Leitsatz (redaktionell)

Unfallversicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 2 für Unternehmer:

1. Auch ein Unternehmer kann grundsätzlich wie ein Versicherter iS des RVO § 539 Abs 1 Nr 1 Tätigkeiten verrichten und dabei gemäß RVO § 539 Abs 2 versichert sein.

2. Verrichtete ein Unternehmer Tätigkeiten für sein eigenes Unternehmen, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören, so wird er auch dann ausschließlich als Unternehmer seines eigenen Unternehmens tätig, wenn seine Tätigkeit zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient.

 

Orientierungssatz

Unfallversicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 2 beim Fällen eines Baumes - Tätigkeit im eigenen oder fremden Interesse:

Verunglückt ein Mieter beim Fällen eines Baumes auf dem Grundstück des Vermieters, so ist zur Beurteilung des Unfallversicherungsschutzes zu prüfen, ob er bei dem Fällen des Baumes etwa im Rahmen seiner Haushaltung tätig geworden ist. Der Versicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 2 würde in diesem Fall nicht gegeben sein, weil der Verletzte damit eine Tätigkeit verrichtete, die zum Aufgabenkreis seines eigenen Unternehmens (Haushaltung) gehörte (vgl BSG 1974-06-27 2 RU 307/73 = SozR 2200 § 539 Nr 2).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 12.07.1978; Aktenzeichen L 6 U 259/77)

SG Hannover (Entscheidung vom 24.02.1977; Aktenzeichen S 20 U 187/73)

 

Tatbestand

I.

Der bei der Klägerin für den Fall der Krankheit versicherte Monteur H S (S.) wohnte neben zwei anderen Mietparteien in einem der Erbengemeinschaft F gehörenden Haus in E. Am 20. April 1971 fällte er eine auf dem Grundstück dicht neben einem Holzschuppen stehende Linde; in dem Schuppen hielt S. zehn Kaninchen, eine andere Mietpartei lagerte darin Holz. Bei dem Zersägen der gefällten Linde prallte ein Teil des Stammes gegen das linke Bein des S., der dadurch einen Unterschenkelbruch erlitt. Die Klägerin wandte für die stationäre Behandlung des S., für Transportkosten und für Krankengeld insgesamt 7.081,73 DM auf. Der Beklagte hat durch Bescheid vom 9. Mai 1975 die Gewährung von Leistungen an S. abgelehnt, weil dieser nicht zu den bei ihm versicherten Personen gehöre.

Mit der bei dem Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten oder der Beigeladenen zur Zahlung von 7.081,73 DM begehrt. Das SG hat die Beigeladene zur Zahlung verurteilt, weil S. wie ein Hausbesorger für die Erbengemeinschaft F tätig gewesen und daher die Beigeladene der für die Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger sei (Urteil vom 24. Februar 1977). Die Berufung der Beigeladenen hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen zurückgewiesen (Urteil vom 12. Juli 1978). Zur Begründung hat es ausgeführt: S. habe zur Erbengemeinschaft F nicht in einem Beschäftigungsverhältnis iS des § 539 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß S. von der Erbengemeinschaft F weder persönlich noch wirtschaftlich abhängig gewesen sei. Er habe vielmehr nur gelegentlich solche kurzfristigen Tätigkeiten erledigt, welche sowohl im eigenen als auch im Interesse der Erbengemeinschaft gestanden hätten. Jedoch sei S. nach § 539 Abs 2 RVO wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherter tätig geworden. Das Fällen von Bäumen und die Folgearbeiten gehörten in beachtlichem Umfang zu den in Abhängigkeit verrichteten Tätigkeiten des Erwerbslebens. Die Erbengemeinschaft F hätte, da keines ihrer Mitglieder Arbeiten auf dem von S. bewohnten Grundstück zu erledigen pflegten, eine andere Person mit dem Fällen und der Verwertung des Baumes betrauen müssen. Diese Arbeit habe im Interesse der Erbengemeinschaft gelegen, weil ohne sie eine Beschädigung des Schuppens zu befürchten gewesen sei. Sie habe auch dem Willen der Erbengemeinschaft entsprochen. S. sei bei dem Fällen des Baumes wie ein Hausbesorger der Erbengemeinschaft F tätig gewesen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beigeladene hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Bei dem Fällen des Baumes habe das Interesse des S. im Vordergrund gestanden, denn nach der Beweisaufnahme sei der unter der Linde stehende Stall durch Zweige gelegentlich undicht geworden, wodurch die von S. in dem Stall gehaltene Kaninchenzucht gefährdet gewesen sei. Nach der Zeugenaussage des S. im Verfahren vor dem LSG habe das Fällen des Baumes sowohl in seinem als auch im Interesse der Erbengemeinschaft gelegen. Das ebenfalls als Zeuge gehörte Mitglied der Erbengemeinschaft, der Rentner F, habe bekundet, daß weder er noch sein Bruder etwas von einer S. erteilten Genehmigung zum Fällen des Baumes wisse. Überdies sei die Erbengemeinschaft in Bezug auf das ihr gehörende Haus kein unfallversicherungsrechtlich relevanter Betrieb, für den S. hätte tätig werden können. Die bloße Möglichkeit, irgendwann einmal für irgendeine Liegenschaft einen Hausbesorger anzustellen, mache einen Hauseigentümer, selbst eine mehrköpfige Erbengemeinschaft, noch nicht zu einem Unternehmer iS des § 658 Abs 2 Nr 1 RVO im Gewerbezweig der Hausbesorgung. Aber selbst wenn das zutreffen würde, gehöre jedenfalls das Fällen eines Baumes nicht zu den Aufgaben eines Hausbesorgers.

Die Beigeladene beantragt,

unter Aufhebung bzw. entsprechender Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen der Vollmachtgeberschaft in der Vorinstanz, insbesondere im Ergebnis auf Klageabweisung zumindest gegen sie, hilfsweise auf Zurückverweisung an die Vorinstanz zu erkennen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, das LSG habe zutreffend das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bejaht. Es habe keineswegs allein im Interesse des S. gelegen, den Baum zu fällen, der sich im Eigentum der Erbengemeinschaft befunden habe und der den ebenfalls der Erbengemeinschaft gehörenden Stall sowie die Mieter des Hauses gefährdet habe. Die Tätigkeit des S. sei zutreffend als die eines Hausbesorgers gewertet worden.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen, hilfsweise unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, daß seine Zuständigkeit nicht gegeben sei. Als Tätigkeit in der eigenen Haushaltung des S. bestehe nach § 657 Abs 1 Nr 3 RVO Versicherungsfreiheit. Dasselbe gelte im Rahmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten nach § 657 Abs 1 Nr 7 RVO. S. sei auch nicht im Haushalt der Vermieter tätig gewesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision der Beigeladenen ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war.

Der Ersatzanspruch der Klägerin setzt nach § 1504 Abs 1 RVO voraus, daß der die Leistungspflicht der Klägerin auslösende Bruch des linken Unterschenkels des S. Folge eines Arbeitsunfalls ist, den ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen hat.

Zutreffend hat das LSG verneint, daß S., als er den Baum fällte und zerteilte, zu der Erbengemeinschaft F in einem Beschäftigungsverhältnis gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gestanden hat. Der Sachverhalt bietet auch keinen Anhalt für die Annahme, daß das Fällen des Baumes von S. aufgrund eines anderen Beschäftigungsverhältnisses ausgeführt worden ist.

Dem LSG kann jedoch aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht zugestimmt werden, daß S. im Zeitpunkt des Unfalls nach § 539 Abs 2 RVO gegen Arbeitsunfall versichert war, weil er wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO in einem Beschäftigungsverhältnis stehender Versicherter tätig geworden sei. Der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift erfordert, daß es sich um eine ernstliche, dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit handelt, die dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die zu dem Unternehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen. Davon ist auch das LSG ausgegangen. Es hat jedoch nicht berücksichtigt, daß die genannte Tätigkeit zudem unter solchen Umständen geleistet werden muß, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) ähnlich ist. Dies erfordert, daß durch sie ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen hergestellt wird (BSGE 5, 168, 174). Vom LSG war daher in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob S. bei dem Fällen des Baumes etwa im Rahmen seiner Haushaltung tätig geworden ist.

Eine Tätigkeit des S. im Rahmen seiner eigenen Haushaltung wäre als unternehmerische Tätigkeit zu werten (vgl BSG SozR 2200 § 539 Nr 2 RVO; Urteil vom 31. Mai 1978 - 2 RU 27/76 - unveröffentlicht). Zwar kann auch ein Unternehmer wie ein Arbeitnehmer tätig werden. Dies ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgeschlossen, wenn der Unternehmer im Rahmen seines eigenen Unternehmens Tätigkeiten verrichtet, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören (BSGE aaO; BSGE 7, 195, 197; BSG SozR aaO mwN; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S. 476 h; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 539 Anm 100 letzter Absatz; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl Kennzahl 302, S. 1). In Beachtung dieser rechtlichen Gesichtspunkte hätte das LSG daher tatsächliche Feststellungen treffen müssen, ob das Fällen des Baumes nicht etwa auch der der Haushaltung des S. zuzurechnenden Kaninchenhaltung oder der Brennholzgewinnung diente. Insoweit versteht der Senat das Eingehen der Beigeladenen auf die Beweisaufnahme, insbesondere auf die Bekundungen des S. bei seiner Vernehmung durch den beauftragten Richter am 23. März 1978 als Rüge der Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Nach den Feststellungen des LSG im angefochtenen Urteil lagen die von S. im Zusammenhang mit dem Fällen des Baumes verrichteten Arbeiten "im Interesse der Erbengemeinschaft". Der verletzte S. hat hierzu ausgesagt: "Das Fällen des Baumes lag sowohl in meinem Interesse als auch im Interesse der Vermieter". Der zur Erbengemeinschaft gehörende Rentner A F hat am 23. März 1978 als Zeuge ausgesagt, "daß der fragliche Baum  a u c h  in unserem Interesse geschlagen worden ist". Diese Bekundungen hat das LSG im angefochtenen Urteil nicht gewürdigt.

Sofern die vom LSG nachgeholte Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommen sollte, daß auch S. ein Interesse an dem Fällen des Baumes gehabt hat, etwa weil seine Kaninchen dadurch gefährdet wurden, daß die Zweige des Baumes schon immer zum Teil auf das Dach des Schuppens hingen und das Dach gelegentlich undicht gemacht hatten, stand das Fällen des Baumes auch im inneren Zusammenhang mit der Haushaltung des S. Der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO würde in diesem Fall nicht gegeben sein, weil S. damit eine Tätigkeit verrichtete, die zum Aufgabenkreis seines eigenen Unternehmens (Haushaltung) gehörte (SozR 2200 § 539 Nr 2). Unerheblich ist, daß das Grundstück, auf dem der Baum und der Schuppen standen, der Erbengemeinschaft F gehörte. Bei der Tätigkeit für die eigene Haushaltung war S. weder kraft Gesetzes noch kraft Satzung versichert (§ 543 Abs 1 RVO).

Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückverwiesen werden.

Eine Kostenentscheidung entfällt nach § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659041

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