Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Beiträgen zur Rentenversicherung

 

Beteiligte

… Kläger und Revisionskläger

Seekasse,Hamburg 11, Reimerstwiete 2, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Streitig ist die Erstattung von Beiträgen zur Rentenversicherung.

Der 1950 geborene Kläger entrichtete vom 1. bis zum 4. August 1967 Pflichtbeiträge zur beklagten Seekasse (Rentenversicherung der Arbeiter). Vom 1. Juli 1969 bis zum 30. Juni 1971 war er Zeitsoldat (Offizier) bei der Bundeswehr; das zuständige Wehrbereichsgebührnisamt führte im Oktober 1972 die Nachversicherung durch und entrichtete für diesen Zeitraum an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Beiträge in Höhe von insgesamt 2.949,01 DM. Danach studierte der Kläger Rechtswissenschaften. Für die anschließende Beschäftigungszeit als Referendar -  1. November 1976 bis zum 6. April 1979 - entrichtete das Landesbesoldungsamt Schleswig-Holstein Nachversicherungsbeiträge in Höhe von 8.472,42 DM. Während dieser Zeit war der Kläger vom 1. März bis zum 30. November 1978 bei einer Anwaltssozietät angestelltenversicherungspflichtig tätig. Nach April 1979 übte er eine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt aus, ohne die (Pflicht-)Versicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) beantragt zu haben. Seit dem 1. Januar 1985 ist er Pflichtmitglied beim Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerk für Rechtsanwälte (RVSH).

Den im Dezember 1984 bei der BfA gestellten Antrag auf Erstattung der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge lehnte die beklagte Seekasse, an die der Vorgang zuständigkeitshalber weitergeleitet worden war, mit dem streitigen Bescheid vom 24. April 1985 ab, weil der Kläger zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei. Der Widerspruch des Klägers, der im Januar 1985 auch gemäß § 7 Abs 2 AVG die Befreiung von der Versicherungspflicht beantragt hatte, wurde durch Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1986 zurückgewiesen: Das Recht zur freiwilligen Versicherung sei nicht an die Erfüllung der Wartezeit von 60 Kalendermonaten gebunden. Der Kläger sei als selbständiger Rechtsanwalt versicherungsfrei und auch nicht auf Antrag versicherungspflichtig geworden. Deshalb könne § 7 Abs 2 AVG auf ihn nicht angewendet werden.

Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat die auf Erstattung der Hälfte der vom 1. August bis zum 4. August 1967, vom 1. Juli 1969 bis zum 30. Juni 1971 und vom 1. November 1976 bis zum 6. April 1979 geleisteten Beiträge gerichtete Klage durch Urteil vom 13. August 1987 abgewiesen. Es bestehe kein Erstattungsanspruch, weil der Kläger nach § 10 Abs 1 AVG ein Recht auf freiwillige Versicherung habe und er als selbständiger nicht versicherungspflichtiger Rechtsanwalt auch nicht zu den in § 10 Abs 1a AVG aufgeführten Personen gehöre. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat die (vom SG zugelassene) Berufung des Klägers zurückgewiesen und im Urteil vom 29. Juni 1988 ausgeführt: Die Erstattung der Nachversicherungsbeiträge scheitere bereits daran, daß der Kläger diese Beiträge nicht mitgetragen habe (§ 82 Abs 8 AVG). Aber auch hinsichtlich der anderen Beiträge bestehe aus den vom SG dargelegten Gründen kein Erstattungsanspruch. Da der Kläger seit 1978 als Rechtsanwalt nicht versicherungspflichtig gewesen sei, könne er auch nicht von der Versicherungspflicht befreit werden. Sein Recht auf freiwillige Versicherung schließe den Erstattungsanspruch aus; diese Anknüpfung des Gesetzes verstoße weder gegen Art 3 noch gegen Art 14 des Grundgesetzes (GG).

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt der Kläger vor, er erfülle zwar nach dem Wortlaut des § 10 Abs 1 AVG die Voraussetzung für die freiwillige Versicherung, sei aber der Auffassung, daß Abs 1a dieser Vorschrift auch auf ihn Anwendung finden müsse, weil er zu den von der Versicherungspflicht nach §§ 7, 8 AVG befreiten Personen gehöre. Auch wer versicherungsfrei sei, könne von der Versicherungspflicht befreit werden. Außerdem berufe er sich auf Art 3 GG. Der selbständige, auf Antrag pflichtversicherte oder angestellte Rechtsanwalt einerseits und zum anderen der selbständige Rechtsanwalt, der eine anderweitige Altersversorgung - in seinem Fall über eine Lebensversicherung - wähle, müßten derselben Regelung unterworfen sein. Im übrigen werde bei einer Nichterstattung Art 14 GG verletzt.

Der Kläger beantragt,die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 1988 sowie des Sozialgerichts Schleswig vom 13. August 1987 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 24. April 1985 und 30. Januar 1986 zu verurteilen, ihm die Hälfte der zu seinen Gunsten entrichteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 1. bis zum 4. August 1967, vom 1. Juli 1969 bis zum 30. Juni 1971 und vom 1. November 1976 bis zum 6. April 1979 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, daß nach Wortlaut, Sinn und Zweck des § 7 Abs 2 AVG nicht von der Versicherungspflicht befreit werden könne, wer bereits versicherungsfrei sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des SozialgerichtsgesetzesSGG).

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, besteht kein Anspruch auf Beitragserstattung.

Nach § 82 Abs 1 Satz 1 AVG (= § 1303 Abs 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung - RVO) ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der für die Zeit ua nach dem 20. Juni 1948 im Bundesgebiet entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht, oder wenn die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung aus einem anderem Grunde als dem Entstehen einer Versicherungspflicht in einem Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung endet. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht; denn er ist zur freiwilligen Versicherung berechtigt. Das ergibt sich aus § 10 AVG. Danach kann derjenige, der - wie der Kläger - weder nach dem AVG noch nach der RVO, dem Reichsknappschaftsgesetz oder dem Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen versicherungspflichtig ist und seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des AVG hat, für Zeiten nach Vollendung des 16. Lebensjahres freiwillige Beiträge entrichten (Abs 1 Satz 1 der Vorschrift).

Auf § 10 Abs 1a AVG, der für bestimmte Personenkreise das Recht der freiwilligen Versicherung an eine weitere Voraussetzung knüpft - und damit wegen der sich aus § 82 Abs 1 Satz 1 AVG ergebenden Wechselbeziehung zur Beitragserstattung diese erleichtert - kann sich der Kläger nicht berufen. Demzufolge gilt Abs 1 aaO für Personen, die ua nach § 6 AVG versicherungsfrei oder ua nach §§ 7 und 8 AVG von der Versicherungspflicht befreit sind, nur, wenn sie für 60 Kalendermonate Beiträge entrichtet haben. Allerdings hat der Kläger weniger als 60 Kalendermonate an Beitragszeiten zurückgelegt (nach den Feststellungen der Beklagten: 55); er ist aber entgegen seiner Auffassung nicht nach § 7 Abs 2 AVG "von der Versicherungspflicht befreit." Diese Vorschrift regelt, daß auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht Personen befreit werden, die auf Grund einer ua auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung sind, wenn für die angestellten Mitglieder nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zu entrichten sind und auf Grund dieser Beiträge Leistungen für den Fall der Invalidität und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepaßt werden. Zwar gehört das RVSH zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen des § 7 Abs 2 AVG. Der Kläger fällt aber schon deshalb nicht unter die Regelung, weil die Befreiung nicht kraft Gesetzes eintritt, sondern durch Bescheid (den nach § 7 Abs 4 AVG die BfA erläßt) ausgesprochen werden muß. Vorliegend ist zwar im Januar 1985 unter Hinweis auf § 7 Abs 2 AVG ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt worden; es ist indessen darauf kein dem Antrag entsprechender - die Befreiung bejahender - Verwaltungsakt ergangen. Da das LSG-Urteil nur den Befreiungsantrag erwähnt, liegt es nahe anzunehmen, daß dieser (noch) nicht beschieden worden ist.

In einem solchen Fall kann das Gericht das Verfahren bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle, die das "vorgreifliche" Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festzustellen hat, aussetzen (§ 114 Abs 2 SGG). Im vorliegenden Rechtsstreit besteht jedoch für eine Aussetzung kein Anlaß. Denn eine Befreiung von der Versicherungspflicht kann, worauf Beklagte und Vorinstanzen hingewiesen haben, hier nicht in Betracht kommen, weil der Kläger schon seit Jahren als selbständiger Rechtsanwalt nicht versicherungspflichtig gewesen ist. Die während des Revisionsverfahrens nochmals aufgeworfene Frage, ob jemand von der Versicherungspflicht gemäß § 7 Abs 2 AVG befreit werden kann, der bereits versicherungsfrei ist, stellt sich in Wahrheit nicht. Zunächst ist festzuhalten, daß der Kläger als selbständiger Rechtsanwalt (der von der Möglichkeit der Antragspflichtversicherung keinen Gebrauch gemacht hat, vgl § 2 Abs 1 Nr 11 AVG) nach der Terminologie des Gesetzes nicht "versicherungsfrei" ist (sonst müßte er unter die Grundregelung des § 2 AVG fallen, aber kraft Gesetzes von der Versicherungspflicht freigestellt sein, vgl §§ 4, 6 AVG), sondern "nicht versicherungspflichtig"; denn er unterliegt schon nicht der Grundregel des Art I § 2 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV).

Es bedarf keiner Erörterung, daß begriffslogisch und sprachlich-logisch jemand, der nicht versicherungspflichtig ist, auch nicht von der Versicherungspflicht befreit werden kann. Normzweck und Sinn des § 7 Abs 2 AVG bestätigen das. Da bestimmte Personengruppen grundsätzlich zwei Versicherungs- bzw Versorgungssystemen unterworfen sein können mit daraus resultierender Doppelbelastung (allerdings auch Doppelversorgung), räumt § 7 Abs 2 AVG die Möglichkeit ein, sich von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung befreien zu lassen. Eine solche Fallkonstellation bestand beim Kläger indessen nicht.

Entfällt aber mithin die Anwendung des § 7 Abs 2 AVG auf den Kläger und damit auch, wie erörtert, die des § 10 Abs 1a AVG, verbleibt es also beim Recht auf freiwillige Versicherung nach § 10 Abs 1 AVG, so besteht kein Anspruch auf Beitragserstattung nach § 82 Abs 1 Satz 1 AVG.

Die gefundene Lösung verstößt nicht gegen das Willkürverbot des Art 3 GG. Soweit der Kläger meint, die Personengruppen des auf Antrag oder auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses pflichtversicherten Rechtsanwalts zum einen und eines selbständigen Rechtsanwalts andererseits müßten wegen der Identität der Sachverhalte gleichgeregelt werden, verkennt er, daß aus der Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung - auf die es ankommt - die Ausgangspositionen gerade unterschiedlich sind, wie oben im Zusammenhang mit § 7 Abs 2 AVG dargelegt worden ist. Im übrigen erhält auch ein Großteil derjenigen Rechtsanwälte, die versicherungspflichtig gewesen sind und sich (mit Erfolg) nach § 7 Abs 2 AVG von der Versicherungspflicht haben befreien lassen, gleichwohl - ebenso wie der Kläger - die Beiträge nicht erstattet, nämlich dann, wenn sie für (mindestens) 60 Kalendermonate Beiträge entrichtet haben (§ 10 Abs 1a iVm Abs 1 Satz 1 AVG).

Art 14 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Abgesehen davon, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sozialversicherungsrechtliche Rechtspositionen bisher als Eigentum nur garantiert worden sind, soweit es sich um Ansprüche oder Anwartschaften auf Leistungen handelt, nicht aber die hierfür entrichteten Beiträge (vgl BVerfGE 53, 257, 285 f; 69, 272, 304; 72, 9), während noch nicht entschieden ist, ob auch ein Anspruch auf Beitragserstattung von Art 14 Abs 1 GG geschützt wird, handelt es sich bei der Beitragserstattung der Rechtsprechung des BVerfG zufolge nicht um einen Rechtsanspruch, der ohne ausdrückliche Regelung aus dem Versicherungsverhältnis abgeleitet werden könnte. Das Risiko, bei Nichterfüllung der zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen den Versicherungsschutz zu verlieren, gehört vielmehr zum Wesen der Versicherung. Die Beitragserstattung ist eine besondere Billigkeitsregelung, die dem Versicherten das Gefühl ersparen soll, seine Beiträge "umsonst" geleistet zu haben (vgl BVerfGE 22, 349, 366 f). In diesem Zusammenhang kann schließlich auch berücksichtigt werden, daß der Kläger unter Zugrundelegung der von der Beklagten getroffenen Feststellungen mit nur fünf (freiwilligen) Monatsbeiträgen die Anwartschaft auf ein Altersruhegeld bei Vollendung des 65. Lebensjahres erwirbt (§ 25 Abs 5 iVm Abs 7 Satz 3 AVG).

Nach alledem konnte die Revision keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517925

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge