Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung des EheG § 11 Abs 2 über den Scheinstandesbeamten ist bei einer Eheschließung nach EheG § 15a nicht entsprechend anzuwenden.

2. Ist die wegen fehlender Ermächtigung iS des EheG § 15a nicht formgerecht geschlossene "hinkende" - Ehe in das Familienbuch eines deutschen Standesamtes eingetragen und wird diese Eintragung erst nach dem Tode des Versicherten gelöscht, so besteht Anspruch auf Witwenrente (Abgrenzung zu BSG 1971-11-24 4 RJ 215/70 = BSGE 33, 219, BSG 1972-03-23 2 RU 42/70, BSG 1975-01-30 2 RU 137/74, BSG 1977-11-30 4 RJ 7/77).

 

Normenkette

RVO § 1264 Fassung: 1957-02-23; EheG § 15a Abs. 1 Fassung: 1947-04-21, § 11 Abs. 2 Fassung: 1946-02-20; PersStdG § 60; GG Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Abs. 3 Fassung: 1949-05-23; EheG § 15a Abs. 2 Fassung: 1947-04-21

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.09.1976; Aktenzeichen L 9 J 1485/73-2)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 22.10.1973; Aktenzeichen S 7 J 1506/73)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. September 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des Pavlos M (P.M.-Versicherter) zusteht, der am 24. Dezember 1969 verstorben ist.

Unter dem 4. Juli 1961 trug der Standesbeamte beim Standesamt München I in das Familienbuch ein, die Klägerin und der Versicherte - beide griechische Staatsangehörige - seien lt. Kirchenbuch der griechisch-orthodoxen Kirche in M von dem von der griechischen Regierung ermächtigten Archimandriten Nikodemus C (oder H - N.Ch.) am 9. Februar 1961 in erster Ehe getraut worden. Dem Standesbeamten lag dabei eine Bescheinigung des griechischen Generalkonsulats vor, in der bestätigt wurde, N.Ch. sei von der griechischen Regierung und der griechisch-orthodoxen Kirche beauftragt, Trauungen bei den in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Personen griechisch-orthodoxen Glaubens vorzunehmen. Der Sohn der Klägerin, Sotirios Georgios M (geb. am 22. September 1963), wurde vom Standesamt IV in M als ihr und des Versicherten eheliches Kind in das Geburtenbuch eingetragen. Im Sterbebuch des Standesamtes I München ist bei der Eintragung über den Tod des Versicherten vermerkt, er sei mit der Klägerin verheiratet gewesen.

Nachdem die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente beantragt hatte, wurde im Februar 1971 auf Anordnung des Amtsgerichts München die Eintragung über die Eheschließung der Klägerin gelöscht, da der Priester N.Ch. erst durch die Verbalnote der griechischen Botschaft an das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juni 1964 ermächtigt worden sei, Eheschließungen zwischen griechischen Staatsangehörigen orthodoxen Bekenntnisses in der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen. Dieser Ermächtigung sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes - BGH - (BGHZ 43, 213 ff) keine rückwirkende Kraft beizumessen. Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. April 1973 die Gewährung von Witwenrente ab, da der Versicherte mit der Klägerin nicht in einer nach deutschem Recht gültigen Ehe gelebt habe.

Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 22. Oktober 1973 ab. Das Landessozialgericht (LSG) hob die Entscheidung des SG auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des P.M. ab 24. Dezember 1969 zu gewähren (Urteil vom 27.9.1976). Nach der Rechtsprechung des BGH und des Bundessozialgerichts (BSG) sei durch die Eheschließung vor dem Archimandrit N.Ch. am 9. Februar 1961 eine nach deutschen Rechtsvorschriften wirksame bzw gültige Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten nicht zustande gekommen, denn der Geistliche sei zu diesem Zeitpunkt nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 15a Abs 1 Ehegesetz (EheG) ermächtigt gewesen, Trauungen in der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen. Mit dem Tage der Eintragung in das Heiratsregister beim Standesamt München I sei die Ehe jedoch auch nach deutschem Recht wirksam geworden. Eine solche Eintragung habe zwar grundsätzlich nur im Ausnahmefall des § 11 Abs 2 EheG bei der Eheschließung vor dem sog. "Scheinstandesbeamten" konstitutive Bedeutung, diese Vorschrift sei aber auf den Fall der Klägerin entsprechend anzuwenden. Das EheG weise eine Lücke auf, die durch eine Änderung der Verhältnisse seit der Einführung des § 15a EheG durch das Kontrollratsgesetz Nr 52 vom 21. April 1947 eingetreten sei. Der jahrelange Streit um den in dieser Vorschrift enthaltenen Begriff der "Ermächtigung" sei nicht vorauszusehen gewesen. Das Prinzip der Rechtssicherheit, das in § 11 Abs 2 EheG zum Ausdruck komme, müsse auch bei Ehen von Ausländern durchgreifen, wenn die Eheschließung in das deutsche Heiratsbuch eingetragen worden sei. Damit sei dann ein Rechtsschein geschaffen worden, auf den die Klägerin sich habe verlassen dürfen. Die Verwaltung habe alles getan, um der Eheschließung den äußeren Schein der Rechtmäßigkeit zu geben.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, daß das Urteil im Widerspruch zur Entscheidung des BSG vom 30. Januar 1975 - 2 RU 137/74 - stehe. Das Berufungsgericht habe die Vorschriften der §§ 11 und 15a EheG unzutreffend ausgelegt.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im übrigen ist sie der Ansicht, daß der Rechtsprechung des BGH sowie des BSG hinsichtlich der "ordnungsgemäßen Ermächtigung" im Sinne des § 15a EheG nicht zu folgen sei. Der Geistliche N.Ch. sei allein aufgrund seiner kirchlichen Zuständigkeit zur Vornahme von Trauungen auch im Sinne des § 15a EheG ermächtigt. Ferner sei es mit Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht zu vereinbaren, wenn die Ehe der Klägerin mit dem Verstorbenen als Nichtehe angesehen werde.

Der beigeladene Freistaat Bayern stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der Klägerin gemäß § 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Witwenrente aus der Versicherung des P.M. zusteht.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß durch die nach griechisch-orthodoxem Ritus erfolgte Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Versicherten vor dem Geistlichen N.Ch. am 9. Februar 1961 eine gemäß § 15a Abs 1 EheG gültige Ehe nicht zustande gekommen ist. Denn nach der für den Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden Feststellung des LSG ist der Geistliche N.Ch. erst am 15. Juni 1964 zu Eheschließungen im Sinne des § 15a Abs 1 EheG ermächtigt worden. Nach der Entscheidung des BGH vom 22. Januar 1965 (BGHZ 43, 213 ff) hat diese Ermächtigung aber keine rückwirkende Kraft.

Entgegen der Auffassung des LSG ist die Eheschließung vom 9. Februar 1961 auch nicht in entsprechender Anwendung des § 11 Abs 2 EheG mit ihrer Eintragung am 4. Juli 1961 in das Heiratsregister (Familienbuch) beim Standesamt München I statusrechtlich wirksam geworden. Nach § 11 Abs 2 EheG gilt als Standesbeamter im Sinne des Abs 1 der Vorschrift auch, wer, ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines Standesbeamten öffentlich ausgeübt und die Ehe in das Familienbuch eingetragen hat. Die Regelung bezieht sich also ausschließlich auf die für deutsche Staatsangehörige obligatorische standesamtliche Eheschließung im Sinne des § 11 Abs 1 EheG. Da hiervon § 15a Abs 1 EheG eine ausdrückliche und in sich abgeschlossene Ausnahmeregelung für nichtdeutsche Staatsangehörige enthält, verbietet sich schon deswegen die analoge Anwendung des § 11 Abs 1 EheG im Rahmen des § 15a EheG. Im übrigen fehlt es für eine zulässige Analogie auch an vergleichbaren Tatbeständen. Denn im Fall des § 11 Abs 2 EheG erfolgte die Eintragung durch einen hierzu sachlich nicht legitimierten "Scheinstandesbeamten", während im vorliegenden Fall die Eheschließung durch den hierfür zuständigen Standesbeamten eingetragen worden war.

Liegt somit keine nach deutschem Recht formgültige Ehe vor (vgl Art 13 Abs 3 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch), so ist dem Berufungsgericht doch insoweit zuzustimmen, als die - erst nach dem Tode des Versicherten gelöschte - Eintragung der Eheschließung in das deutsche Familienbuch aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gleichwohl für den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente rechtserheblich ist. Das BSG hat zwar in mehreren Entscheidungen den Witwenrentenanspruch im Sinne des § 1264 RVO grundsätzlich von einer nach deutschem Familien- und Personenstandsrecht wirksamen Ehe abhängig gemacht (vgl BSGE 10, 1, 3; 33, 219, 220; BSG-Urteil vom 30.11.1977 - 4 RJ 7/77; ebenso für die Witwenrente aus der Unfallversicherung: BSG-Urteile vom 23.3.1972 - 2 RU 42/70 und 30.1.1975 - 2 RU 137/74). Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum erhebliche Kritik erfahren, weil der sozialversicherungsrechtliche Normzweck eine vom Statusrecht unabhängige funktionale Betrachtungsweise erfordere (so insbesondere eingehend v.Maydell in Festschrift für Bosch 1976, S. 645 ff; vgl auch Bosch in FamRZ 1967, 669; 1968, 375; 1974, 376 und Gamillscheg, Internationales Privatrecht, Bd. II 1973, Rdnr. 245 vor Art 13). Der erkennende Senat kann offenlassen, ob er sich die genannte höchstrichterliche Rechtsprechung zu eigen macht. In den bisher vom BSG entschiedenen Fällen ist nämlich - im Gegensatz zum vorliegenden Sachverhalt - jeweils die Eintragung der nicht formgerechten Eheschließung in ein deutsches Standesregister unterblieben.

Wenn aber - wie hier - die Eintragung der Eheschließung in das deutsche Familienbuch durch den hierfür zuständigen Standesbeamten erfolgt ist, darf bei der allein zu entscheidenden Frage, ob die Klägerin hinterbliebenenrentenberechtigt ist, die sich aus § 60 Personenstandsgesetz ergebende Beweiskraft der Eintragung nicht unberücksichtigt bleiben. Die Eintragung in das Familienbuch wirkt zwar nicht rechtserzeugend, so daß sie - wie hier geschehen - auch nach dem Tode des Versicherten noch gelöscht werden konnte. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß bis zu diesem Zeitpunkt, also zu Lebzeiten des Versicherten, die Beweiskraft der Eintragung nicht nur für den Bereich des Personenstandsrechts, sondern auch sonst für das gesamte Rechtsleben galt (vgl Pfeiffer/Strickert, Personenstandsgesetz, Kommentar, Anm 7 zu § 60, S. 513). Aufgrund dieser Beweiskraft durften alle davon ausgehen, daß die eingetragene Eheschließung die gesetzliche Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber der Klägerin begründet hat. Die in das Familienbuch eingetragene Ehe bewirkte somit jedenfalls faktisch alle unterhaltsrechtlichen Wirkungen zugunsten der Klägerin. Die Hinterbliebenenrente soll aber gerade an die Stelle des durch den Tod des Versicherten weggefallenen Unterhalts treten (so allgemeine Meinung, vgl zB BSGE 5, 17, 19; BSG in SozR Nr 3 zu § 1266 RVO). Dieser Regelungsabsicht des Gesetzgebers im Sinne einer Unterhaltsersatzfunktion würde es aber widersprechen, in einem derartigen Fall den Hinterbliebenenrentenanspruch dennoch von einer nach deutschem Statusrecht wirksamen Eheschließung abhängig zu machen (ebenso v. Maydell aaO).

Aus diesen Erwägungen hat der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 30. März 1977 (BSGE 43, 238, 242f) einen Hinterbliebenenrentenanspruch in lückenfüllender Anwendung der in den §§ 64 und 65 des Reichsknappschaftsgesetzes getroffenen Gesamtregelung selbst dann bejaht, wenn die Eheschließung nach deutschem Statusrecht nicht wirksam gewesen ist. Gleiches muß hier aber zugunsten der Klägerin in bezug auf einen Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 1264 RVO gelten. Es kann nicht im Plan des Gesetzgebers gelegen haben, bei einer im deutschen Familienbuch bis nach dem Tode des Versicherten eingetragenen Ehe eine auf sozialrechtlichem Unterhaltsersatz basierende Witwenrente auszuschließen, sofern die Partner dieser "hinkenden" Ehe bis zum Tode des einen Teils darauf vertrauen konnten, daß die Eheschließung wirksam sei und die für den Fall des Todes in der gesetzlichen Sozialversicherung vorgesehenen Ansprüche auf Hinterbliebenenrenten auslösen werde.

Eine andere Entscheidung würde deshalb mit dem Schutzzweck der Norm nicht in Einklang zu bringen sein. Hierbei war zu beachten, daß sowohl der Versicherte als auch die Klägerin aufgrund der vom deutschen Standesbeamten in das Heiratsregister eingetragenen Eheschließung darauf vertrauen durften, in rechtsgültiger Ehe zu leben, zumal auch ihr am 22. September 1963 geborenes Kind als ehelich in das Geburtenregister des zuständigen Standesamtes eingetragen wurde. Da diese Eintragungen zu Lebzeiten des Versicherten nicht gelöscht wurden, konnten sie weiter davon ausgehen, daß die vom Versicherten geleisteten Beiträge zur Rentenversicherung nach dessen Ableben zu einer Witwenversorgung der Klägerin führen werden. Diese Annahme erwies sich erst durch die nach dem Tode des Versicherten erfolgte Löschung der eingetragenen Eheschließung als falsch, also zu einem Zeitpunkt, zu dem das wirtschaftliche Risiko des Hinterbliebenendaseins, das durch die Witwenrente gerade abgedeckt werden soll, für die Klägerin nicht mehr aus eigener Kraft beseitigt werden konnte. Ein derartiger Vertrauenstatbestand ist aber bei der gebotenen Orientierung der Rechtsanwendung am Rechts- und Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 und 3 GG) schutzwürdig (so ausdrücklich Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9.6.1975 in SozR 2200 § 205 Nr 4 unter Hinweis auf BVerfGE 36, 73, 84). Unter diesem Aspekt ist bei Fällen der vorliegenden Art in den Normzweck der Hinterbliebenenregelung auch der Ausgleich für einen auf andere Weise nicht mehr reparablen Unterhaltsverlust miteinzubeziehen, so daß die Klägerin als Hinterbliebenenrentenberechtigte behandelt werden muß.

Da die einen Witwenrentenanspruch verneinenden Urteile des BSG aaO nicht wie im vorliegenden Fall von einer Eintragung der Eheschließung in ein deutsches Standesregister ausgehen konnten, stellt die Entscheidung des erkennenden Senats keine Abweichung von einer bisher bereits entschiedenen Rechtsfrage dar, die zu einer Anrufung des Großen Senats (§ 42 SGG) nötigen würde.

Der Revision der Beklagten muß nach alledem der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 104

IPRspr. 1978, 45

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge