Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitlich geltende Leistungsbemessungsgrenze

 

Leitsatz (amtlich)

Für das Übergangsgeld eines Beschädigten, der Anfang eines Jahres arbeitsunfähig wird, ist die Leistungsbemessungsgrenze des Vorjahres maßgebend, wenn in dieses der letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechnete Lohnabrechnungszeitraum fällt.

 

Orientierungssatz

Jeweils geltende Leistungsbemessungsgrenze" iS des § 16a Abs 3 BVG ist die Grenze, die sich zeitlich auf das Entgelt aus dem in § 16a Abs 2 BVG festgelegten Bemessungszeitraum bezieht. Dieses Gebot der Gleichzeitigkeit ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen beiden Bezugsgrößen, der individuellen und der allgemeinen.

 

Normenkette

BVG § 16a Abs 2 Fassung: 1974-08-07, §§ 16c, 16a Abs 3 Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

SG Hannover (Entscheidung vom 07.11.1978; Aktenzeichen S 18 V 299/78)

 

Tatbestand

Der technische Angestellte K G war ab 18. Januar 1976 infolge eines Herzleidens, das als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannt ist, arbeitsunfähig. Nachdem sein Arbeitgeber das Arbeitsentgelt bis Ende Februar 1976 weitergezahlt hatte, gewährte die Klägerin dem Angestellten, der bei ihr versichert war, ab 1. März 1976 ein Übergangsgeld (ÜG) zu Lasten des beklagten Landes; es berechnete diese Leistung gem § 16a BVG nach dem Höchstregellohn des Jahres 1976. Das Versorgungsamt kürzte den Ersatzanspruch für die Zeit bis 4. Mai 1977 um 2.257,28 DM, weil es der Berechnung die Leistungsbemessungsgrenze des Jahres 1975 zugrunde legte. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Zahlung dieses umstrittenen Betrages abgewiesen (Urteil vom 7. November 1978): Der letzte regelmäßige Lohnabrechnungszeitraum vor der Arbeitsunfähigkeit sei im Dezember 1975 zu Ende gegangen. Da das Arbeitseinkommen schwankend gewesen sei, sei zutreffend die Durchschnittssumme für die Monate Oktober bis Dezember 1975 zugrunde gelegt worden. Deshalb sei das ÜG aufgrund des klaren Wortlautes des § 16a Abs 2 BVG nach dem Bemessungszeitraum dieses Jahres zu berechnen. Das entspreche auch der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes und des ÜG.

Das SG hat auf Antrag der Klägerin die Sprungrevision, deren Einlegung der Beklagte zugestimmt hat, zugelassen, und zwar vor ihrer Einlegung durch Beschluß des Vorsitzenden, nachträglich durch Beschluß der Kammer. Die Klägerin hat die Revision eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, das ÜG müsse ebenso wie das Krankengeld berechnet werden mit Ausnahme einer Besonderheit beim Höchstregellohn, der für die Bemessung des ÜG höher sei als für diejenige des Krankengeldes. Da beide Barleistungen Lohnersatzfunktion hätten, sollten sie das aktuelle Lohnniveau des Versicherten widerspiegeln. Bei der Orientierung des Höchstregellohnes am Bemessungszeitraum (1975) würde in diesem Fall das ÜG nicht der aktuellen Lohnhöhe entsprechen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und den Beklagten

zur Zahlung von 2.257,28 DM zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Sprungrevision zurückzuweisen.

Nach seiner Auffassung spricht auch die Anpassungsregelung des § 16c BVG dafür, daß das ÜG nach den gesamten Verhältnissen des jeweiligen Bemessungszeitraumes iSd § 16a Abs 1 BVG zu berechnen sei.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als Vertreter der Beigeladenen vermißt in § 16a Abs 3 BVG eine ausdrückliche Regelung, ob die beim Eintritt der Arbeitsunfähigkeit oder die am Ende des Bemessungszeitraumes geltende Leistungsbemessungsgrenze heranzuziehen sei. Während Sinn und Zweck für die eine wie für die andere Lösung sprechen könnten, sei vorrangig auf einen praktischen Gesichtspunkt abzustellen. Falls nämlich in § 16a Abs 3 und in § 16c BVG die gleiche Größe als Bemessungsgrenze zu beachten sei, könne uU ein ÜG bei der Anpassung unverändert bleiben, was im Ergebnis nicht befriedige.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig; insbesondere ist der Zulassungsbeschluß, wie geboten, von der Kammer in voller Besetzung nachgeholt worden (BSGE 42, 1 = SozR 1500 § 161 Nr 6; BSGE 45, 138 f = SozR 1500 § 161 Nr 20; 1500 § 161 Nrn 7 und 12). Das Rechtsmittel ist aber unbegründet.

Das SG hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen. Ob diese Leistungsklage (§ 54 Abs 5 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-; BSG SozR 3100 § 20 Nr 1) auf Ersatz eines Restes von ÜG, das die Klägerin anstelle der Versorgungsverwaltung gezahlt hat (§ 16 Abs 1 Buchstabe a, § 18a Abs 3, § 18c Abs 2 Satz 1 und 2 BVG idF der Bekanntmachung vom 16. Juni 1975 - BGBl I 1365 -), auf § 19 oder auf § 20 BVG gestützt werden könnte (vgl für Leistungen während einer Badekur: BSG aaO; BSGE 32, 150, 151 = SozR Nr 4 zu § 14 BVG), braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist die Klage deshalb unbegründet, weil die Klägerin die umstrittene Leistung der Höhe nach nicht aufgrund des BVG ihrem Versicherten zu gewähren hatte.

Der Streit beschränkt sich auf eine der beiden obersten Grenzen, die Leistungsbemessungsgrenze entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter (§ 16a Abs 3 Satz 2 BVG). Die Klägerin hat ihrer Berechnung, über die im einzelnen das SG nichts festgestellt hat, zu Unrecht diesen Grenzwert aus dem Jahre 1976 (Bekanntmachung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 7. November 1975 - Bundesanzeiger Nr 211 vom 12. November 1975, S 3) zugrunde gelegt. Sie hätte jedoch von dem niedrigeren Betrag des Jahres 1975 (Bekanntmachung vom 3. Dezember 1974 - Bundesanzeiger Nr 228 vom 7. Dezember 1974, S 3, berichtigt in Bundesanzeiger Nr 230 vom 11. Dezember 1974, S 5) ausgehen müssen. Das ÜG ist nach § 16a Abs 1 Satz 1 BVG in erster Linie nach dem entgangenen regelmäßigen Entgelt (Regellohn) zu bemessen. Nach Absatz 1 Satz 2 iVm Absatz 2 Satz 1 ist für den Regellohn bei Berechtigten, die bis zur Arbeitsunfähigkeit gegen Entgelt beschäftigt waren, die Vergütung im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum maßgebend. Im vorliegenden Fall herrscht über die entsprechenden Werte aus dem Bemessungszeitraum bis Ende 1975 kein Streit unter den Beteiligten; die demnach maßgebenden Entgeltbeträge brauchten auch nicht für eine Rechtskontrolle tatsächlich festgestellt zu werden. Der Regellohn wird aber nach § 16a Abs 1 Satz 2 iVm Abs 3 Satz 1 BVG nur bis zur Höhe der jeweils geltenden Leistungsbemessungsgrenze berücksichtigt. Als solche Grenze ist der in Absatz 3 Satz 2 beschriebene Wert aus der Zeit des Bemessungszeitraumes iSd Absatz 2 Satz 1 maßgebend.

Schon der Wortlaut des Gesetzes gebietet diese Auslegung. Wenn die "jeweils geltende Leistungsbemessungsgrenze" bestimmend ist, so bezieht sich dies auf den nach § 16a Abs 2 BVG zugrundezulegenden Regellohn, den jener Wert nach oben eingeschränkt, und damit zeitlich auf das Entgelt des dort festgelegten Bemessungszeitraumes. Dieses Gebot der Gleichzeitigkeit wird durch den systematischen Zusammenhang zwischen beiden Berechnungsgrößen, der individuellen und der allgemeinen, bestätigt. Wenn ein bestimmter Regellohn bei der Berechnung nur bis zur Höhe der in Absatz 3 markierten Grenze zu berücksichtigen ist, müssen naturgemäß beide veränderlichen Größen demselben Zeitraum entnommen werden. Übereinstimmend damit hat das Bundessozialgericht (BSG) auch das regelmäßige Nettoarbeitsentgelt, das das ebenfalls durch das Rehabilitations-Angleichungsgesetz (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) eingeführte ÜG der Rentenversicherung nach oben begrenzt (§ 1241 Abs 1 iVm § 182 Abs 4 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-), nach demselben Bemessungszeitraum, der den Regellohn als Grundwert bestimmt, für maßgebend erklärt (BSG SozR 2200 § 1241 Nr 3 und 4; BSGE 46, 203, 205 f = SozR 2200 § 1241 Nr 9; BSGE 47, 172, 173 = SozR 2200 § 1241 Nr 11). Welche im Laufe eines Bemessungszeitraumes veränderte Leistungsbemessungsgrenze - etwa vor und nach einem Jahreswechsel - die Höchstberechnung eines ÜG bestimmt, kann hier dahingestellt bleiben.

Der vom Senat für richtig gehaltenen Lösung der Streitfrage steht der Zweck des ÜG nur scheinbar entgegen. Diese Leistung hat eine Lohnersatzfunktion (Jung/Preuß, Rehabilitation, 2. Aufl 1975, ua § 13, Anm 10 und 21). Das folgt deutlich aus ihrer Zweckbestimmung, einen durch Arbeitsunfähigkeit bedingten Ausfall von Erwerbseinkommen auszugleichen (§ 16 Abs 1 Buchstabe a, §§ 16e und 16f BVG), ebenso wie aus der dargelegten Berechnungsweise, die sich in erster Linie an der Höhe der entgangenen Arbeitsvergütung ausrichtet (zB BSG SozR 3100 § 16b Nr 1; BSGE 46, 206 f = SozR 2200 § 1241 Nr 3). Daher liegt es am nächsten, alle diejenigen, die Berechnung beeinflussenden Werte ausschlaggebend sein zu lassen, die zeitlich zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegen. Dies hat auch das BSG für die Bemessung des Krankengeldes entschieden (BSGE 36, 55, 56 f = SozR Nr 59 zu § 182 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 46 = Ersatzkasse 1979, 422; BSG, USK 7978 = Soziale Sicherheit 1979, 342). Diese Leistung haben die Krankenversicherungsträger nach der Art des in den übrigen Bereichen zu zahlenden ÜG zu gewähren (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - Bundesrats-Drucksache 307/72 -, S 64, zu Nr 5).

Dieser Aktualisierungsgrundsatz läßt sich allerdings nicht konsequent für alle Bestimmungsgrößen durchhalten, wenn - wie hier, der Bemessungszeitraum als geschlossener Lohnabrechnungszeitraum einige Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit endet und wenn in der Zwischenzeit die Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung verändert worden ist (Jung/Preuß, § 13, Anm 10; für das Krankengeld: BSGE 36, 57 f). Dann geht nach den übrigen Auslegungsgesichtspunkten der Grundsatz vor, daß der Höchstgrenzwert und der Regellohn in dieselbe Zeit fallen müssen.

Dies wird zwangsläufig durch die Anpassungsvorschrift des § 16c Abs 1 BVG bestätigt. Nach Halbsatz 1 dieser Bestimmung erhöht sich das ÜG jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraumes um den Vomhundertsatz, um den zuletzt die Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen gesetzlich angepaßt worden sind. Dies ist ebenfalls mit einer Höchstbegrenzung gekoppelt, die der Erstbemessung entspricht; das ÜG darf nämlich gemäß Halbsatz 2 nach der Anpassung 80 vH der jeweils geltenden Leistungsbemessungsgrenze des § 16a Abs 3 BVG nicht übersteigen. Auch diese Vorschrift legt nicht näher fest, welche Beitragsbemessungsgrenze maßgebend sein soll. Gleichwohl kann eine solche Anpassung als Aktualisierung und Dynamisierung (Gesetzesbegründung S 51 zu § 15), die sich an diesem Höchstwert und an jenem Regellohn ausrichtet, falls sie symmetrisch vonstatten gehen soll, sinnvollerweise allein die jeweils zeitlich aufeinander bezogenen Größen zugrunde legen; sie muß dann neben dem Änderungsfaktor, der Anpassungsmechanik der Rentenversicherung, schließlich als neuen Grenzwert diejenige Leistungsbemessungsgrenze berücksichtigen, die im Zeitpunkt der neuen Feststellung gilt (vgl Jung/Preuß, § 13, Anm 21). § 16c Abs 1 BVG bietet nicht abweichend von diesen Berechnungsfaktoren die Möglichkeit, bloß einen einzelnen von ihnen - als Ausgangswert - strikt nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und dementsprechend nach dem Ablauf eines Jahres seit diesem Zeitpunkt beginnend zu bestimmen. Die Anpassung würde verzerrt, falls die beiden Höchstbegrenzungen nach § 16a Abs 3 und nach § 16c Abs 1 Halbsatz 2 BVG nicht genau entsprechend der auf ein Jahr festgelegten Veränderung bestimmt würden, falls also die anfängliche zu einem anderen Zeitpunkt als am Ende des früheren Bemessungszeitraumes für den Regellohn liegen dürfte und müßte und falls der zeitliche Abstand bis zur neuen nicht ebenfalls exakt ein Jahr betrüge. Im Ergebnis könnte bei einer solchen unsymmetrischen Berechnungsweise in manchen Fällen das ÜG unverändert bleiben, und das widerspräche dem Sinn und Zweck des § 16c Abs 1 BVG. Wenn Peters im "Handbuch der Krankenversicherung" (Teil II/1, 17. Aufl, § 182, Anm 21) für die ähnliche Begrenzung des Krankengeldes nach § 182 Abs 9 RVO die Jahresarbeitsverdienstgrenze (§ 180 Abs 1 Satz 3 RVO) zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit für maßgebend erklärt hat, so hat er die besondere Fallgestaltung, wie sie hier ansteht, gar nicht erörtert.

Nach alledem ist die Klage unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1654292

Breith. 1980, 974

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