Leitsatz (amtlich)

1. G 131 § 74 vom 1951-05-11 (BGBl 1 1951, 307) bewirkt für einen Beamten zur Wiederverwendung nicht rückwirkenden Befreiung von der Versicherungspflicht, sondern regelt die Erstattung der Arbeitnehmeranteile aus Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung, sofern Leistungen nicht gewährt worden sind.

2. Diese Vorschrift ist ausdrücklich auf die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung beschränkt; sie erstreckt sich nicht auf die Arbeitslosenversicherung.

3. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die für einen Beamten zur Wiederverwendung in der Zeit vom 1945-05-08 bis zum 1951-03-31 gezahlt wurden, sind nicht irrtümlich im Sinne des AVAVG 1927 § 165a entrichtet worden, soweit dem Beschäftigten die Anwartschaft auf Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung nicht gewährleistet war.

 

Normenkette

G131 § 74 Fassung: 1951-05-11; AVAVG § 69; AVAVG 1927 § 69; AVAVG § 165a Fassung: 1953-09-03; AVG § 11

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. August 1954 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Gebühr für die Berufstätigkeit der Rechtsanwältin E. St. vor dem Bundessozialgericht wird auf ... DM festgesetzt.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I Der Beklagte (Revisionskläger), der bis zum 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst als Wehrmachtsbeamter, zuletzt als Oberstabsintendant, stand, gehört zu dem unter Art. 131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personenkreis. Nach Rückkehr aus französischer Kriegsgefangenschaft war er vom 1. April 1947 bis 13. Juni 1950 als Angestellter beim Straßenbauamt D sowie bei der Baudirektion F tätig. Während dieser Beschäftigungszeiten wurden für ihn Beiträge zur Angestellten- und zur Arbeitslosenversicherung entrichtet.

Nach einer Bescheinigung des Badischen Ministeriums der Finanzen vom 27. August 1951 galt der Beklagte gemäß § 5 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden Personen (G 131) vom 8. Mai 1945 an als Beamter zur Wiederverwendung. Am 14. Juni 1950 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Regierungsinspektor, später zum Regierungsoberinspektor ernannt.

Die Arbeitnehmeranteile aus den Beiträgen zur Angestelltenversicherung wurden ihm nach Bescheid der Landesversicherungsanstalt in K vom 7. November 1951 zurückerstattet. Mit Schreiben vom 26. November 1951 beantragte er beim damaligen Landesarbeitsamt B auch die Erstattung der Arbeitnehmeranteile zur Arbeitslosenversicherung. Sein Antrag wurde durch Bescheid vom 5. Dezember 1951 mit der Begründung abgelehnt, daß § 74 des G 131 nur die Erstattung der Arbeitnehmeranteile aus Beiträgen zu den Rentenversicherungen, nicht aber jener aus der Arbeitslosenversicherung zulasse. Auch der wiederholte Antrag vom 29. April 1953 wurde mit Verfügung des Landesarbeitsamts Baden-Württemberg vom 13. Mai 1953 abschlägig beschieden.

II Das vom Beklagten angerufene Versicherungsamt F verurteilte die Klägerin (Revisionsbeklagte) durch Entscheidung vom 4. August 1953, die in der Zeit vom 1. April 1947 bis 13. Juni 1950 geleisteten Arbeitnehmeranteile aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zurückzuerstatten. Die vom Präsidenten des Landesarbeitsamts Baden-Württemberg hiergegen beim Oberversicherungsamt F eingelegte Beschwerde ging nach dem Inkrafttreten (1.1.1954) des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht Freiburg über.

III Durch Urteil vom 13. April 1954 hob das Sozialgericht die Entscheidung des Versicherungsamts Freiburg vom 4. August 1953 auf. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung seien nicht irrtümlich entrichtet worden, weil der Beklagte der Versicherungspflicht unterlegen habe. Wenn § 74 des G 131 die Erstattung von Arbeitnehmeranteilen aus Beiträgen der Rentenversicherung zulasse, so könne daraus nicht auf Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung oder gar in allen Zweigen der Sozialversicherung geschlossen werden. Auf die Arbeitslosenversicherung erstrecke sich § 74 a. a. O. nicht. Ferner sei für den Beklagten die Anwartschaft auf Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung nicht gewährleistet gewesen.

IV Die Berufung des Beklagten wurde durch Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. August 1954 zurückgewiesen. Formell-rechtlich sei zwar nach den Vorschriften des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) zur Entscheidung über die Erstattung von Beiträgen an sich das Arbeitsamt und nicht das Landesarbeitsamt zuständig gewesen; der zunächst fehlerhafte Verwaltungsakt sei jedoch rechtswirksam geworden, weil der Beklagte die Aufhebbarkeit zu keiner Zeit geltend gemacht habe. Materiell-rechtlich führte das Landessozialgericht aus, § 74 des G 131 könne seinem klaren Wortlaut nach nicht auf die Arbeitslosenversicherung ausgedehnt werden. Mithin lasse diese Vorschrift es auch nicht zu, dem Beklagten daraus die Arbeitnehmeranteile zu erstatten, obwohl er keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten habe. Auch beständen keine landesrechtlichen Bestimmungen, denen zufolge die Anteile ihm zurückgezahlt werden könnten. Während seiner Beschäftigungszeiten als Angestellter habe der Beklagte der Höhe seiner Dienstbezüge nach der Versicherungspflicht unterlegen. Versicherungsfreiheit könne weder aus § 169 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch aus § 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) noch aus §§ 69 ff. AVAVG hergeleitet werden; entsprechende Anwartschaften oder Versorgungsansprüche hätten nach dem 8. Mai 1945 dem Beklagten weder gegenüber dem Deutschen Reich als früherem Dienstherrn noch gegenüber dem Bund noch gegenüber dem Land Baden als späterem Arbeitgeber zugestanden.

Revision wurde zugelassen.

V Der Beklagte legte gegen das ihm mit Einschreibebrief vom 28. Januar 1955 zugestellte Urteil persönlich mit Schreiben vom 15. Februar 1955, seine Prozeßbevollmächtigten danach mit Schriftsatz vom 3. März 1955, der am gleichen Tage beim Bundessozialgericht einging, Revision ein. Es wurde beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg aufzuheben und nach dem Klagantrag zu erkennen, d. h. den Beschluß des Versicherungsamts F wiederherzustellen.

In der Revisionsbegründung vom 28. März 1955, eingegangen am 2. April, bemängelte der Beklagte zunächst, daß das Urteil des Landessozialgerichts nicht von allen Richtern, die bei der Urteilsfällung mitgewirkt hätten, unterzeichnet worden sei. Lediglich die drei Berufsrichter, nicht aber auch die beiden Landessozialrichter hätten unterschrieben. Da das Urteil gemäß § 124 SGG ohne mündliche Verhandlung ergangen sei, treffe dieser Mangel sowohl den Verkündungs- wie den Zustellungsakt. Also seien auch keine Fristen in Lauf gesetzt worden und damit die Revision rechtzeitig eingelegt.

Materiell-rechtlich wurde Verletzung des § 74 G 131, der einen Sonderfall zu § 165 a AVAVG darstelle, sowie des § 169 RVO und des § 11 AVG gerügt. Freiheit von der Pflicht zur Angestelltenversicherung und damit auch zur Arbeitslosenversicherung sei gegeben, wenn die im öffentlichen Dienst Beschäftigten Anwartschaft auf Ruhegeld oder Hinterbliebenenrente hätten oder ihnen Versorgungsansprüche gewährleistet seien. Der Beklagte habe zwar aus seiner Angestelltentätigkeit bei den badischen Behörden keinen Versorgungsanspruch gegen das Land Baden erworben, aber er habe einen Versorgungsanspruch aus seiner früheren Tätigkeit im Dienste des Deutschen Reichs besessen. Dieser Rechtsanspruch sei niemals untergegangen. Entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts seien die Dienstverhältnisse der Wehrmachtsbeamten nicht mit dem 8. Mai 1945 erloschen, sondern mit dem Bundesgerichtshof sei anzunehmen, daß die Beamtenverhältnisse nach Rechten und Pflichten fortbestanden und lediglich in der Folgezeit geklärt werden mußte, wie diese beiderseitigen Rechte und Pflichten zu verwirklichen waren. Wenn aber das Beamtenverhältnis fortbestand, dann sei auch der alte Versorgungsanspruch für die Zeit erhalten geblieben, in der der Beklagte in keine Beamtenstelle eingesetzt werden konnte und als Angestellter beschäftigt wurde. Der Voraussetzung des § 169 RVO sei auch dadurch genügt, daß das Land Baden bereits während der Dienstleistung des Beklagten als Angestellter durch Landesvorschriften die einschlägigen Versorgungsbezüge aus früheren Beamtenverhältnissen geregelt habe. Schließlich wurde geltend gemacht, das Landessozialgericht habe den Wortlaut des § 74 des G 131 zu eng ausgelegt. Gerade dann, wenn die Arbeitslosenversicherungsbeträge nicht zurückerstattet werden sollten, hätte dies im Gesetz eindeutig ausgedrückt werden müssen. Die Ansicht, daß das besondere Risiko bei der Arbeitslosenversicherung die weitere Einbehaltung der Arbeitnehmeranteile rechtfertige, sei irrig.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung regte die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten an, eine Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts darüber herbeizuführen, ob ein Urteil des Landessozialgerichts, das ohne mündliche Verhandlung ergeht, der Unterschrift sämtlicher fünf Mitglieder des Senats bedürfe.

Die Klägerin beantragte,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Rüge, daß das Urteil der Vorinstanz nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, weil es nicht die Unterschrift sämtlicher Mitglieder des Senats getragen habe, gehe fehl. Nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 21. April 1955 sei allgemein die Unterschrift der Landessozialrichter für die Wirksamkeit der Urteile nicht erforderlich. Materiell-rechtlich bezog sich die Klägerin auf die ihrer Meinung nach zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze verwiesen.

VI Die - vom Landessozialgericht zugelassene - Revision ist statthaft. Sie ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden, da in der Rechtsmittelbelehrung des Vordergerichts der Hinweis fehlt, daß die Revision einen "bestimmten Antrag" enthalten muß (vgl. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG) und deshalb für die Einlegung die Jahresfrist (§ 66 Abs. 2 SGG) gilt, wie das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. BSG. 1 S. 227).

Nicht gerechtfertigt ist die verfahrensmäßige Rüge des Beklagten, daß sowohl Verkündungs- wie Zustellungsakt des ohne mündliche Verhandlung ergangenen Berufungsurteils unwirksam seien, weil die beiden Landessozialrichter nicht mit unterschrieben hätten. Wie das Urteilsrubrum und die Akten des Landessozialgerichts ausweisen, haben in der Sitzung vom 13. August 1954 bei der Beschlußfassung über das angefochtene Urteil mit den namentlich bezeichneten drei Berufsrichtern gleichzeitig die zwei einzeln benannten Landessozialrichter als einheitliche Richterbank mitgewirkt. Damit ist die gemeinsame Betätigung dieser fünf Mitglieder des Senats bei der Urteilsfindung, wie sie nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 21, April 1955 (vgl. BSG. 1 S. 1 ff. (4)) unter ausdrücklicher Anführung des schriftlichen Verfahrens (§ 124 Abs. 2 SGG) vorausgesetzt und gefordert wird, erfüllt. Daher bestand keine Veranlassung, dieser Frage wegen erneut eine Entscheidung des Großen Senats herbeizuführen.

Die Feststellung des Landessozialgerichts, daß bereits die Berufung zulässig war, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, da nach Auffassung des erkennenden Senats im vorliegenden Falle nicht ein "anerkannter Rückerstattungsbetrag" im Sinne des § 149 Satz 2 SGG, sondern der Rückerstattungsanspruch auf Arbeitnehmeranteile aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung in seiner Substanz, nämlich dem Grunde nach, in Streit steht (vgl. hierzu auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I S. 250 p Anm. 7). Zudem ist der "Beschwerdewert" von fünfzig Deutsche Mark, wie ihn auch der Entwurf eines "Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes" in der Neufassung des § 149 vorsieht, auf jeden Fall überschritten.

Insgesamt ist also die Revision zulässig.

VII Dieses Rechtsmittel kann jedoch nicht zum Erfolg führen.

Unschädlich ist dabei, daß der Beklagte seine Rückforderungen zunächst im Verwaltungswege nicht an das von Gesetzes wegen für die Erstattung zuständige Arbeitsamt (§ 165 a AVAVG), sondern an das übergeordnete Landesarbeitsamt gerichtet hatte. Wenn als Folge daraus die ablehnenden Bescheide dieser "höheren Instanz", die organisatorisch ohnehin die Sache an sich ziehen und die Entscheidung treffen konnte, überhaupt im Sinne des Verwaltungsrechts "fehlerhaft" gewesen sein sollten - was der erkennende Senat nach den besonderen Umständen des Falles indessen verneint - so sind sie jedenfalls dadurch, wie das Landessozialgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, rechtswirksam geworden, daß der Beklagte diesbezüglich in keinem Stadium des Verfahrens Einwendungen gegen jene Verwaltungsakte erhoben hat.

Der Anspruch auf Rückerstattung der Arbeitnehmeranteile zur Arbeitslosenversicherung, die der Beklagte als Angestellter im öffentlichen Dienst bei den badischen Baubehörden vom 1. April 1947 bis 13. Juni 1950 geleistet hat, wäre nur dann gerechtfertigt, wenn er in jenem Zeitraum auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift versicherungsfrei war und insoweit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet worden sind (vgl. RVA. Grundsätzliche Entscheidung Nr. 4213 AN. 1931 S. 455).

VIII Der Beklagte stützt seinen Anspruch einmal auf § 74 des G 131, den er als einen Sonderfall zu § 165 a AVAVG bewertet. Auf Grund von § 74 Abs. 1 Satz 1 des G 131 werden einem Beamten zur Wiederverwendung, der in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. März 1951 innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes beschäftigt gewesen ist und für den Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind, auf seinen Antrag die Arbeitnehmeranteile aus diesen Beiträgen (sowie etwaige freiwillige Beiträge) erstattet, sofern Leistungen nicht gewährt worden sind. Nach Wortlaut und Inhalt dieser Vorschrift ist die Erstattung auf die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung beschränkt, im üblichen versicherungsrechtlichen Sinne also auf die Invalidenversicherung, die Angestelltenversicherung und die knappschaftliche Rentenversicherung; sie erstreckt sich nicht auf die Arbeitslosenversicherung, wie auch die Krankenversicherung nicht erwähnt ist.

Diese Rechtslage ist inzwischen nicht nur vom Schrifttum anerkannt worden (vgl. Anders, Kommentar zum Gesetz zu Art. 131 GG, 3. Aufl. Anm. 1 zu § 74; von Arnim, Kommentar, Erl. zu § 74), sondern hat sich ebenso in der Rechtsprechung der Oberversicherungsämter wie der Sozialgerichte (abgesehen vom OVA. Freiburg, Breith. 1953 S. 595) durchgesetzt und auch bereits im Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts vom 29. Oktober 1956 - 1 RA 45/56 - (vgl. "Sozialrecht" zu G 131 § 74 Bl. Aa 1) höchstrichterlichen Niederschlag gefunden. Es bedarf deshalb hierzu keiner weiteren Ausführungen mehr, sondern es genügt die Feststellung, daß nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift weder eine Gesetzeslücke zu schließen noch sonst der Wille des Gesetzgebers auszulegen ist. Wie der Vorderrichter - im Einklang mit der sonstigen Rechtsprechung zur gleichen Frage (vgl. Bayer. LSG. in Breith. 1955 S. 49) - zutreffend dargelegt hat, besaß der Gesetzgeber in den Novellen zum G 131 sowie in den hierzu ergangenen sieben Durchführungsverordnungen vielfältige Gelegenheit, auch die Arbeitslosenversicherung in § 74 einzubeziehen, falls er den dahinzielenden Tendenzen hätte nachgeben wollen. Immerhin sei aber noch darauf hingewiesen, daß eine Gleichstellung von Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung hinsichtlich der Rückerstattung von Arbeitnehmeranteilen auch dem Wesen und Zweck der Arbeitslosenversicherung nicht entsprechen würde. Die Arbeitslosenversicherung dient in erster Linie einer kurzfristigen Überbrückung von Ausfällen an Arbeitsentgelt, unabhängig von Bedürftigkeit und ohne Anrechnung sonstigen Einkommens. Sie bezweckt also - im Unterschied zu den Rentenversicherungen, die eine Zukunftssicherung anstreben - den Gegenwartsschutz für die Arbeitnehmer. Dieses jeweils gegenwärtige Risiko ist von der Arbeitslosenversicherung bis zum 31. März 1951 bei den Personen, die unter Art. 131 GG fallen, wirklich auch getragen worden. Ein großer Teil von ihnen hat den Versicherungsschutz tatsächlich in Anspruch genommen. Alle einschlägig Versicherten hatten ferner die Möglichkeit, die auch aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung getragenen Vermittlungseinrichtungen der Arbeitsämter laufend zu benutzen. Dagegen erschien, falls Leistungen nicht gewährt waren, die weitere Erhaltung von Anwartschaften in der Rentenversicherung für die Beteiligten als Zukunftsschutz nicht mehr geboten, nachdem ab 1. April 1951 ihre Versorgung wieder anderweit geregelt war. Aus solcher Erkenntnis werden auch die Billigkeitserwägungen verständlich, die dazu geführt haben, daß allein die Arbeitnehmeranteile aus der gesetzlichen Rentenversicherung erstattungsfähig gemacht worden sind.

IX Im übrigen begründet § 74 des G 131 aber auch keine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht; er eröffnet lediglich ein modifiziertes ("sofern Leistungen nicht gewährt worden sind") und spezialisiertes ("Arbeitnehmeranteile aus Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung") Rückforderungsrecht. Sollte allgemein die Versicherungsfreiheit für die Vergangenheit eingeräumt werden, so hätte dies im Gesetzestext Ausdruck finden müssen, und es war dann nicht nur eine Sonderregelung für die Arbeitnehmeranteile zu treffen, sondern es bedurfte ebenso einer Bestimmung über die Arbeitgeberanteile. Schließlich wäre dann auch die Vorschrift des Abs. 3 zu § 74, daß nicht zurückgeforderte Beiträge fortan als freiwillige Beiträge "gelten", unzutreffend und unverständlich. Der Gesetzgeber bewirkt mit der Verwendung dieses Begriffs nämlich nur eine "Fiktion" freiwilliger Beiträge, setzt also gerade eine Versicherungspflicht voraus. Ein Beispiel dafür, daß schon in der Vergangenheit derartige Regelungen ohne Aufgabe der Versicherungspflicht getroffen worden sind, bietet § 1309 a RVO; danach wird einer Versicherten, die heiratet, auf Antrag die Hälfte der für sie entrichteten Beiträge erstattet.

Aus § 74 des G 131 läßt sich mithin das Begehren des Beklagten weder unmittelbar noch mittelbar rechtfertigen.

X Ferner war zu prüfen, ob der Rückerstattungsanspruch aus § 11 AVG und § 169 RVO, auf die sich der Beklagte zum anderen stützt, begründet ist.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Vordergerichts über das Arbeitseinkommen bei den badischen Baubehörden, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), war der Beklagte gemäß § 69 AVAVG für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert, weil er in der Zeit vom 1. April 1947 bis 13. Juni 1950 sowohl krankenversicherungspflichtig wie auch als Angestellter auf Grund des Angestelltenversicherungsgesetzes pflichtversichert war.

Versicherungsfreiheit für seine Beschäftigungsverhältnisse im Dienste des Landes Baden könnte - nach den für die ehemalige französische Besatzungszone geltenden Fassungen der zuständigen Vorschriften - nur in Frage kommen, wenn den Beschäftigten Anwartschaft auf Ruhegeld und Hinterbliebenenrenten im Mindestbetrag der ihrem Diensteinkommen entsprechenden Höhe gewährleistet war (§ 11 AVG) oder, wenn ihnen gegen ihren jetzigen oder früheren Arbeitgeber entsprechende Versorgungsbezüge gewährleistet waren (§ 169 RVO). Die Gewährleistung der Anwartschaften bewirkt Befreiung von der Versicherungspflicht von dem Zeitpunkt ab, an dem sie tatsächlich verliehen werden. Sie hat keine rückwirkende Kraft (§ 11 Abs. 4 AVG).

Seitens des Bundes sind Anwartschaften auf beamtenmäßige Versorgung aus früheren öffentlichen Dienstverhältnissen erst mit Inkrafttreten des G 131, also ab 1. April 1951, wieder gewährleistet. Rückwirkungen hinsichtlich solcher Ansprüche hat der Bundesgesetzgeber ausgeschlossen.

Was die Rechtsbeziehungen des Beklagten zum Deutschen Reich als seinem früheren Dienstherrn anbelangt, bleibt für die vorliegende Streitsache ohne entscheidende Bedeutung, ob mit dem Bundesverfassungsgericht aus Rechtsgründen von einem Erlöschen der Beamtenverhältnisse mit dem 8. Mai 1945 ausgegangen wird (Urteile vom 17.12.1953 und 26.2.1954 - BVerfGE. Bd. 3 S. 58 ff. und S. 288 ff. sowie Beschluß vom 19.2.1957 - NJW. 1957 S. 579 ff.) oder ob man mit dem Bundesgerichtshof annimmt (Beschluß des Großen Senats für Zivilsachen vom 20.5.1954=BGHZ. Bd. 13 S. 265 ff. (295), Urteil vom 27.9.1954= BGHZ. 14 S. 331 ff.), das Beamtenrechtsverhältnis habe Zusammenbruch und Wechsel der Staatsform überdauert, und die beiderseitigen Rechte und Pflichten seien nur auf Zeit suspendiert gewesen. Jedenfalls waren "Berechtigungen" aus dem alten Reichsdienst, auch wenn hierunter nicht nur klagbare Rechtsansprüche verstanden werden, ob sie Gehalt oder Versorgung betreffen, vor dem 1. April 1951 völlig ungewiß und in keiner Weise realisierbar. Dies trifft insbesondere bei ehemaligen Wehrmachtsbeamten, zu denen der Beklagte gehört, zu. Mithin waren insoweit auch keine Anwartschaften im Sinne des § 169 RVO und des § 11 AVAVG gewährleistet.

XI Auf Grund landesrechtlicher Vorschriften, die nach dem 8. Mai 1945 erlassen wurden, sind die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit im vorliegenden Falle ebensowenig erfüllt. Weder die vom Beklagten angezogene "Landesverfügung" des Staatssekretariats Baden "über die Regelung der Versorgungsbezüge der Zivilbeamten vom 23. Juni 1947" noch die "Anordnung" des Badischen Ministeriums der Finanzen "über Zahlung einer Sozialunterstützung an in Baden nicht zuständige Beamte" vom 9. Dezember 1948 noch endlich die "Anordnung des Badischen Ministeriums der Finanzen über die Zahlung von Unterhaltsbeiträgen an ehemalige berufsmäßige Wehrmachtsangehörige und ihre Hinterbliebenen" vom 5. April 1949 schaffen, selbst wenn ihnen der Charakter von Rechtsvorschriften mit bindender Wirkung nach außen zuerkannt werden dürfte und sie nicht nur als innerdienstliche Richtlinien oder finanzwirtschaftliche Anweisungen zu bewerten sind, worauf ihre Bezeichnungen und Überschriften deuten, keine gesicherten Erwartungen, geschweige denn legitime Anwartschaften. Regelmäßig ist in diesen badischen Landesvorschriften ausdrücklich ein Rechtsanspruch ausgeschlossen; die Unterstützungen, Unterhaltsbeiträge oder Versorgungsleistungen sind widerruflich zahlbar und in einer Höhe begrenzt, die wesentlich unter dem vergleichbaren Diensteinkommen liegt. Deshalb sind diese beschränkten Sonderregelungen nicht geeignet, Rückforderungsansprüche zu begründen.

XII Die Beschäftigungsverhältnisse des Beklagten als Angestellter bei dem Straßenbauamt D sowie bei der Baudirektion F wurden von den für den öffentlichen Dienst gültigen Tarifbestimmungen erfaßt. Da ihm dort von der obersten Verwaltungsbehörde des Landes als gegenwärtigem Arbeitgeber keine Gewährleistung der Anwartschaft zuteil geworden ist, unterlag er in dieser Zeit nach alledem der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung und damit auch in der Arbeitslosenversicherung. Daher sind die für den Beklagten während jener Beschäftigungsabschnitte gezahlten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht irrtümlich entrichtet worden (§ 165 a AVAVG). Seine Ansprüche auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile daraus entbehren demzufolge der Rechtsgrundlage.

XIII Die Revision mußte also als unbegründet zurückgewiesen werden. Für die Anordnung einer Kostenerstattung bestand kein Anlaß; die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Maßgebend für die Entscheidung über die Gebühr für die Berufstätigkeit der Rechtsanwälte des Beklagten ist § 196 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290923

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