Leitsatz (amtlich)

Einer Witwe, die nach dem Tod ihres Ehemannes Nachfolgerin im Betrieb geworden ist und als dessen Inhaberin Anspruch auf Kindergeld hat, steht, auch ohne daß ihr Antrag innerhalb von 3 Monaten (KGG § 4 Abs 2) gestellt ist, Kindergeld schon von dem auf den Tod folgenden Monat jedenfalls dann zu, wenn der Ehemann bis zu seinem Tode zu Recht Kindergeld bezogen hat und sich der Anspruch auf Kindergeld für dieselben Kinder jeweils gegen dieselbe Familienausgleichskasse richtet.

 

Normenkette

KGG § 4 Abs. 2 Fassung: 1955-12-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 3. August 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der ... 1960 verstorbene Ehemann der Klägerin, der Landwirt Johann R..., erhielt auf Grund seiner Anträge vom 10. Januar 1955 und 6. März 1958 von der Beklagten Kindergeld für zwei Kinder. Nach seinem Tode wurde das Kindergeld noch bis November 1960 durch die Raiffeisenkasse Pfaffenhofen ausgezahlt. Nachdem die Beklagte am 15. November 1960 das Kindergeld für die Monate Mai bis Oktober 1960 zurückverlangt hatte, beantragte die Klägerin am 20. November 1960 ihrerseits Kindergeld. Die Beklagte gab diesem Antrag mit Wirkung von November 1960 an statt, lehnte aber eine Kindergeldzahlung für die Monate Mai bis Oktober 1960 ab, weil die Voraussetzungen bereits am 5. April 1960 gegeben gewesen, der Antrag aber nicht innerhalb von drei Monaten nach diesen Zeitpunkt gestellt worden (§ 4 Abs. 2 des Kindergeldgesetzes - KGG -) und der Kindergeldanspruch ihres Ehemannes durch den Tod erloschen seien. Auf Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte, der Klägerin das Kindergeld für die Monate Mai bis Oktober 1960 nachzuzahlen. Zur Begründung führte es aus, der Kindergeldanspruch des Ehemannes sei mit seinem Tode erloschen. Es sei aber wesentlich, daß die Klägerin, als ihr Ehemann den Antrag gestellt habe, dieselben Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes erfüllt habe wie ihr Ehemann. Unter diesen Umständen umfasse der Antrag des Ehemanns auf Kindergeld auch gleichzeitig den der Frau. Beim Tod des Ehemanns sei deshalb der Antrag der Ehefrau auf Kindergeldzahlung nicht erloschen, vielmehr gelte der von dem Ehemann gestellte Antrag in der Person der Klägerin nach dessen Tode weiter. Das SG ließ die Berufung zu.

Die Beklagte legte gegen das am 3. Oktober 1961 zugestellte Urteil am 28. Oktober 1961 Sprungrevision unter Beifügung einer Einverständniserklärung der Klägerin ein, und begründete das Rechtsmittel im gleichen Schriftsatz.

Sie trägt vor, nach dem Tod ihres Ehemanns sei die Klägerin Anspruchsberechtigte für Kindergeld geworden, weil sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt habe. Zur Verwirklichung ihres Anspruchs sei aber ein Antrag notwendig gewesen. Da dieser jedoch nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Tod ihres Ehemanns gestellt worden sei, könne das Kindergeld erst vom Antragsmonat November 1960 an bewilligt werden (§ 4 Abs. 2 KGG). Es handele sich hier um einen neuen Anspruch, der nur durch einen Antrag des Berechtigten selbst ausgelöst werde, nicht aber durch einen früheren Antrag des Ehemanns. Denn damals sei die Klägerin noch nicht kindergeldberechtigt gewesen.

Beide Parteien sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II.

Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet.

Zunächst bestehen keine Bedenken gegen deren Zulässigkeit selbst. Die Berufung war nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, das SG hat sie ausdrücklich zugelassen (§ 150 Nr. 1 SGG), die Einverständniserklärung der Klägerin ist ebenfalls innerhalb der Revisionsfrist beigebracht worden, so daß die Voraussetzungen des § 161 SGG erfüllt sind. Zwar enthält die Revisionsschrift keinen ausdrücklichen Antrag, wie es § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG verlangt. Dies ist jedoch hier unschädlich, weil sich aus der in der Revisionsschrift bereits enthaltenen Begründung klar ergibt, daß sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung des Kindergeldes für die Monate Mai bis Oktober 1960 wendet und was das Ziel ihres prozessualen Begehrens im Rechtsmittelverfahren ist. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zwar wiederholt ausgesprochen, eine Revisionsschrift, die nicht einen bestimmten Antrag enthalte, sei unzulässig (vgl. BSG 1, 47, 50, SozR SGG § 164 Nr. 3 und 14). Diese Entscheidungen betreffen jedoch jeweils Fälle, in denen die Revisionsschrift ohne Antrag und ohne Begründung eingereicht war. Es hat jedoch einen bestimmten Antrag jedenfalls dann als vorhanden angesehen, wenn nach entsprechender Erklärung in der Revisionsschrift das Urteil im vollen Umfang angefochten werden sollte, also auch ohne förmlichen Antrag ersichtlich war, inwieweit das Urteil angegriffen wurde (BSG 1, 98). Zur Begründung ist in dieser Entscheidung ausgeführt, es genüge, daß die in der Prozeßhandlung, den Antrag, zum Ausdruck kommende Willenserklärung dem Gericht gegenüber genügend verständlich abgegeben werde. Wenn auch die Revisionsschrift aus sich heraus nicht erkennen lasse, welche Anträge gestellt werden sollten, so ergebe sich doch aus den näheren Umständen das Ziel der Revision, insbesondere aus dem Urteil, das zur Auslegung heranzuziehen sei. Auch in BSG 1, 47, 49 heißt es, der Wille über den Umfang der Anfechtung müsse einen, wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck in der schriftlichen Erklärung gefunden haben, selbst wenn man zur Auslegung noch außerhalb dieser Erklärung liegende Umstände mit heranziehen müsse. In diesen Fällen ist also ein besonderer ausdrücklich formulierter Antrag nicht mehr erforderlich. Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG) - RGZ 145, 38; 158, 347 -. Dort wird kein bestimmter Antrag des Berufungsklägers bzw. Revisionsklägers verlangt, wenn nur die Berufungsbegründung bzw. Revisionsbegründung eindeutig erkennen läßt, in welchem Umfang das Urteil angefochten wird. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich dieser Auffassung angeschlossen (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1950, NJW 1951, 153). Zwar verlangt § 164 SGG im Gegensatz zu § 554 Abs. 3 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung, daß der Antrag schon in der Revisionsschrift und nicht erst in der Revisionsbegründung enthalten ist. Jedoch müssen die vom RG bzw. BGH niedergelegten Grundsätze auch dann für den Bereich des SGG gelten, wenn die Revisionsschrift zwar keinen bestimmten Antrag, wohl aber schon die Begründung enthält und aus ihr das Begehren des Revisionsführers ersichtlich wird. Alsdann ist auch hier während der Revisionsfrist klargestellt, in welchem Umfang das Urteil angefochten ist. Die Revision ist daher zulässig.

Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.

Nach § 4 Abs. 2 KGG wird das Kindergeld vom Beginn des Monats an gewährt, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach diesem Zeitpunkt gestellt ist, andernfalls vom Beginn des Monats an, in dem der Antrag gestellt wird. Da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs der Klägerin schon nach dem Tod ihres Ehemannes, also von Mai 1960 an, erfüllt waren und der Antrag erst im November 1960 gestellt worden ist, würde eine wörtliche Anwendung dieser Vorschrift dazu führen, der Klägerin Kindergeld erst von November 1960 an zuzubilligen. Das läßt sich aber mit dem Sinn dieser Vorschrift nicht vereinbaren. Der Antragsteller soll schon vom Zeitpunkt des Vorliegens der Voraussetzungen Kindergeld erhalten, wenn er innerhalb einer angemessenen Frist, nämlich binnen drei Monaten, den Antrag stellt; stellt er ihn erst später, so besteht der Anspruch vom Antragsmonat an. Die Familienausgleichskasse soll dadurch vor einer Inanspruchnahme für länger zurückliegende Zeiträume geschützt werden. Dieser Gedanke erfordert aber im vorliegenden Fall nicht die Versagung des Anspruchs für die noch streitige Zeit. Denn hier ist die Klägerin als Ehefrau und Erbin des verstorbenen bisherigen Unternehmers selbst Unternehmerin geworden und hat deshalb einen Anspruch auf Kindergeld erworben, und zwar für die gleichen Kinder gegenüber der gleichen Familienkasse wie ihr Ehemann. Es handelt sich zwar formell gesehen um einen selbständigen, erst nach dem Tod des Ehemanns entstandenen Anspruch, zu dessen Verwirklichung auch die im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen erforderlich sind, zu denen nach § 1 KGG ebenfalls der Antrag gehört. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um die Fortsetzung des einmal für den gleichen Betrieb, für die gleiche Familie, für die gleichen Kinder von der gleichen Familienkasse zu gewährenden Kindergeldes. Hinzu kommt noch, daß die Klägerin offenbar im Glauben war, sie brauche wegen der Weiterzahlung des Kindergeldes nichts zu veranlassen, nachdem die Beklagte, allerdings in Unkenntnis des Todes, das Kindergeld fortlaufend hatte auszahlen lassen. Deshalb muß der Antrag der Klägerin im Sinne des § 4 Abs. 2 KGG als rechtzeitig gestellt angesehen werden, und zwar jedenfalls dann, wenn er wie hier in nicht allzu langer Zeit nach dem Tode des bisher Berechtigten sowie im Anschluß an die bisherigen Kindergeldzahlungen gestellt worden ist.

Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß die Klägerin, solange ihr Ehemann lebte, nicht bezugsberechtigt war (§ 3 Abs. 1 KGG). Der Antrag des Ehemanns kann auch nicht schon für den Fall als gestellt angesehen werden, daß nach seinem Tode die Ehefrau einmal bezugsberechtigt sein werde. Denn der Ehemann der Klägerin hatte das Kindergeld, das ihm zustand, nur für sich beantragt; diesem Antrag war auch stattgegeben worden. Insoweit unterscheidet sich dieser Fall von dem in Witting/Meier, Kindergeldhandbuch, § 4 Anm. 4, erwähnten, in dem der Antrag auch schon für die Ehefrau als gestellt anzusehen ist, wenn Zweifel bestehen, wer von den Beiden in Wirklichkeit kindergeldberechtigt ist, und wenn sich bei der Prüfung des Antrags herausstellt, daß nicht der antragstellende, sondern der andere Ehegatte bezugsberechtigt ist. Im vorliegenden Fall bestand noch kein Kindergeldanspruch der Klägerin, weil sie nicht Unternehmerin war. Diese Überlegungen rechtfertigen jedoch nicht, der Klägerin das Kindergeld für die streitigen Monate zu versagen, weil es, wie dargelegt, hei den besonderen Umständen des Falles unbillig wäre, sich auf die Versäumung der Dreimonatsfrist zu berufen, und zwar deshalb, weil es sich zwar nicht rechtlich, aber wirtschaftlich gesehen um eine Fortsetzung des bisherigen Kindergeldanspruchs handelt. Eine andere Auffassung würde dem Zweck des Gesetzes, die kinderreiche Familie zu fördern, nicht gerecht werden.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 48

NJW 1962, 1367

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