Leitsatz (amtlich)

Ist das von einem Arbeitnehmer im Ausland erzielte Arbeitseinkommen sowohl im Inland als auch im Ausland steuerfrei, so ist das Konkursausfallgeld nicht um einen fiktiven Steueranteil zu kürzen.

 

Normenkette

AFG § 141d S 1 Fassung: 1974-12-21; AFG § 141d Abs 1 S 1 Fassung: 1979-07-23; AFG § 141d Abs 2 Fassung: 1979-07-23

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 26.07.1984; Aktenzeichen L 9 Al 60/82)

SG München (Entscheidung vom 16.10.1981; Aktenzeichen S 35 Al 96/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das der Berechnung des Konkursausfallgeldes (Kaug) zugrunde zu legende, im Ausland verdiente Arbeitsentgelt des Klägers um die Lohnsteuer zu vermindern ist, obwohl es weder im Ausland noch im Inland zu versteuern war.

Der Kläger war bis zum 31. Juli 1979 bei der Firma H in M als Fliesenleger beschäftigt und auf einer Arbeitsstelle in Saudi-Arabien eingesetzt. Das örtlich zuständige Finanzamt hatte dem Arbeitgeber gegenüber durch Freistellungsbescheid vom 1. Juli 1978 auf die Besteuerung des in Saudi-Arabien verdienten Arbeitslohnes verzichtet; dieser ist auch in Saudi-Arabien nicht besteuert worden.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit dem Bescheid vom 10. Dezember 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1980 für die Zeit von Mai bis Juli 1979 Kaug in Höhe von 17.798,51 DM. Hierbei minderte sie das Bruttoarbeitsentgelt um die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung sowie um den Betrag von 2.210,74 DM, den sie als fiktiven Lohnsteuerbetrag für das in Saudi-Arabien erzielte Einkommen ansetzte.

Mit der Klage begehrt der Kläger die Zahlung des abgesetzten Betrages, soweit es sich um den Steueranteil handelt. Das Sozialgericht (SG) München hat die Beklagte mit Urteil vom 16. Oktober 1981 antragsgemäß verurteilt. Hingegen hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 26. Juli 1984 die Klage abgewiesen: Nach § 141d des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG- in der bis zum 31. Juli 1979 gültig gewesenen Fassung -aF- (= § 141d Abs 1 AFG idF des 5. AFG-Änderungsgesetzes vom 23. Juli 1979 - BGBl I S 1189 -, nF) sei das von dem Kaug-Berechtigten im Ausland erzielte, nicht lohnsteuerpflichtige Einkommen bei der Bemessung des Kaug um einen aus der Lohnsteuertabelle zu entnehmenden fiktiven Steueranteil zu mindern. Die Notwendigkeit hierfür ergebe sich aus der Zielsetzung des Gesetzgebers, der wegen der Steuerfreiheit des Kaug (§ 3 Nr 2 des Einkommensteuergesetzes -EStG-) die Verminderung des Bruttobetrages des Arbeitsentgelts auch um den Betrag der gesetzlichen Lohnsteuer vorgeschrieben und in Kauf genommen habe, daß dem Arbeitnehmer ein Ausfall in Höhe der Differenz zwischen der sich aus der Lohnsteuertabelle ergebenden und der tatsächlich gezahlten Steuer verbleiben kann. Diese Auslegung werde durch § 141d Abs 2 idF des 5. AFG-Änderungsgesetzes (aaO) bestätigt. Der Gesetzgeber sei bei dieser Regelung von der Steuerfreiheit des Kaug im Inland und von der Steuerpflicht des Kaug im Ausland ausgegangen. Wegen der Steuerfreiheit des Kaug im Inland habe in § 141d Abs 2 Satz 1 AFG nF für die im Inland Steuerpflichtigen keine entsprechende Regelung getroffen werden müssen.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner - vom LSG zugelassenen - Revision vor, das LSG habe die Bedeutung des Steuerfreistellungsbescheides verkannt, mit dem die Finanzbehörde auf die Besteuerung des im Ausland erzielten, dort steuerfrei gewesenen Arbeitseinkommens auch im Inland verzichtet habe. Schon deshalb könne auf den Kläger die in § 141d Abs 2 Satz 1 AFG nF getroffene Regelung nicht angewendet werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Juli 1984 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. Oktober 1981 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte hat bei der Bemessung des Kaug von dem vom Kläger in Saudi-Arabien erzielten Arbeitseinkommen zu Unrecht einen Abzug in Höhe eines fiktiven Lohnsteuerbetrages gemacht, der vom Kläger im Falle der Steuerpflicht im Inland nach der Lohnsteuertabelle durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben worden wäre.

Nach § 141d Satz 1 AFG (idF durch Art 27 Nr 20 des Gesetzes vom 21. Dezember 1974 - BGBl I 3656 -, aF = § 141d Abs 1 Satz 1 AFG in der ab 1. August 1979 geltenden Fassung durch das 5. AFGÄnderungsgesetz vom 23. Juli 1979 - BGBl I 1189 -, nF) ist das Kaug so hoch wie der Teil des um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Der Kaug-Berechtigte soll durch den Anspruch auf das Kaug eine - neben der nach § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a der Konkursordnung stehende - zusätzliche Sicherung für den Fall der Insolvenz des Arbeitgebers erhalten, darüber hinaus jedoch hinsichtlich des vom Kaug gedeckten Lohnausfalles weder besser noch schlechter gestellt werden, als er hinsichtlich seines Nettoeinkommens ohne den Eintritt der Insolvenz gestanden hätte (BR-Drucks 9/74, S 12).

"Gesetzliche Abzüge" iS des § 141d Abs 1 AFG aF (= § 141d Abs 1 Satz 1 AFG nF) sind bei einem erfüllten Arbeitsentgeltanspruch die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung und die Einkommen- und Kirchensteuer, die als Lohn- und Lohnkirchensteuer des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber vom Arbeitsentgelt einzubehalten und an die Steuerbehörde abzuführen sind (§ 38 EStG). Im Insolvenzfall iS der §§ 141a ff AFG werden die rückständigen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) von der Beklagten eigenständig und ohne unmittelbare Beteiligung des Arbeitnehmers entrichtet (§ 141n AFG). Soweit der Arbeitnehmer dadurch von seiner Beitragspflicht entlastet wird, muß sich dies in einer entsprechenden Verringerung des Kaug niederschlagen.

Die gleiche Zielsetzung verfolgt § 141d AFG hinsichtlich des Ausgleichs der entfallenden Besteuerung. Dem Wortlaut des § 141d Satz 1 AFG aF (= § 141d Abs 1 Satz 1 AFG nF) ist aber nicht zu entnehmen, auf welche Besteuerungsmerkmale der Gesetzgeber abgehoben hat, insbesondere ob er vom steuerpflichtigen Einkommen unter Berücksichtigung der Steuerfreiheit (§§ 1, 3 EStG, § 2 Lohnsteuerdurchführungsverordnung) oder von dem zu versteuernden Einkommen (§ 32 Abs 1 EStG) ausgegangen ist. Im ersteren Fall würde das Arbeitseinkommen, soweit es unter § 3 EStG fällt oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften nicht der Steuerpflicht unterliegt, einkommensteuerrechtlich nicht relevant sein. Richten sich hingegen die "gesetzlichen Abzüge" iS des § 141d Satz 1 AFG aF (= § 141d Abs 1 Satz 1 AFG nF) nach den individuellen Besteuerungsmerkmalen, so liegt auch das zu versteuernde Einkommen schon wegen der pauschalen Berücksichtigung von Werbungskosten und Sonderausgaben stets unter dem steuerpflichtigen Einkommen. Diese Frage kann hier aber offenbleiben, weil der Kläger das streitige Kaug nicht wegen Berücksichtigung günstigerer individueller Steuermerkmale begehrt, so daß in seinem Falle das zu versteuernde Einkommen und das steuerpflichtige Einkommen einander entsprechen. Da das Kaug eine einkommensteuerfreie Sozialleistung iS des § 3 Nr 2 EStG ist, mußte der Gesetzgeber, um den Empfänger des Kaug nicht besser zu stellen als den Lohnempfänger, das Kaug auch um die Lohn- und Lohnkirchensteuer kürzen, die dem Arbeitnehmer bei einem erfüllten Arbeitsentgeltanspruch vom Arbeitsentgelt abgezogen worden wäre. Schon hieraus ist ersichtlich, daß der Gesetzgeber bei der Bemessung des Kaug nach dem Nettoprinzip auf das der Besteuerung überhaupt unterliegende Arbeitseinkommen abgehoben hat. Denn nur insoweit, wie es sich um der Besteuerung unterliegendes, nicht gezahltes Arbeitseinkommen handelt, kann der Arbeitnehmer durch die Zahlung des nicht der Einkommensbesteuerung unterliegenden Kaug anstelle des lohnsteuerpflichtigen Arbeitseinkommens überhaupt einen Vorteil erlangen.

Im Hinblick auf diese Zielsetzung des Kaug und die gesetzliche Konstruktion des § 141d Satz 1 AFG aF (= § 141d Abs 1 Satz 1 AFG nF) ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber bei der Bemessung des Kaug auf das zumindest der Besteuerung unterliegende Arbeitseinkommen abgehoben hat. Diese Abgrenzung gilt nicht nur für den Fall der kraft Gesetzes bestehenden Steuerfreiheit (§ 3 EStG), sondern auch dann, wenn das Arbeitsentgelt aufgrund eines besonderen Einzelaktes der Steuerbehörde von der Einkommensteuerpflicht befreit wird. Ein solcher Fall liegt hier nach den Feststellungen des LSG vor. Das Finanzamt hat mit dem auf der Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 10. Juli 1958 (Bundessteuerblatt 1958 II S 109) beruhenden und auch für die hier streitige Zeit gültig gewesenen Bescheid vom 1. Juli 1978 auf die Besteuerung des vom Kläger in Saudi-Arabien verdienten, auch dort steuerfrei gebliebenen Arbeitslohnes wirksam verzichtet. Der Arbeitgeber des Klägers hatte den begünstigten Lohn getrennt von dem Arbeitslohn, der auch weiterhin dem inländischen Steuerabzug unterlag, auszuweisen. Der begünstigte Arbeitslohn war auch nicht in die Lohnsteuerbescheinigung aufzunehmen, er blieb beim Lohnsteuerjahresausgleich und bei einer Veranlagung des Arbeitnehmers zur Einkommensteuer außer Betracht. Im Falle des Klägers sind daher Steuerabzüge von dem durch den vorerwähnten Bescheid des Finanzamts für steuerfrei erklärten Arbeitslohn nicht angefallen. Insoweit entsprach also das Nettoarbeitsentgelt des Klägers seinem - nur um die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindernden - Bruttoarbeitsentgelt. Da das Kaug sich nach dem steuerpflichtigen Einkommen richtet, muß sich jedenfalls eine Steuervergünstigung in Form der Nichtbesteuerung des Arbeitsentgelts im Inland und im Ausland auch auf das Kaug dahin auswirken, daß bei dessen Berechnung von einem entsprechend höheren Nettoverdienst auszugehen ist. Hingegen würde der Kläger bei Zugrundelegung der vom Beklagten und dem LSG vertretenen Ansicht schlechter gestellt werden, als er ohne den Eintritt des Insolvenzereignisses gestanden hätte. Würde das dem Kläger sowohl im Ausland als auch im Inland steuerfreie Arbeitsentgelt bei der Berechnung des Kaug um einen fiktiven Lohn- und Lohnkirchensteuerbetrag vermindert, so verringerte sich mit dem Abzug eines fiktiven Steuerbetrages auch das Kaug um diese fiktive Steuersumme, die aber bei einem intakten Arbeitsverhältnis nicht angefallen wäre.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht im Hinblick auf den Normgehalt des § 141d Abs 2 Satz 2 AFG nF geboten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die am 1. August 1979 - also erst nach dem Ende des hier maßgeblichen Kaug-Zeitraums - in Kraft getretene Neuregelung des § 141d AFG durch das 5. AFG-Änderungsgesetz auf den Fall des Klägers anzuwenden wäre; das könnte möglicherweise deshalb in Betracht kommen, weil die Eröffnung des Konkursverfahrens nach dem Tage des Inkrafttretens des § 141d AFG nF erfolgt und damit zumindest eine der Anspruchsvoraussetzungen iS des § 141b AFG erst nach dem 1. August 1979 erfüllt sein könnte. Ebensowenig bedarf es der Entscheidung, ob - wie der Ausschuß des Bundestages für Arbeit- und Sozialordnung möglicherweise gemeint hat (BT-Drucks 8/2914, S 45) - mit der Anfügung des § 141d Abs 2 AFG nF nur eine Klarstellung des Normgehalts des § 141d AFG aF erfolgen sollte ("Satz 1 stellt klar ...") oder ob zwei notwendige Ergänzungsregelungen zu dem in § 141d AFG aF (= § 141d Abs 1 Satz 1 AFG nF) normierten Grundsatz geschaffen worden sind, die besondere Lebenssachverhalte abdecken. Denn der Gesetzgeber ist auch bei der in § 141d Abs 2 Satz 1 AFG nF getroffenen Regelung - die Neuregelung in § 141d Abs 2 Satz 2 AFG nF ist hier von vornherein nicht einschlägig - nicht von dem zuvor dargelegten Grundsatz abgegangen, daß nur das der Besteuerung überhaupt unterliegende Arbeitseinkommen bei der Bemessung des Kaug zu berücksichtigen ist. Mit der Anfügung des § 141d Abs 2 Satz 1 AFG nF sollte erreicht werden, "daß bei der Berechnung des Kaug von Grenzgängern die im Inland normalerweise zu zahlenden Steuern berücksichtigt werden, wenn die Grenzgänger von der Steuerpflicht im Inland befreit sind und ihr Kaug im Ausland steuerfrei ist" (BT-Drucks aaO). Damit ist der Gesetzgeber auch für diesen - jedenfalls vom Wortlaut des § 141d Abs 1 Satz 1 AFG aF nicht erfaßt gewesenen - Fall der Lohnzahlung an einen Steuerausländer von dessen - allerdings nicht im Inland, sondern im Ausland bestehenden - Steuerpflicht ausgegangen. Ausgeschlossen werden sollte mit der in § 141d Abs 2 Satz 1 AFG nF getroffenen Regelung für Grenzgänger im Hinblick auf die sich aus den Doppelbesteuerungsabkommen ergebende Steuerfreiheit im Inland lediglich die bei einer am Wortlaut des § 141d Abs 1 Satz 1 AFG aF orientierten Auslegung des Begriffes "gesetzliche Abzüge" mögliche Entscheidung dahin, daß das einem lediglich im Ausland steuerpflichtigen Ausländer gezahlte und im Inland steuerfreie Kaug für den Steuerausländer nicht um den Steueranteil gemindert wurde. Dieser Vorteil erwächst dem Steuerausländer aus seiner Steuerfreiheit im Inland aber dann nicht, wenn das Kaug anstelle des im Inland und im Ausland steuerfreien Arbeitseinkommens gezahlt wird. Deshalb liegt auch der den Anspruch eines Ausländers auf Kaug beschränkenden Regelung des § 141d Abs 2 Satz 1 AFG nF der rechtliche Ansatz zugrunde, daß das im Inland erzielte, hier steuerfreie Arbeitseinkommen im Ausland zu versteuern ist, daß es sich also bei dem infolge der Insolvenz des inländischen Arbeitgebers nicht gezahlten Arbeitsentgelt um im Ausland steuerpflichtiges Einkommen handelt. Ist aber das Arbeitseinkommen weder im Inland noch im Ausland steuerpflichtig, so kann auch der im Inland nicht einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer durch die Zahlung des - im Inland und im Ausland nicht zu versteuernden - Kaug keinen Vorteil gegenüber dem im Inland steuerpflichtigen Arbeitnehmer erlangen, dessen Arbeitseinkommen kraft Gesetzes oder besonderer Regelung steuerfrei ist. Dementsprechend ist auch die vom Beklagten vorgenommene Kürzung des Kaug um einen fiktiven Steueranteil im Falle des Klägers rechtswidrig.

Die - von der Beklagten nicht ausdrücklich angegriffene - Verurteilung der Beklagten zur Zinszahlung entspricht sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach der Vorschrift des § 44 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1661045

NJW 1987, 607

ZIP 1985, 1149

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