa uneingeschränkte Durchsetzbarkeit des Anspruchs in jedem Einzelfall, stellt § 1265 Satz 1 - l. Alternative - RVO nicht.

Mit seiner Rechtsauffassung widerspricht der erkennende nicht der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 29. Juni 1967 - 4 RJ 383/66 - (SozEntsch BSG V, § 1265 Nr. 47). Zwar ist dort davon die Rede, daß die geschiedene, in der Bundesrepublik lebende Frau gegenüber dem ständig in Ostberlin wohnenden früheren Ehemann keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG habe; indessen lagen dieser Entscheidung von dem vorliegenden Sachverhalt grundlegend abweichende Tatsachen zugrunde (Scheidung der Eheleute 1961 in Ostberlin). Mit den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs - BGH - in BGHZ 34, 142; 38, 2; 42, 103 stimmt der Senat im Ergebnis überein auch der BGH hat in den von ihm entschiedenen Fällen Art. 17 EGBGB zur Lösung von Rechtskollisionen im interlokalen Bereich für unanwendbar erachtet.

Hinsichtlich der Prüfung eines Anspruchs der Klägerin auf Unterhalt gegen ihren früheren geschiedenen Ehemann nach den Vorschriften des EheG fehlt es im angefochtenen Urteil an jeglichen tatsächlichen Feststellungen. Der Senat mußte daher die Entscheidung des LSG aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung war der Endentscheidung vorzubehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 89

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