Leitsatz (amtlich)

Um eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge handelt es sich auch dann, wenn die erste Feststellung in einer Ablehnung bestanden hat.

Eine Neufeststellung "wegen Änderung der Verhältnisse" im Sinne des SGG § 148 Nr 3 liegt jedoch nicht vor, wenn die neue Feststellung nicht wegen Änderung derjenigen Verhältnisse erfolgt ist, die für die Beurteilung einer Anspruchsvoraussetzung bei der ersten Feststellung maßgebend gewesen sind, sondern wegen einer anderen, bei der ersten Feststellung nicht geprüften Voraussetzung.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1958-06-25

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. Juni 1960 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin und ihr Ehemann beantragten 1950 Elternrente, nachdem ihr einziger Sohn im Kriege gefallen war. Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 15. Mai 1953 nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab, weil das Einkommen in Geld und Geldeswert die damals für ein Elternpaar vorgeschriebene Einkommensgrenze überstieg und die Voraussetzung der Bedürftigkeit sowohl nach dem KBLG als auch nach dem BVG zu verneinen war. Der Bescheid wurde nicht angefochten. Nach der Erhöhung der Elternrente und der Einkommensgrenze durch das Dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG beantragten die Klägerin und ihr Ehemann 1955 erneut Elternrente. Am 4. Februar 1956 starb ihr Ehemann. Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 13. Juni 1956 ab, da der Sohn der Klägerin nicht ihr Ernährer gewesen sei, und es auch nicht geworden wäre. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) hob durch Urteil vom 7. November 1957 den Bescheid vom 13. Juni 1956 sowie den Widerspruchsbescheid auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin vom 1. Januar 1955 an Elternrente zu zahlen. Es war der Auffassung, ihr einziger Sohn wäre in jedem Falle der Ernährer geworden und bejahte die Bedürftigkeit. Die Berufung wurde nicht zugelassen.

Das Landessozialgericht (LSG) verwarf durch Urteil vom 9. Juni 1960 die Berufung des Beklagten. Es ging davon aus, daß die Statthaftigkeit der Berufung nach § 148 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aF zu beurteilen sei, weil das angefochtene Urteil vor dem Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG ergangen sei. Nach dieser Vorschrift habe das Urteil mit der Berufung jedoch nicht angefochten werden können, weil es die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betreffe. Nachdem die Elternrente durch Bescheid vom 15. Mai 1953 abgelehnt worden sei, enthalte der Bescheid vom 13. Juni 1956 eine Neufeststellung im Sinne des § 62 BVG. Selbst wenn dieser Bescheid sich nur auf die Versorgung eines Elternteiles - der Klägerin - beziehe, sei jedenfalls durch den Bescheid vom 15. Mai 1953 auch über ihren Anspruch entschieden worden. Das LSG ließ die Revision zu.

Der Beklagte legte gegen das am 9. August 1960 zugestellte Urteil am 7. September 1960 Revision ein. Er beantragte,

die Urteile des LSG vom 9. Juni 1960 und des SG Marburg vom 7. November 1957 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

In der am 7. Oktober 1960 eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Beklagte, das LSG habe die Berufung nach § 148 Nr. 3 SGG aF zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Bescheid vom 13. Juni 1956, durch den die Elternrente der Klägerin nach dem BVG abgelehnt worden sei, enthalte nicht eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse, sondern die erstmalige Feststellung über den Anspruch der Klägerin. In dem Bescheid vom 15. Mai 1953 sei über den Anspruch beider Elternteile, nicht über den Anspruch der Klägerin - des überlebenden Elternteils - befunden worden. Die Elternrente für ein Elternpaar und die für einen Elternteil seien verschiedene Ansprüche und nach verschiedenen Voraussetzungen zu beurteilen. Sterbe ein Elternteil, so entstehe für den überlebenden ein neuer Anspruch, der sich nicht wie die Rente für ein Elternpaar nach § 51 Abs. 1, 1. Halbsatz BVG, sondern nach § 51 Abs. 1 letzter Halbsatz richte und einem Elternteil allein zustehe. Wären in beiden Fällen die Voraussetzungen gleich, so erübrigte sich die Fiktion der Verwaltungsvorschrift (VerwV) Nr. 5 § 62 BVG, wonach der Tod eines Elternteils als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gelte. Außerdem sei mit dem Antrag auf Elternrente nach dem Inkrafttreten des Dritten Änderungsgesetzes zum BVG ein Anspruch geltend gemacht worden, der durch die sich aus Art. 1 Nr. 15 dieses Gesetzes ergebenden Änderungen des § 51 BVG neu geschaffen worden sei. In Art. V Nr. 2 seien "Versorgungsansprüche, die sich aus Art. I Nr. 15 ergeben", ausdrücklich als neu bezeichnet. Auch habe das Bundessozialgericht (BSG) für die Entscheidung über Ansprüche aus ähnlichen Änderungen des § 51 BVG durch das Fünfte Änderungsgesetz eine Neufeststellung im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG verneint, weil diese Änderungen neue Ansprüche auf Elternrente begründet hätten und darüber erstmals zu befinden gewesen sei, auch wenn früher die Rente abgelehnt wurde (vgl. BSG 9, 295 ff).

Ungeachtet dessen sei die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft gewesen. Da die Eltern die Rente 1955 gemeinsam beantragt hätten, habe das SG für die Zeit bis zu dem Tode des Ehemannes nicht über den Anspruch der Klägerin allein entscheiden dürfen. Dieser Verfahrensmangel sei in jedem Rechtszuge von Amts wegen zu berücksichtigen und werde ausdrücklich gerügt.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG und, da sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist, zulässig. Die Revision ist auch begründet.

Die Statthaftigkeit der Berufung des Beklagten ist in diesem Falle nach § 148 Nr. 3 SGG idF vor dem Zweiten Gesetz zur Änderung des SGG vom 25. Juni 1958 - BGBl I S. 409 - zu beurteilen (BSG in SozR SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 3 mit weiteren Hinweisen). Der Beklagte hat die Berufung am 6. Dezember 1957 eingelegt; die Änderung des § 148 durch das Zweite Änderungsgesetz gilt erst vom 1. Juli. 1958 an. Zu diesem Zeitpunkt ist die Berufung bereits nach altem Recht wirksam eingelegt und die Prozeßhandlung, um deren Zulässigkeit es hier geht, abgeschlossen gewesen.

Das Zweite Änderungsgesetz zum SGG ist aber auf die vor seinem Inkrafttreten abgeschlossenen Prozeßhandlungen nicht anzuwenden (BSG 8, 135). Daher hat das LSG im vorliegenden Fall zutreffend die Statthaftigkeit der Berufung nach § 148 SGG aF beurteilt, wenn auch entgegen seiner Ansicht für diese Beurteilung nicht der Zeitpunkt des Erlasses des Urteils, sondern der wirksamen Einlegung der Berufung maßgebend ist. Unzutreffend ist dagegen die Auffassung des LSG, das Urteil des SG habe die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betroffen.

Nach § 148 Nr. 3 SGG haben in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden können, wenn sie - abgesehen von den hier nicht einschlägigen Ausnahmen - die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betroffen haben. Eine "Neufeststellung" setzt voraus, daß bereits eine "Feststellung" der Versorgungsbezüge stattgefunden hat. Um eine solche Feststellung handelt es sich immer dann, wenn die Versorgungsverwaltung erkennbar zum Ausdruck bringt, ob Anspruch auf eine bestimmte Rente besteht oder nicht. Sie kann auch in der Ablehnung der Versorgungsbezüge liegen (BSG in SozR SGG § 148 Bl. Da 6 Nr. 17). Eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge, zu denen die Elternrente gehört, liegt daher auch vor, wenn der Anspruch auf Elternrente nach dem BVG bereits früher erhoben, aber abgelehnt worden ist. Hier hat das Versorgungsamt (VersorgA) den Anspruch auf Elternrente nach dem BVG am 15. Mai 1953 verneint, weil die dafür erforderliche Voraussetzung der Bedürftigkeit nicht erfüllt gewesen ist. Andere Voraussetzungen des Anspruchs hat es damals nicht geprüft. Dieser Bescheid hat demnach die Feststellung der Versorgungsbezüge betroffen, auch wenn Leistungen versagt worden sind. Der Bescheid vom 13. Juni 1956, der Neufeststellungsbescheid hätte demnach nur dann eine Neufeststellung "wegen Änderung der Verhältnisse" zum Inhalt gehabt, wenn sich die Verhältnisse, die für die frühere Feststellung maßgebend gewesen waren, wesentlich geändert hätten und die Versorgungsbezüge deswegen neu festgestellt worden wären. Da für die frühere Feststellung (Ablehnung) allein die tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Eltern und diejenigen rechtlichen Verhältnisse maßgebend waren, von denen damals bei vorhandenem Einkommen die Gewährung der Elternrente abhing, so beträfe der Bescheid vom 13. Juni 1956 nur dann, wenn er eine Änderung dieses Verhältnisses zum Gegenstand hätte, eine Neufeststellung "wegen Änderung der Verhältnisse". Nun hat zwar das Dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 19. Januar 1955 (BGBl I 25) mit der Erhöhung der vollen Elternrente und der Einkommensgrenzen in § 51 BVG die Maßstäbe und damit die rechtlichen Verhältnisse geändert, die für die Anrechnung sonstigen Einkommens auf die Elternrente maßgebend waren. Auch haben die Klägerin und ihr Ehemann diese Änderung zum Anlaß genommen, eine Neufeststellung zu beantragen, weil sie meinten, auf Grund dieser Änderung könne nunmehr die Elternrente gewährt werden. Das VersorgA hat aber die Elternrente durch Bescheid vom 13. Juni 1956 nicht wegen dieser Änderung der Verhältnisse neu festgestellt; es hat die Elternrente vielmehr jetzt deshalb abgelehnt, weil der Sohn der Klägerin nicht ihr Ernährer gewesen sei, und es auch nicht geworden wäre, wenn er den Krieg überlebt hätte. Insoweit liegt nicht eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse vor, die für die Feststellung am 15. Mai 1953 maßgebend gewesen sind und dazu geführt haben, die Bedürftigkeit zu verneinen und deswegen die Elternrente abzulehnen. Mit der Frage, ob der Anspruch auf Gewährung der Elternrente wegen der durch die Erhöhung der vollen Elternrente und der Einkommensgrenzen bedingten Änderung der rechtlichen Verhältnisse nunmehr anders zu beurteilen gewesen wäre als nach den Verhältnissen, die für die Feststellung am 15. Mai 1953 maßgebend gewesen sind, hat sich das VersorgA gar nicht mehr befaßt. Für die erneute Ablehnung der Elternrente mit Bescheid vom 13. Juni 1956 sind demnach nicht geänderte, sondern andere, bei der Feststellung am 15. Mai 1953 nicht gewürdigte Verhältnisse, maßgebend gewesen. Somit hat auch das Urteil des SG, mit dem über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 1956 entschieden worden ist, nicht die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betroffen, so daß die Berufung gegen dieses Urteil nicht nach § 148 Nr. 3 SGG aF ausgeschlossen war.

Dieses Ergebnis entspricht auch dem Grundgedanken des § 148 Nr. 3 SGG, wonach in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Berufung gegen Urteile des SG nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn bei einer Neufeststellung der Versorgungsbezüge sich gegenüber der ersten Feststellung nicht die Grundlagen des Anspruchs, sondern lediglich die für die Beurteilung einer der Grundlagen maßgebenden Verhältnisse geändert haben. Das Gesetz wollte verhindern, daß der Rechtsstreit um eine Anspruchsvoraussetzung in die Berufungsinstanz gelangt, wenn diese Voraussetzung bei einer Feststellung von Versorgungsbezügen bereits einmal geprüft worden ist und bei einer Neufeststellung dieselbe Voraussetzung lediglich wegen einer Änderung der ihre Beurteilung betreffenden Verhältnisse zu prüfen gewesen ist. In diesem Falle sollte die Nachprüfung durch das SG genügen, da die Anspruchsvoraussetzung bereits Gegenstand der Prüfung bei einer früheren Feststellung der Versorgungsbezüge gewesen ist. Bei diesen Erwägungen kann die Berufung dann nicht ausgeschlossen sein, wenn, wie hier, über die Ernährereigenschaft als Voraussetzung des Anspruchs bei der ersten Feststellung überhaupt nicht befunden worden ist und die Verhältnisse, die für die Verneinung der Bedürftigkeit und die erste Ablehnung der Elternrente maßgebend waren, bei der Neufeststellung gar nicht mehr nachgeprüft worden sind.

Die Rüge des Beklagten, das LSG habe die Berufung nicht nach § 148 Nr. 3 SGG aF als unzulässig verwerfen dürfen und zu Unrecht ein Prozeßurteil statt eines Sachurteils erlassen, ist somit schon aus den hier erörterten Gründen gerechtfertigt. Es braucht nicht noch geprüft zu werden, ob die Ausführungen zutreffen, mit denen der Beklagte im übrigen die Revision begründet hat.

Da das LSG § 148 Nr. 3 SGG aF nicht richtig angewandt und ein Prozeßurteil statt eines Sachurteils erlassen hat, ist die Revision begründet. Das auf der unrichtigen Anwendung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift beruhende Urteil des LSG war daher aufzuheben. Gleichzeitig war die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil das LSG Tatsachen, die zu einer Entscheidung in der Sache selbst erforderlich waren, nicht festgestellt hat (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten war dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2308615

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