Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederauflebensrente nach Zuzug aus DDR. Rentenstammrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Der nach dem FRG begründete Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente scheitert nicht daran, daß die Hinterbliebene erst nach Begründung der zweiten, inzwischen wieder aufgelösten Ehe aus der DDR in den Geltungsbereich des FRG/AVG zugewandert ist (Fortentwicklung von BSG vom 28.2.1978 - 4 RJ 87/76 = SozR 2200 § 1291 Nr 14).

 

Orientierungssatz

Bei § 96 AVG handelt es sich nach Entstehungsgeschichte und systematischem Zusammenhang allein um eine den Rentenexport in die DDR hindernde Vorschrift, die das Rentenstammrecht nicht berührt.

 

Normenkette

FRG § 1 Buchst e, § 15 Abs 1, § 17 Abs 1 Buchst a; AVG § 68 Abs 2 S 1; RVO § 1291 Abs 2 S 1; AVG § 96; RVO § 1317

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Entscheidung vom 22.11.1988; Aktenzeichen 10 An 477/87)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Witwenrente.

Die 1937 geborene Klägerin ist die Witwe des 1932 geborenen und am 4. Juli 1983 gestorbenen E.       S.     (E. S.), der ua für 231 Kalendermonate Beiträge zu einem außerhalb des Geltungsbereiches des Fremdrentengesetzes (FRG) und des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen, im wesentlichen und zuletzt aufgrund einer Beschäftigung als Psychologe in Berlin (Ost), entrichtet hatte. Daraus erhielt sie eine Witwenrente nach DDR-Recht. Im November 1984 ging sie vor dem Standesamt Berlin-Pankow mit einem Westdeutschen eine zweite Ehe ein. Im April 1985 siedelte sie mit ihren beiden Töchtern aus erster Ehe nach Hamburg über. Ihre zweite Ehe wurde am 1. April 1987 durch das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf (Familiengericht) rechtskräftig geschieden. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die den beiden Töchtern der Klägerin aus erster Ehe Halbwaisenrente aus der Versicherung des E. S. gewährt hatte (Bescheide vom 13. Dezember 1985), lehnte den am 1. April 1987 gestellten Antrag der Klägerin auf Witwenrente mit dem streitigen Bescheid vom 14. Mai 1987, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 15. September 1987 ab, da im Zeitpunkt der Wiederheirat kein Anspruch auf eine Witwenrente bestanden habe, weil die Klägerin in der DDR gewohnt habe und gemäß § 96 AVG idF des Rentenanpassungsgesetzes 1982 (RAG 1982) nicht gegenüber einem Versicherungsträger im Bundesgebiet anspruchsberechtigt gewesen sei.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat durch Urteil vom 22. November 1988 den streitigen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Witwenrente aus der Versicherung des E. S. ab Antragstellung zu gewähren. Es hat ausgeführt: Nach § 68 Abs 2 AVG lebe ein Anspruch auf Witwenrente nach Auflösung einer zweiten Ehe der Witwe vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst wurde, wieder auf. Es komme nicht darauf an, ob bis zur Wiederheirat eine Witwenrente ausgezahlt worden sei; vielmehr genüge es, wenn bei Antragstellung der Anspruch zuerkannt worden wäre (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1291 Nr 24 S 77). Die Klägerin habe zum Zeitpunkt ihrer Wiederheirat dem Grunde nach einen Anspruch auf diese Leistung gehabt. § 96 AVG schließe nur eine Auszahlung der Rente in das Gebiet der DDR (einschließlich Berlin-Ost), nicht jedoch das für das Wiederaufleben des Rentenanspruchs ausschlaggebende Bestehen eines Rentenstammrechts aus (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1291 Nr 14). Die Vorschrift sei zwar durch das RAG 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl I S 1205) umformuliert worden; daraus sei im Schrifttum der Schluß gezogen worden, daß ein Rentenanspruch für DDR-Bewohner nicht mehr entstehen könne (Hinweis auf: Koch/Hartmann, Stand: Mai 1985, § 68 C III; Verbandskommentar, 25. Ergänzung, Stand: 1. Januar 1986, § 1291 RdNr 7; Eicher/Haase/Rauschenbach, Stand: Mai 1988, § 1291 Anm 5; Hoernigk/Jorks, Ergänzungslieferung September 1986, § 1291 Anm 5). Jedoch setze der Gesetzeswortlaut durch den Begriff des "Berechtigten" voraus, daß dieser zumindest Inhaber eines Anspruchs dem Grunde nach sei. § 96 AVG solle nur ausschließen, daß Leistungen in die DDR gewährt würden, und entspreche dem vor der Neuformulierung geltenden Recht (Hinweis auf Ammermüller, BABl 1982, Heft 2 S 9, 10; Grotzer, DRV 1987, 78, 80).

Die Beklagte hat die - vom SG im Urteil zugelassene - Sprungrevision mit Zustimmung der Klägerin eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von § 96 AVG idF des RAG 1982. Die Vorschrift verhindere bei gewöhnlichem Aufenthalt des Berechtigten in der DDR - anders als die Vorläufervorschrift, nämlich § 96 AVG idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) - schon das Entstehen eines bundesdeutschen Rentenanspruchs dem Grunde nach. Mit der Neufassung der Vorschrift habe der Gesetzgeber den bisherigen Grundsatz, daß Leistungen bei gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs der Rentengesetze ruhten, nicht mehr aufrecht erhalten, weil grundsätzlich Leistungen erbracht würden (Hinweis auf BT-Drucks 9/458 S 39). Die Abkehr vom Begriff des Ruhens stelle daher nicht nur eine redaktionelle Änderung des Gesetzestextes dar. § 96 AVG sei auf der Ebene der Anspruchsvoraussetzungen einzuordnen. Das ergebe sich bereits durch den Sprachgebrauch des neuen Rechts, der die Begriffe "zahlen" und "ruhen" durch die Begriffe "erbringen", "erhalten" und "nicht leisten" ersetzt habe. Es würden auch nicht lediglich Modalitäten der Zahlung geregelt, sondern bestimmt, ob eine Leistung erbracht werden könne oder nicht und wie eine zu erbringende Leistung zu berechnen sei. Mit der Neuregelung sei ein eigenes Auslandsrentenrecht geschaffen worden, das dem Berechtigten einen eigenständigen Auslandsrentenanspruch ausschließlich nach Maßgabe dieser Vorschriften gewähre. § 96 AVG beinhalte jetzt eine noch weitergehende Einschränkung, weil bei gewöhnlichem Aufenthalt in der DDR eine Leistung generell, dh ohne Rentenberechnung, ausgeschlossen sei. Ein Rentenanspruch werde von vornherein vernichtet, nicht etwa nur die Auszahlung in die DDR verhindert. Das lasse sich auch aus § 101 Nr 1 AVG herleiten. Denn ein Auskunftsanspruch über die Rentenanwartschaft wäre überflüssig, wenn sie in einem nach § 96 AVG zu erteilenden Bescheid wie bei einem Ruhensbescheid gleichzeitig anerkannt würde. Daß § 96 AVG von einem "Berechtigten" spreche, weise nicht darauf hin, daß ein Anspruch dem Grunde nach gegeben sein müsse. "Berechtigter" stehe hier für "Person" und "Versicherter". Die Nichtleistung von Renten in die DDR beruhe im wesentlichen auf dem Eingliederungsprinzip (Hinweis auf BT-Drucks 9/458 S 39), das dazu führe, daß im Verhältnis zur DDR die Rechtslage nicht anders zu beurteilen sei als die im Verhältnis zur Republik Polen aufgrund des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 9. Oktober 1975 (BGBl 1976 II S 396). Während des gewöhnlichen Aufenthalts in Polen könne kein Rentenstammrecht gegen die deutsche Rentenversicherung entstehen. Bei einer Wiederheirat in Polen nach Inkrafttreten des Abkommens sei daher die Gewährung einer Wiederauflebensrente ausgeschlossen (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1321 Nr 5; SozR 2200 § 1317 Nr 5; Urteil vom 28. November 1985 - 4a RJ 71/84, VDK Mitt 1986 Nr 4, 36 f; Urteil vom 7. Juni 1988 - 5/5a RKn 22/87, Kompass 1988, 447). Das gelte auch im Verhältnis zur DDR. Auch hier gingen die Rentenanwartschaften des Nichtwohnortstaates unter. Eine Eingliederung vor Wohnsitzverlegung finde nicht statt.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. November 1988 zurückzuweisen.

Sie trägt vor, ihr Rentenanspruch sei schon deswegen begründet, weil sie bis zu ihrer Wiederheirat in der DDR einen Witwenrentenanspruch gehabt habe und ihr Witwenrente auch gezahlt worden sei. Der entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1291 Nrn 14, 15, 19; SozR 2200 § 615 Nr 4) könne spätestens seit dem 15. September 1983 nicht mehr gefolgt werden, weil die Klägerin nach der DDR-Verordnung zur Regelung von Fragen der Familienzusammenführung und der Eheschließung zwischen Bürgern der DDR und Ausländern und den dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen seit diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz nur noch unter der Voraussetzung habe nach Westdeutschland verlegen können, daß sie ihre Ehe mit einem Westdeutschen vor einem Standesamt in der DDR geschlossen hatte. Vor dem 25. September 1983 habe es weitgehend in der freien Entscheidung des DDR-Bürgers gestanden, ob er die zweite Ehe in der Bundesrepublik oder in der DDR schließen wollte. Seither sei ihm dies nicht mehr freigestellt mit der Folge, daß er den Versicherungsschutz aus der ersten Ehe verliert. Unabhängig davon habe die Neuformulierung des § 96 AVG nicht zu einer Schlechterstellung führen sollen und keine Rechtsänderung in dem von der Beklagten genannten Sinne herbeigeführt (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht - BVerfG - SozR 2200 § 1319 Nr 5; BSG SozR 2200 § 1318 Nr 8; SozR 2200 § 1291 Nr 14). Die Beklagte verkenne, daß die in der Bundesrepublik Deutschland lebende Klägerin keine Leistungen in die DDR verlange.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige (Sprung-)Revision der Beklagten ist im wesentlichen unbegründet.

Die Klägerin hat nach § 68 Abs 2 Satz 1 AVG Anspruch auf "wiederaufgelebte" Witwenrente ab 1. Mai 1987. Gemäß §§ 41 Abs 1, 40 Abs 2 AVG erhält nach dem Tode des versicherten Ehemannes seine Witwe eine Witwenrente, wenn ua zur Zeit seines Todes die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) von ihm erfüllt ist. Nach § 68 Abs 1 AVG fällt die Witwenrente mit dem Ablauf des Monats weg, in dem der Berechtigte wieder heiratet. Wird diese Ehe aufgelöst, so lebt der Anspruch auf Witwenrente vom Ablauf des Monats wieder auf, in dem die Ehe aufgelöst ist, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung der Ehe gestellt ist (Abs 2 Satz 1 aaO).

Diese Vorschriften sind anwendbar, obwohl E. S., aus dessen Versicherungsverhältnis die Klägerin den Anspruch ableitet, keinen ein Versicherungsverhältnis begründenden Beitrag zu einem Rentenversicherungsträger im Geltungsbereich des AVG nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Rentenversicherung wirksam entrichtet hat. Die Klägerin steht nämlich unter dem Schutz des Fremdrentengesetzes (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93), in dessen (räumlichen) Geltungsbereich sie seit April 1985 wohnt. Das FRG ist nach Art 1 und 7 § 3 Abs 1 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) mit Wirkung vom 1. Januar 1959 in Kraft getreten und hat das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl I S 848) abgelöst. Nach § 1 Buchst e FRG findet dieses Gesetz unbeschadet seines § 17 Anwendung auf Hinterbliebene der in § 1 Buchstaben a bis d genannten Personen bezüglich der Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene. Zwar zählt E. S. nicht zu dem in § 1 Buchstaben a bis d FRG genannten Personenkreis. Jedoch bestimmt § 17 Abs 1 Buchst a FRG, daß § 15 FRG - nach dem ua Beitragszeiten, die bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen in der DDR zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen - auch auf Personen Anwendung findet, die nicht zu dem Personenkreis des § 1 Buchst a bis d FRG gehören, wenn die Beiträge an einen außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen entrichtet sind. Die Bedeutung dieser Vorschrift liegt darin, daß durch sie - den § 1 Buchst a bis d FRG ergänzend - auch alle Zuwanderer aus der DDR erfaßt werden (BSG -GS- E 60, 100, 103 = SozR 5050 § 15 Nr 22 mwN). Diese Ausdehnung der persönlichen Anwendungsbreite des § 15 FRG bedeutet, daß den Hinterbliebenen (§ 1 Buchst e FRG) einer Person, die Beiträge iS von § 17 Abs 1 Buchst a FRG entrichtet hat, Leistungen an Hinterbliebene nach Maßgabe des FRG zu gewähren sind. Nach § 14 FRG richten sich ihre Rechte und Pflichten nach den im Geltungsbereich des FRG geltenden allgemeinen Vorschriften, soweit sich - wie im vorliegenden Fall - aus den nachfolgenden Vorschriften (§§ 15 ff FRG) nichts anderes ergibt. Keiner Darlegung bedarf, daß die Klägerin als Witwe des E. S. "Hinterbliebene" iS von § 1 Buchst e FRG ist und diesen Status nicht dadurch verloren hat, daß sie 1984 eine zweite, inzwischen aufgelöste Ehe eingegangen ist. Nach den für den Senat bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) tatsächlichen Feststellungen des SG hat E. S. für 231 Kalendermonate Beiträge zu einem deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung außerhalb des Geltungsbereiches des FRG entrichtet. Diese Beiträge sind gemäß § 20 Abs 1 Satz 2 FRG der Rentenversicherung der Angestellten zuzuordnen, weil E. S. ("Versicherter") zuletzt als Psychologe beschäftigt war.

Nach den somit gemäß § 14 FRG anzuwendenden allgemeinen Bestimmungen des AVG über die Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene (ua §§ 68 Abs 2 Satz 1, 41 Abs 1, 40 Abs 2 AVG) steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch ab Mai 1987 zu. Sie ist die Witwe eines "Versicherten", der 231 Kalendermonate an Beitragszeiten, dh Zeiten, für die nach Bundesrecht (§ 15 Abs 1 Satz 1 Regelung 2 FRG) Beiträge als entrichtet gelten (§ 27 Abs 1 Buchst a Regelung 2 AVG), zurückgelegt und dadurch die Wartezeit für eine Rente wegen BU, dh eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten (§ 23 Abs 3 AVG), erfüllt hat (§ 41 Abs 1, § 40 Abs 2 Regelung 2 AVG). Ferner hat die Klägerin - wie § 68 Abs 2 Satz 1 AVG voraussetzt - den Antrag auf "Wiederauflebensrente" im April 1987, also vor Ablauf eines Jahres nach der am 1. April 1987 erfolgten Auflösung ihrer zweiten Ehe gestellt.

Bei dieser Sachlage wäre der Klägerin, was auch die Beklagte, die den Töchtern des E. S. Halbwaisenrente bewilligt hat, nicht in Frage stellt, "wiederaufgelebte" Witwenrente ab Mai 1987, dh nach Ablauf des Monats, in dem die zweite Ehe aufgelöst worden ist, jedenfalls dann zu gewähren, wenn sie 1984 nicht in Ost-Berlin wieder geheiratet hätte, ohne zuvor im Geltungsbereich des AVG/FRG gewöhnlichen Aufenthalt begründet oder eine Wohnung genommen zu haben. Indessen steht auch dies dem Klagebegehren aus folgenden Gründen nicht entgegen:

Der erkennende Senat (BSG SozR 2200 § 1291 Nr 14) hat in einem gleichgelagerten Fall bereits entschieden, daß der "Wiederauflebensanspruch" nicht daran scheitert, daß die neue, inzwischen wieder aufgelöste Ehe in der DDR geschlossen wurde, sofern dies seit dem 1. Januar 1959 geschah (aaO S 36 mwN). Seit Inkrafttreten des FRG am 1. Januar 1959 kann ein wiederauflebensfähiger Anspruch auf Witwenrente auch dann bestanden haben, wenn die Wiederheirat seither in der DDR erfolgt ist. Zwar kann iS von § 68 Abs 2 Satz 1 AVG nur wiederaufleben, was schon vorher einmal existent gewesen war. Folgerichtig wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG - SozR 2200 § 1291 Nr 24 S 76; Nr 14 S 35; jeweils mwN) vorausgesetzt, daß im Zeitpunkt der Wiederheirat ein Witwenrentenanspruch bestanden hatte, der auf Vorschriften des Reichsrechts oder des Bundesrechts beruhte. Deswegen ist unerheblich, aber auch unschädlich, daß die Klägerin ggf neben einem solchen Anspruch in der DDR bis zur Wiederheirat im November 1984 eine Witwenrente dortigen Rechts bezogen hat. Nach gleichfalls ständiger Rechtsprechung des BSG (aaO) reicht für das Wiederaufleben des Witwenrentenanspruchs jedoch aus, daß zur Zeit der Wiederheirat nach Reichs- oder Bundesrecht ein Stammrecht (Grundanspruch, Gesamtanspruch) auf Witwenrente bestanden hat. Nicht erforderlich ist ein Rentenanspruch iS eines Anspruchs auf Auszahlung des jeweils fällig werdenden einzelnen (monatlichen) Betrages. Wie der erkennende Senat (aaO Nr 14 S 36 mwN) dargelegt hat, entsteht das Rentenstammrecht seit dem 1. Januar 1959 unabhängig davon, ob der Berechtigte sich - vor der Wiederheirat - im Geltungsbereich des AVG aufgehalten hat. Denn der zuvor maßgebliche Wohnsitzgrundsatz, nach dem beim Aufenthalt in der DDR kein Rentenstammrecht nach Bundesrecht entstehen konnte (§ 1 Abs 1 FAG; BSGE 25, 20, 22; 19, 97 = SozR Nr 6 zu § 1291 RVO), ist durch das FANG (FRG) aufgegeben worden.

Daran hält der erkennende Senat gerade im Blick auf Fälle der vorliegenden Art fest. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß der "Versicherte" Beiträge ausschließlich an einen DDR-Versicherungsträger entrichtet, also kein Versicherungsverhältnis zu einem im räumlichen Geltungsbereich des AVG/FRG befindlichen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung durch Beiträge begründet hat, er (bzw seine Hinterbliebene) Versicherungsschutz nach Bundesrecht folglich nur dadurch erlangt, daß er nach Maßgabe des FRG in das bundesrechtliche Rentenversicherungssystem eingegliedert wird. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß das Ergebnis mit dem Eingliederungsprinzip des FRG im Einklang steht. Dieser die fremdrentenrechtliche Gesamtregelung der §§ 14 ff FRG tragende Rechtsgedanke besagt, daß die in die Bundesrepublik zuziehenden DDR-Zuwanderer rentenrechtlich so gestellt werden sollen, als ob sie im Bundesgebiet beschäftigt gewesen wären (BSG -GS- E 60, 100, 106, 107 = SozR 5050 § 15 Nr 22; anders wohl noch BSGE 25, 20, 22; 19, 97, 99 = SozR Nr 6 zu § 1291 RVO). Diesem Eingliederungsprinzip entspricht es, alle in die Bundesrepublik Deutschland zugewanderten, vom FRG geschützten Personen, die ihren im Herkunftsgebiet erworbenen Versicherungsschutz verloren haben, rentenrechtlich grundsätzlich so zu stellen, als hätten sie ihn hier erworben (BSGE 63, 282, 287 = SozR 2200 § 1251a Nr 2). Die Eingliederung aus der DDR in den Geltungsbereich des FRG zugewanderter Hinterbliebener eines iS von §§ 17 Abs 1 Buchst a, 15 FRG "Versicherten" erfordert, das Versicherungsverhältnis - abgesehen von Sonderregelungen in §§ 15 ff FRG - nach den allgemeinen bundesrechtlichen Vorschriften (§ 14 FRG) so zu behandeln, als sei es im Geltungsbereich des AVG begründet worden. MaW: Sobald ein solcher "Versicherter" oder ein Hinterbliebener Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich des FRG nimmt, ist er rentenversicherungsrechtlich grundsätzlich (§ 14 FRG) so einzugliedern, als habe von Anfang an Versicherungsschutz nach dem AVG bestanden.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus § 96 AVG, der durch Art 3 Nr 8 des Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 (RAG 1982) vom 1. Dezember 1981 (BGBl I S 1205) mit Wirkung vom 1. Juni 1979 neu gefaßt worden ist, nichts Gegenteiliges. Danach erhält ein Berechtigter, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes in dem Gebiet hat, in dem ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherung seinen Sitz hat, keine Leistungen der Rentenversicherung der Angestellten. "Berechtigter" ist nach dem Sprachgebrauch des Unterabschnitts D (§§ 94 ff AVG) des Zweiten Abschnitts des AVG nicht - wie die Beklagte meint - der Oberbegriff für "Personen" und "Versicherte", sondern erfaßt nach § 95 Abs 3 AVG alle Deutschen iS des Art 116 des Grundgesetzes (GG) und Ausländer, die sich außerhalb des Geltungsbereichs des AVG aufhalten und jedenfalls ein Stammrecht auf "Leistungen der Rentenversicherung" (§§ 94, 95 Abs 1 Satz 1 AVG) bzw "Rente" (§ 98 Abs 1 AVG) haben. Dies verdeutlicht auch die durch Art 3 Nr 7 RAG 1982 neu gefaßte Überschrift des Unterabschnitts D: "Erbringung der Leistungen an Berechtigte außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes". Die Neufassung des § 96 AVG hat lediglich den Wortlaut der Vorschrift an den Sprachgebrauch der übrigen Bestimmungen dieses Unterabschnitts (§§ 94 bis 102 AVG) angepaßt. Mit deren Neugestaltung wollte der Gesetzgeber des RAG 1982 die Rechtsstellung dieser "Berechtigten" ua dadurch verbessern, daß auch Ausländer "laufend eine Rente mit gewissen Einschränkungen ausgezahlt erhalten" sollten (BT-Drucks 9/458 S 27 f). Der Gesetzgeber hat keinen eigenständigen Auslandsrentenanspruch schaffen und davon die Versicherten in der DDR durch § 96 AVG ausschließen wollen (BT-Drucks 9/458 S 28). Er ging zwar davon aus, es würden "weiterhin nicht Leistungen in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik erbracht" (BT-Drucks 9/458 S 28). Damit wollte er jedoch - wie schon durch § 96 AVG aF (vgl BVerfG SozR 2200 § 1317 Nr 8; § 1319 Nr 5; BSG SozR 2200 § 1317 Nr 9; jew mwN) - nur vermeiden, daß die Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland nicht noch zusätzlich zur Berücksichtigung von Beitragszeiten iS von §§ 15, 17 Abs 1 Buchst a FRG Leistungen in das Gebiet der DDR erbringt und es möglicherweise für die dortigen Berechtigten zu einer nicht vertretbaren Doppelversorgung kommt (BT-Drucks 9/458 S 39). Nach dem neuen Recht sind also die Leistungen grundsätzlich zu "erbringen". Deshalb konnten die erforderlichen Einschränkungen des Leistungsexports nicht mehr dadurch bewirkt werden, daß - wie nach bisheriger Rechtslage - das "Ruhen" (dazu BSG -GS- E 33, 280, 286; BSG VdK-Mitt 1986, Nr 9, 36 f) des Anspruchs angeordnet wurde, wodurch zwar das Stammrecht erhalten blieb, aber die sich aus ihm während des Ruhens ergebenden Ansprüche auf (monatliche) Einzelleistungen nicht entstehen konnten. Auch der Zweck der Neuregelung der §§ 94 ff AVG, die Rechtsstellung der "Berechtigten" auszuweiten, legt es nahe, daß das Gesetz nicht nur - wie bisher - das Rentenstammrecht, sondern auch die Einzelleistungsansprüche entstehen läßt und nur die Auszahlung (Leistungsbewirkung) einschränkt. § 96 AVG nF, dessen inhaltliche Neugestaltung im Gesetzgebungsverfahren nicht erwogen worden ist, hat daher die Rechtsstellung der Berechtigten mit gewöhnlichem Aufenthalt in der DDR jedenfalls nicht verschlechtert. Dem trägt - entgegen der Auffassung der Beklagten - § 101 Nr 1 AVG nF Rechnung, der bestimmt, daß ein Berechtigter Beratung und Auskunft auch dann erhält, wenn nach § 96 AVG nF sonstige Leistungen nicht erbracht werden. Keiner Entscheidung bedarf, ob die übrigen Vorschriften des Zweiten Abschnitts, Unterabschnitt D (§§ 94 ff AVG), die sich auf Berechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs des AVG und des Herrschaftsbereichs der DDR beziehen, ausschließlich oder nur zum Teil Berechnungsvorschriften sind (dazu Grotzer, DRV 1987, 78, 80 mwN; Ammermüller, BABl 1982, Heft 2, S 9 f). Im übrigen besteht im Blick auf Berechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt in der DDR - anders als im Verhältnis zur Republik Polen - kein Sozialversicherungsabkommen, das von der gesetzlichen Regelung abweichende vorrangige Regeln enthielte.

Nach alledem steht der Klägerin "wiederaufgelebte" Witwenrente aus der Versicherung des E. S. ab 1. Mai 1987 zu. Dementsprechend war die Revision der Beklagten für den Anspruchszeitraum ab Mai 1987 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666498

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