Leitsatz (amtlich)

Wer seine Arbeitsstätte vor Beginn der Arbeitsschicht wieder verläßt, um aus seiner Wohnung den vergessenen Spindschlüssel zu holen, steht auch auf diesem Weg nach RVO § 543 Abs 1 S 1 unter Versicherungsschutz, wenn er in dem Spind eine Arbeitskleidung verwahrt, deren Tragen in dem Unternehmen allgemein üblich ist.

 

Normenkette

RVO § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 1956 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger erlitt am 2. Oktober 1953 morgens vor Arbeitsbeginn einen Motorradunfall. Er ist in dem Textilwerk der Firma M... in B..., Kreis D..., als Elektrokarren-Beifahrer beschäftigt. Den etwa 3 km langen Weg zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte pflegte er mit dem Kraftrad zurückzulegen. In dem Textil-Betrieb ist es allgemein üblich, daß Arbeitskleidung getragen wird, die im Umkleideraum in verschließbaren Kleiderspinden verwahrt wird. Am Morgen des Unfalltages traf der Kläger schon zeitig vor Arbeitsbeginn an der Betriebsstätte ein. Als er sich umkleiden wollte, bemerkte er, daß er den Spindschlüssel vergessen hatte. Er machte sich sofort auf den Weg, um den Schlüssel von zu Hause zu holen. Auf dieser Fahrt stürzte er. Dabei zog er sich einen Querbruch der rechten Kniescheibe zu. Die Verletzung machte für einige Wochen Behandlung im Krankenhaus erforderlich. Vom 22. Dezember 1953 an war er wieder arbeitsfähig.

Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Unfallrente durch Bescheid vom 25. März 1954 mit der Begründung abgelehnt, der Unfall habe sich nicht auf einem mit der Tätigkeit des Klägers im Betrieb zusammenhängenden Weg ereignet. Mit der Klage hiergegen hat der Vater des damals noch minderjährigen Klägers zunächst geltend gemacht, es komme ihm lediglich darauf an, den ursächlichen Zusammenhang der Knieverletzung seines Sohnes mit seiner Betriebstätigkeit für die Zukunft sicherzustellen; im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG.) Konstanz hat er jedoch beantragt, für die Folgen des Unfalls seines Sohnes eine Entschädigung zu gewähren. Die in diesem Termin an der Seite des Klägers aufgetretene Allgemeine Ortskrankenkasse D... (AOK. D.) ist nach einem Vermerk in der Sitzungsniederschrift zu dem Verfahren "mündlich beigeladen" worden; sie hat beantragt, der Beklagten die ihr aus dem Unfall für die Krankenbehandlung erwachsenen Kosten aufzuerlegen. Das SG. hat die Beklagte unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides verurteilt, dem Kläger aus Anlaß des Unfalls Entschädigung zu gewähren: Die in dem verschlossenen Spind befindliche Arbeitskleidung habe der Kläger bei seiner Betriebsarbeit benötigt und deshalb den vergessenen Schlüssel vor Arbeitsbeginn holen müssen. Nennenswerte Beschwerden hinterlasse der Unfall nach der Einlassung des Klägers "im gegenwärtigen Zeitpunkt" nicht. Die Entscheidung sei gemäß §§ 144, 145 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) endgültig.

Die Beklagte, die das erstinstanzliche Urteil nach § 150 SGG für anfechtbar hält, hat zur Begründung ihrer Berufung vorgetragen: Um einen Weg von der Arbeitsstätte im Sinne des § 543 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe es sich nicht gehandelt; denn er sei vor Beginn der Arbeitszeit und aus einem rein persönlichen Grunde des Klägers, nämlich seiner Vergeßlichkeit, angetreten worden. Der Kläger hätte seine Betriebsarbeit auch im Alltagsanzug verrichten können, so daß das Umkleiden vor der Arbeitsaufnahme nicht im Betriebsinteresse gelegen habe.

Das Landessozialgericht (LSG.) hat eine Auskunft der Arbeitgeberin des Klägers über seine Beschäftigungsweise und die Gepflogenheit hinsichtlich des Tragens von Arbeitskleidung im Betrieb eingeholt. Durch Urteil vom 18. Mai 1956 hat es die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Berufung sei entgegen der Rechtsmittelbelehrung des SG. nicht ausgeschlossen, da der Kläger Rente nicht für einen zurückliegenden Zeitraum begehre; im übrigen sei sie nach § 150 Nr. 3 SGG zulässig. Die ohne förmlichen Beschluß erfolgte Beiladung der AOK. D. sei trotz verfahrensrechtlicher Bedenken wirksam, da der Formmangel von keiner Seite gerügt worden sei. Der Entschädigungsanspruch des Klägers sei begründet, da seine vor Arbeitsbeginn unternommene Fahrt zum Holen des Spindschlüssels der Bereitstellung seiner Arbeitskleidung gedient und deshalb gemäß § 543 Abs. 1 RVO unter Versicherungsschutz gestanden habe. In seinem Arbeitsanzug sei der Kläger den mit seiner Tätigkeit als Elektrokarren-Beifahrer verbundenen Unfallgefahren in geringerem Maße ausgesetzt gewesen als in seiner Alltagskleidung. Dies wie der Umstand, daß die Benutzung von Arbeitskleidung in dem Unternehmen allgemein üblich sei, spreche dafür, daß der Kläger seine Arbeitskleidung im betrieblichen Interesse getragen habe.

Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Gegen das ihr am 7. Juli 1956 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. August 1956 Revision eingelegt und sie am 1. September 1956 begründet: Das LSG. habe bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts außer acht gelassen, daß der Kläger am Morgen des Unfalltages nur deshalb die Arbeitsstätte wieder verlassen habe, weil bis zum Arbeitsbeginn noch genügend Zeit gewesen sei, den Spindschlüssel zu holen. Andernfalls hätte der Kläger die Arbeit in seiner Straßenkleidung aufgenommen; für seine Tätigkeit als Beifahrer eines Elektrokarrens sei eine besondere Arbeitskleidung nicht nötig. Mindestens hätte das LSG. insoweit den Sachverhalt weiter erforschen müssen. Es hätte auch nicht unterlassen dürfen, die Art der in dem Spind verwahrten Arbeitskleidung zu ermitteln, um prüfen zu körnen, ob es sich dabei um eine für den Kläger notwendige Berufskleidung gehandelt habe. Diese Prüfung sei besonders deshalb veranlaßt gewesen, weil der Kläger als Motorradfahrer zur damaligen Herbstzeit vermutlich so angezogen gewesen sei, daß er ohne weiteres seine Berufsarbeit auch in diesem Anzug hätte aufnehmen können. Daran habe ihn nur sein Wunsch gehindert, diese Kleidung zu schonen. Wenn sonach die Fahrt zur Beschaffung des Spindschlüssels diesem privaten Interesse gedient habe, fehle es an dem nach § 543 Abs. 1 RVO erforderlichen Zusammenhang zwischen dem unfallbringenden Weg des Klägers und seiner Betriebstätigkeit. Diese Vorschrift sei auf den vorliegenden Fall aber auch schon deshalb nicht anwendbar, weil nach ihr Wege von der Arbeitsstätte nur unter Versicherungsschutz stünden, wenn sie nach Beendigung der Arbeitstätigkeit und nicht - wie hier - vor Beginn der Arbeitszeit angetreten werden.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen die Klage abzuweisen,

hilfsweise, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise, die Revision zurückzuweisen.

Er nimmt in sachlich-rechtlicher Hinsicht im wesentlichen auf das angefochtene Urteil Bezug, hält weitere tatsächliche Feststellungen nicht für erforderlich und erklärt die Auffassung der Beklagten, der Weg von der Arbeitsstätte vor Arbeitsbeginn sei nicht als versicherter Weg im Sinne des § 543 Abs. 1 RVO anzusehen, für unvereinbar mit Sinn und Wortlaut dieser Vorschrift. Dagegen hält der Kläger die Ausführungen des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung nicht für überzeugend. Er meint, es sei jedenfalls fraglich, ob das Urteil erster Instanz auch Rente über die Zeit des Urteilserlasses hinaus betrifft, so daß der Ausschließungsgrund des § 145 Nr. 2 SGG gegeben sei; die Ausnahmetatbestände des § 150 SGG seien nicht erfüllt.

Die AOK. D. widerspricht im wesentlichen den Ausführungen der Beklagten und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Frage, ob die Berufung zulässig gewesen ist, betrifft eine Prozeßvoraussetzung, von der die Rechtswirksamkeit des gesamten Verfahrens nach Einlegung der Berufung, insbesondere also auch des Revisionsverfahrens abhängt (BSG. 1 S. 227 [230]; 2 S. 225 [227] u. 6 S. 252 [253] mit weiteren Nachweisen). Der Senat hatte daher von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung der Beklagten zulässig ist. Das LSG. hat diese Frage zu Recht bejaht. Die allenfalls in Betracht zu ziehenden Berufungsausschließungsgründe des § 144 Abs. 1 Nr. 2 und § 145 Nr. 2 SGG a.F. (vgl. SozR. SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 2), auf Grund deren offensichtlich auch das SG. seine Entscheidung als endgültig bezeichnet hat, liegen nicht vor. Dem erstinstanzlichen Urteil ist nicht zu entnehmen, daß über einen Anspruch auf Entschädigung für einen in der Vergangenheit, etwa gar innerhalb der ersten 13 Wochen nach dem Unfall liegenden Zeitraum entschieden worden ist. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG., dem für die Antragstellung der Beteiligten maßgebenden Zeitpunkt, hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Entschädigungsleistung aus Anlaß seines Arbeitsunfalls ohne zeitliche Begrenzung begehrt. Hierüber hat das SG. auch entschieden. Dies läßt der Tenor seines Urteils eindeutig erkennen. Bedenken dagegen, daß eine Entscheidung dieses Umfanges auch ergehen sollte, lassen sich angesichts der negativen Rechtsmittelbelehrung freilich nicht verhehlen; sie werden jedoch entgegen der Auffassung des Klägers nicht durch die Begründung der Entscheidung gerechtfertigt. Daß der Kläger seit dem 22. Dezember 1953 wieder arbeitsfähig ist und vor dem SG. über nennenswerte, auf den Unfall zurückzuführende Beschwerden nicht mehr geklagt hat, schließt die Annahme nicht aus, daß er für eine unbegrenzte Zeit Unfallentschädigung begehrt hat und daß das erstinstanzliche Urteil diesen auch für die Zukunft erhobenen Anspruch betrifft. Da sonach das Urteil zu Unrecht für endgültig erklärt worden ist und der Kläger seinen Entschädigungsanspruch auch späterhin zeitlich nicht eingeschränkt hat, ist die Berufung nach § 143 SGG zulässig. Das LSG. hat somit zu Recht durch Sachurteil entschieden.

Soweit sich verfahrensrechtliche Bedenken gegen das angefochtene Urteil im Hinblick auf die Form der Beiladung der AOK. D. und das Übergehen ihres Antrages auf Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Krankenbehandlungskosten ergeben könnten, brauchte der Senat hierüber mangels einer entsprechenden Rüge der Beteiligten nicht zu entscheiden. Die AOK. D. war jedenfalls auch noch im Revisionsverfahren als Beigeladene zu behandeln. Ihre verfahrensrechtliche Stellung hätte allerdings nicht nur in der Begründung, sondern auch im Rubrum der beiden vorinstanzlichen Urteile eindeutig zum Ausdruck kommen müssen, wie es nunmehr in dem Urteil der Revisionsinstanz zu geschehen hat.

Die Revision ist unbegründet, weil die Rüge, das LSG. habe § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO unrichtig angewendet, nicht berechtigt ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, der Kläger habe nach dieser Vorschrift unter Versicherungsschutz auch auf dem Wege gestanden, den er von seiner Arbeitsstätte aus noch vor Arbeitsbeginn nach seiner Wohnung angetreten hatte, um seinen vergessenen Spindschlüssel zu holen, trifft zu. Ob freilich die Ausführungen des angefochtenen Urteils, mit denen diese Auffassung begründet ist, die Anwendung der angeführten Vorschrift rechtfertigen, erscheint nicht unzweifelhaft, Anlaß zu Bedenken gibt insoweit mindestens die Feststellung, daß der erforderliche ursächliche Zusammenhang des streitigen Weges mit der Tätigkeit des Klägers in dem Unternehmen um deswillen gegeben sei, weil es wesentlich dem Interesse des Betriebes gedient habe, daß der Kläger die in dem Spind verwahrte Kleidung bei seiner Arbeit trug. Das Tragen allgemeiner Arbeitskleidung, um die es sich im vorliegenden Falle gehandelt haben dürfte, dient in der Regel nicht wesentlich dem Betrieb, sondern der Schonung der Alltagskleidung des Beschäftigten, so daß auch ihre Verwahrung nicht ohne weiteres mit der Betriebstätigkeit des Beschäftigten zusammenhängt. Eine denkbare Ausnahme hiervon könnte der vorliegende Streitfall entgegen der Auffassung des LSG. kaum ohne weiteres deshalb bilden, weil der Kläger bei seiner Tätigkeit als Elektrokarren-Beifahrer in seiner Arbeitskleidung besser als in seiner Alltagskleidung unfallgeschützt gewesen sei. Ob und unter welchen besonderen Umständen er seine Arbeitskleidung wesentlich im betrieblichen Interesse getragen hätte, brauchte indessen nicht entschieden zu werden, da sich nach der Auffassung des erkennenden Senats der Versicherungsschutz des Klägers auf der zum Unfall führenden Fahrt aus § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO schon aus anderen Gründen rechtfertigt.

Mit dem Berufungsgericht war zunächst in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen, daß der Kläger, der am Morgen des Unfalltages zeitig auf der Arbeitsstätte eingetroffen war, diese alsbald wieder verließ, um aus seiner Wohnung den vergessenen Spindschlüssel zu holen, dessen Fehlen er im Umkleideraum des Betriebes bemerkt hatte. Die in dem Schrank verwahrte Arbeitskleidung hatte er sich aus eigenen Mitteln beschafft. Er trug sie bei seiner Arbeit regelmäßig. Damit fügte er sich einer allgemeinen Übung, die in dem Betrieb seiner Arbeitgeberin besonders darauf zurückzuführen war, daß diese ihre Arbeiter bei einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit und nach dem Grad des arbeitsbedingten Kleiderverschleißes kostenlos mit Arbeitsanzügen versorgte; zu den in solcher Weise bevorzugten Arbeitern gehörte der Kläger zur Unfallzeit noch nicht. Angesichts dieser das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) kann zunächst nicht zweifelhaft sein, daß der Entschluß des Klägers zu der streitigen Fahrt durch den seinem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Wunsch bestimmt war, sich mit seiner Arbeitskleidung zur Schonung seiner Straßenkleidung zu versehen. Ebenso nahe liegt aber auch die Annahme, daß der Kläger die Fahrt zum Holen des vergessenen Schlüssels vor Arbeitsbeginn aus Rücksicht auf die in dem Betrieb bestehende allgemeine Gepflogenheit, Arbeitskleidung anzulegen, unternommen hat. Es bestand zwar keine betriebliche Anordnung für die Arbeiter, in der von der Betriebsleitung zur Verfügung gestellten oder - wie beim Kläger - selbst beschafften Arbeitskleidung zu arbeiten. War es aber gleichwohl in dem Unternehmen allgemein üblich, am Arbeitsplatz in Arbeitskleidung zu erscheinen, so ist erklärlich, daß der Kläger diesem Umstand auch am Unfalltage Rechnung tragen und sich deshalb nach vorheriger Beschaffung des vergessenen Spindschlüssels auf der Arbeitsstätte noch umkleiden wollte. In diesem der Betriebsarbeit des Klägers entspringenden Beweggrund ist eine rechtlich so wesentliche ursächliche Verknüpfung seiner Rückfahrt zur Wohnung mit seiner Tätigkeit in dem Unternehmen zu erblicken, daß demgegenüber jedenfalls die in seinem Wunsch nach Schonung der Straßenkleidung begründete, mit der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängende Ursache für das Zurücklegen des Weges als nachrangig zu bewerten ist und daher als rechtlich unwesentlich ausgeschieden werden kann. Es entspricht dem Wesen des § 543 Abs. 1 RVO, rechtlich die dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Beweggründe für Wege von und zur Arbeitsstätte weitergehend als bei sogenannten Betriebswegen (§ 542 RVO) unberücksichtigt zu lassen (vgl. BSG. 1 S. 171 [173]. Im übrigen widerspräche es der natürlichen Betrachtungsweise des hier zu beurteilenden Lebensvorganges, die Rückfahrt des Klägers nach der Wohnung etwa von seinem gesamten auf die Arbeitsaufnahme gerichteten Verhalten zu trennen. Bei seinem Vorhaben an jenem Morgen handelte es sich vielmehr um ein einheitliches Geschehen, das mit der ersten Fahrt zur Arbeitsstätte begann und mit der Aufnahme seiner Tätigkeit in Arbeitskleidung beendet gewesen wäre, falls er den Unfall nicht erlitten hätte. Da die lediglich durch das Holen des Spindschlüssels veranlaßte zusätzliche Fahrt nach einer durch die Mitnahme des Schlüssels bedingten, nur ganz vorübergehenden Unterbrechung zur Arbeitsstätte weiterführen sollte, war auch der nach § 543 Abs. 1 RVO erforderliche zeitliche Zusammenhang der Fahrt mit der beabsichtigten versicherten Arbeitsaufnahme gegeben.

Zu einer abweichenden Beurteilung konnte der Hinweis der Revision nicht führen, der Kläger wäre wegen des vergessenen Spindschlüssels nicht nochmals nach Hause gefahren, wenn dazu die Zeit vor Schichtbeginn nicht mehr ausgereicht hätte. Diese Überlegung ist für die Entscheidung darüber, welcher Beweggrund für die tatsächlich zurückgelegte Fahrt des Klägers im Sinne der Zusammenhangsfrage des § 543 Abs. 1 RVO versicherungsrechtlich wesentlich war, nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

Mit dem weiteren Einwand der Revision, ein von der Arbeitsstätte nach Hause vor der Aufnahme der Betriebsarbeit angetretener Weg könne schon begrifflich nicht als ein nach § 543 Abs. 1 RVO unter Versicherungsschutz stehender Weg angesehen werden, wird verkannt, daß es sich im vorliegenden Falle nicht um einen vor Arbeitsbeginn zurückgelegten "Heimweg" gehandelt hat.

Die Entscheidung des LSG. Hamburg vom 25. August 1954 (veröffentlicht in "Die Berufsgenossenschaft" 1955 S. 224), auf welche die Beklagte im Berufungsverfahren hingewiesen hatte, zwingt nicht, sich mit ihr anläßlich der Beurteilung des vorliegenden Falles auseinanderzusetzen. Denn der Versicherungsschutz ist dort für einen Weg zur Abholung eines ausgebesserten Arbeitsanzugs mit der Begründung verneint worden, daß der Anzug nicht im betrieblichen Interesse getragen worden sei. Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt wird jedoch die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits, wie die dargelegten Gründe ergeben, nicht gestützt.

Hiernach mußte die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324821

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