Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsgeld des Rentenversicherungsträgers bei Abbruch einer berufsfördernden Maßnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Kann ein Betreuter an einer berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter teilnehmen und wird die Maßnahme abgebrochen, weil keine Erfolgsaussicht mehr besteht, hat der Rentenversicherungsträger dem Versicherten für längstens weitere sechs Wochen nach dem rechtswirksamen Abbruch Übergangsgeld zu zahlen. Der Anspruch endet jedoch zu dem Zeitpunkt, an dem die Maßnahme planmäßig beendet gewesen wäre.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine berufsfördernde Maßnahme beginnt und endet iS des § 1241e Abs 2 RVO mit den Zeitpunkten, die in dem Verwaltungsakt bestimmt sind, der die Maßnahme bewilligt.

 

Normenkette

RehaAnglG § 5 Fassung: 1974-08-07, § 17 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1240 Fassung: 1977-06-27, § 183 Abs. 6 Fassung: 1974-08-07, § 1241e Abs. 2

 

Verfahrensgang

SG Schleswig (Entscheidung vom 22.06.1981; Aktenzeichen S 2 Kr 16/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob nach vorzeitiger planwidriger Beendigung einer berufsfördernden Maßnahme Übergangsgeld (ÜG) oder Krankengeld zu zahlen war.

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) gewährte dem bei ihr und der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Versicherten von September 1976 an eine auf 28 Monate geplante berufsfördernde Maßnahme zur Rehabilitation mit ÜG. Wegen einer mehrere Monate dauernden Krankheit des Versicherten brach die Beklagte die Maßnahme durch Bescheid vom 30. Juni 1978 mit Wirkung von diesem Tage an ab und stellte die Zahlung von ÜG ein. Die Klägerin zahlte vom 1. Juli 1978 an Krankengeld. Für die Zeit bis 10. August 1978 - sechs Wochen - verlangt sie dafür Ersatz von der Beklagten. Sie meint, die Beklagte sei nach § 1241e Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) verpflichtet gewesen, noch sechs Wochen nach Beendigung der berufsfördernden Maßnahme ÜG zu zahlen. Sie selber sei nach § 183 Abs 6 RVO in dieser Zeit befreit gewesen. Die Beklagte lehnte diesen Anspruch ab, weil ÜG nur während einer berufsfördernden Maßnahme und bei kurzfristiger Unterbrechung, nicht aber bei Abbruch dieser Maßnahme zu zahlen sei.

Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat die auf die Zahlung von 2.270,54 DM gerichtete Klage abgewiesen. Die Auffassung der Klägerin sei zwar mit dem Wortlaut des § 1241e Abs 2 RVO zu vereinbaren. Wenn aber - wie hier - nicht abzusehen sei, wann die Maßnahme fortgesetzt werde, sei auch die Rehabilitationsleistung ÜG nicht mehr zu vertreten (Urteil vom 22. Juni 1981). Die Klägerin hat die durch Beschluß des SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 1241e Abs 3 RVO.  Sie beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. Juni 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.270,54 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die beklagte LVA ist antragsgemäß zu verurteilen, der klagenden Kasse 2.270,54 DM zu erstatten.

Die Voraussetzungen für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch sind erfüllt. die klagende Kasse hat anstelle des an sich zuständigen Rentenversicherungsträgers für die wirtschaftliche Sicherung des arbeitsunfähigen Versicherten gesorgt. Die Zuständigkeit der Beklagten, nach vorzeitiger planwidriger Beendigung der berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme noch sechs Wochen ÜG zu zahlen, folgt aus § 1241e Abs 2 RVO.

Nach dieser Vorschrift wird das ÜG bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zum Tage der Beendigung der Maßnahme weitergewährt, wenn der Betreute an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter teilnehmen kann. Diese Zahlungspflicht des Rentenversicherungsträgers gilt für die Zeit nach einer vorzeitigen planwidrigen Beendigung aus gesundheitlichen Gründen, nicht aber für die Zeit, in der der Versicherte vorübergehend an einer laufenden Maßnahme nicht teilnehmen kann.

Das ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut des § 1241e Abs 2 RVO, folgt aber aus dem erkennbaren Sinn dieser Vorschrift. Wer "nicht weiter teilnehmen kann", hört nach allgemeinem Sprachgebrauch mit der Teilnahme auf, und die Maßnahme ist beendet. Zweifel können sich allerdings aus dem weiteren Halbsatz dieser Vorschrift ergeben, wonach nur "bis zum Tage der Beendigung" ÜG gezahlt wird. Da hier nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, von "planmäßiger" oder "vorgesehener" Beendigung die Rede ist, ist die Vermutung verständlich, auch die aus gesundheitlichen Gründen erfolgte Beendigung der Maßnahme beende den Anspruch auf ÜG. Würde man § 1241e Abs 2 RVO in diesem Sinne verstehen, so wäre diese Vorschrift nur bei gesundheitsbedingten Unterbrechungen des Rehabilitationsverfahrens anwendbar. Das kann aber nicht gemeint sein. Die Begründung zu § 17 des Regierungsentwurfs des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes -RehaAnglG- (BT-Drucks 7/1237 S 60) ergibt keinen Hinweis in dieser Richtung. Wenn es dort heißt, eine nur kurzfristige Unterbrechung führe in der Regel nicht zum Abbruch der Maßnahme, so wird damit zwar zwischen Unterbrechung und Abbruch unterschieden, aber nichts darüber ausgesagt, von welchem Zeitpunkt an der Anspruch auf Zahlung von ÜG für weitere sechs Wochen beginnt.

§ 1241e Abs 2 RVO steht in der Reihe der Vorschriften, die unter besonderen Voraussetzungen einen Anspruch auf ÜG nach dem Ende von Rehabilitationsmaßnahmen begründen. Das bringt § 1241e Abs 1 RVO mit dem "Abschluß" und § 1241e Abs 3 RVO mit dem "Anschluß an eine abgeschlossene berufsfördernde Maßnahme" unzweideutig zum Ausdruck. Es besteht kein überzeugender Grund, daß gerade § 1241e Abs 2 RVO die Zeit vor dem Ende der Maßnahme betrifft. In der Zeit bis zum Ende der Maßnahme folgt der Anspruch auf ÜG aus § 1240 RVO. Danach wird "während" einer medizinischen oder berufsfördernden Maßnahme dem Betreuten ÜG gewährt, wenn er arbeitsunfähig ist oder wegen Teilnahme an der Maßnahme keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Welche Zeit damit erfaßt ist, bestimmt grundsätzlich der Verwaltungsakt, mit dem die Maßnahme bewilligt wird. Dieser Verwaltungsakt bestimmt somit auch den Beginn und das Ende des ÜG-Anspruchs dadurch, daß er den Beginn und das Ende der Maßnahme festlegt. Abweichungen hiervon sind ausdrücklich gesetzlich geregelt (vgl § 1241e RVO); der Beginn des ÜG kann vor den Maßnahmenbeginn vorverlegt werden, das Ende des Anspruchs über das Maßnahmenende hinaus.

Für die Zeit zwischen dem im Bewilligungsakt vorgesehenen Beginn und dem dort vorgesehenen Ende der Maßnahme gibt es keine Regelung, die von der Grundregel des § 1240 RVO abweicht. Die Anwendung des § 1241e Abs 2 RVO nur auf Fälle krankheitsbedingter Unterbrechung der tatsächlichen Teilnahme des Versicherten an der Maßnahme widerspricht nicht nur dem geschilderten Aufbau der Vorschriften über Beginn und Ende des ÜG, sondern auch den allgemeinen Grundsätzen des Rehabilitationsrechts. Nach § 5 Abs 2 Satz 2 RehaAnglG hat jeder Rehabilitationsträger im Rahmen seiner Zuständigkeit die nach Lage des Einzelfalles erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen, daß Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich werden. Das heißt, der Rehabilitationsträger hat auch die wirtschaftliche Sicherung zu übernehmen (§ 13 RehaAnglG und dementsprechend § 1240 RVO). Das gilt auch dann, wenn der Versicherte anderweitig wirtschaftlich gesichert ist und sogar für den Fall, in dem die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Sicherung durch einen anderen Leistungsträger erfüllt sind: Der Anspruch auf ÜG geht dem Anspruch auf Krankengeld vor, den ein krankheitsbedingt Arbeitsunfähiger hat (vgl § 183 Abs 6 RVO). Die wirtschaftliche Sicherung ist erst recht dann aufrechtzuerhalten, wenn der Versicherte keinen anderen Anspruch auf wirtschaftliche Sicherung hat oder nicht krankheitsbedingt arbeitsunfähig, sondern nur krankheitsbedingt rehabilitationsunfähig wird.

Die Unmöglichkeit, aus gesundheitlichen Gründen weiter an der Rehabilitationsmaßnahme teilzunehmen, kann allerdings - wie hier geschehen - zum Anlaß genommen werden, die Rehabilitationsmaßnahme zu beenden, wenn die lange Zeit einer gesundheitsbedingten Unterbrechung es ausschließt, daß der Versicherte die vorgesehene Maßnahme erfolgreich beenden kann. Eine solche planwidrige Beendigung des Rehabilitationsverhältnisses entspricht etwa einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus Anlaß einer Arbeitsunfähigkeit, wodurch der Lohnfortzahlungsanspruch des § 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) nicht beeinträchtigt wird (§ 6 Abs 1 LFZG). Allerdings beginnt der Lohnfortzahlungsanspruch bereits mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und ist in diesem Punkt mit den ÜG-Ansprüchen der §§ 1240 und 1241e Abs 2 RVO zu vergleichen. Wie oben ausgeführt, würde es dem Sinn des ÜG-Anspruches als einer wirtschaftlichen Sicherung während einer Rehabilitationsmaßnahme nicht entsprechen, wollte man den Anspruch auf ÜG nach § 1240 RVO bereits in dem Augenblick entfallen lassen, in dem der Betreute aus gesundheitlichen Gründen, wenn auch nur vorübergehend, nicht mehr an der Maßnahme teilnehmen kann. Es bedarf in derartigen Fällen vielmehr der Prüfung und Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nach dessen pflichtgemäßem Ermessen, ob nach einer vorübergehenden gesundheitsbedingten Unterbrechung die Maßnahme mit Aussicht auf Erfolg fortgesetzt werden kann, oder ob sie wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgebrochen werden muß. Erst mit dem Zeitpunkt des rechtswirksamen Abbruchs der Maßnahme endet der ÜG-Anspruch nach § 1240 RVO. Deswegen kann die Weiterzahlung des ÜG nach § 1241e Abs 2 RVO für längstens sechs Wochen sich erst an diesen Zeitpunkt anschließen. Die Begrenzung: "... längstens bis zur Beendigung der Maßnahme" bezieht sich somit nur auf das planmäßige oder vorgesehene Ende der Maßnahme.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1660046

BSGE, 146

Breith. 1983, 502

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