Leitsatz (amtlich)

Bei der Anwendung der Vorschrift in ArVNG Art 2 § 42 S 2, wonach ab 1957-01-01 für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalles für mindestens 9 Monate Beiträge zu entrichten sind, können bei schwebenden Verfahren freiwillige Beiträge auch noch nach Eintritt des Versicherungsfalles in den sich aus RVO § 1444 Abs 2 aF ergebenden Grenzen entrichtet werden.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1444 Abs. 2 Fassung: 1937-12-21

 

Tenor

im Verfahren ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Februar 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin war von 1920 bis 1934 als Schneiderin invalidenversicherungspflichtig beschäftigt. Später setzte sie ihre Versicherung freiwillig fort. Für die Jahre 1949 bis 1956 entrichtete sie während dieser Jahre jeweils 26 Wochenbeiträge. Im Jahre 1957 entrichtete sie für dieses Jahr nur zwei Monatsbeiträge. Im November 1957 beantragte sie, ihr Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Durch Bescheid vom 1. Juli 1958 lehnte die Beklagte den Rentenantrag wegen fehlender Berufsunfähigkeit ab. Im anschließenden Klageverfahren verurteilte das Sozialgericht (SG) Speyer die Beklagte am 11. September 1959, der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen, da diese seit dem 15. März 1958 berufsunfähig sei. In Ausführung dieses Urteils bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 30. November 1959 die begehrte Leistung vom 1. März 1958 an, und zwar in Höhe von monatlich 28,30 DM. Dabei berechnete sie die Rente nach neuem Recht, weil für 1957 nicht die in Art. 2 § 42 Satz 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 vorgeschriebene Mindestzahl von neun Monatsbeiträgen für das Jahr 1957 entrichtet worden sei und deshalb die Rente nicht gemäß dieser Vorschrift nach dem für die Klägerin günstigeren alten Recht berechnet werden könne.

Hiergegen hat die Klägerin am 30. Dezember 1959 Klage erhoben, mit der sie die Berechnung ihrer Rente nach altem Recht gemäß Art. 2 § 42 ArVNG erstrebt. Sie hat sich bereit erklärt, die für das Jahr 1957 fehlenden sieben Monatsbeiträge nachzuentrichten. Die Beklagte hat sich jedoch geweigert, noch Beiträge entgegenzunehmen, da die Klägerin nach § 1419 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Berufsunfähige keine Beiträge mehr entrichten könne. Dieser Auffassung hat sich das SG Speyer mit Urteil vom 19. Mai 1960 angeschlossen; auf Grund des § 1420 Abs. 2 RVO trotz Eintritts der Berufsunfähigkeit Beiträge nachzuentrichten, sei nicht zulässig, weil in § 1420 Abs. 2 RVO der § 1419 RVO nicht erwähnt sei.

Während des Laufes des Berufungsverfahrens, im Jahre 1962, hat die Klägerin für das Jahr 1957 noch acht Monatsbeiträge freiwillig nachentrichtet. Durch Urteil vom 14. Februar 1962 hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz unter Aufhebung des Urteils des SG und in Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 30. November 1959 diese verurteilt, der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit mit der Maßgabe zu gewähren, daß diese Rente nach Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnen und der danach sich ergebende höhere Betrag zu zahlen ist. Zwar sei die Klägerin schon seit März 1958 berufsunfähig, und nach § 1419 RVO dürften freiwillige Beiträge nach Eintritt der Berufsunfähigkeit für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden. Seit November 1957 habe jedoch das Verfahren über den Rentenanspruch geschwebt. Unter diesen Umständen sei nach altem Recht eine Nachentrichtung noch statthaft gewesen, weil § 1444 Abs. 2 RVO aF ausdrücklich bestimmt habe, daß Zeiträume, in denen ein Rentenverfahren schwebt, in die Fristen der §§ 1442 und 1443 RVO nicht einzurechnen seien. Dieser Rechtsgrundsatz müsse auch jetzt noch gelten. Der Schutzgedanke, der dem alten Rechtszustand zugrunde gelegen habe, bestehe nach wie vor und müsse dazu führen, daß die Nachentrichtung anzuerkennen sei. Die Klägerin habe somit im Jahre 1962 die noch fehlenden Beiträge für das Jahr 1957 wirksam nachentrichtet, so daß damit die Voraussetzungen des Art. 2 § 42 ArVNG erfüllt gewesen seien.

Gegen das ihr am 10. März 1962 zugestellte Urteil, in welchem die Revision zugelassen worden ist, hat die Beklagte am 20. März 1962 Revision eingelegt mit dem Antrage,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 14. Februar 1962 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Speyer vom 19. Mai 1960 zurückzuweisen.

In der am 6. April 1962 eingegangenen Revisionsbegründung bringt sie vor, im Gegensatz zu dem früheren Rechtszustand sei es nach neuem Recht nicht mehr zulässig, nach Eintritt der Berufsunfähigkeit freiwillige Beiträge für Zeiten vorher nachzuentrichten, wenn Berufsunfähigkeit während des Rentenverfahrens eingetreten sei. Die Vorschrift des § 1419 RVO sei in § 1420 RVO nicht mehr erwähnt, während in § 1444 Abs. 2 RVO aF die Vorschrift des § 1443 RVO aF ausdrücklich angeführt sei. Die damit ausgesprochene Verneinung der Nachentrichtungsmöglichkeit hänge mit der Streichung der früheren Vorschriften über die Notwendigkeit der Erhaltung der Anwartschaft zusammen. Nach neuem Recht könne die Anrechenbarkeit der Beiträge im allgemeinen nicht mehr verloren gehen. Daher sei das Verbot der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Eintritt des Versicherungsfalles trotz des Schwebens eines Rentenverfahrens nicht unbillig. Da die Klägerin sich vor Eintritt des Versicherungsfalles auch nicht zu einer Nachentrichtung bereit erklärt habe, seien ihre im Jahre 1962 für das Jahr 1957 nachentrichteten Beiträge unwirksam.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil, die sie für zutreffend hält.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete und durch Zulassung statthafte Revision kann keinen Erfolg haben.

Zu Recht hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Berechnung der Rente nach altem Recht auf Grund des Art. 2 § 42 ArVNG verurteilt, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Der Versicherungsfall ist in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961, nämlich im März 1958, eingetreten. Die Anwartschaft ist zum 31. Dezember 1956 aus allen bis zu diesem Zeitpunkt entrichteten Beiträgen erhalten, da die Halbdeckung gegeben war. Aus diesen Beiträgen zuzüglich der danach entrichteten Beiträge war beim Eintritt des Versicherungsfalles die Wartezeit erfüllt. Die Rente alten ist auch höher als die Rente neuen Rechts. Es kommt daher entscheidend nur noch darauf an, ob, da der Versicherungsfall im Jahre 1958 eingetreten ist, für das Jahr 1957 mindestens neun Monatsbeiträge wirksam entrichtet worden sind. Dies hängt, da im Jahre 1957 nur zwei Monatsbeiträge entrichtet wurden, davon ab, ob die im Jahre 1962 für das Jahr 1957 nachentrichteten Monatsbeiträge wirksam sind. Das richtet sich grundsätzlich jedenfalls nach den §§ 1418 bis 1420 RVO. Nach § 1418 Abs. 1 RVO konnten diese Beiträge zwar nur bis zum 31. Dezember 1959 nachentrichtet werden. Da aber spätestens seit dem 30. November 1959 ein Verfahren über einen Rentenanspruch schwebte, dieses auch heute noch schwebt, konnten sie auf Grund des § 1420 Abs. 2 RVO ausnahmsweise noch im Jahre 1962 wirksam nachentrichtet werden. Der Wirksamkeit der Nachentrichtung steht, obwohl nach § 1419 Abs. 1 RVO freiwillige Beiträge nach Eintritt der Berufsunfähigkeit für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden dürfen, nicht entgegen, daß inzwischen der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit eingetreten war. Allerdings kennt, während nach § 1444 Abs. 2 RVO aF in Fällen des Schwebens eines Rentenverfahrens ausnahmsweise eine wirksame Nachentrichtung auch nach Eintritt des Versicherungsfalles noch möglich war, der dem § 1444 Abs. 2 RVO aF entsprechende § 1420 Abs. 2 RVO eine solche Ausnahmeregelung nicht, da in ihm zwar auf § 1418 RVO, nicht aber auf § 1419 RVO Bezug genommen ist. Jedoch muß hinsichtlich der neun Monatsbeiträge, die in Art. 2 § 42 ArVNG für jedes Kalenderjahr vom 1. Januar 1957 an bis zum Ende des dem Eintritt des Versicherungsfalles vorhergehenden Kalenderjahres vorgeschrieben sind, nach dem sich aus § 1444 Abs. 2 RVO aF ergebenden Grundsatz angewandt werden. (So auch der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 25.4.1963 - 4 RJ 77/62 -.) Es darf nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Gesetzgeber mit § 1444 Abs. 2 RVO aF, zum mindesten in erster Linie, drohendem Anwartschaftsverlust begegnen wollte (vgl. Hanow-Lehmann, Invalidenversicherung, 4. Aufl., Anm. 1 zu § 1444 RVO), so daß angenommen werden muß, daß er bei Erlaß des § 1420 Abs. 2 RVO die volle Übernahme des Inhalts des § 1444 Abs. 2 RVO aF, mit Einschluß der Bezugnahme auf § 1419 RVO, nur deshalb für entbehrlich gehalten hat, weil er davon ausging, daß nach neuem Recht eine Beitragsleistung zur Anwartschaftserhaltung nicht mehr erforderlich sei. Hierbei hat er jedoch offensichtlich nicht bedacht, daß in Art. 2 § 42 ArVNG, einer Vorschrift, die im Regierungsentwurf noch nicht enthalten war, sondern die erst durch den sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages in den Entwurf eingearbeitet worden ist, für eine Übergangszeit von fünf Jahren ausnahmsweise doch noch die Entrichtung von Beiträgen zur Anwartschaftserhaltung für die Berechnung der Rente nach altem Recht vorgeschrieben ist. Daher ist hinsichtlich dieser Beiträge, soweit sie für die Bewilligung der Rente nach altem Recht Bedeutung haben, der Grundsatz weiterhin anzuwenden, der nach § 1444 Abs. 2 RVO aF bis zum 31. Dezember 1956 galt, nach welchem in Fällen der in Rede stehenden Art Beiträge nicht nur noch nach Ablauf der Zweijahresfrist, sondern auch nach Eintritt des Versicherungsfalles wirksam für die vorhergehende Zeit nachentrichtet werden konnten. Da dieser Grundsatz in § 1420 Abs. 2 RVO nicht etwa deshalb aufgegeben worden ist, weil der Gesetzgeber ihn nicht mehr als angemessen angesehen hätte, sondern nur, weil er glaubte, daß nach neuem Recht Beiträge zur Anwartschaftserhaltung nicht mehr erforderlich seien, und insoweit die Interessenlage dieselbe wie vor dem 1. Januar 1957 ist, muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber, falls er die in Art. 2 § 42 ArVNG getroffene Vorschrift über die Notwendigkeit von neun Monatsbeiträgen ab 1. Januar 1957 in allen ihren Auswirkungen erkannt hätte, für diese Beiträge noch den alten Grundsatz aufrecht erhalten hätte.

Ob die sich aus § 1444 Abs. 2 RVO aF ergebende Begünstigung solcher Beiträge, die nicht für die Anwartschaftserhaltung, wohl aber für die Wartezeiterfüllung erforderlich oder nur für die Höhe der Rente von Bedeutung sind, wegfallen sollte oder ob insoweit ebenfalls der sich aus § 1444 Abs. 2 RVO aF ergebende Gedanke weiterhin anzuwenden ist, kann hier unentschieden bleiben.

Die Anwendung des dargelegten Grundsatzes führt hier dazu, daß die im Jahre 1962, also noch während des Schwebens des Rentenverfahrens, für das Jahr 1957 nachentrichteten Beiträge für die Berechnung der Rente alten Rechts als wirksam anzusehen sind, obwohl inzwischen nicht nur die Zweijahresfrist abgelaufen, sondern auch der Versicherungsfall eingetreten war.

Damit sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 2 § 42 ArVNG erfüllt, so daß der Klägerin die begehrte höhere Rente nach dieser Vorschrift zusteht.

Das angefochtene Urteil ist daher zutreffend, so daß die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2336727

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