Leitsatz (amtlich)

Der in RKG § 41 (= RVO § 1242) angeordnete Ausschluß von Rente während der Rehabilitation gilt nur, wenn die Rehabilitationsmaßnahme von einem Rentenversicherungsträger durchgeführt wird.

 

Normenkette

RKG § 40 Fassung: 1969-07-28, § 41 Fassung: 1957-05-21, § 43a Fassung: 1969-07-28, § 47 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1524 Fassung: 1925-07-14, § 1242 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1972 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die dem Kläger mit Bescheiden vom 14. November und 15. Dezember 1969 für die Zeit vom 12. Oktober 1967 an gewährte Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vom 1. Oktober 1966 bis zum 11. Oktober 1967 zu zahlen ist.

Der Kläger erkrankte am 28. Oktober 1966 an einer aktiven Tuberkulose. Vom 7. November 1966 bis zum 3. Mai 1967 wurde er im S.-E-K in O und vom 14. Juni 1967 bis zum 11. Oktober 1967 in der Klinik für Erkrankungen der Atmungsorgane in B stationär behandelt. Da die Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) die Krankheit zunächst nicht als Berufskrankheit anerkannte, übernahm die Beklagte im Rahmen der Tuberkulosehilfe des § 43 a Reichsknappschaftsgesetz (RKG) unter Anmeldung evtl. Ersatzansprüche an die BBG die Kosten der Behandlung und zahlte dem Kläger auch Übergangsgeld. Am 29. Dezember 1966 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente.

Nachdem die BBG die Silikotuberkulose als Berufskrankheit anerkannt und ab 1. Dezember 1966 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. bewilligt hatte, erstattete sie der Beklagten die erbrachten Leistungen. Auch das Übergangsgeld wurde im Einverständnis mit dem Kläger aus den Nachzahlungen an Verletztenrente erstattet. Unerstattet blieb lediglich ein dem Kläger gezahltes zusätzliches Taschengeld in Höhe von 387,40 DM, über das in diesem Verfahren aber nicht gestritten wird. Die Beklagte hat in ihren Bescheiden vom 14. November und 15. Dezember 1969 die Ansicht vertreten, sie könne dem Kläger die Rente wegen der Erwerbsunfähigkeit erst nach Beendigung der letzten stationären Heilbehandlung in B am 11. Oktober 1967, also ab 12. Oktober 1967 zahlen, weil bis zu diesem Zeitpunkt § 41 RKG Anwendung finden müsse. Daher hat sie den vom Kläger gegen die genannten Bescheide eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1970 zurückgewiesen.

Die vom Kläger erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg mit Urteil vom 12. Oktober 1970 abgewiesen. Auf die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 7. September 1972 das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vom 1. Oktober 1966 bis zum 11. Oktober 1967 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Wenn die BBG die von ihr zu erbringenden Leistungen von Anfang an erbracht hätte, dann hätte dem Kläger neben den Ansprüchen an die BBG auch vom 1. Oktober 1966 an ein Anspruch auf Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit zugestanden. Die Knappschaftsrente hätte lediglich zu einem Teil geruht (§ 75 RKG). Den Anspruch auf Knappschaftsrente könne der Kläger nicht für die Zeit bis zur Klärung der Zuständigkeit verloren haben. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen, die von der Beklagten eingelegt worden ist.

Die Beklagte trägt zur Begründung der Revision vor, die Ansicht des LSG widerlaufe deutlich dem Zweck, den der Gesetzgeber mit den Rehabilitationsvorschriften verfolge. Übergangsgeld und darin eingeschlossen sämtliche Kosten der Maßnahmen sollten an Stelle von Rente gewährt werden, um eine Beeinträchtigung des Erfolgs der Rehabilitationsmaßnahmen zu verhindern, die eintreten könnte, wenn dem Versicherten schon vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme oder während ihrer Dauer eine Rente gewährt würde.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12. Oktober 1970 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält die Rechtsauffassung des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die statthafte und frist- und formgerecht eingelegte Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Der Kläger ist seit seiner Erkrankung an aktiver Silikotuberkulose im Oktober 1966 erwerbsunfähig i. S. des § 47 Abs. 2 RKG (= § 1247 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -). Darüber besteht unter den Beteiligten kein Streit. Ebenso nicht darüber, daß dem Kläger dann, wenn ihm deshalb Rente zu zahlen wäre, diese nach § 82 Abs. 1 RKG in der im Jahre 1966 geltenden Fassung (aF) bereits ab 1. Oktober 1966 gezahlt werden müßte, weil der im Dezember 1966 gestellte Antrag innerhalb der Dreimonatsfrist des § 82 Abs. 1 RKG aF gestellt worden ist. Streitig ist jedoch, ob der Rentenanspruch durch § 41 RKG ausgeschlossen ist.

Nach § 41 RKG (= § 1242 RVO) besteht für die Dauer der Durchführung von Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (Rehabilitationsmaßnahmen) kein Anspruch auf Knappschaftsrente; das gleiche gilt für den Zeitraum vor Beginn der Durchführung solcher Maßnahmen, für den nach § 40 Abs. 1 Satz 2 RKG Übergangsgeld zu zahlen ist. Eine Ausnahme hiervon gilt lediglich dann, wenn die Rente bereits vor Beginn der Maßnahme bewilligt war, was hier jedoch nicht geschehen ist. Die Regelung des § 41 RKG ist Ausdruck des Grundgedankens des Gesetzgebers, den Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit den Vorrang vor Rentenleistungen zu geben. Es soll durch die in § 41 RKG getroffene Regelung die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Erfolgs der Rehabilitationsmaßnahmen verhindert werden, die eintreten könnte, wenn dem Versicherten schon vor Beginn dieser Maßnahmen oder während ihrer Dauer eine Rente gewährt würde, die sein Interesse an einer ernsthaften Mitarbeit an den Rehabilitationsmaßnahmen schwächen könnte. Anstelle der Rente ist in diesen Fällen nach § 40 Abs. 1 RKG Übergangsgeld zu zahlen. Durch § 41 RKG war daher eine Rentengewährung ausgeschlossen, solange die Beklagte die Rehabilitationsmaßnahmen (einschließlich der Zahlung des Übergangsgeldes) im Rahmen des § 43 a RKG durchführte.

Als sich jedoch später herausstellte, daß der Kläger an einer Berufskrankheit, einer Silikotuberkulose litt, ist die BBG ihrer sich aus § 1524 Abs. 1 RVO ergebenden Verpflichtung nachgekommen und hat der Beklagten die durch die Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen entstandenen Auslagen erstattet. Nunmehr kann sich die Beklagte gegenüber dem Kläger nicht mehr darauf berufen, daß sie ursprünglich die Maßnahmen durchgeführt hat. Das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Rechtsverhältnis ist nunmehr nach § 1524 Abs. 2 Satz 2 RVO so zu beurteilen, als ob die BBG die Rehabilitationsmaßnahmen von Anfang an durchgeführt hätte. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher jetzt von der Frage ab, ob § 41 RKG nur anwendbar ist, wenn ein Rentenversicherungsträger die Rehabilitationsmaßnahmen durchführt, oder, wie die Beklagte meint (so auch Miesbach/Busl, RKG, Anm. 1, letzter Absatz zu § 41 RKG), in allen Fällen für die Dauer der Durchführung von Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit kein Anspruch auf Rente besteht, also auch dann nicht, wenn die Heilbehandlung von Berufsgenossenschaften, Versorgungsbehörden oder sonstigen Stellen im Rahmen ihrer eigenen Verpflichtung und Zuständigkeit durchgeführt wird.

§ 41 RKG (= § 1242 RVO = § 19 AVG) gehört zu dem Unterabschnitt "Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit", zu dem die §§ 35 bis 43 a RKG (= §§ 1236 bis 1244 a RVO = §§ 13 bis 21 a AVG) zusammengefaßt sind. Diese Unterabschnitte befassen sich mit den Rehabilitationsmaßnahmen, die die Rentenversicherungsträger durchführen können, wie sich ausdrücklich z. B. aus § 35 Abs. 1 RKG (= § 1236 Abs. 1 RVO, § 13 Abs. 1 AVG) und § 40 Abs. 1 RKG (= § 1240 Abs. 1 RVO, § 18 Abs. 1 AVG) ergibt. Daraus ist zu folgern, daß sich auch § 41 RKG nur auf Maßnahmen bezieht, die von den Rentenversicherungsträgern durchgeführt werden, zumal der in § 41 letzter Halbsatz RKG geregelte Rentenausschluß für den Zeitraum vor Beginn der Durchführung solcher Maßnahmen ausdrücklich auf § 40 Abs. 1 Satz 2 RKG Bezug nimmt und weiterhin bestimmt ist, daß für diesen Zeitraum Übergangsgeld zu zahlen ist, ein solches ist aber nur zu zahlen, wenn die Rehabilitationsmaßnahmen von einem Rentenversicherungsträger durchgeführt werden. Nur dann, wenn der Rentenversicherungsträger die Rehabilitationsmaßnahmen selbst durchführt, wird er von der an sich bestehenden Verpflichtung zur Rentenleistung befreit, weil er dafür eine andere Leistung, das Übergangsgeld, zu erbringen hat; er muß dem Betreuten anstelle von Rente Übergangsgeld zahlen. Es kann aber nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber den Betreuten in Fällen, in denen Rehabilitationsmaßnahmen von anderen Stellen als den Rentenversicherungsträgern selbst durchgeführt werden, die sich aus der Rentenversicherung ergebenden Rentenansprüche ohne jede Ersatzleistung nehmen wollte.

Daraus ergibt sich, daß im vorliegenden Falle die Beklagte dem Kläger die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit vom 1. Oktober 1966 bis zum 11. Oktober 1967 zu zahlen hat, so daß die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden muß. Es kann dahingestellt bleiben, ob nunmehr die BBG nach § 580 RVO den Anspruch auf Verletztenrente ab 1. Oktober 1966 statt ab 1. Dezember 1966 anzuerkennen hat. Soweit jedenfalls die knappschaftliche Versichertenrente mit der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusammentrifft, greift die Ruhensregelung des § 75 RKG ein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1646937

BSGE, 141

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