Leitsatz (amtlich)

1. Ist streitig, ob ein Bescheid, mit dem eine Rente entzogen werden sollte, diese Rechtsfolge wirksam ausspricht, und wiederholt deshalb der Versicherungsträger während des gerichtlichen Aufhebungsverfahrens "hilfsweise" für einen späteren Zeitpunkt die Rentenentziehung, so darf das Gericht über die Wirksamkeit des ersten Bescheides - beim Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen - durch Teilurteil entscheiden.

Stellt das SG durch ein solches Teilurteil die Nichtigkeit des ersten Bescheides fest, so betrifft die vom Versicherungsträger hiergegen eingelegte Berufung nicht nur Rente für bereits abgelaufene Zeiträume und ist deshalb nicht nach SGG § 146 ausgeschlossen.

2. Zur Frage der Umdeutung eines Rentenablehnungsbescheides in einen Entziehungsbescheid.

 

Normenkette

RVO § 1286 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; SGG § 146 Fassung: 1958-08-23; ZPO § 301 Fassung: 1950-09-12

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 3. Juni 1964 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 26. August 1963 nicht verworfen, sondern zurückgewiesen wird.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) hatte dem früheren Kläger, der während des Revisionsverfahrens gestorben ist und für den seine Witwe das Verfahren fortsetzt, vom 1. Juli 1959 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt. Im April 1961 entschloß sie sich zur Entziehung der Rente wegen Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten; sie verwendete jedoch versehentlich statt eines Vordrucks für einen Entziehungsbescheid einen für die Ablehnung von Rentenanträgen üblichen Vordruck. So kam es, daß der dem Versicherten zugegangene Bescheid vom 17. April 1961 wie folgt lautete:

"Ihr Antrag vom Mai 1961 auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit muß abgelehnt werden, weil die in der Reichsversicherungsordnung vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Feststellungen haben ergeben, daß Sie in Ihrer Erwerbsfähigkeit nicht so stark behindert sind, daß Sie nicht noch leichtere Arbeiten ganztägig verrichten können. Damit entspricht Ihre Erwerbsfähigkeit noch mindestens der Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten. Nach den gesetzlichen Bestimmungen gelten Sie daher noch nicht als berufsunfähig".

Diesen Bescheid hat der Versicherte mit der Klage angefochten. Nachdem das Sozialgericht (SG) Stade die Beteiligten auf die Widersprüchlichkeit des Bescheides hingewiesen und dem damaligen Kläger nahegelegt hatte, die Nichtigkeit des Bescheides feststellen zu lassen, erteilte die Beklagte am 26. April 1962 folgenden

"Ergänzungsbescheid zum Bescheid vom 17. April 1961:

Mit Ablauf des Monats Mai 1961 ist Herrn H die Rente entzogen. Dabei ist versehentlich statt des Entziehungsvordruckes der Ablehnungsvordruck abgesandt worden. Da es sich jedoch um einen Rentenempfänger handelte, kann dieser Bescheid nur als Entziehungsbescheid angesehen werden.

Hilfsweise wird Herrn H die Rente mit Ablauf des Monats Mai 1962 entzogen."

Der frühere Kläger hat beide Bescheide als "fehlerhaft" bezeichnet und ihre Aufhebung beantragt.

Das SG hat durch Teilurteil vom 26. August 1963 entschieden:

"1. Es wird festgestellt, der Bescheid der Beklagten vom 17. April 1961 ist nichtig.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1961 bis zum 31. Mai 1962 zu zahlen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten."

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt: Der Bescheid vom 17. April 1961 habe die ihm zugedachten Rechtswirkungen nicht ausüben können, weil er eine die Rente entziehende Erklärung nicht enthalte. Es komme nicht darauf an, ob etwa dem Versicherten oder einem objektiv urteilenden Dritten erkennbar gewesen sei, daß die Beklagte sich in der Verwendung des Vordrucks geirrt habe. Das Klagebegehren sei sinngemäß auf Feststellung der Nichtigkeit des ersten Bescheides gerichtet. An einer solchen Feststellung sei der Versicherte interessiert, weil die Beklagte die Rentenzahlung eingestellt habe. - Weil der Rechtsstreit nur insoweit zur Entscheidung reif sei, als er den Bescheid vom 17. April 1961 betreffe - hinsichtlich des Ergänzungsbescheides komme es noch auf eine weitere Sachaufklärung an -, habe das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein Teilurteil zu erlassen.

Die von der Beklagten hiergegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 3. Juni 1964 als unzulässig verworfen, weil das Rechtsmittel nur Rente für den - abgelaufenen - Zeitraum von Juni 1961 bis Mai 1962 betreffe (§ 146 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Einen Verfahrensmangel des SG, der die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG hätte statthaft machen können, hat das LSG nicht als vorliegend erachtet.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt. Sie führt im wesentlichen aus: Die Berufungsausschlußvorschrift des § 146 SGG treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu. Das LSG hätte über die Berufung sachlich entscheiden müssen, und zwar durch Abweisung der Aufhebungsklage als unzulässig. Für eine Umdeutung der Klage in eine Feststellungsklage sei kein Raum, weil der Versicherte es trotz Belehrung abgelehnt habe, die Aufhebungsklage in eine Feststellungsklage zu ändern. Sein Beharren auf einer Aufhebungsklage sei auch zutreffend gewesen; denn er habe den Bescheid vom 17. April 1961 ohne weiteres als Entziehungsbescheid erkannt und sich durch ihn beschwert gefühlt. Damit habe er die zulässige und den Mangel der äußeren Form heilende Konversion des Verwaltungsakts bereits vorgenommen gehabt. Zudem habe es an dem erforderlichen Interesse an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit gefehlt. Im übrigen sei der Bescheid vom 17. April 1961 gar nicht nichtig. Für einen Rentenentziehungsbescheid sei zwar die Schriftform, aber keine bestimmte Ausdrucksweise vorgeschrieben; es genüge für die formelle Wirksamkeit, daß für den Empfänger erkennbar zum Ausdruck gebracht werde, der Versicherungsträger wolle die bisherige Rente in Zukunft nicht mehr weiterzahlen. Diese Absicht habe der Kläger, wie er mit der Klageerhebung und seinem Prozeßantrag zu erkennen gegeben habe, richtig erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.

Die jetzige Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

Mit der zulässigen Revision rügt die Beklagte mit Recht, daß das Berufungsgericht in der Sache selbst hätte entscheiden müssen. Die Berufung war nicht nach § 146 SGG ausgeschlossen; denn sie betraf entgegen der Meinung des LSG nicht nur Rente für bereits abgelaufene Zeiträume. Sie betraf, da die Beklagte das den Bescheid vom 17. April 1961 für nichtig erklärende erstinstanzliche Urteil vom 26. August 1963 in vollem Umfang angefochten hatte, die Frage der Rechtswirksamkeit dieses Bescheides und damit auch - dies hat das LSG nicht verkannt - die Rente, welche durch den für nichtig erklärten Bescheid dem Versicherten aberkannt werden sollte. Dies war aber nicht nur die Rente für die Zeit bis zum 31. Mai 1962, sondern auch für eine darüber hinausgehende unbegrenzte Zeit. Die Tragweite des Bescheides, der Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils war, ist durch den "Ergänzungsbescheid" vom 26. April 1962 nicht eingeschränkt worden. Eine solche Einschränkung könnte nur vorliegen, wenn die Beklagte den ersten Bescheid durch den "Ergänzungsbescheid" für die Zeit nach dessen Erlaß geändert oder ersetzt oder ihm in anderer Weise die Grundlage entzogen hätte. Das hat sie aber nicht getan. Sie hat im Gegenteil mit dem zweiten Bescheid auf dem Standpunkt beharrt, daß dem Kläger bereits durch den Bescheid vom 17. April 1961 die Rente für alle Zukunft, jedenfalls über den 31. Mai 1962 hinaus, wirksam entzogen sei; nur für den Fall, daß diese Rechtsauffassung sich in dem schwebenden Gerichtsverfahren nicht durchsetzen sollte, wollte die Beklagte - dies besagt eindeutig das Wort "hilfsweise" - den Ergänzungsbescheid als den maßgeblichen Bescheid über die Entziehung der Rente verstanden wissen. Das SG hat somit über die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes entschieden, der einen Rentenanspruch ohne zeitliche Begrenzung betraf und dem auch durch den "Ergänzungsbescheid" - mag diese "Eventualregelung" als zulässig angesehen werden oder nicht - nichts von seiner Tragweite genommen worden war. Insofern ist die Rechtslage wesentlich anders als in dem vom LSG angeführten Fall des Ablebens eines Versicherten nach Erlaß eines Entziehungsbescheides; in einem solchen Falle wird die Tragweite des Rentenstreites durch den Tod des Versicherten eingeschränkt.

Trifft somit der Berufungsausschließungsgrund des § 146 SGG im vorliegenden Streitfalle nicht zu, so war die Berufung der Beklagten nach § 143 SGG statthaft. Es bedarf deshalb nicht der Prüfung, ob anderenfalls § 150 Nr. 2 SGG den Berufungsrechtszug eröffnet hätte.

Das LSG hätte hiernach die Berufung der Beklagten nicht als unzulässig verwerfen dürfen, vielmehr in der Sache entscheiden müssen. Insofern ist die Revision begründet mit der Folge, daß nunmehr das Bundessozialgericht (BSG), wie es im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit der Regel entspricht, in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Dem steht nicht entgegen, daß der Revisionsantrag der Beklagten auf Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG gerichtet ist.

Zwar wird nach dem im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit - über § 202 SGG - entsprechend anwendbaren § 559 der Zivilprozeßordnung (ZPO) die Prüfung des Revisionsgerichts durch die von den Parteien gestellten "Anträge" begrenzt. Unter diesen Begriff fallen jedoch nur die Sachanträge; das Revisionsgericht ist dagegen nicht gehalten, eine im Gesetz vorgesehene und vorgeschriebene eigene Entscheidung zu unterlassen, wenn der Revisionskläger lediglich die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine untere Instanz beantragt hat (vgl. Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, § 559 ZPO, Anm. A II a).

Eine Sachentscheidung durch das BSG wäre allerdings nicht angängig, wenn, wie die Beklagte meint, über die Wirksamkeit des Bescheides vom 17. April 1961 nicht durch Teilurteil hätte entschieden werden dürfen; denn dann würde es an einem verfahrensordnungsgemäß ergangenen vorinstanzlichen Urteil fehlen, welches die Grundlage für eine Sachentscheidung der Revisionsinstanz bilden könnte. Die Rüge der Beklagten, es hätte nicht durch Teilurteil entschieden werden dürfen, ist jedoch nicht gerechtfertigt. Sie kann einen Sinn überhaupt nur haben, wenn man annimmt, daß der Bescheid vom 26. April 1962 nach § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist. Trifft dies nämlich, wie die Beklagte meint, nicht zu, so hat das SG nicht durch Teilurteil, sondern durch Vollurteil entschieden. War jedoch im erstinstanzlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit beider Bescheide zu befinden, so durfte das SG, wie das LSG mit Recht angenommen hat, auf Grund des im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit entsprechend anwendbaren § 301 ZPO (§ 202 SGG) über den Anspruch auf Aufhebung bzw. Nichtigerklärung des Bescheides vom 17. April 1961 durch Teilurteil entscheiden; denn hinsichtlich des Ergänzungsbescheides war die Klage - dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel - noch nicht zur Endentscheidung reif. Ob ein Teilurteil, wie die Beklagte meint, immer dann unzulässig ist, wenn es dazu führt, daß einem Beteiligten ein sonst mögliches Rechtsmittel abgeschnitten wird, kann unentschieden bleiben, weil im vorliegenden Streitfall, wie bereits dargelegt wurde, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil vom 26. August 1963 nicht ausgeschlossen war.

Einer Sachentscheidung durch das Revisionsgericht steht ferner nicht entgegen, daß das LSG die Berufung als unzulässig verworfen und deshalb keine Veranlassung gehabt hat, tatsächliche Feststellungen in der Sache selbst zu treffen; der vom LSG zur Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung festgestellte Sachverhalt reicht zur Entscheidung in der Sache selbst aus. Schließlich ist es auch unerheblich, daß den Beteiligten in einem Falle wie hier die zweite Tatsacheninstanz verloren geht; diese Konsequenz hat der Gesetzgeber mit der von ihm getroffenen, vom Zivilprozeß (§ 565 ZPO) abweichenden Regelung in Kauf genommen.

Bei der Entscheidung über die Klage hatte der Senat zunächst zu prüfen, ob das Klagebegehren, wie das SG es aufgefaßt hat, auf Nichtigerklärung des Bescheides vom 17. April 1961 oder, wie die Beklagte meint, nur auf Aufhebung dieses Bescheides gerichtet ist. Nachdem der Versicherte sich im Berufungsverfahren auf den Standpunkt gestellt hat, das den Bescheid vom 17. April 1961 für nichtig erklärende erstinstanzliche Urteil sei "rechtlich nicht zu beanstanden", und dementsprechend auch im Revisionsverfahren beantragt hat, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, trägt der erkennende Senat keine Bedenken, die vorliegende Klage jedenfalls jetzt als eine auf Feststellung der Nichtigkeit des vorerwähnten Bescheides gerichtete Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG anzusehen. Ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit besteht insofern, als von der Klärung der Streitfrage, ob der schon wegen seines Rechtsscheins den Versicherten belastende Bescheid rechtswirksam ist oder nicht, der Fortbestand des Rentenanspruchs über den 31. Mai 1961 hinaus abhängt.

Der Bescheid vom 17. April 1961 stellt sich seinem Wortlaut nach als Bescheid über die Ablehnung eines Rentenantrags dar. Als solcher war er jedoch weder gewollt noch konnte er Wirkungen erzeugen, weil er ins Leere traf; denn dem Adressaten war bereits eine Versichertenrente - wegen Erwerbsunfähigkeit - bewilligt. Trotzdem hätte der Versicherte den Bescheid als Rentenentziehungsbescheid gegen sich gelten lassen müssen, wenn er ungeachtet des andersartigen Wortlauts im Wege der Auslegung als Entziehungsbescheid zu deuten wäre. Dabei hat sich die Auslegung nicht nur auf die dem Versicherten zugegangene Mitteilung zu beschränken, sondern darf auch an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß der Versicherte bereits Rentenbezieher war. Als solcher mußte der Versicherte zu der Erkenntnis gelangen - und man darf davon ausgehen, daß er dies tatsächlich erkannt hat -, daß der Bescheid auf einer Unstimmigkeit beruhte. Das bedeutet aber nicht ohne weiteres, daß der Bescheid als Entziehungsbescheid zu verstehen gewesen wäre. Zweifel an einer Deutung in diesem Sinne ergeben sich vor allem daraus, daß es an jeglicher - von einem Rentenbezieher naturgemäß erwarteten und nach §§ 1631, 1633 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgeschriebenen - Begründung für eine die Rentenentziehung rechtfertigende Änderung der Verhältnisse und auch an der Bezeichnung eines Entziehungszeitpunktes fehlt. Unter diesen Umständen mußte der Adressat des Bescheides dessen Ungereimtheit nicht unbedingt auf eine Verwechslung des Vordrucks, sondern konnte sie auch auf irgend ein anderes Versehen wie zB die irrtümliche Einfügung seiner eigenen Anschrift anstatt derjenigen eines anderen - in Wirklichkeit gemeinten - Versicherten zurückführen. Als Entziehungsbescheid war der Bescheid vom 17. April 1961 jedenfalls nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen. Der frühere Kläger mußte ihn auch nicht deshalb als solchen gegen sich gelten lassen, weil sein Prozeßbevollmächtigter den angefochtenen Bescheid zwar nicht in der Klageschrift, aber später einmal - im Schriftsatz vom 6. Dezember 1961 - als "Entziehungsbescheid" bezeichnet hat. Es kommt nicht darauf an, wie der Bevollmächtigte des Adressaten oder gar der Adressat selbst den Bescheid zeitweise geglaubt hat verstehen zu sollen, sondern wie er unter Anwendung anerkannter Auslegungsregeln objektiv zu verstehen ist.

Den somit fehlerhaften Bescheid vom 17. April 1961 hat der Senat in Übereinstimmung mit dem SG als nichtig angesehen. Diese Rechtsfolge zieht allerdings nur ein mit schweren und offensichtlichen Mängeln behafteter Verwaltungsakt nach sich, wobei die begriffliche Grenzziehung zwischen den Voraussetzungen der Nichtigkeit und der bloßen Aufhebbarkeit Schwierigkeiten bereitet (vgl. BSG SozR Nr. 2 zu G über SozVers der NSDAP Allg. vom 4.3.1943; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, 8. Aufl., S. 208). Anerkanntermaßen ist jedoch im Falle der Unsinnigkeit oder Unverständlichkeit eines Verwaltungsaktes stets Nichtigkeit anzunehmen (Forsthoff aaO S. 229; Heike, Der gegenwärtige Stand der Lehre vom nichtigen Verwaltungsakt, Diss. Göttingen 1959, S. 99). Ein solch extremer Fall liegt hier vor. Die absolute Unverständlichkeit ist darin zu sehen, daß im April 1961 über einen Antrag entschieden worden ist, der im Mai 1961 gestellt sein soll, in Wirklichkeit aber gar nicht gestellt ist, daß eine Rente wegen Berufsunfähigkeit versagt worden ist, obwohl der Adressat des Bescheides bereits Bezieher einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit war und daß der Bescheid, sofern er als Entziehungsbescheid gedacht war, keinerlei Begründung für eine Änderung der Verhältnisse enthielt. Hiernach hat das SG mit Recht die Nichtigkeit des Bescheides vom 17. April 1961 festgestellt.

Die Revision muß deshalb mit der Maßgabe zurückgewiesen werden, daß die - zulässige, aber unbegründete - Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil nicht verworfen, sondern zurückgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 251

MDR 1967, 254

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