Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob ärztlich angeordnete, von Hilfspersonen verabfolgte Heißluftbäder und Massagen als ärztliche Behandlung oder als Heilmittel anzusehen sind.

 

Normenkette

RVO § 122 Fassung: 1924-12-15, § 182 Fassung: 1957-06-26; RVABest 1936 § 18

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 18. November 1958 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ersatzansprüche im Gesamtbetrag von 43,50 DM geltend. Diese Ansprüche begründet sie mit den Aufwendungen für Massagen, Licht- und Heißluftbäder, welche in den Jahren 1953/54 den Unfallverletzten, bei der Beklagten versicherten Kassenmitgliedern Johannes F., Elsa K. und Rolf S. auf kassenärztliche Anordnungen verabreicht wurden. Die Klägerin sah diese Leistungen als Heilmittel an und hielt, soweit die Aufwendungen hierfür im Einzelfall den satzungsmäßigen Höchstbetrag von 45.- DM überschritten, die Beklagte für ersatzpflichtig. Die Beklagte, die im übrigen die Ersatzansprüche der Klägerin anläßlich der drei Arbeitsunfälle gemäß §§ 1505, 1509 der Reichsversicherungsordnung in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung (RVO aF) befriedigte, meinte indessen, die den Verletzten gewährten Massagen und Bäder gehörten zur ärztlichen Behandlung im Sinne des § 122 RVO und seien demnach bereits abgegolten durch die von ihr hierfür erstatteten Pauschbeträge von je 16.- DM (§ 18 der Bestimmungen des Reichsversicherungsamts - RVA - über ... Ersatzleistungen zwischen Krankenkassen, Ersatzkassen und Trägern der Unfallversicherung vom 19. Juni 1936 (AN 1936, 195, 198) i. V. m. Buchstabe b des Vereinfachungserlasses des Reichsarbeitsministers - RAM - vom 27. Januar 1944 (AN 1944, 17)).

Die Klägerin hat mit ihrer daraufhin erhobenen Klage beantragt, die Beklagte zum Ersatz der Aufwendungen für Massagen und Heißluftbehandlungen bei den genannten drei Versicherten zu verurteilen. Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat diese Versicherten als Zeugen darüber gehört, worin ihre Behandlungen bestanden, wie oft, in wessen Räumen und durch wen sie verabfolgt wurden und ob die Tätigkeiten der Hilfspersonen von den behandelnden Ärzten überwacht wurden. Das SG hat durch Urteil vom 7. November 1956 die Klage abgewiesen: Zur ärztlichen Behandlung seien auch die durch Hilfspersonen verabreichten Massagen, Bäder und Bestrahlungen zu rechnen, wenn - wie es hier der Fall gewesen sei - der Arzt solche Heilmaßnahmen regelmäßig in Abständen auf ihre Wirksamkeit kontrolliere und seine weiteren Anordnungen danach einrichte.

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat durch Urteil vom 18. November 1958 die zugelassene Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Der von der Klägerin zur Begründung ihres Ersatzanspruchs vertretene Standpunkt finde in der Rechtsprechung des RVA keine Stütze. Das RVA habe vielmehr in mehreren grundsätzlichen Entscheidungen (AN 1915, 633 Nr. 2069; 1916, 482 Nr. 2193; 1925, 162 Nr. 2847) die von Hilfspersonen nach Anweisung und unter Überwachung des behandelnden Arztes durchgeführten Heilmaßnahmen als ärztliche Behandlungen anerkannt. Die spätere Entscheidung (EuM 35, 322), in der das RVA eine engere Auffassung vertreten habe, sei nicht überzeugend. Aus Sinn und Zweck des § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO sei nicht zu folgern, daß der behandelnde Arzt bei der Durchführung der Heilmaßnahmen persönlich mitwirkend, anleitend oder beaufsichtigend tätig sein müsse; den Erfordernissen dieser Vorschrift sei vielmehr genügt, wenn der Arzt vorher die entsprechenden Anordnungen gebe und dann in angemessenen Zeitabständen durch persönliche Untersuchungen Wirkung und Heilerfolg überprüfe. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 18. Dezember 1958 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Januar 1959 Revision eingelegt und sie am 10. Februar 1959 begründet. Sie macht geltend, die vom LSG angenommene Divergenz zwischen der RVA-Entscheidung vom 19. Dezember 1933 (EuM 35, 322) und der älteren Rechtsprechung bestehe nicht; vielmehr ließen schon die früheren Entscheidungen erkennen, daß der Begriff der ärztlichen Behandlung nicht so weit auszudehnen sei, wie das LSG gemeint habe. Die hier streitigen Massagen, Licht- und Heißluftbäder seien nicht als ärztliche Behandlung, sondern als "größere Heilmittel" (§ 193 Abs. 2 RVO) anzusehen, welche durch den Pauschbetrag für ambulante Behandlung nicht mit abgegolten seien. Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Zahlung von 43,50 DM an die Klägerin als Ersatz für die Aufwendungen anläßlich der Arbeitsunfälle der Kassenmitglieder F., K. und S. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.

II

Die Revision der Klägerin ist statthaft und zulässig, sie hatte auch Erfolg.

Da die Arbeitsunfälle, die zur Geltendmachung des Klageanspruchs den Anlaß bildeten, sich etwa 9 bis 10 Jahre von dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (UVNG) ereignet haben, wird die Entscheidung des Rechtsstreits von der in diesem Gesetz (Art. 2 Nr. 9 UVNG) enthaltenen neuen Regelung der Ersatzleistungen zwischen Trägern und Unfallversicherung (UV) und der Krankenversicherung (KrV) (§ 1504 Abs. 1 Satz 2 RVO nF) nicht berührt (vgl. Art. 4 § 4 UVNG). Rechtsgrundlagen sind hier vielmehr noch die §§ 1505, 1507, 1509 RVO aF sowie die - als Bundesrecht wirksam gebliebenen (vgl. BSG 14, 233) - RVA - Bestimmungen vom 19. Juni 1936 (aaO) i. V. m. dem RAM-Erlaß vom 27. Januar 1944 (aaO); dieser Erlaß sollte zwar ursprünglich nur bis zum Ablauf des auf das Kriegsende folgenden Kalenderjahres gelten; seine Wirksamkeit ist jedoch später über diesen Zeitpunkt hinaus auf unbegrenzte Dauer verlängert worden (Ziff. III 3 der Sozialversicherungsordnung - SVA - Nr. 13 vom 28. Juli 1947 (ArbBl. d. brit. Zone 1947, 240); vgl. auch Lauterbach, UVm 2. Aufl., Anm. 2 a, bb, III zu § 1505, S. 391; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-6. Aufl. Bd. III S. 964 b, c).

Nach § 1509 Abs. 1 RVO aF hat die Beklagte der Klägerin die von dieser gemachten Aufwendungen, welche nach §§ 1505, 1507 RVO aF zu Lasten des UV-Trägers gehen, zu ersetzen. Nach § 1505 RVO aF trägt die Krankenkasse u. a. die Aufwendungen für Heilverfahren - dies bedeutet nach § 1507 Nr. 2 RVO aF: Krankenpflege im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO - während der ersten 45 Tage nach dem Unfall, soweit sie nicht über das hinausgehen, was die Krankenkasse auf Grund der KrV zu leisten hat; im übrigen fallen die Aufwendungen dem UV-Träger zur Last. Da nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO die von der Krankenkasse zu gewährende Krankenpflege die ärztliche Behandlung und die Versorgung mit Arznei sowie ... kleineren Heilmitteln umfaßt, kann der Klaganspruch nur begründet sein, soweit die Aufwendungen der Klägerin für Massagen und Bäder diesen Rahmen überschreiten. Die innerhalb dieses Rahmens liegenden Aufwendungen sind mit dem Pauschsatz von 16,- DM abgegolten, der - ebenso wie vorher der gemäß § 18 der RVA-Bestimmungen für jeden Kalendertag der Behandlungszeit zu erstattende Betrag von 0,70 RM - als Aufwendungen für ambulante Behandlung die Kosten der ärztlichen Behandlung, der Arzneien und der Heilmittel umfaßt (vgl. Lauterbach aaO S. 392). Hiernach kommt es ausschlaggebend darauf an, ob es sich bei den streitigen Aufwendungen um Heilmittel kosten handelt - als solche wären sie von der Klägerin auf Grund der KrV (§ 193 Abs. 1, 2 RVO i. V. m. Ziff. 1 der SVA Nr. 30 vom 5. Dezember 1947, ArbBl. d. brit. Zone 1947, 425) nur im Betrage der in ihrer Satzung festgelegten Höchstgrenze für kleinere Heilmittel zu gewähren, während "im übrigen" gemäß § 1505 Abs. 1 Satz 1 RVO aF diese Aufwendungen der Beklagten zur Last fallen müßten - oder ob sie als Koste ärztlicher Behandlung anzusehen sind. Der Begriff der ärztlichen Behandlung ist nicht auf solche Verrichtungen beschränkt, welche der Arzt eigenhändig ausführt; er umfaßt vielmehr nach der für den Gesamtbereich der Sozialversicherung geltenden Vorschrift des § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO auch die von den dort aufgeführten Hilfspersonen - darunter auch Masseuren - auszuübenden Heilmaßnahmen, soweit diese - wie die Rechtsprechung von jeher vorausgesetzt hat - als unselbständige Hilfeleistungen anzusehen sind (vgl. RVA GrE. Nr. 2847 aaO). Die Vorinstanzen sind der Meinung, dieses Merkmal sei bei Heißluft- und Massagebehandlungen gegeben, wenn sie vom Arzt angeordnet und in angemessenen Zeitabständen auf ihre Wirkungen überprüft, im übrigen jedoch ohne persönliche Mitwirkung des Arztes von einer Hilfsperson ausgeführt würden (ebenso Noeske ZfS 1955, 201). Dieser Meinung pflichtet der erkennende Senat nicht bei.

Bei der Abgrenzung zwischen der ärztlichen Behandlung und der Verabreichung von Heilmitteln kommt es darauf an, ob das Heilmittel und seine Bedeutung gegen die persönliche Tätigkeit des Arztes so sehr zurücktritt, daß die ganze therapeutische Leistung einheitlich als ärztliche Behandlung zu beurteilen ist (RVA aaO; Brackmann aaO Bd. II S. 384 d). Dies ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall, wenn - wie es hier das LSG als ausreichend angesehen hat - der Arzt sich nur in gewissen Abständen durch persönliche Untersuchungen des Patienten ein Urteil über die Wirkungen der inzwischen von der Hilfsperson ausgeführten Massagen und Heißluftanwendungen verschafft. Zwar ließe sich auch hierbei noch die Ansicht vertreten, daß der Arzt die Tätigkeit der Hilfsperson "überwacht"; unter ärztlicher "Überwachung" der von den Hilfspersonen verrichteten Tätigkeiten könnte man sowohl eine dauernde persönliche Beaufsichtigung als auch lediglich nachträgliche Kontrollen durch den behandelnden Arzt (so auch Noeske aaO) verstehen. Die Verwendung dieses mehrdeutigen Ausdrucks in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. auch Brackmann aaO S. 386 b; Peters, Handbuch der KrV, 16. Aufl. Teil 2, Anm. 4 a zu § 182) trägt jedoch zu einer klaren Abgrenzung nur wenig bei und läßt auch, wie dem LSG einzuräumen ist, die Rechtsprechung des RVA nicht immer ganz gradlinig erscheinen. In der vom LSG ablehnend gewürdigten RVA-Entscheidung (EuM 35, 322, 326) heißt es dagegen unmißverständlich, eine der ärztlichen Behandlung noch zuzurechnende Beteiligung des Arztes bei der Durchführung der von ihm verordneten Heilmaßnahmen sei jedenfalls dann nicht mehr anzunehmen, wenn der Arzt sechs Lichtbäder mit Massagen verordne und sich dann erst nach Verabreichung derselben von ihrer Wirkung auf den Patienten überzeuge. Hieran anknüpfend hat das RVA in einem Bescheid vom 6. Juni 1939 (AN 1939, 412; siehe auch Schreiben des RAM vom 11. Mai 1940, AN 1940, 162) ausgeführt, eine unter Hinzuziehung von Hilfspersonen zu leistende Heilmaßnahme sei nur dann als ärztliche Behandlung anzusehen, wenn der Arzt bei ihrer Durchführung selbst anleitend, mitwirkend oder beaufsichtigend tätig werde; zweifellos ist hierbei unter "Anleitung" eine auf die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalles abgestellte besondere ärztliche Weisung, nicht dagegen lediglich allgemein die "Verordnung" der Heilmaßnahme an sich bzw. einer gewissen Anzahl von solchen zu verstehen. Diese Betrachtungsweise eröffnet auch ein genaueres Verständnis der früheren RVA-Rechtsprechung, welche das LSG zur Rechtfertigung seines Standpunktes glaubte anführen zu können, insbesondere der GrE Nr. 2847 (aaO). Hierbei ist noch vor allem zu berücksichtigen, daß es sich damals um die Beurteilung der Diathermie- und Höhensonnenbehandlung handelte, welche nach Auffassung des RVA (siehe auch Entscheidung vom 12. September 1936, DOK 1937, 131) wegen der mit dieser Therapie verbundenen besonderen Risiken ohne eine besonders enge persönliche Mitwirkung des Arztes nicht durchführbar erschien. Wegen dieser Besonderheit sind also die letztgenannten Entscheidungen kaum geeignet, den vom LSG vertretenen Standpunkt zu stützen.

Für die "ärztliche Behandlung" im Sinne des § 122 RVO genügen hiernach die vom LSG aufgestellten Erfordernisse nicht. Vielmehr muß eine intensivere Beteiligung des Arztes an den Verrichtungen der Hilfspersonen verlangt werden. Dabei braucht es sich nicht um ein - in der Praxis kaum ernstlich zu erwartendes - persönliches Dabeisein des Arztes zu handeln. Dem Kriterium der persönlichen Anleitung oder Beaufsichtigung des die ärztliche Anordnung ausführenden Masseurs durch den behandelnden Arzt genügt es vielmehr noch, wenn der Arzt sich sogleich bei jeder einzelnen Heilmaßnahme - nicht erst nach einer Serie von mehreren solcher Maßnahmen - von der Wirkung der Therapie überzeugt, was nicht allein durch persönliche Untersuchung des Patienten, sondern - je nach Lage des Falles - auch durch Rücksprache mit der Hilfsperson erfolgen kann.

Die bisher getroffenen Feststellungen ermöglichen keine abschließende Beurteilung der Frage, ob bei Anwendung dieses Maßstabes die den Unfallverletzten F., K. und S. verabreichten Heißluft- und Massageanwendungen als ärztliche Behandlungen oder als Heilmittel anzusehen sind. Zur Klärung des Sachverhalts dürften die Vernehmungen der drei Verletzten schon deshalb nicht ausgereicht haben, weil diese über eine nicht in ihrem Beisein- unter Umständen fernmündlich - erfolgte Rücksprache zwischen Arzt und Masseur naturgemäß nichts bekunden konnten. Das LSG wird daher Anlaß haben, in dieser Richtung weitere Ermittlungen durch Befragung der beteiligten Ärzte und Hilfspersonen vorzunehmen.

Die Sache war daher an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes). Dieses wird in seiner abschließenden Entscheidung auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379886

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