Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückforderung von Leistungen. Ermessensausübung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die vorbehaltene Rückforderung von Leistungen nach dem 2. Sonderprogramm für Schwerbehinderte darf nach dem 1.1.1981 nur innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 erfolgen (Fortführung von BSG vom 30.10.1985 - 11b/7 RAr 30/84 = SozR 3870 § 8 Nr 2).

2. Beim Rückforderungsanspruch beginnt die Verjährungsfrist nach § 50 Abs 4 S 1 SGB 10 erst mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Erstattungsbescheides.

 

Orientierungssatz

Ist die Rückforderung zwingend vorgeschrieben, so entsteht die Rückforderung mit Erfüllung des Rückforderungstatbestandes und es ist sinnvoll, die Verjährung mit diesem Zeitpunkt beginnen zu lassen, wie dies § 222 AFG aF vorsah. Steht die Rückforderung indes im Ermessen der Behörde, so entsteht der Rückforderungsanspruch erst mit einer entsprechenden Ermessensausübung im Rückforderungsbescheid (vgl BSG Urteil vom 27.4.1989 - 11/7 RAr 93/87), so daß es nicht systemwidrig ist, wenn die Verjährung erst in diesem Zeitpunkt beginnt.

 

Normenkette

SGB 10 § 45 Abs 4 S 2, § 50 Abs 4 S 1; AFG § 222; SchwbArbAusbPlRL

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.09.1987; Aktenzeichen L 10 Ar 180/86)

SG Hannover (Entscheidung vom 17.04.1986; Aktenzeichen S 8 Ar 369/83)

 

Tatbestand

Der Kläger war zusammen mit W. Z. Inhaber der nicht eingetragenen Firma R. und Z. - Immobilien, Versicherungen und Beratungen - in H       . Die Beklagte bewilligte der Firma auf deren Antrag im Mai 1978 einen Förderbetrag als Zuschuß in Höhe von 8.400,-- DM nach den Richtlinien des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) zur Durchführung des zweiten Sonderprogrammes des Bundes und der Länder zur verstärkten Bereitstellung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte hinsichtlich der Einstellung der Büroangestellten D. ab 16. Mai 1978. Der Bescheid verpflichtete die Firma entsprechend ihrer im Antrag übernommenen Selbstverpflichtung, den Zuschuß in einem Betrag zurückzuzahlen, wenn der geförderte Arbeitsplatz innerhalb der ersten sechs Monate nicht mit einem zusätzlich eingestellten Schwerbehinderten besetzt sei. In der Leistungsakte der Beklagten befindet sich die Kopie eines Bescheides vom 13. Oktober 1978 mit dem Stempel "Abgesandt am: 13.10.78" mit dem die Firma zur Rückzahlung des Förderbetrages von 8.400,-- DM aufgefordert wird, weil Frau D. innerhalb von sechs Monaten aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Im Januar 1983 übersandte das Landesarbeitsamt (LAA) Schleswig-Holstein-Hamburg, das die Forderungen der Arbeitsämter aus den Landesarbeitsamtsbezirken Schleswig-Holstein-Hamburg und Niedersachsen-Bremen im maschinellen Verfahren einzieht, dem Kläger eine Kopie des Rückforderungsbescheides vom 13. Oktober 1978. Der Widerspruch des Klägers wurde als verspätet zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1983).

Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 17. April 1986; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 10. September 1987). Die vom Kläger erhobene Verjährungseinrede sei unbegründet, da die Verjährung nach § 50 Abs 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB 10) erst mit der Unanfechtbarkeit des Erstattungsbescheides beginne.

Der Kläger rügt, die am Wortlaut haftende Auslegung belasse es für die Zeit bis zum Erlaß des Erstattungsbescheides bei einem völlig verjährungsfreien Raum und laufe damit allgemeinen Rechtsprinzipien zuwider.

Der Kläger beantragt,

in Abänderung der Urteile erster und zweiter Instanz den Rückforderungsbescheid vom 13. Oktober 1978 und den Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1983 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des Klägers sind die Urteile der Vorinstanzen und der angefochtene Rückforderungsbescheid aufzuheben, da die Beklagte - unabhängig von der Frage der Verjährung des Rückforderungsrechts - den Rückforderungsbescheid nicht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der die Rückforderung rechtfertigenden Tatsachen erlassen hat (§§ 50, 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10).

Der Rückforderungsbescheid vom 13. Oktober 1978 ist dem Kläger erst im Januar 1983 und damit nach dem Inkrafttreten des SGB 10 (1. Januar 1981) bekanntgegeben worden. Beide Vorinstanzen haben es als nicht bewiesen angesehen, daß der Bescheid schon vor der erneuten Übersendung mit Schreiben vom 25. Januar 1983 dem Kläger zugegangen ist. Die Revisionsbeklagte hat dies nicht mit Gegenrügen angegriffen. Der Bescheid vom 13. Oktober 1978 ist daher erst mit seiner Bekanntgabe im Januar 1983 wirksam geworden (§§ 37, 39 SGB 10).

Bei Bekanntgabe des Rückforderungsbescheides im Januar 1983 nach dem Inkrafttreten des SGB 10 durfte eine Rückforderung von Zuschüssen nach dem zweiten Sonderprogramm für Schwerbehinderte gemäß § 50 SGB 10 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 nur innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der Behörde von den Tatsachen, die die Rückforderung rechtfertigen, erfolgen. Die für die Rücknahme eines Bewilligungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit zu beachtende Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 gilt für die Rückforderung einer ohne Bewilligungsbescheid gewährten Leistung nach § 50 Abs 2 SGB 10 entsprechend. Die bei der Bewilligung der Zuschüsse vor Inkrafttreten des SGB 10 vorbehaltene Rückforderung kann auch nach dem Inkrafttreten des SGB 10 ausgeübt werden, erfordert aber nunmehr die Ausübung des Rückforderungsermessens nach Maßgabe des § 50 SGB 10, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 3870 § 8 Nr 2). Darüber hinaus ist auch die Jahresfrist des § 45 Abs 4 SGB 10 als Ausdruck eines das neue Recht beherrschenden Rechtsgrundsatzes zu beachten. Die für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 zu beachtende Jahresfrist gilt nach § 48 Abs 4 auch für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei einer Änderung der Verhältnisse und nach § 50 Abs 2 SGB 10 für die Rückforderung von Leistungen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind. Dem steht nicht entgegen, daß der Widerruf aufgrund eines Widerrufsvorbehalts nach § 47 SGB 10 eine Jahresfrist nicht kennt. Denn nach dieser Vorschrift ist ein Widerruf nur mit Wirkung für die Zukunft zulässig, während der Grundsatz der Jahresfrist nur die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ergreift.

Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings zur Rückforderung einer Subvention entschieden, mit dem Widerruf des Bewilligungsbescheides werde der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Subvention auch dann beseitigt und der Rückforderungsanspruch ausgelöst, wenn der Widerruf erst seit dem Zeitpunkt seiner Erklärung, also nicht für die Vergangenheit wirke (Urteil vom 11. Februar 1983 - 7 C 70/80 - DÖV 1983, 740). Ist die Subvention als zinsgünstiges Darlehen gewährt worden, so stellt sich eine vorzeitige Rückforderung des Darlehens wegen Aufhebung der Bewilligung auf dieser Grundlage auch in Ansehung der Jahresfrist nicht als eine rückwirkende Maßnahme dar. Ist die Subvention hingegen als Zuschuß gewährt, wie das hier der Fall ist, so liegt der Sache nach eine Rückabwicklung vor. Auf diese ist nach dem Zusammenhang der §§ 45 und 50 die Jahresfrist anzuwenden. Anderenfalls wäre es in der Tat im Hinblick auf die Bedeutung des Zeitablaufs für die Ausübung eines Rechts bedenklich, die Verjährung der Rückforderung erst mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Erstattungsbescheides beginnen zu lassen.

Die Verjährung einer Rückforderung beginnt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 50 Abs 4 Satz 1 SGB 10 mit dem Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit des Erstattungsbescheides. Bei den vom Kläger gegen eine solche Verjährungsregelung erhobenen Bedenken, die das LSG wohl veranlaßt haben, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, wird übersehen, daß die Zeit bis zur Unanfechtbarkeit des Rückforderungsbescheides von der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 abgedeckt wird, auch wenn diese nicht schon mit Erlaß des Bewilligungsbescheides, sondern erst mit der Kenntnis von den die Rückforderung rechtfertigenden Tatsachen beginnt.

Kenntnis von den die Rückforderung rechtfertigenden Tatsachen hatte die Beklagte bereits im Oktober 1978 bei Fertigung des Rückforderungsbescheides. Gleichwohl begann die Jahresfrist erst mit dem Inkrafttreten des SGB 10 am 1. Januar 1981 (SozR 1300 § 45 Nr 13 und 1300 § 48 Nr 21). Die Jahresfrist war damit im Januar 1983 bei der Bekanntgabe des Bescheides abgelaufen. Für die Fristwahrung reicht es nicht aus, daß der schriftliche Verwaltungsakt schon 1978 gefertigt worden ist. Denn die Frist wird erst durch den Erlaß des Verwaltungsaktes, also durch seine Bekanntgabe gewahrt.

Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 ist selbst in den Fällen arglistiger Täuschung zu beachten. Zwar gilt nach der entsprechenden Vorschrift des § 48 Abs 4 Satz 2 VwVfG, dem das SGB 10 nachgestaltet ist, die Jahresfrist des vorstehenden Satzes 1 "nicht im Falle des Abs 2 Satz 3 Nr 1" (wenn er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat). Eine solche Einschränkung ist in das SGB 10 nicht übernommen worden. Es bedarf daher nicht der Klärung, ob der Kläger schon bei Beantragung des Zuschusses gewillt war, die eingestellte Schwerbehinderte nicht auf Dauer zu beschäftigen.

Auf die vom LSG und von der Revision erörterten Fragen zur Verjährung des Rückforderungsrechts kommt es demnach für die Entscheidung des Senats nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648854

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