Leitsatz (amtlich)

1. KOV-VfG § 40 Abs 2 ist kein Unterfall des Zugunstenbescheids nach KOV-VfG § 40 Abs 1 ; er bildet einen selbständigen Tatbestand.

2. KOV-VfG § 40 Abs 1 verpflichtet die Versorgungsverwaltung, sich die vom BSG bekundete Rechtsauffassung zu eigen zu machen und ihre frühere Entscheidung durch einen neuen Bescheid abzuändern oder zu ersetzen. Dieser tritt in vollem Umfang, also auch zeitlich, an die Stelle der früheren Entscheidung.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Oktober 1959 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Die Klägerin erhielt vom 1. April 1952 an Elternrente nach ihrem als Soldat verschollenen und für tot erklärten Sohn E... E...; die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) ihres Ehemannes wurde hierbei als sonstiges Einkommen angerechnet. Der diesbezügliche Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 1955 blieb unangefochten. Im Dezember 1957 beantragte die Klägerin die Neuberechnung der Elternrente, da ihr Ehemann nunmehr Invalidenrente bezog und seine Arbeitslosenhilfe (Alhi) gekürzt worden war; sie begehrte, das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. Dezember 1956 (BSG 4, 165 ff) zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 14. Juli 1958 stellte der Beklagte die Elternrente ab 1. Februar 1957 neu fest, lehnte aber die Erteilung eines Zugunstenbescheides für die vorausliegende Zeit ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1958); nach Auffassung des Beklagten sei grundsätzlich an der Bindung der früheren Bescheide festzuhalten (Nr. 8 der Verwaltungsvorschriften -VerwV- zu § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung -VerwVG-).

Auf Klage hin verurteilte das Sozialgericht -SG- (Urteil vom 26. Februar 1959) den Beklagten, in Abänderung der angefochtenen Verwaltungsakte der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen und darin die Elternrente auch vom 1. April 1952 bis zum 31. Januar 1957 neu zu berechnen, da § 40 Abs. 2 VerwVG die Erteilung eines Zugunstenbescheides zwingend vorschreibe, wenn das BSG in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertrete, als dem ursprünglichen Bescheid zugrunde gelegen habe.

Die vom SG zugelassene Berufung des Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) zurück (Urteil vom 28. Oktober 1959). Der Beklagte habe im ursprünglichen Bescheid bei Bemessung des Elternrentenanspruchs der Klägerin das Einkommen ihres nicht elternberechtigten Ehegatten angerechnet Nach dem Urteil des BSG vom 5. Dezember 1956 sei jedoch, wenn von zwei Ehegatten einer Anspruch auf Elternrente habe, nur sein Einkommen - einschließlich des Geldwerts seines Unterhaltsanspruchs gegen den anderen Ehegatten - und die für einen Elternteil geltende Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Diese Entscheidung habe grundsätzlich Bedeutung, weil sie über den Einzelfall hinaus die Einheit und Fortentwicklung des Rechts fördere und für ähnlich gelagerte Fälle eine Klärung bringe. Damit seien die Voraussetzungen für einen Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG gegeben. Ein Ermessen sei der Verwaltung in dieser Vorschrift nicht eingeräumt; daher bedürfe ein Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG auch nicht der Zustimmung des Landesversorgungsamts. Seine Erteilung sei vielmehr im Interesse der sachlichen Richtigkeit der Versorgungsentscheidungen zwingend vorgeschrieben. Der neue - richtige - Bescheid dürfe deshalb auch nicht hinsichtlich seiner zeitlichen Rückwirkung begrenzt werden. Andernfalls wäre eine Vielzahl von Versorgungsberechtigten, in deren Angelegenheiten eine höchstrichterlich noch nicht zweifelsfrei geklärte Rechtsfrage Bedeutung habe, gezwungen, von allen nur möglichen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen. Dies würde aber dem in den Verfahrensordnungen erkennbaren Willen des Gesetzgebers zur tunlichen Beschränkung von Rechtsmitteln widersprechen. Schließlich müsse beachtet werden, daß § 40 Abs. 2 VerwVG aus dem Wiederaufnahmetatbestand des § 66 Abs. 1 Nr. 12 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 10. Januar 1922 idF vom 2. November 1934 (RGBl I 1113) hervorgegangen und auch im Entwurf des neuen Verwaltungsverfahrensgesetzes zunächst unter die Wiederaufnahmevorschriften des § 42 VerwVG eingereiht gewesen sei. Mit der Herausnahme aus § 42 aaO und der Einfügung in § 40 VerwVG als Abs. 2 habe der Gesetzgeber ausschließen wollen, daß eine vom BSG in einem späteren Fall vertretene, dem Versorgungsberechtigten ungünstige Rechtsauffassung zur Änderung des ursprünglichen Bescheides führe. Der Charakter eines Wiederaufnahmetatbestandes sei dem § 40 Abs. 2 VerwVG dadurch aber nicht verloren gegangen. Dies habe auch der Bundesarbeitsminister im Erlaß vom 24. September 1958 (BVBl S. 136) betont.

Revision wurde zugelassen.

II. Der Beklagte legte gegen das ihm am 10. Dezember 1959 zugestellte Urteil am 19. Dezember 1959 Revision ein und begründete diese - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) - am 10. März 1960. Entgegen der Auffassung des LSG sei die Versorgungsverwaltung nach § 40 Abs. 2 VerwVG nur verpflichtet, einen neuen Bescheid zu erteilen. Die Frage, ob dieser auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der früheren Entscheidung zurückwirke, sei im Gesetz nicht geregelt und deshalb dem Ermessen der Versorgungsverwaltung überlassen. Abweichend von § 40 Abs. 1 VerwVG sei in Abs. 2 die Zustimmung des Landesversorgungsamts nicht vorgeschrieben, weil hier eine Pflicht zum Erlaß des Zugunstenbescheids bestehe und die Frage der Rückwirkung nur zweitrangige Bedeutung habe. Die VerwV Nr. 8 zu § 40 VerwVG, die grundsätzlich an der Bindung festzuhalten gebiete, unterscheide nicht, ob der neue Bescheid auf Abs. 1 oder Abs. 2 beruhe. Wenn auch der Tatbestand des § 40 Abs. 2 aaO zunächst unter den Wiederaufnahmetatbeständen des § 42 VerwVG aufgeführt gewesen sei, so könne daraus nicht auf seinen Charakter als Wiederaufnahmetatbestand geschlossen werden. Die klassischen Wiederaufnahmetatbestände, die allein in § 42 aaO erhalten geblieben seien, bezögen sich nämlich auf die Art des Zustandekommens der fehlerhaften Entscheidung, während § 40 Abs. 2 VerwVG von der sachlichen Entscheidung selbst ausgehe. Deshalb handele es sich hier, wie auch die Einordnung in § 40 VerwVG zeige, um eine echte Zugunstenentscheidung. Sie betreffe nur Fälle, in denen eine rechtliche Zweifelsfrage bisher abweichend von der Ansicht des BSG entschieden wurde, nicht aber eklatante Fehlentscheidungen, die gebieterisch eine Berichtigung erfordern. Unter dem Gesichtspunkt der Anpassung an die Rechtsprechung des BSG und damit der einheitlichen Durchführung der Versorgungsgesetze sei es jedoch keineswegs dringlich und billig, dem Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG stets unbeschränkte Rückwirkung beizulegen und Leistungen jahrelang nachzugewähren.

Der Beklagte beantragte,

das Urteil des LSG vom 28. Oktober 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist darauf, daß eine zweifellos fehlerhafte Entscheidung nicht für einen Teilzeitraum bestehen bleiben und für einen anderen berichtigt werden könne, weil dasselbe Rechtsverhältnis nicht eine zweifache Regelung, nämlich eine rechtswidrige und eine rechtmäßige erfahren dürfe.

III. Die Revision ist - da zugelassen - statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig.

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Streitig ist die Frage, ob der Beklagte mit Recht abgelehnt hat, die Elternrente der Klägerin unter Beachtung des Urteils des BSG vom 5. Dezember 1956 (BSG 4, 165 ff) auch für die Zeit vom 1. April 1952 bis 31. Januar 1957 neu festzustellen. Revisionsziel des Beklagten ist es, seine vom SG insoweit ausgesprochene und vom LSG bestätigte Beurteilung zur Neufeststellung und damit die auf § 40 Abs. 2 VerwVG gestützte Klage zu Fall zu bringen.

Nach § 40 Abs. 2 VerwVG idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (Erstes Neuordnungsgesetz) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453), die gemäß Art. IV § 4 Abs. 1 des Gesetzes am 28. Juni 1960 in Kraft getreten ist, nach § 52 des VerwVG aber auf anhängige Sachen Anwendung findet (vgl. Schönleiter/Hennig, Komm. z. VerwVG, Erläuterung zu § 52 S. 144), ist Voraussetzung für den Anspruch auf Neufeststellung, daß das BSG in ständiger Rechtsprechung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. Die in BSG 4, 165 vom 9. Senat des BSG erstmals ausgesprochene Rechtsauffassung, daß Einkommen im Sinne des § 51 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nur das Einkommen des versorgungsberechtigten Elternteils - unter Einbeziehung des Geldwerts eines Unterhaltsanspruchs gegen den anderen Elternteilist, wich von der Rechtsmeinung des 10. Senats in BSG 1, 272 zwar ab; der 10. Senat erklärte jedoch, an seiner Auffassung nicht festhalten zu wollen und hat sich in BSG 5, 293 sowie 7, 79 derjenigen des 9. Senats angeschlossen. Das Gleiche hat der 8. Senat im Urteil vom 27. Februar 1958 (8 RV 381/55) getan. Begriff und Voraussetzung der ständigen Rechtsprechung sind damit erfüllt.

Daß aus dem Erfordernis der Zustimmung des Landesversorgungsamts zum Erlaß eines Zugunstenbescheids nichts darüber entnommen werden kann, ob es sich um Ermessensbestimmungen handelt, erweist § 40 Abs. 3 VerwVG idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453); denn dort wird die Zustimmung des Landesversorgungsamts fortan sowohl für Bescheide nach Abs. 1 als auch nach Abs. 2 vorgeschrieben. Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit der neue Bescheid nach § 40 VerwVG zurückzuwirken hat, bleibt daher - unbeschadet der Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts - die Systematik des Verwaltungsverfahrens der Kriegsopferversorgung. Danach wird ein nicht oder erfolglos angefochtener Verwaltungsakt § 24 Abs. 1 VerwVG (§ 77 SGG) zufolge für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Die Bindung der Verwaltungsbehörden tritt mit der Zustellung oder dem Zugang des Bescheids ein (§ 24 Abs. 2 VerwVG). Sie ergibt für die Verwaltung das grundsätzliche Verbot einer Abänderung zum Nachteil des Versorgungsberechtigten (BSG 10, 248; NJW 1961, 142) und für diesen den grundsätzlichen Ausschluß des Anspruchs auf Besserstellung. Ausnahmen hiervon sind nur zulässig, soweit dies durch Gesetz bestimmt ist. Neben den Vorschriften des BVG, die eine Abänderung von Bescheiden gestatten (vgl. §§ 23, 62, 63, 76 Abs. 1), enthalten die §§ 40 bis 42 VerwVG im Abschnitt XI, der kennzeichnenderweise "Berichtigung von Bescheiden" überschrieben ist, die in der Kriegsopferversorgung geltenden Ausnahmen von der Bindung nach § 24 Abs. 1 VerwVG (§ 77 SGG). Teils ermächtigen, teils verpflichten sie die Versorgungsverwaltung, die durch ihren Verwaltungsakt (Bescheid) getroffene Entscheidung abzuändern.

Was § 40 VerwVG (Zugunstenbescheid) anbetrifft, stellt dessen Abs. 1 es allgemein in das Ermessen der Verwaltungsbehörde, zugunsten des Berechtigten neuerdings in die Beurteilung eines Versorgungsfalles einzutreten ("..... kann jederzeit einen neuen Bescheid erteilen"), falls die früher getroffene Entscheidung sich nachträglich als materiell unrichtig erweist. Abs. 2 dagegen normiert die Verpflichtung und den Anspruch des Berechtigten ("..... auf Antrag ist ein neuer Bescheid zu erteilen"), wenn das BSG in ständiger Rechtsprechung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. Mithin bildet Abs. 2 des § 40 VerwVG einen selbständigen Tatbestand; er stellt keinen Unterfall des Zugunstenbescheids nach Abs. 1 dar und ist von dessen genereller Abänderungsermächtigung unabhängig. Hat aber der Versorgungsberechtigte Anspruch darauf, daß die frühere Ent Scheidung unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VerwVG zu seinen Gunsten abgeändert wird und macht er diesen durch seinen Berichtigungsantrag geltend, so muß sich die Versorgungsverwaltung die vom BSG bekundete Rechtsauffassung zu eigen machen und ihre frühere Entscheidung durch den neuen Bescheid abändern oder ersetzen, soweit das nach der für sie verbindlichen Rechtsauffassung des BSG in dem zu beurteilenden Einzelfall notwendig wird. Ob und für welche Zeit sich dabei eine Rückwirkung des neuen Bescheids ergibt, hängt grundsätzlich davon ab, wieweit die vom BSG ausgelegte Rechtsnorm und der Berichtigungsanspruch des Versorgungsberechtigten zurückreicht. Nur eine solche, auf sprachlich-grammatikalischen und logisch-systematischen Erwägungen beruhende Auslegung steht nach Meinung des Senats in Einklang mit dem objektivierten, im Gesetz selbst ausgedrückten Willen des Gesetzgebers. Zusätzlich wird diese Auffassung noch durch die Entstehungsgeschichte des § 40 Abs. 2 VerwVG bestätigt, der, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, seinerzeit zunächst unter die Wiederaufnahmefälle des § 42 aaO eingereiht war, dann aber zum Schutze der Berechtigten als besonderer (selbständiger) Tatbestand - § 40 Abs. 2 aaO - dem Zugunstenbescheid hinzugefügt worden ist. Dieser kann seiner Fassung nach auch nicht durch Nr. 8 VerwV zu § 40 VerwVG abgeändert oder eingeschränkt werden. Verwaltungsvorschriften, deren Inhalt im Gesetz keinen Ausdruck gefunden hat oder die zum gesetzlichen Wortlaut in Widerspruch stehen, sind für die Gesetzesauslegung und -anwendung unbeachtlich (vgl. BSG 4, 167 ff; 8, 130 ff, 140; 9, 158, 160). Für ein Ermessen der Versorgungsverwaltung bleibt also kein Raum; sie muß dem Anspruch des Berechtigten auf Berichtigung des früheren Bescheids nach Maßgabe der Rechtsprechung des BSG genügen.

IV. Über die richtige Auslegung einer Gesetzesbestimmung zu befinden, ist Aufgabe der Gerichtsbarkeit; letztlich ist hierzu das Revisionsgericht berufen. Da das BSG - wie eingangs unter III. dargelegt - in ständiger Rechtsprechung zu § 51 BVG entschieden hat, daß bei Bemessung der Elternrente nur das Einkommen des anspruchsberechtigten Elternteils und die für ihn geltende Einkommensgrenze zu berücksichtigen sind, entsprach der Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 1955 nicht der durch die Urteile des BSG festgestellten wahren Rechtslage. Er war, weil eine seit Inkrafttreten des BVG (1. Oktober 1950) geltende Vorschrift in falscher Auslegung, also fehlerhaft angewendet wurde, rechtswidrig. Da die vollziehende Gewalt (Verwaltung) an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes -GG-), muß sie materiell-rechtlich den gesetzmäßigen Zustand durch Rücknahme (Abänderung) ihres rechtswidrigen Verwaltungsakts wiederherstellen (vgl. Forsthoff, DÖV 1959, 41 ff). Die richtige Entscheidung ist allein diejenige, welche der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des fehlerhaften Erstbescheids entspricht (vgl. BVerwG, Entsch. 10, S. 12 ff). Der nach § 40 Abs. 2 VerwVG zwingend zu erteilende neue Bescheid muß deshalb der Klägerin das zubilligen, was ihr von Gesetzes wegen ursprünglich (ex tune) zu gewähren war; er tritt in vollem Umfang, also auch zeitlich, an die Stelle der früheren Entscheidung. Die durch die ständige Rechtsprechung des BSG "geläuterte Rechtsauffassung" vom Inhalt des § 51 BVG wirkt bis zu dessen Inkrafttreten zurück. Infolgedessen sind keine rechtlichen oder sittlichen Gründe, insbesondere auch keine tatsächlichen oder wirtschaftlichen Umstände, dafür anzuerkennen, daß die Versorgungsverwaltung einem Berechtigten Zahlungen vorenthalten dürfte, die bei fehlerfreier Gesetzesanwendung (eine "Rechtsänderung" ist nicht eingetreten) zu leisten gewesen waren. Auch etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) bietet dafür keine Grundlage; denn durch Fehlerwiederholung kann Unrecht nicht zu Recht werden (vgl. BSG 7, 78). Ferner sind bislang weder "Vertrauensschutz" noch "Bestandsschutz" bei fehlerhafter Verwaltungsausübung oder Gesetzesanwendung zu Gunsten der Versorgungsverwaltung oder des Versicherungsträgers in Rechts lehre oder Rechtsprechung (anders beim betroffenen Staatsbürger: BSG 9, 199, 203) anerkannt. Eine derartige Vorstellung erscheint schon mit dem Prinzip des sozialen Rechtsstaates (Art. 28 GG) unvereinbar, das jeder Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, in ihrem Bereich - unabhängig von den Auswirkungen für die beteiligten Behörden - für einen dem Gesetz entsprechenden Zustand zu sorgen und gesetzwidrige Ergebnisse zu vermeiden oder zu beseitigen. Im übrigen finden sich mit § 40 Abs. 2 VerwVG vergleichbare gesetzliche Tatbestände auch in verwandten Rechtsgebieten. § 1300 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zB schreibt vor, daß der Träger der Rentenversicherung, wenn er sich bei erneuter Prüfung überzeugt, daß eine Leistung zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig festgestellt worden ist, sie neu festzustellen hat. Hierzu vertreten die maßgebenden Kommentare (Dersch/Brockhoff, RVO Gesamtkomm. zu § 1300 Anm. 3; Etmer, Rentenversicherung der Arbeiter, Komm. Bd. I Anm. 2 zu § 1300) unter Berufung auf die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (AN 1932, 256) ebenfalls die Auffassung, daß der neue Bescheid in jeder Beziehung, auch zeitlich, an die Stelle der früheren Entscheidung tritt. Wenn aber bereits die "Überzeugung" eines Versicherungsträgers von der fehlsamen Versagung oder zu niedrigen Bemessung einer Leistung die Pflicht zur rückwirkenden Richtigstellung auslöst, dann muß diese Verpflichtung nicht minder gelten, wenn ein neuer Bescheid als Folge ständiger Rechtsprechung der höchsten sozialgerichtlichen Instanz zwingend gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 40 Abs. 2 VerwVG). Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Vorschrift gebieten, dem Berechtigten bis zum Erstbescheid zurück für seinen Anspruch jene Stellung zu verschaffen, die ihm ursprünglich schon von Gesetzes wegen zustand.

V. War nach alledem das Versorgungsamt zu einem neuen Bescheid für die gesamte Zeit vom 1. April 1952 an verpflichtet und durfte es die nach dem Gesetz geschuldete Leistung zeitlich nicht beschränken, so ermangelte die Ablehnung der Neufeststellung für die Zeit vom 1. April 1952 bis zum 31. Januar 1957 der Rechtsgrundlage. Insoweit ist die Klägerin beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG) und hat Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 14. Juli 1958 sowie auf die Neufeststellung.

Das LSG hat mithin zu Recht die Entscheidung des SG bestätigt, das den Beklagten unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide verurteilte, der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen, in dem die Elternrente auch vom 1. April 1952 bis zum 31. Januar 1957 neu berechnet wird.

Die Revision des Beklagten ist daher nicht begründet; sie muß nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 137

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