Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherung. Krankenversicherung. Aufwendungsersatz

 

Orientierungssatz

Der Träger der UV darf den Ersatzanspruch einer KK nicht allein wegen der nicht rechtzeitigen Erstattung der Unfallanzeige versagen, wenn ihm dadurch nachweislich ein Schaden nicht entstanden ist (vgl BSG 1972-02-29 2 RU 219/69 = BSGE 34, 85).

 

Normenkette

RVO § 1504 Abs. 2, § 1503

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.07.1969)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 28.11.1968)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 1969 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I

Die bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Angestellte G (G.) kam am 23. Januar 1967 auf dem Heimweg von der Arbeit zu Fall und erlitt dadurch eine Radiusfraktur im rechten Handgelenk. Am folgenden Tag suchte sie den Facharzt für Orthopädie Dr. P auf. Dieser schrieb sie arbeitsunfähig krank.

Von dem Unfall erhielt die Beklagte Kenntnis durch die am 31. Januar 1967 bei ihr eingegangene Unfallanzeige des Unternehmens. In dieser ist vermerkt, daß G. Mitglied der Klägerin sei. Die Beklagte stellte hierauf Ermittlungen an. Der erste Krankheitsbericht des behandelnden Arztes ging ihr am 21. Februar 1967 zu.

Die Klägerin erhielt die vom behandelnden Arzt am 24. Januar 1967 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, in welcher die Frage: "Arbeitsunfall?" vom Arzt durchgestrichen war, am 2. März 1967. Daraufhin fragte sie bei der Verletzten an, wie und wodurch es zu dem Unfall gekommen sei. Deren Antwort traf am 13. März 1967 bei der Klägerin ein. Mit Schreiben vom 23. März 1967, welches wegen der Osterfeiertage am 28. März 1967 abgesandt wurde und am folgenden Tag bei der Beklagten einging, erstattete sie die nach § 1503 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgeschriebene Anzeige und meldete gleichzeitig ihre Ersatzansprüche an. Nach Wegfall des nach dem Unfall zunächst weitergezahlten Arbeitsentgelts gewährte die Klägerin der Verletzten für die Zeit vom 8. März bis 10. September 1967 Krankengeld von täglich 21,75 DM (insgesamt 4.067,25 DM).

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 21. Juni 1967 die Befriedigung der Ersatzansprüche der Klägerin unter Hinweis auf § 1504 Abs. 2 RVO ab, weil die Anzeige nach § 1503 RVO nicht rechtzeitig erstattet worden sei. Hierauf kam es zu einem Schriftwechsel zwischen beiden Versicherungsträgern. Die Klägerin räumte ein, daß sie die Anzeige nicht unverzüglich im Sinne von § 1503 RVO erstattet habe; sie hält jedoch die Versagung der ihr zustehenden Leistung für ermessensfehlerhaft, weil der Beklagten durch die nicht rechtzeitige Erstattung der Anzeige keine Nachteile entstanden seien. Die Beklagte beharrte auf ihrer ablehnenden Haltung, weil die Klägerin keine besonderen Umstände dargetan habe, welche ihre Säumnis "verzeihlich" erscheinen ließen und nicht zuletzt die bisherige Zusammenarbeit mit der Klägerin keine Veranlassung zu einer großzügigen Haltung biete. Mit Schreiben vom 1. Dezember 1967 lehnte die Beklagte es endgültig ab, den Ersatzanspruch der Klägerin zu befriedigen.

Die mit dem Hinweis erhobene Klage, daß die Beklagte aus sachfremden Erwägungen, somit ermessensfehlerhaft ihr die zustehende Leistung vorenthalte, hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf durch Urteil vom 28. November 1968 abgewiesen. Das SG ist der Auffassung, daß die Klägerin ihrer Anzeigepflicht nicht unverzüglich nachgekommen sei, selbst wenn man zu ihren Gunsten berücksichtige, daß eine Rückfrage bei der Verletzten über den Unfallhergang erforderlich gewesen sei. Die schuldhafte Nichterfüllung der Anzeigepflicht ziehe den Verlust des Ersatzanspruchs nach sich. Die Beklagte habe von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die von ihr angeführten Gründe seien nicht ermessensfehlerhaft.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 10. Juli 1969 die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.067,25 DM zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Bei der Anzeige nach § 1503 RVO handele es sich um ein eilbedürftiges Verwaltungsgeschäft, welches gegenüber anderen Verwaltungsvorgängen vorrangig zu behandeln sei. Selbst wenn es erforderlich gewesen sei, bei der Verletzten rückzufragen, hätte die Anzeige nicht erst einige Tage nach Eingang der Antwort der Verletzten an die Beklagte abgesandt werden dürfen. Die nicht näher begründete Behauptung der Klägerin, ihre Angestellten seien überlastet gewesen, sei nicht geeignet, die Verspätung ihrer Anzeige zu entschuldigen. Allein dies rechtfertige es aber noch nicht, die Befriedigung des Ersatzanspruchs der Klägerin abzulehnen. Vielmehr sei dies erst die Voraussetzung für eine Prüfung seitens der Beklagten, ob der Ersatzanspruch ganz oder teilweise zu versagen sei. Abweichend von dem vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) geltenden Recht (§ 1509 Abs. 4 RVO aF), nach dem der Ersatzanspruch bei nicht rechtzeitiger Erstattung der Anzeige stets ausgeschlossen gewesen sei, dürften bei der nach § 1504 Abs. 2 RVO vorzunehmenden Ausübung des Ermessens nur andere Umstände als die schuldhafte Versäumnis der Anzeige berücksichtigt werden. Der Zweck des § 1503 RVO gebiete es, darauf abzustellen, ob und in welcher Höhe dem UV-Träger durch die nicht unverzügliche Anzeige Nachteile entstanden seien. Die Beklagte habe dies jedoch ausdrücklich verneint. Sie habe von dem Arbeitsunfall bereits Kenntnis gehabt, bevor die Klägerin überhaupt imstande gewesen sei, ihr dies anzuzeigen. Die Beklagte sei deshalb unabhängig von der Klägerin in der Lage gewesen, alle ihr erforderlich erscheinenden Maßnahmen einzuleiten. Somit seien eindeutig keine Umstände gegeben, welche es rechtfertigen könnten, den Ersatzanspruch ganz oder teilweise zu versagen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Allein durch das Versagungsrecht aus § 1504 Abs. 2 RVO hätten die UV-Träger ein wirksames Mittel in der Hand, um die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu veranlassen, unverzüglich die Anzeige nach § 1503 RVO zu erstatten. § 1503 Abs. 4 RVO werde diesem Zweck nicht gerecht, weil nach dieser Vorschrift das Versicherungsamt lediglich wegen Unterlassens der Anzeige eine Ordnungsstrafe festsetzen könne. Der gegenüber früher geänderte Wortlaut des Gesetzes habe nicht die weitgehende Bedeutung, welche ihr das Berufungsgericht beimesse. Der Gesetzgeber habe die UV-Träger nur von dem lästigen Zwang der ständigen und ausnahmslosen Verweigerung von Ersatzansprüchen befreien und sie der Gefahr des Einschreitens der Aufsichtsbehörde im Falle einer Befriedigung der Ersatzansprüche trotz § 1509 Abs. 4 RVO aF entheben wollen. Ein Vergleich mit dem zwischen einem Vermächtnis und einer Auflage bestehenden rechtlichen Unterschied biete sich an. Jedenfalls dürfe man die Entscheidungsbefugnis des UV-Trägers nicht so eng begrenzen, wie dies das LSG für angezeigt halte. Ansonsten besäße § 1503 RVO keine praktische Bedeutung mehr. Das Bundesversicherungsamt habe der zwischen dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (BG) und Verbänden von Krankenkassen abgeschlossenen Vereinbarung, durch welche in bestimmten Fällen die Anzeige nach § 1503 RVO entfalle, nur eingeschränkt zugestimmt und damit zu erkennen gegeben, welchen Wert es dieser Anzeige beimesse.

Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die vorliegende Sache mache deutlich, daß nur noch in wenigen Fällen das Feststellungsverfahren durch eine Anzeige der Krankenkassen in Gang gesetzt werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist nicht begründet.

Die Versagung der von einer Krankenkasse für einen Unfallverletzten gemachten Aufwendungen setzt nach § 1504 Abs. 2 RVO voraus, daß die nach § 1503 Abs. 1 RVO vorgeschriebene Anzeige "nicht rechtzeitig" erstattet worden ist. Das LSG ist davon ausgegangen, daß diese Voraussetzung erfüllt ist. Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es indessen nicht. Nach Lage des Falles ist, selbst wenn die Klägerin die Anzeige nicht rechtzeitig im Sinne von § 1504 Abs. 2 RVO erstattet hat, die Beklagte nicht berechtigt, die von der Klägerin gemachten Aufwendungen zu versagen.

Nach § 1504 Abs. 2 RVO - idF des UVNG - steht die Versagung des Ersatzanspruchs im Ermessen des Unfallversicherungsträgers. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift ("Der Anspruch ... kann ganz oder zum Teil versagt werden") im Vergleich zum früheren Recht des § 1509 Abs. 4 RVO ("Die Krankenkasse hat keinen Anspruch ...") und der Bedeutung des § 1504 RVO als Ausgleich für die Vorleistungspflicht der Krankenkasse in Versicherungsfällen, die zwar auch ihre Leistungspflicht gegenüber ihren Versicherten begründen, aber dem Risikobereich der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen sind. Diesen Ersatzanspruch nach § 1504 Abs. 2 RVO zu versagen, ist nicht gerechtfertigt, wenn der Unfallversicherungsträger, selbst bei verspäteter Anzeige seitens der Krankenkasse, an einer rechtzeitigen Entscheidung über eigene Maßnahmen nicht gehindert war und ihm keine höheren Entschädigungsleistungen an den Verletzten entstanden sind als dies bei rechtzeitiger Anzeige der Fall gewesen wäre. Im einzelnen wird hierzu auf das in der Parallelstreitsache 2 RU 219/69 gefällte, zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats verwiesen.

Ein Schaden in diesem Sinn ist der Beklagten jedoch nach ihren eigenen Darstellungen nicht entstanden. Die Klägerin hat von dem Unfall, den ihr Mitglied am 23. Januar 1967 erlitten hat, erst am 2. März 1967 Kenntnis erlangt. Der Beklagten war dies dagegen bereits seit dem 31. Januar 1967 bekannt. Sie hatte somit Gelegenheit, die ihr geboten erscheinenden Maßnahmen einzuleiten. Aufgrund der Unfallanzeige des Unternehmens wußte sie zudem, daß die Verletzte bei der Klägerin versichert war. Deren Anzeige war somit auf die Maßnahmen der Beklagten ohne jeglichen Einfluß. Die Versagung des Ersatzanspruchs würde deshalb lediglich auf eine Bestrafung der Klägerin wegen nicht rechtzeitiger Erstattung der Anzeige nach § 1503 RVO hinauslaufen. Dies ist jedoch nicht Aufgabe und Sinn des § 1504 Abs. 2 RVO, wie in der Parallelstreitsache 2 RU 219/69 näher ausgeführt ist.

Da somit keine Gründe ersichtlich sind, die eine Versagung des Ersatzanspruchs der Klägerin rechtfertigen, war für die Ausübung eines Ermessens im Sinne des § 1504 Abs. 2 RVO kein Raum.

Das Berufungsgericht hat deshalb zu Recht angenommen, daß bei der gegebenen Sachlage für die Beklagte kein Grund gegeben war, den Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer Aufwendungen nach § 1504 Abs. 2 RVO abzulehnen. Da über dessen Höhe kein Streit besteht, hat es zutreffend die Beklagte zur Leistung verurteilt.

Die Revision der Beklagten war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung war im Hinblick auf § 193 Abs. 4 SGG nicht zu treffen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649820

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