Entscheidungsstichwort (Thema)

Waisenrente nach dem Großvater

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage, wann ein Großvater das uneheliche Kind seiner mit ihm zusammenlebenden Tochter iS des BKGG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7 in seinen Haushalt aufgenommen hat (vgl BSG 1969-07-10 7 RKg 17/77 = BSGE 30, 28).

2. "Haushaltsaufnahme" ist nach der Absicht des Gesetzgebers gleichbedeutend mit "Versorgung" in einem weiteren, alle Mittel zur Deckung des Lebensbedarfs einschließenden Sinne (vgl BSG 1969-06-26 4 RJ 439/67 = BSGE 29, 292).

 

Normenkette

RVO § 1267 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; BKGG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 15.01.1973)

SG Trier (Entscheidung vom 07.09.1971)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 1973 wird aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 7. September 1971 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger begehrt die Waisenrente aus der Arbeiterrentenversicherung seines Großvaters. Er ist ein nichteheliches Kind. Seine Mutter war nach Scheidung ihrer Ehe schon vor seiner Geburt in die Wohnung seiner Großeltern zurückgekehrt. Dort lebten außerdem zwei Brüder der Mutter. Ursprünglich schliefen seine Mutter und er in der Küche, später im Wohnzimmer der Familienwohnung. Die finanziellen Haushaltsmittel wurden zuletzt, vor dem Tode des Großvaters - im September 1968 -, aus dessen Renteneinkünften von monatlich 282,10 DM, einem Zuschuß des einen Onkels in einem Monatsdurchschnitt von 170,- DM und einem Beitrag des anderen Onkels von monatlich 515,- DM bestritten. Der Beitrag des letzteren fiel jedoch zeitweilig wegen Arbeitslosigkeit aus. Währenddessen, wenn auch vorübergehend, arbeitete die Mutter des Klägers stundenweise als Putzhilfe. Sie erzielte einen Monatsdurchschnittslohn von 320,- DM. Vor allem aber versah sie - zuerst neben der Großmutter und später, nachdem diese schwer erkrankt war, in erster Linie - die Haushaltsarbeiten. Um die Beaufsichtigung, Erziehung und Pflege des Klägers kümmerten sich dessen Mutter, Großmutter und Großvater.

Den Rentenantrag lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) ab (Bescheid vom 3. Juni 1969), weil der Kläger nicht bei dem Großvater, sondern bei seiner Mutter gelebt habe und vom Großvater auch nicht überwiegend unterhalten worden sei (§ 1267 Abs. 1 Satz 1, § 1262 Abs. 2 Nr. 8 der Reichsversicherungsordnung - RVO - i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG -). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat ihr stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, daß der Großvater den Kläger in seinen Haushalt aufgenommen habe. Dieser Feststellung stand nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht entgegen, daß auch die Mutter des Klägers dort wohnte und daß ihr die alleinige Personensorge für den Kläger oblag. Der Auffassung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 19, 106; SozR Nr. 24 zu § 1267 RVO; SozR Nr. 15 zu § 1262 RVO), daß die nähere und engere Beziehung des Kindes zu seiner Mutter die Familiengemeinschaft mit den Großeltern in den Hintergrund dränge, hat das LSG sich nicht angeschlossen. Dieser Ansicht fehle es an der zureichenden rechtlichen und außerrechtlichen Begründung. Sie führe zu ungereimten Ergebnissen und sei mit dem Gesetz nicht vereinbar; das Gesetz gehe von der Existenz mehrerer Kindergeld- und Waisenrentenberechtigungen aus und unterbinde lediglich Doppelzahlungen. Der Begriff der Haushaltsaufnahme werde in erster Linie von der Unterkunftsgewährung geprägt. Halte man sich an diese Begriffsvorstellung, dann sei nicht daran vorbeizukommen, daß der Kläger in der Mietwohnung der Großeltern aufgewachsen sei. Zu den Unterbringungskosten habe die Mutter des Klägers nichts beigesteuert; sie habe keine Möbel zur Verfügung gestellt und über die Wohnungsnutzung nicht bestimmen können. Sie habe nur mit "unter dem Dach der Großeltern" gewohnt. Ihr Anteil am Unterhalt des Klägers habe nicht in der Haushaltsaufnahme, sondern in seiner Pflege und Erziehung bestanden.

Die Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Sie bezieht sich auf die der Berufungsentscheidung entgegenstehende Rechtsprechung des BSG zum Merkmal der Haushaltsaufnahme in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Das Berufungsgericht hat den Begriff der Haushaltsaufnahme im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BKGG stark auf das Merkmal der Unterkunftsgewährung eingeengt, seine Überlegungen wohl auch über Gebühr allein an den "drei elementaren Lebensbedürfnissen" der Unterkunft, Nahrung und Kleidung orientiert und sich von der Begriffserläuterung durch das BSG ein unvollständiges Bild verschafft. Die Aufnahme eines Kindes in den Haushalt besteht nicht lediglich in seiner "Behausung", im Verschaffen des "Dachs über dem Kopf". Vielmehr gehört anderes und mehr als die äußere Wohngemeinschaft dazu. Deshalb ist es weder ausreichend noch stets erforderlich, daß das Kind in der Wohnung des Aufnehmenden - zB der Großeltern - mitlebt. "Haushaltsaufnahme" ist nach der Absicht des Gesetzgebers gleichbedeutend mit "Versorgung" in einem weiteren, alle Mittel zur Deckung des Lebensbedarfs einschließenden Sinne (hierzu: BSG 29, 292). Diese Auslegung ist nicht zuletzt durch den Zweck des Gesetzes geboten. Die Waisenrente, die wegen der Haushaltsaufnahme des Kindes begehrt wird, soll den Wegfall von Leistungen ausgleichen, die vorher von dem Versicherten erbracht wurden. Für die Versorgung eines Kindes kommt es aber auch auf seine Erziehung und seine Pflege und nicht nur darauf an, daß es in räumliche Obhut genommen wird.

Von dieser weitergehenden Vorstellung her bedürfte die Annahme, daß die Betreuung des Klägers - auch nur vorwiegend - von seiner Mutter auf die Großeltern übergegangen sei, zusätzlicher Belege. In dieser Richtung hat das Berufungsgericht jedoch keine näheren Feststellungen getroffen. Es hat dies auch nicht unter Hinweis auf konkrete Einzelumstände für diejenigen Stunden erkennen lassen, in denen die Mutter zu Dienstleistungen außer Hause war. In bezug auf diese Abwesenheit kann hingegen den Ausführungen des LSG entnommen werden, daß die Mutter des Klägers durch ihre Lohnarbeit den Ausfall in der Haushaltskasse zum Teil wettmachte, der wegen der Arbeitslosigkeit eines anderen Familienmitglieds entstanden war. Die Mutter des Klägers steuerte also zu ihrem Teil zur Haushaltung bei. Ihr wesentlicher Beitrag dazu bestand freilich in der Hausarbeit, die vornehmlich in den letzten Monaten, in denen Großvater und Großmutter - wie das Berufungsgericht anführt - schwer erkrankt waren, zu Buche schlug.

Dies ist wichtig, weil daraus folgt, daß der Haushalt, in dem sich der Kläger befand, von seiner Mutter "geführt" wurde und damit auch ihr zuzurechnen war. Diesen Aspekt hat das LSG zu Unrecht vernachlässigt. In der neueren Rechtsprechung hat das BSG die Haushaltsaufnahme eines Kindes durch seine Großeltern nicht schlechthin deshalb verneint, weil einer solchen Beziehung die Bande des Kindes zu seiner Mutter vorgingen. Es hat sich statt dessen von der Frage leiten lassen, ob der Großvater allein oder ob auch die Mutter die Kosten des Haushalts getragen hat (BSG 30, 28, 29 f.). Ein Enkelkind, das mit seiner Mutter bei dem Großvater lebt, sei dann nicht - so das BSG aaO - in "seinem" Hause aufgenommen, wenn die Mutter die Kosten für diesen Haushalt nicht unwesentlich aus eigenen Mitteln oder Kräften mitfinanzieret. - Mit einem solchen Sachverhalt hat man es im gegenwärtigen Streitfalle zu tun. Dafür ist allerdings weniger der finanzielle Beitrag der Mutter als vielmehr ihre vermögenswerte Leistung erheblich, die sie in Gestalt ihrer Hausarbeit für ihre Eltern und ihre zwei erwachsenen Brüder erbracht hat. Der Wert dieser Tätigkeit ist ohne Zweifel so hoch zu veranschlagen, daß er im Verhältnis zum Gesamtaufwand des Haushalts ins Gewicht fällt. Daraus folgt zugleich, daß der Mutter des Klägers ein beachtlicher Anteil am Familienhaushalt gebührte und der Kläger nicht ausschließlich im Haushalt des Großvaters untergebracht war.

Hiernach ist das Berufungsurteil nicht aufrechtzuerhalten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647678

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge