Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzanspruch nach § 19 BVG. Heilbehandlung vor Anerkennung der Schädigungsfolge. Klagebefugnis des im Verwaltungsverfahren als Beteiligter Hinzugezogenen. Anfechtungsrecht eines Dritten. Versorgungsanspruch nach § 1 OEG

 

Orientierungssatz

1. Nach § 19 Abs 3 BVG wird Ersatz nach § 19 Abs 1 S 1 und Abs 2 BVG erst nach der Anerkennung gewährt, falls die Gesundheitsstörung bei Beginn der Behandlung noch nicht als Schädigungsfolge bestätigt war. Diese Gesetzesbestimmung hat erkennbar den Sinn, auch für diejenigen Aufwendungen Ersatz zu leisten, die in der Zeit nach dem Wirksamwerden der Anerkennung gemacht worden sind (vgl BSG 1981-06-24 9 RV 38/80 = SozR 3100 § 19 Nr 13). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß dem Anerkennungsbescheid zugleich "Tatbestandswirkung" für eine Erstattung nach § 19 Abs 1 S 1 und Abs 2 BVG zukommt. Erst von der rückwirkend erfolgten Anerkennung kann eine Anspruchskonkurrenz nach den Vorschriften der RVO bzw des BVG in Betracht kommen.

2. Die im Verwaltungsverfahren nach dem OEG als Beteiligte hinzugezogene Krankenkasse ist berechtigt, den Anspruch des Geschädigten und die Aufhebung des ablehnenden Bescheides im eigenen rechtlichen Interesse zu fordern (vgl BSG vom 1981-11-17 9 RVg 2/81 = SozR 3800 § 2 Nr 3).

 

Normenkette

OEG § 1 Abs 1 Fassung: 1976-05-11; BVG § 19 Abs 1 S 1; BVG § 19 Abs 2; BVG § 19 Abs 3 S 1; SGB 10 § 12 Abs 2 S 2 Fassung: 1980-08-18

 

Verfahrensgang

SG Kiel (Entscheidung vom 25.05.1981; Aktenzeichen S 9 Vg 419/79)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte Versorgungsträger der Klägerin - einer Allgemeinen Ortskrankenkasse - einen Betrag von 2.266,-- DM ersetzen muß. Diesen Betrag hatte die Klägerin in der Zeit vom 19. bis zum 28. Mai 1979 für Krankenhausbehandlung des bei ihr versicherten D CL (Cl.) an Krankengeld aufgewendet.

Cl. stellte über die Klägerin im August 1979 beim Versorgungsamt K einen Antrag auf Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (OEG). Er trug vor, er sei - unprovoziert - von Türken überfallen und durch Fußtritte und Messerstiche verletzt worden. Die polizeilichen Ermittlungen führten nicht zur Ergreifung der Täter.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 1979 hat das Versorgungsamt Kiel den Antrag des Beigeladenen abgelehnt, weil es sich nicht habe aufklären lassen, ob es sich bei dem Ereignis am 19. Mai 1979 tatsächlich um einen Überfall gehandelt habe. Sollte es aber einer gewesen sein, so sei er auf jeden Fall vom Beigeladenen verursacht worden. Gegen diesen Ablehnungsbescheid hat der Beigeladene weder Widerspruch noch Klage erhoben.

Die Klägerin, die ihre Zuziehung zum Verfahren beantragt hatte, hat eine Ausfertigung dieses Bescheides bekommen. Mit der Klage hat sie geltend gemacht, sie müsse verhindert, daß der Bescheid bindend werde; das sei nur durch Klageerhebung möglich.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, weil der Klägerin die Prozeßführungsbefugnis fehle. Nach § 19 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) könne die Krankenkasse Ersatz für ihre Aufwendungen erst nach der Anerkennung der Schädigungsfolgen verlangen. Allein die Anerkennung von Folgen einer Schädigung gebe der Krankenkasse ein selbständiges Klagerecht. Hier gehe es aber darum, ob überhaupt eine Schädigung, also ein schädigendes Ereignis, vorliege. Den Streit hierüber könne nur der Beschädigte führen, ein Klagerecht der Krankenkasse ergebe sich aus § 19 BVG nicht. Dies folge zudem daraus, daß nach dem OEG das BVG nicht direkt, sondern nur entsprechend anwendbar sei. Nicht alle Vorschriften des BVG seien in Bezug genommen, sondern nur diejenigen, welche die Leistungen an den Geschädigten regeln. Hierzu gehöre § 19 BVG nicht. Für diese Lösung spreche Sinn und Zweck des OEG. Dieses Gesetz habe soziale Härten für die Opfer von Gewalttaten ausgleichen oder zumindest verringern wollen. Es sei aber nicht beabsichtigt gewesen, den Sozialversicherungsträgern einen leicht oder leichter durchsetzbaren Anspruch auf Ersatz der aus Anlaß einer solchen strafbaren Handlung entstandenen Aufwendungen zu verschaffen. Insoweit sei die Krankenkasse durch § 1542 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausreichend geschützt. Die Klägerin sei zwar im Verwaltungsverfahren beteiligt gewesen; hieraus folge jedoch nicht ihre Befugnis, selbständig Klage zu erheben. Die Position der Klägerin sei abhängig von der Rechtsstellung des Beigeladenen. Die Kasse müsse sich die Bindungswirkung des Bescheides entgegenhalten lassen.

Das SG hat die Berufung und die Sprungrevision zugelassen.

Die Klägerin hat Revision unter Vorlage einer Einverständniserklärung des beklagten Landes eingelegt und rügt, das SG habe der Klägerin zu Unrecht das Klagerecht abgesprochen. Da sie den Bescheid des Beklagten als tatbestandsmäßige Voraussetzung für ihren beabsichtigten Ersatzanspruch nach § 19 BVG gegen sich gelten lassen müsse, müsse sie sich gegen diese Tatbestandswirkung wehren können und sei daher zur Klage berechtigt. Das gelte auch für den Bereich des OEG. Dieses Gesetz regele nur die Anspruchsvoraussetzungen, verweise aber im übrigen hinsichtlich der Rechtsfolgen auf das BVG.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben,

2. festzustellen, daß die Revisionsklägerin berechtigt gewesen war,

gegen den Bescheid des Revisionsbeklagten vom 25. Mai 1979 zu

klagen und

3. die Rechtssache zur Sachentscheidung an das Sozialgericht Kiel

zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen.

Die Klägerin fordert Ersatz für die Heilbehandlung des Beigeladenen, weil dieser Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriffs (§ 1 OEG vom 11. Mai 1976, BGBl I S 1181) geworden sei und deshalb Ansprüche auf Versorgung nach dem BVG habe. Nach § 19 Abs 1 BVG sind den Krankenkassen, die nicht nur nach den Vorschriften dieses Gesetzes verpflichtet sind, Heilbehandlung zu gewähren, die Aufwendungen für Krankenhauspflege, Haushaltshilfe und Heilmittel zu ersetzen. Der Ersatz wird gewährt, wenn die Aufwendungen durch die Behandlung anerkannter Schädigungsfolgen entstanden sind. Außerdem ist das Krankengeld zu erstatten, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden ist (§ 19 Abs 2 BVG). Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall zur Zeit der Behandlung die Folgen einer Gewalttat noch nicht anerkannt waren. Der beigeladene Cl. hat aber über die Klägerin einen Antrag auf diese Anerkennung gestellt. Dieser Antrag wirkt im Falle der positiven Entscheidung auf den ersten des Monats zurück, in dem die Voraussetzungen der Entschädigung erfüllt waren, da er innerhalb eines Jahres nach der Gewalttat gestellt worden ist (vgl § 60 Abs 1 Satz 2 BVG idF des 10. Anpassungsgesetzes KOV vom 10. August 1978, BGBl I S 1217). Dem steht nicht § 19 Abs 3 BVG entgegen. Hiernach wird Ersatz nach § 19 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BVG erst nach der Anerkennung gewährt, falls die Gesundheitsstörung bei Beginn der Behandlung noch nicht als Schädigungsfolge bestätigt war. Diese Gesetzesbestimmung hat erkennbar den Sinn, auch für diejenigen Aufwendungen Ersatz zu leisten, die in der Zeit nach dem Wirksamwerden der Anerkennung gemacht worden sind (BSG SozR 3100 § 19 Nr 7; BSG 24. Juni 1981 - 9 RV 38/80 -). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß dem Anerkennungsbescheid zugleich "Tatbestandswirkung" für eine Erstattung nach § 19 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BVG zukommt. Erst von der rückwirkend erfolgten Anerkennung kann eine Anspruchskonkurrenz nach den Vorschriften der RVO bzw des BVG in Betracht kommen.

Andererseits kann es nicht zum Nachteil der Klägerin ausschlagen, daß der Beigeladene gegen den Bescheid, der eine Anerkennung von Folgen einer Gewalttat abgelehnt hat, kein Rechtsmittel einlegte. Die Klägerin geht nicht aus abgeleitetem Recht vor, sondern macht eine eigene Klagebefugnis geltend.

Das SG geht zutreffend davon aus, daß die Anerkennung von Schädigungsfolgen Voraussetzung für den Anspruch der Krankenkasse ist. Um diese Voraussetzung unabhängig von der Bereitschaft und dem Tätigwerden des Geschädigten erreichen zu können, muß der Krankenkasse eine eigene Befugnis der Rechtsverwirklichung eingeräumt werden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat daher anerkannt, daß die Krankenkasse zumindest als dem Verfahren Zugezogener (§§ 9 und 11 KOVVfG, seit dem 1. Januar 1981: § 12 SGB 10) selbständig Rechtsmittel gegen den Bescheid einlegen kann und auch nicht dadurch gehindert wird, daß der Beschädigte den Bescheid nicht angefochten hat (BSGE 34, 289, 290 = SozR Nr 13 zu § 19 BVG; vgl auch BSGE 47, 214, 217 = SozR 3100 § 24 Nr 1). In seinem Urteil vom 17. November 1981 - 9 RVg 2/81 - hat der erkennende Senat diese Grundsätze auch auf das Recht der Opferentschädigung übertragen. Auch in dem dort entschiedenen Fall war einstweilen noch keine Anerkennung von Schädigungsfolgen ausgesprochen worden. Dabei bedeutet es keinen durchgreifenden Unterschied, daß dort nicht der Eintritt einer Schädigung überhaupt in Zweifel gezogen wurde, sondern darüber Streit bestand, ob der Geschädigte durch sein eigenes Verhalten die Schädigung provoziert hatte und deshalb ein Versagen der Leistung ihm gegenüber in Betracht kam.

Die grundlegenden Motive des OEG stehen einem Ersatzanspruch der Krankenkasse nicht entgegen. Die Entschädigungspflicht der öffentlichen Hand nach dem OEG wird damit gerechtfertigt, daß der Staat keinen wirksamen Schutz vor krimineller Handlung gegen Leib oder Leben hat geben können (BSGE 49, 98, 101; 49, 104, 105). Für das Einstehenmüssen des Staates ist es unerheblich, ob die finanzielle Belastung, die er übernehmen soll, unmittelbar den verletzten Staatsbürger oder mittelbar die Versichertengemeinschaft, der er möglicherweise zur Vorsorge im Krankheitsfall angehört, endgültig trifft. Zwar sieht das OEG vor, daß Ansprüche entfallen, soweit aufgrund der Schädigung Ansprüche nach dem BVG oder nach einem Gesetz, welches das BVG für anwendbar erklärt, bestehen (§ 3 Abs 3 OEG), oder der Schaden gleichzeitig durch einen Arbeitsunfall verursacht ist (§ 3 Abs 4 OEG iVm § 541 Abs 1 Nr 2 RVO). Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung lassen die nach dem OEG jedoch nicht entfallen. Daneben regelt § 65 BVG das Ruhen des Anspruchs. Aber auch in § 65 Abs 3 BVG ist der Anspruch auf Heilbehandlung aus der gesetzlichen Krankenversicherung nicht als Ruhenstatbestand angesprochen. Da somit die Ansprüche des Verletzten nach dem OEG/BVG neben dem Anspruch auf Heilbehandlung aus der Krankenversicherung stehen, ist § 19 BVG für die Erstattungs- und Ersatzleistung heranzuziehen.

Die Beteiligungsfähigkeit der Krankenkasse ist auch nicht lediglich auf das Verwaltungsverfahren beschränkt. Das BSG hat vielmehr aus der Beteiligung im Verwaltungsverfahren ein eigenes Klagerecht abgeleitet (BSGE 34, 289, 290; Urteil vom 17. November 1981 - 9 RVg 2/81 -), um die Krankenkasse in die Lage zu versetzen, die erforderliche Anerkennung der Schädigungsfolgen für ihren Ersatzanspruch zu erwirken.

Das SG, das die Klage wegen fehlender Klagebefugnis abgewiesen hat, hat keine Feststellungen zu dem Tatbestand des rechtswidrigen tätlichen Angriffs, getroffen. Der erkennende Senat ist deshalb nicht in der Lage, abschließend über die Sache zu entscheiden. Daher muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Nachholung dieser Feststellungen an das SG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Für einen ausdrücklichen Urteilsausspruch, der feststellt, daß der Klägerin eine Klagebefugnis zusteht, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Diese Feststellung folgt bereits aus der Aufhebung des Urteils des SG.

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655113

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