Entscheidungsstichwort (Thema)

Jahresarbeitsverdienst nach Ausbildung zum Steuerberater und Wirtschaftsprüfer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes bei einem unfallverletzten Studenten, der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zu werden beabsichtigte (§ 573 Abs 1 RVO).

2. Zur Auslegung von § 573 Abs 3 RVO.

 

Orientierungssatz

1. Aus den Vorschriften über die Ausbildung zum Steuerberater einerseits und zum Wirtschaftsprüfer andererseits folgt, daß jede für sich genommen eine Berufsausbildung iS von § 573 Abs 1 RVO ist und es demgemäß auf den Jahresarbeitsverdienst ankommt, welcher nach der voraussichtlichen ersten Ausbildung erzielt worden wäre.

2. Die Anpassung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 573 Abs 3 RVO erfolgt als Ausgleich für eine nicht mitvollzogene, aber festliegende Verdiensterhöhung, die ausschließlich in Abhängigkeit vom Lebensalter oder der zurückgelegten Zahl von Berufsjahren gewährt wird. Dagegen werden solche Verdiensterhöhungen nicht erfaßt, welche unabhängig vom Lebensalter und ohne Berücksichtigung von festgelegten Veränderungen der Einkünfte nach der Berufserfahrung eintreten.

 

Normenkette

RVO § 573 Abs 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 573 Abs 3 Fassung: 1963-04-30; StBerG § 5 Fassung: 1961-08-16, § 35 Fassung: 1975-11-04; WiPrO §§ 8-9

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 29.10.1985; Aktenzeichen L 6 U 139/85)

SG Hannover (Entscheidung vom 15.04.1985; Aktenzeichen S 19 U 375/84)

 

Tatbestand

Der Kläger kann infolge eines während seines Studiums als Werkstudent erlittenen Arbeitsunfalles einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen. Die Beteiligten streiten darüber, von wann an die Rente zu zahlen und wie der der Verletztenrente zugrundeliegende Jahresarbeitsverdienst (JAV) nach § 573 Abs 1 und 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu berechnen bzw anzupassen ist.

Der Unfall ereignete sich am 6. April 1964. Der Antrag auf Verletztenrente vom Mai 1980 ging Anfang Juni 1980 bei einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ein. Durch Bescheid vom 12. Juli 1983 bewilligte die Beklagte ab 1. Mai 1980 Verletztenrente in Höhe von 90 vH der Vollrente unter Berücksichtigung eines Mindest-JAV von 15.535,40 DM für das Jahr 1980 und mit entsprechenden Anpassungen; ein früherer Rentenbeginn sei, so heißt es, gemäß § 1546 RVO nicht möglich.

Mit diesem Bescheid war der Kläger wegen des Rentenbeginns sowie wegen des berücksichtigten JAV nicht einverstanden. Er habe, so trug er ua vor, nach seinem Studium der Jurisprudenz - 1. Staatsexamen im September 1969 - sowie der Wirtschaftslehre Steuerberater und Wirtschaftsprüfer werden wollen.

Am 20. November 1984 stellte die Beklagte den JAV für die Verletztenrente des Klägers unter Berücksichtigung des ohne den Unfall am 1. Juli 1968 bestandenen 2. juristischen Staatsexamens in der Besoldungsgruppe A 13, Dienstaltersstufe 1, neu fest. Den weitergehenden Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1985).

Das Sozialgericht (SG; Urteil vom 15. April 1985) hat die Klage abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 29. Oktober 1985 hat die Beklagte in Abwesenheit des Klägers als JAV den Betrag anerkannt, welcher der 5. Dienstaltersstufe in der Besoldungsgruppe A 13 am 1. Juli 1968 entsprach (19.012,20 DM). Zu dieser Leistung hat das LSG die Beklagte mit Urteil vom selben Tage verurteilt und die Berufung wegen des Rentenbeginns zurückgewiesen. In den Urteilsgründen heißt es ua, die Berufung sei auch wegen des Rentenbeginns (Antrag: 1. Januar 1976) zulässig, weil das SG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe. Insoweit sei die Berufung jedoch unbegründet, weil die verspätete Anmeldung des Anspruchs auf Verletztenrente nicht außerhalb des Willens des Klägers gelegen habe. Die Anwendung von § 573 Abs 1 RVO führe zur Berücksichtigung einer Tätigkeit des Klägers als angehender Steuerberater nach Beendigung seiner Ausbildung. Da tariflich vereinbarte oder ortsübliche Entgelte für diesen Personenkreis für das Jahr 1968 nicht zu ermitteln seien, müsse auf das Anerkenntnis der Beklagten als tragfähiger Vorschlag zurückgegriffen werden; dadurch werde der Kläger auf keinen Fall benachteiligt. Die Voraussetzungen des § 573 Abs 3 RVO seien nicht gegeben, weil für den angehenden Steuerberater keine altersabhängigen Tarifsteigerungen oder ortsüblichen Gehaltsanhebungen vorgesehen gewesen seien. Eine pauschalierende Anpassung nach den Besoldungsgruppen R 1 und A 14 komme ebensowenig in Betracht wie die Berücksichtigung einer Regelbeförderung, welche damals noch nicht vorgesehen gewesen sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Nach der Auffassung des Klägers im Revisionsverfahren hätte das LSG bei der Anwendung des § 573 Abs 1 RVO von dem erlernten Beruf eines Wirtschaftsprüfers und nicht von der Tätigkeit als angehender Steuerberater ausgehen müssen. Es handele sich insoweit um eine Ausbildung im Sinne des Gesetzes, welche er nach Verlassen der Universität in einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft als Revisionsassistent habe durchlaufen wollen. Dies habe das LSG verkannt und die Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer zu Unrecht als weitere Ausbildung gegenüber derjenigen zum Steuerberater betrachtet. Es habe daher notwendige Ermittlungen nicht angestellt. Im übrigen sei unberücksichtigt geblieben, daß er mit zunehmenden Berufsjahren Verdiensterhöhungen erhalten haben würde (§ 573 Abs 3 RVO). Das LSG hätte die ortsüblichen, wegen wachsender Berufserfahrungen eintretenden Erhöhungen feststellen müssen. Ggf komme es auf den von einem berufserfahrenen Steuerberater oder Diplomkaufmann mit der Vorbildung des Klägers erzielten Verdienst an. Bei Zugrundelegung von Besoldungsgruppen des höheren öffentlichen Dienstes sei von dem Endgrundgehalt bzw von festen Gehältern auszugehen. Ersteres habe die Beklagte durch ihren Bescheid vom 20. November 1984 im Grunde anerkannt, weil sie darin eine diesbezügliche Vergleichsberechnung angestellt habe.

Der Kläger hält die Anwendung von § 1546 RVO für unrichtig. Wegen fortwährender Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalles sei die Anmeldefrist für seine Ansprüche nicht verstrichen.

Der Kläger beantragt, 1.) das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 29. Oktober 1985 (L 6 U 139/85) aufzuheben und den Bescheid vom 12. Juli 1983 in der Gestalt des Bescheides vom 20. November 1984 und des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 1985 zu ändern;

2.) die Revisionsgegnerin zu verurteilen, gemäß § 573 Abs 1 und Abs 3 RVO für den Revisionsführer den Jahresarbeitsverdienst (JAV) 1964 eines berufserfahrenen Wirtschaftsprüfers mit 18 Berufsjahren festzustellen;

hilfsweise, gemäß § 573 Abs 1 und Abs 3 RVO den JAV 1964 eines berufserfahrenen Steuerberaters mit 18 Berufsjahren festzustellen;

hilfsweise, gemäß § 573 Abs 1 und Abs 3 RVO den JAV 1964 eines berufserfahrenen Diplom-Kaufmanns mit der Vorbildung des Revisionsführers und mit 18 Berufsjahren in einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft/-Kanzlei festzustellen; hilfsweise, im Wege pauschalierender Anpassung für den Revisionsführer einen dem Jahreseinkommen 1985 entsprechenden JAV 1964 unter Zuhilfenahme eines Vergleichs mit den Jahres-/Monatseinkommen eines Beamten der Besoldungsgruppen B 5 bis A 16, Dienstaltersstufe 14 = Endgrundgehalt, der Bundesbesoldungsordnungen 1985 und 1964 festzustellen;

hilfsweise, kraft Anerkenntnisses der Revisionsgegnerin gemäß § 573 Abs 3 RVO den JAV 1964 eines 49-jährigen, ledigen Regierungsrates der Besoldungsgruppe A 13a der BBesO 1964, Endgrundgehalt = Dienstaltersstufe 13 Ortszuschlag Stadt, festzustellen;

3.) die Revisionsgegnerin wird verurteilt, dem Revisionsführer Verletztenrente ab 1. Januar 1976 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Anwendung von § 1546 RVO für richtig. Mit der Berücksichtigung des 2. juristischen Staatsexamens durch ihren Bescheid vom 20. November 1984 habe sie den Kläger so gestellt wie nach einem Doppelstudium. Am Ende dieser Ausbildung im Jahre 1968 wäre der Kläger, wovon bei der Berechnung des JAV auch ausgegangen sei, angehender Steuerberater gewesen. § 573 Abs 3 RVO sei nicht anwendbar. Ein Anerkenntnis sei nicht abgegeben worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist bezüglich des Beginns der Verletztenrente nicht begründet. Sie führt im übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Wird der Anspruch auf Unfallentschädigung nicht spätestens zwei Jahre nach dem Unfall bei dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung angemeldet, so beginnt die Leistung nach § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO mit dem Ersten des Antragsmonats, es sei denn, daß die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet ist, die außerhalb des Willens des Berechtigten lagen. Nach den hier allein maßgeblichen Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), gegen welche zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind, sind die Voraussetzungen für einen Rentenbeginn im Jahre 1976 nach dieser für Unfälle nach dem 30. Juni 1963 geltenden Vorschrift nicht gegeben. Danach meldete der Kläger seinen im Jahre 1964 erlittenen Unfall deshalb erst im Jahre 1980 bei einem Versicherungsträger an, weil er nicht erkannt hatte, daß er als Werkstudent zum Kreis der in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) gehörte. Für derartig gelagerte Sachverhalte hat der erkennende Senat von Anfang an entschieden (BSGE 16, 7, 11), daß auch eine nicht auf Verschulden beruhende Unkenntnis von Rechtsvorschriften grundsätzlich nicht "außerhalb des Willens des Berechtigten" liegt, weil es ihm in der Regel zugemutet werden kann, sich über den Inhalt etwa bestehender Rechtsregeln zu informieren. Von dieser Rechtsprechung abzugehen bietet der vorliegende Rechtsstreit schon angesichts des damaligen Ausbildungsstandes des Klägers keinen konkreten Anlaß (hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 232 r I ff). Das LSG hat darüber hinaus keine sonstigen außerhalb des Willens des Klägers liegenden Umstände für die verspätete Anmeldung seines Unfalles festzustellen vermocht und insbesondere keinen Anhalt dafür gesehen, daß die Folgen des Arbeitsunfalles solche die Meldung hindernden Verhältnisse hätten darstellen können. Das entgegenstehende Vorbringen der Revision ist auch angesichts des dem Urteil des LSG zu entnehmenden Krankheitsverlaufs unbegründet. Eine vom Kläger geltend gemachte Verschlimmerung seiner Unfallfolgen in der Zeit zwischen dem Unfall und dessen Meldung bei dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung schließt die Anwendung des § 1546 RVO seit Inkrafttreten des UVNG am 1. Juli 1963 nicht mehr aus, so daß das LSG sich auch nicht hat gedrängt fühlen müssen, dem in der Berufungsschrift gestellten Beweisantrag zu folgen. Die Revision war insoweit zurückzuweisen.

Demgegenüber vermochte der Senat nicht zu entscheiden, ob auch der nunmehr der Verletztenrente des Klägers zugrundeliegende JAV - Besoldungsgruppe A 13, Dienstaltersstufe 5 - bei richtiger Anwendung des § 573 Abs 1 und 3 RVO Bestand hat. Das LSG hat - seiner Rechtsüberzeugung folgend - hierzu nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen.

Wird ein Versicherter während der Berufsausbildung von einem Arbeitsunfall betroffen, so ist der JAV für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu zu berechnen und von nun an das Entgelt zugrunde zu legen, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif festgesetzt oder sonst ortsüblich ist (s § 573 Abs 1 RVO). Der Zeitpunkt des Endes der Ausbildung, auf welchen es danach ankommt, ist, wovon auch das LSG ausgegangen ist, nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles festzustellen. Es richtet sich naturgemäß nach dem ins Auge gefaßten erreichbaren Ausbildungsziel. Das LSG und die Beteiligten nehmen insofern offensichtlich übereinstimmend an, daß der Kläger Steuerberater und Wirtschaftsprüfer werden wollte. Die Beklagte geht davon aus, daß dieses Ziel nach dem Bestehen der 2. juristischen Staatsprüfung angegangen worden wäre (Bescheid vom 20. November 1984), während das LSG meint, die Ausbildung des Klägers wäre nach bestandenem wissenschaftlichen Examen (Diplomprüfung) abgeschlossen und die Tätigkeit als "angehender Steuerberater" die erste gemäß § 573 Abs 1 RVO relevante berufliche Tätigkeit gewesen. Beidem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Entgegen der Auffassung des LSG sieht der Senat nicht als entscheidend an, daß der Abschluß des Studiums den Kläger befähigt hätte, im privatwirtschaftlichen Bereich vollwertig tätig zu sein, und auch die Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer ist nicht eine solche, welche gegenüber der Tätigkeit als Steuerberater einen "beruflichen Aufstieg" vermittelt, welcher im Rahmen von § 573 Abs 1 RVO unberücksichtigt bleiben muß. Der Senat ist jedoch anders als die Beklagte der Ansicht, daß nach § 573 Abs 1 RVO nur eine Ausbildung zum Steuerberater oder zum Wirtschaftsprüfer in Betracht gezogen werden darf.

Der Berufsweg des Steuerberaters einerseits und des Wirtschaftsprüfers andererseits waren bereits in der für den Kläger maßgebenden Zeit der Ausbildung Gegenstand unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen. Die Vorschriften über die Voraussetzungen für die Ausübung des Berufs eines Steuerberaters sind dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (Steuerberatungsgesetz, StBerG) vom 16. August 1961 (BGBl I S 1301; maßgeblich geändert durch das 2. Änderungsgesetz vom 11. August 1973, BGBl I 1401, jetzt idF vom 4. November 1975 - BGBl I S 2735), insbesondere §§ 4 ff, in der Neufassung §§ 35 ff, zu entnehmen. Nach § 5 StBerG war - abgesehen von den Ausnahmefällen der Abs 2 und 3 - zur Prüfung als Steuerberater zuzulassen, wer ein wirtschaftswissenschaftliches oder rechtswissenschaftliches Hochschulstudium abgeschlossen hatte und danach drei Jahre lang auf dem Gebiet des Steuerwesens bei einer Person oder Gesellschaft, die nach § 107a AO zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt war, hauptberuflich praktisch tätig gewesen war. Diese praktische Ausbildungszeit ist offensichtlich bisher als die Zeit des "angehenden Steuerberaters" angesprochen worden. Dabei handelt es sich um eine für die Zulassung zur Prüfung (§ 7 StBerG) und damit für die Berufsausübung gesetzlich notwendige Vorbereitungszeit, welche die Merkmale einer Berufsausbildung - insbesondere: eine abschließende Prüfung (§§ 7, 8 StBerG) - aufweist. Infolgedessen kommt als Beendigung der Ausbildung eines Steuerberaters iS von § 573 Abs 1 RVO nach den damals geltenden Vorschriften nicht schon der Hochschulabschluß in Betracht, und demgemäß ist die Arbeit in der Vorbereitungszeit ("angehender Steuerberater") nicht für die Errechnung des JAV maßgebend. Vielmehr kommt es auf die erste Tätigkeit nach der Ausbildung, also die Arbeit als Steuerberater, an.

Demgegenüber enthält das Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung, WPO) vom 24. Juli 1961 (BGBl I S 1049) einen hiervon unabhängigen Ausbildungsgang, welcher gegenüber demjenigen im StBerG nicht als solcher mit zusätzlicher Qualifikation angesehen werden kann. Hierauf weist die Revision richtig hin. Nach dieser bis zum 20. August 1975 geltenden Ordnung - siehe für die Folgezeit die Neufassung durch das Gesetz zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung und anderer Gesetze vom 20. August 1975 (BGBl I S 2258, Bekanntmachung BGBl I S 2803) - setzt die Zulassung für die Ausübung des Berufs als Wirtschaftsprüfer als Vorbildung den Abschluß eines - ua - juristischen oder betriebs- oder volkswirtschaftlichen Studiums (§ 8 Abs 1 Nr 1 WPO) und genügende praktische Ausbildung mit einer wenigstens vierjährigen Prüfungstätigkeit (§ 8 Abs 1 Nr 2 WPO) voraus. Diese praktische Ausbildung vollzieht sich, anders als die Beklagte annimmt, nicht in der gewöhnlichen praktischen Juristenausbildung (Referendarausbildung). Die als Prüfungstätigkeit bezeichnete praktische Ausbildung dauerte zunächst mindestens sechs Jahre und erfolgte "im Wirtschaftsleben" (§ 8 Abs 1 Nr 2 WPO). Im einzelnen regelt § 9 WPO, welche ausbildende Tätigkeit in Betracht kommt. Abs 3 der Norm besagt ua, daß eine Tätigkeit als Steuerberater - nicht: "bei" einem Steuerberater - bis zur Höchstdauer von zwei Jahren auf die Prüfungstätigkeit angerechnet wird. Durch diese Vorschrift wird verdeutlicht, daß die Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer gegenüber derjenigen zum Steuerberater von anderer Art ist. Dadurch, daß ein Steuerberater die Prüfung als Wirtschaftsprüfer nach einer verkürzten Prüfungstätigkeit von nur vier Jahren ablegen konnte, folgt nicht, daß insoweit eine Verkoppelung beider Ausbildungen in der Weise erreicht worden wäre, daß beide Ausbildungen gemeinsam erst die Berufsausbildung zum Wirtschaftsprüfer abschließen würden. Vielmehr ist die Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer, wie dargelegt, von der zum Steuerberater nicht nur unabhängig, sondern auch in ihrer praktischen Voraussetzung deutlich unterschieden.

Aus den Vorschriften über die Ausbildung zum Steuerberater einerseits und zum Wirtschaftsprüfer andererseits folgt, daß jede für sich genommen eine Berufsausbildung iS von § 573 Abs 1 RVO ist und es demgemäß auf den JAV ankommt, welcher nach der voraussichtlichen ersten Ausbildung erzielt worden wäre. Demgemäß wird das LSG Feststellungen hinsichtlich des voraussichtlichen Endes der wahrscheinlich ersten vom Kläger gewählten Ausbildung zu treffen und den daran anschließend erzielten JAV zu ermitteln haben. Dabei sind die in § 573 Abs 1 Satz 2 RVO genannten Maßstäbe anzulegen.

Nach den Feststellungen des LSG, gegen welche zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind (§ 163 SGG), kann der Kläger infolge seines Unfalles einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen, so daß mit Recht untersucht worden ist, ob der JAV aus diesem Grunde nach § 573 Abs 3 RVO anzupassen ist. Hierfür ist erforderlich, daß bereits im Zeitpunkt des Unfalles - also hier: im Jahre 1964 - für die Ausübung des Berufes als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer nach tariflicher oder ortsüblicher Festlegung Verdiensterhöhungen in Abhängigkeit von einem bestimmten Lebensalter oder von bestimmten Berufsjahren fest zu erwarten waren. Durch die vom Gesetzgeber eng gefaßten Voraussetzungen werden solche Verdiensterhöhungen nicht erfaßt, welche unabhängig vom Lebensalter und ohne Berücksichtigung von festgelegten Veränderungen der Einkünfte nach der Berufserfahrung eintreten. Diese werden nämlich von der regelmäßigen Rentenanpassung (§ 579 RVO) kompensiert (BT-Drucks IV/938 - neu - S 11 zu § 574 Abs 3). Aus diesem Grunde kommt es hier nicht auf die tatsächliche allgemeine Einkommensentwicklung bei Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern seit 1964 an. Vielmehr erfolgt die Anpassung nach § 573 Abs 3 RVO als Ausgleich für eine nicht mitvollzogene, aber festliegende Verdiensterhöhung, die ausschließlich in Abhängigkeit vom Lebensalter oder der zurückgelegten Zahl von Berufsjahren gewährt wurde. § 573 Abs 3 RVO spielt demgemäß bei denjenigen Verletzten eine Rolle, bei denen der JAV nach dem Ende der Ausbildung (§ 573 Abs 1 RVO) wegen unzureichender Lebens- oder Berufserfahrung niedriger ausfällt. Ob es bei Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern derartige Mindereinkommen für Personen nach Abschluß der Ausbildung gegeben hat, obwohl sich in diesen Berufen bereits die Ausbildung in der praktischen Berufsausübung vollzog, wird das LSG festzustellen haben; es hat dies nur für "angehende Steuerberater" verneint. Sahen die tariflichen oder ortsüblichen Regelungen im Jahre 1964 entsprechende Verdiensterhöhungen in ausschließlicher Abhängigkeit vom Lebensalter oder der Zahl der Berufsjahre vor, ist der nach § 573 Abs 1 errechnete JAV nach Abs 3 dieser Vorschrift weiter anzupassen.

Das LSG wird die erforderlichen Entscheidungen - auch über die Erstattung der Kosten in der Revisionsinstanz - alsdann treffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1665721

BSGE, 258

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