Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderzulage aus der Unfallversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Ausschluß des Kindergeldanspruchs beim Bezug von Kinderzulagen aus der gesetzlichen UV oder Kinderzuschüssen aus der gesetzlichen RV gemäß BKGG § 8 Abs 1 Nr 1 verstößt insbesondere auch seit dem 1975-01-01 (Inkrafttreten des EStRG) nicht gegen das GG. Das gilt auch in Fällen, in denen eine "Rentnerfamilie" neben der Rente noch steuerpflichtiges Einkommen hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wer als Schwerbeschädigter zu seiner Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für 2 Kinder je 62,55 DM Kinderzulage erhält, hat keinen Anspruch auf Kindergeld.

2. Für den Ausschluß des Kindergeldanspruchs ist eine Personenidentität zwischen dem Antragsteller und dem Empfänger der für dasselbe Kind gezahlten Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder Kinderzuschüssen aus einer der gesetzlichen Rentenversicherung nicht notwendig.

 

Orientierungssatz

1. Die Gerichte sind nicht befugt, die Gesetze auch daraufhin zu überprüfen, ob eine andere Regelung zweckmäßiger oder aus der Sicht eines Betroffenen vielleicht gerechter gewesen wäre.

2. Ein Verfassungsverstoß liegt vor, wenn der Gesetzgeber den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit in willkürlicher oder sachwidriger Weise überschritten hat, das läßt sich aber auch hinsichtlich der Kinderzulagen der gesetzlichen UV nicht feststellen, zumal das BVerfG bereits ausgesprochen hat, es erscheine sachgerecht, wenn das Kindergeld nur subsidiären Charakter habe und entfallen solle, wenn bereits aus anderem Rechtsgrund eine vergleichbare Kinderbeihilfe aus öffentlichen Mitteln gezahlt werde.

 

Normenkette

BKGG § 8 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1964-04-14; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 6 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 26.11.1976; Aktenzeichen L 1 Kg 2/76)

SG Lübeck (Entscheidung vom 16.02.1976; Aktenzeichen S 8 Kg 11/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. November 1976 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig sind Ansprüche des Klägers auf Kindergeld trotz des Bezuges von Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der berufstätige Kläger erhält für seine beiden in seinem Haushalt lebenden Kinder als Schwerverletzter zu seiner Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung Kinderzulagen in Höhe von je 62,55 DM monatlich.

Seinen Antrag, ihm ab 1. Januar 1975 Kindergeld zu gewähren, lehnte das Arbeitsamt mit Bescheid vom 31. Oktober 1974 ab. Es wies auch seinen Widerspruch mit Bescheid vom 11. April 1975 zurück. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Februar 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26. November 1976) und zur Begründung ua ausgeführt, nach dem unverändert weiter geltenden § 8 Abs 1 Nr 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) sei der Anspruch des Klägers auf Kindergeld ausgeschlossen. Diese Regelung sei auch nicht verfassungswidrig. Sie verstoße weder gegen Art 3 Abs 1 noch gegen die Art 6, 20 Abs 1 oder 28 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Es handele sich nicht um eine willkürliche sachwidrige Regelung, weil damit eine mehrfache Gewährung gleichwertiger öffentlicher Leistungen für ein und dasselbe Kind verhindert werden solle. Die Gründe des Gesetzgebers, Kindergeld und Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gleichwertig zu behandeln, seien sachlich gerechtfertigt, weil die Kindergeldgesetzgebung dazu dienen solle, den durch Kinder bedingten erhöhten finanziellen Mehraufwand einer Familie zumindest teilweise auszugleichen. Die Kinderzulage sei aber, obgleich sie in Form einer 10%igen Erhöhung der Rente gewährt werde, ebenso wie das Kindergeld für den Unterhalt der Kinder bestimmt, beruhe also auf den gleichen sozialen und fürsorgerischen Erwägungen. Durch § 583 Abs 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1974 sei im übrigen garantiert, daß die Kinderzulage das Kindergeld nicht unterschreite. Da der Kläger für seine beiden Kinder eine Kinderzulage in Höhe von insgesamt 125,10 DM erhalte, würde das Kindergeld bei gleichmäßiger Verteilung (§ 12 Abs 4 BKGG) 120,- DM betragen. Es könne daher von einer erheblichen Benachteiligung des Klägers nicht die Rede sein.

Ein Verstoß gegen Art 6 GG liege nicht vor, weil durch § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG ohne Unterschied alle Personen erfaßt und deshalb Verheiratete und Unverheiratete nicht unterschiedlich behandelt würden. Der Ausschlußtatbestand des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG widerspreche auch nicht dem Gebot der sozialen Gerechtigkeit (Art 20 Abs 1; 28 Abs 1 GG), denn damit solle ein Doppelbezug verhindert werden. Sollten dabei in besonderen Fällen Härten auftreten, so müßten diese hingenommen werden, weil gewisse Härten allen typisierenden Regelungen innewohnten. Unerheblich sei es in diesem Zusammenhang, daß dem Kläger ab 1. Januar 1975 kein steuerlicher Kinderfreibetrag mehr gewährt werde. Dabei handele es sich nicht um die Frage, ob der unveränderte Ausschlußtatbestand des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG, sondern ob die steuerliche Neuregelung verfassungswidrig sei.

Zur Begründung seiner von dem LSG zugelassenen Revision trägt der Kläger ua vor, das BKGG sei durch das Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleiches und der Sparförderung (EStRG) wesentlich geändert worden. Beide Gesetze hätte somit sich ergänzenden Charakter. Zwar sei der Wortlaut des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG unverändert geblieben, seine Folgen seien aber durch die getroffenen Neuregelungen für den einzelnen von schwerwiegender Natur. Die Verfassungsmäßigkeit sei daher auch hinsichtlich des EStRG zu überprüfen. Sehe man die Hauptziele dieses Gesetzes in einer sozial gerechteren Steuerverteilung und in der Absicht, kinderreiche Familien besonders zu fördern, so würde dieser Zweck nicht erreicht, wenn trotz Wegfalls des steuerlichen Kinderfreibetrages der Kindergeldbezug nach wie vor durch die Tatbestände des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG ausgeschlossen bleibe. Gerade der Kläger werde besonders hart getroffen, obwohl er und vergleichbare andere Versicherte am meisten schutzbedürftig seien, nämlich als Rentenempfänger. Es treffe nicht zu, daß nur 5% der Familien mit Kindern mit der neuen Regelung schlechter gestellt seien als vorher, nämlich diejenigen, die bisher auf Grund der steuerlichen Progression bei hohen Einkommen besonders stark begünstigt gewesen seien. In Fällen wie denen des Klägers sei eine steuerliche Verschlechterung eingetreten und dennoch kein Kindergeldanspruch gegeben. Darüber hinaus müßten die Kinderzulagen auch noch versteuert werden. Gegenüber den Rentnerfamilien erwüchse den öffentlichen Bediensteten aus der Neuregelung kein Nachteil, weil anstelle der weggefallenen Kinderzulagen eine Anpassung der Ortszuschläge erfolgt sei. Im übrigen sei das Kindergeld nicht einkommensabhängig. Auch Bezieher sehr hoher Einkommen seien kindergeldberechtigt, und zwar steuerfrei. Den sozial Schwächsten, nämlich den Empfängern von Renten aus der gesetzlichen Sozialversicherung, werde jedoch das Kindergeld verweigert, obwohl ihnen der bisherige steuerliche Kinderfreibetrag entzogen worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. November 1976 sowie den Bescheid des Arbeitsamtes N - Kindergeldkasse - vom 31. Oktober 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Januar 1975 Kindergeld für seine Söhne Stephan und Volker zu gewähren,

hilfsweise,

das Verfahren gemäß Art 100 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. November 1976 - 1 BvR 150/75 -, mit der die Neuregelung des Familienlastenausgleichs als verfassungsmäßig bestätigt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Klägers konnte keinen Erfolg haben.

Das LSG hat die Voraussetzungen für das von dem Kläger ab 1. Januar 1975 für seine beiden Kinder begehrte Kindergeld verneint, weil er zu seiner Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung Kinderzulagen erhält, die je 62,55 DM betragen und zusammen höher sind (125,10 DM monatlich) als das Kindergeld nach § 10 BKGG (120,- DM monatlich). Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Da keine der beiden Kinderzulagen nach den im Oktober 1974 gemachten Angaben weniger als 75 vH des höheren Kindergeldes für das 2. Kind (70,- DM bzw ab 1. Januar 1978 80,- DM) beträgt (vgl § 8 Abs 2 BKGG), kann dahinstehen, ob hierbei nach § 12 Abs BKGG zu verfahren wäre.

Nach § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG in der ab 1. Januar 1975 geltenden Fassung vom 31. Januar 1975 (BGBl I, 412, 413; vgl auch Art 2 Nr 7 EStRG vom 5. August 1974 (BGBl I 1769, 1847)) wird Kindergeld nicht für ein Kind gewährt, für das einer Person, bei der das Kind nach § 2 Abs 1 berücksichtigt wird, Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder Kinderzuschüsse aus den gesetzlichen Rentenversicherungen zustehen. Die Revision hält diesen Ausschlußtatbestand zumindest seit dem 1. Januar 1975 nicht mehr für verfassungsmäßig. Das trifft jedoch nicht zu.

Seit der erstmaligen Einführung eines gesetzlichen Kindergeldes mit dem Kindergeldgesetz vom 13. November 1954 - KGG - (BGBl I, 333) war der Kindergeldanspruch ausgeschlossen bzw betragsmäßig eingeschränkt, wenn für Kinder öffentlich-rechtliche Leistungen bestimmter Art gewährt wurden (vgl § 3 Abs 2 KGG). Dazu gehörten von jeher die Kinderzulagen bzw -zuschüsse aus der gesetzlichen Unfallversicherung und den gesetzlichen Rentenversicherungen (§ 3 Abs 2 Nr 3 KGG idF vom 13. November 1954 sowie § 3 Abs 2 Nr 7 KGG idF des Kindergeldergänzungsgesetzes - KGEG - vom 23. Dezember 1955 - BGBl I, 841 - § 10 Nr 3; § 2 Abs 1 KGEG; § 3 Abs 3 Kindergeldkassengesetz - KGKG - vom 18. Juli 1961 - BGBl I, 1001 -; § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG aF vom 14. April 1964 - BGBl I, 265, der bis heute unverändert fortgilt). Dieser Ausschluß rechtfertigt sich aus dem das gesamte Kindergeldrecht beherrschenden Grundsatz, Doppelleistungen für dasselbe Kind auszuschließen (BSG in SozR Nr 4 zu § 3 KGG). Kindergeld soll danach nicht neben den in anderen Sozialgesetzen vorgesehenen Leistungen gewährt werden. Aus diesem Grunde sah das BKGG aF in den §§ 7 und 8, ähnlich wie bereits in den früheren Kindergeldgesetzen, den Ausschluß von Personenkreisen vor, die Kinderzuschläge nach besoldungsrechtlichen oder versorgungsrechtlichen oder nach anderen sozialrechtlichen Vorschriften erhalten. Für den Gesetzgeber war dabei ausschlaggebend, daß die in den Ausnahmebestimmungen aufgezählten Leistungen mit dem Kindergeld vergleichbar sind (BT-Drucks IV/818 S. 15 zu § 7). Ebenso wie die in dem bis zum 31. Dezember 1974 geltenden § 7 BKGG aF aufgeführten Leistungen wurzeln auch die Kinderzulagen bzw -zuschüsse aus der gesetzlichen Unfallversicherung und den gesetzlichen Rentenversicherungen in sozialen und fürsorgerischen Erwägungen, wobei es unerheblich ist, daß jene nach außen als Teil der Dienstbezüge und diese als Teil der Renten in Erscheinung treten. Im übrigen stellt die Kindergeldgesetzgebung nur eine der besonderen Formen von Kinderbeihilfen dar, die sich im Laufe einer langen Entwicklung herausgebildet haben, woraus sich die verschiedenen finanziellen Quellen erklären, aus denen die unterschiedlichen Leistungen fließen (BSGE 26, 160, 163). Die Kindergeldgesetzgebung begründet deshalb - ohne daß der Gleichheitssatz verletzt wäre - auch heute noch kein einheitliches System der Kinderbeihilfe (vgl BVerfGE 11, 105, 115). Das Bundessozialgericht (BSG) hat demgemäß keinen Verstoß, insbesondere gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 GG gesehen, wenn der Gesetzgeber die Bezieher von Leistungen, die dem Kindergeld vergleichbar sind, von der Kindergeldgewährung ausschließt (BSG 26, 160, 162, 163 zu § 7 BKGG aF). Was insoweit für die in dem früheren § 7 BKGG aF genannten Leistungen gilt, kann für die Kinderzulagen bzw -zuschüsse des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG nicht abweichend beurteilt werden. So hat der 7. Senat des BSG in der genannten Entscheidung vom 23. März 1971 (SozR Nr 4 zu § 3 KGG) unter Hinweis auf den Beschluß des BVerfG vom 11. Juli 1967 (BVerfGE 22, 163 ff = SozR Nr 63 zu Art 3 GG) keinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des dem jetzigen § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG entsprechenden § 3 Abs 2 Nr 7 KGG gehabt und dort den Kindergeldanspruch des Vaters verneint, weil der Großvater des Kindes für das Kind einen Kinderzuschuß aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt. In gleichem Sinne hat das BSG zu § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG entschieden (vgl SozR Nr 3 zu § 8 BKGG S. Aa 6). Das BVerfG hat in der Entscheidung in BVerfGE 22, 163 die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs 1 KGKG grundsätzlich bejaht, weil die Kindergeldgesetze allgemein dem sozialpolitischen Zweck dienten, einen "Familienlastenausgleich" herbeizuführen, und der Gesetzgeber gerade diejenigen kinderreichen Familien habe erfassen wollen, die nicht schon auf andere Weise aus öffentlichen Mitteln einen Ausgleich für die durch Kinder bedingten besonderen Lasten erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheine es sachgerecht, wenn nach dem Grundgedanken des § 3 Abs 1 KGKG, ebenso wie nach § 3 Abs 2 KGG und § 7 Abs 1 BKGG, das Kindergeld nur subsidiären Charakter habe und entfallen solle, wenn bereits aus anderem Rechtsgrund eine vergleichbare Kinderbeihilfe aus öffentlichen Mitteln gezahlt werde (aaO S. 168). Aus diesen von dem BVerfG wiederholt gebilligten Grundsätzen des Kindergeldrechts (vgl auch BVerfGE 22, 100 ff, 105) vermag auch der erkennende Senat in der Regelung des § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG keinen Verstoß gegen Verfassungsnormen zu erkennen. Dabei kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Mittel für die Zahlungen der allgemeinen Leistungen der Unfall- oder Rentenversicherung durch Beiträge der Unternehmer, Arbeitgeber oder der Beschäftigten oder auch zum Teil aus Steuermitteln aufgebracht werden. Denn gerade die hier streitigen Kinderzulagen bzw -zuschüsse sind Leistungen, die ihrer Höhe nach nicht von den Beiträgen abhängig sind, die für oder von dem Versicherten oder Beitragspflichtigen aufgebracht werden. Diese Zuschüsse dienen allein der Minderung der durch Kinder erhöhten finanziellen Belastung und hängen - neben der gesetzlich bestimmten Höhe (bzw. Mindesthöhe) - in den Rentenversicherungen nur von der Zahl der Kinder, in der Unfallversicherung zusätzlich von der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw der Rente ab (§ 1262 RVO, § 39 AVG, § 583 RVO). Sie unterscheiden sich daher in ihrer rechtlichen Qualität im Rahmen des Familienlastenausgleichs nicht von den Kinderzulagen, die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes bis zum 31. Dezember 1974 erhielten und die nach § 7 BKGG aF und den früheren entsprechenden Regelungen den Anspruch auf Kindergeld ausschlossen, wobei die tatsächliche Höhe dieser vergleichbaren Leistungen, zB bei dem Zweitkindergeld nach dem KGKG, nicht immer von Bedeutung war (vgl dazu BSG, Urteil vom 3. Juni 1965 - 7 RKg 16/63 - SozR KGKG § 35 Nr 1).

Mit dem EStRG ist der gesetzliche "Familienlastenausgleich" umgestaltet worden. Einerseits ist der Kinderfreibetrag der Einkommensteuer (§ 32 EStG aF) weggefallen (Art 1 Nr 40 EStRG), andererseits wurden die Bezugsberechtigung des Kindergeldes mit der Neufassung der §§ 1 und 10 BKGG (Art 2 Nrn 1 und 9 EStRG) auf das erste Kind ausgedehnt und die Leistungen auf 50,- DM für das erste, 70,- DM für das zweite und 120,- DM für das dritte und jedes weitere Kind erhöht. Ab 1. Januar 1978 verbessern sich diese Leistungen für das zweite Kind auf 80,- DM und die weiteren Kinder auf je 150,- DM monatlich (Art 2 des Steueränderungsgesetzes 1977 vom 16. August 1977 - BGBl I, 1586 -). Unverändert geblieben ist jedoch weiterhin § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG, während dessen § 7 weggefallen ist (Art 2 Nr 6 EStRG), nachdem die dort aufgeführten Leistungen weitgehend nicht mehr gewährt werden. Die Ausschlußtatbestände sind nunmehr in § 8 BKGG zusammengefaßt.

Der Kinderzuschuß aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (jährlich ein Zehntel der allgemeinen Bemessungsgrundlage - § 1262 Abs 4 RVO, § 39 Abs 4 AVG -) hat sich von 1957 bis heute von 35,70 DM auf 152,90 DM erhöht und wird nach wie vor unabhängig von der individuellen Rentenhöhe und den früher gezahlten Versicherungsbeiträgen gezahlt. Dies hat auch das BVerfG in drei im wesentlichen gleichgelagerten Fällen - (Beschlüsse vom 9. August 1977 - 1 BvR 274/75; 1 BvR 220/75 und 1 BvR 452/74) betont. Die Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung für Schwerverletzte beträgt 10 vH der Verletztenrente, wobei gewisse Mindestbeträge gelten (vgl § 583 Abs 1 und 2 RVO). Ab 1. Januar 1975 darf sie das auf das Kind entfallende Kindergeld nicht unterschreiten (§ 583 Abs 2 Satz 1 RVO idF des Art 28 Nr 3 Buchst a) des Einführungsgesetzes zum EStRG vom 21. Dezember 1974 - BGBl I 3656). Die Neuregelung des Familienlastenausgleichs stellt allerdings Rentnerfamilien mit Kindern, die deshalb steuerpflichtig sind, weil sie neben der Rente sonstige steuerpflichtige Einkünfte, sei es durch den Rentner, sei es durch dessen Ehegatten, haben, insoweit gegenüber dem bis zum 31. Dezember 1974 bestehenden Rechtszustand schlechter, als ihnen kein steuerlicher Kinderfreibetrag mehr eingeräumt wird, sie aber weiterhin vom Kindergeldbezug ausgeschlossen bleiben. Rentnerfamilien ohne steuerpflichtiges Einkommen dagegen erfahren keine Verschlechterung, und bei Familien, in denen keiner der Ehegatten Rentner ist, erfolgt je nach der Höhe des Einkommens ein gewisser Ausgleich, zB durch die Verbesserung der Kindergeldleistungen.

Dadurch werden die Betroffenen jedoch, wie das BVerfG in den genannten Beschlüssen ausgeführt hat, nicht in ihren durch die Verfassung gewährleisteten Rechten beeinträchtigt; denn niemand hat einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Fortbestand einer steuerlichen Regelung. Das in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Gebot, die Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern, geht nicht so weit, daß der Staat gehalten wäre, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten (BVerfGE 28, 104, 113; 40, 121, 132; 43, 108, 121). Die steuerliche Entlastung oder das Kindergeld ist nicht die einzige Leistung, die der Staat für Kinder erbringt und durch die er die Eltern wirtschaftlich entlastet. So trägt er etwa ein Schul-, Bildungs- und Ausbildungssystem zum ganz überwiegenden Teil aus Haushaltsmitteln, das den Eltern von in Schul- oder Berufsausbildung stehenden Kindern zugute kommt. Dazu kommen Leistungen des Staates nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BVerfGE 43, 108, 121).

Das BVerfG hat es deshalb grundsätzlich mit Art 3 Abs 1 und Art 6 GG für vereinbar gehalten, daß im Rahmen der Neuregelung des Familienlastenausgleichs die Kinderfreibeträge des früheren § 32 EStG aF fortgefallen sind. Der Gesetzgeber könne nämlich im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bestimmen, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen besonderen Schutz von Ehe und Familie verwirklichen wolle. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Förderung gerade mit steuerlichen Mitteln erfolgen solle, sei weitgehend seiner Entscheidung anheimgestellt (BVerfGE 43, 108, 121, 124). Im übrigen hat das BVerfG in den genannten Beschlüssen einerseits darauf abgehoben, daß gleichzeitig mit dem Wegfall des steuerlichen Kinderfreibetrages die Leistungen nach dem BKGG verbessert worden sind. Anderseits hat es für Rentnerfamilien aufgezeigt, in welch erheblichem Umfang der Kinderzuschuß zur gesetzlichen Rentenversicherung seit 1957 erhöht worden ist, nämlich von 35,70 DM auf 152,90 DM. Zu den Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat es sich zwar nicht geäußert, doch liegen diese im vorliegenden Fall noch über dem Betrag, den ein nicht unfallverletzter Erwerbstätiger für seine beiden Kinder erhalten würde. Überdies sieht § 32 EStG in der Fassung des EStRG vor, daß einem Steuerpflichtigen unter gewissen Voraussetzungen ein Haushaltsfreibetrag von 3.000,- DM gewährt wird, wenn er "mindestens ein Kind hat". Ferner hat der Gesetzgeber eine Reihe von weiteren steuerlichen Entlastungen für Kinder vorgesehen, auf die das BVerfG in der Entscheidung vom 23. November 1976 im einzelnen hingewiesen hat (vgl BVerfGE 43, 108, 122 ). Es kann unter diesen Umständen nicht festgestellt werden, daß die familienfördernden Maßnahmen bei Kindern völlig unzureichend seien und der Gesetzgeber deshalb gegen das oben genannte Gebot des Art 6 GG verstoßen hätte (so auch BVerfGE 43, 108, 122). Das BVerfG hat unter den gegebenen Umständen in den oben genannten drei Fällen die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben (Beschlüsse vom 9. August 1977 - 1 BvR 274/75; 1 BvR 220/75; 1 BvR 452/74 -). Der Steuergesetzgeber habe die etwaige soziale Schutzbedürftigkeit der Rentnerfamilien mit Kindern gebührend berücksichtigt, und es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn er die Kumulierung von Kindergeld und Kinderzuschuß aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausschließe, weil der Kinderzuschuß nicht zu den beitragsorientierten Versicherungsleistungen gehöre, sondern fürsorgerischen Charakter trage. Er bringe das allgemeine sozialpolitische Anliegen des Familienlastenausgleichs im abgegrenzten Bereich des Rentenversicherungsrechts zum Ausdruck. Das BVerfG hat im übrigen darauf hingewiesen, daß auch die besitzstandswahrende Regelung im Beamtenbesoldungsrecht keine andere Beurteilung erlaube, weil die dadurch begünstigte Personengruppe nicht nur den Steuervorteil verloren habe, sondern auch die sie bis dahin begünstigende Regelung über den Kinderzuschlag im öffentlichen Dienst geändert worden sei. Den Rentnern sei hingegen der Anspruch auf Kinderzuschuß in der für sie gegenüber dem Kindergeld günstigeren Höhe erhalten geblieben.

Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, zumal es dort grundsätzlich keine "Versichertengemeinschaft" in dem Sinne gibt, wie dies bei der gesetzlichen Rentenversicherung der Fall ist. Denn in der gesetzlichen Unfallversicherung werden die Beiträge im Grundsatz allein von den Unternehmern für die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer aufgebracht (§ 723 RVO). Die Höhe der von den Unternehmern zu entrichtenden Beiträge richtet sich in der Regel nach dem Entgelt der Versicherten und nach dem Grade der Unfallgefahr in dem Unternehmen (§ 725 Abs 1 RVO). Die gesetzliche Unfallversicherung bezweckt sonach ihrem Wesen nach, die Haftpflicht der Unternehmer gegenüber ihren Arbeitern durch eine öffentlich-rechtlich geregelte Unfallversicherung zu ersetzen (vgl Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung 3. Aufl, Band 1 Stand Juli 1977 S 51). Die Kinderzulagen sind zwar Bestandteil der Rente (Lauterbach aaO Anm 8a zu § 583 RVO), sie werden aber nicht wegen der durch den Arbeitsunfall bedingten MdE, sondern nur wegen des Vorhandenseins von Kindern des Verletzten gezahlt, und zwar von einer höheren MdE an (50 vH). Da ihre Zahlung nicht auf privatrechtlichen Abmachungen - etwa zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern -, sondern auf gesetzlicher, öffentlich-rechtlicher Verpflichtung der Unfallversicherungsträger beruht, stellen sie - soweit sie dem Verletzten tatsächlich zustehen - einen gesetzlichen "Familienlastenausgleich" im obigen Sinne dar und sind sonach mit dem Kindergeld vergleichbar.

Die dem Kläger als Schwerverletztem gezahlten Kinderzulagen sind allerdings verhältnismäßig niedrig. Es ist nicht festgestellt, ob dies daran liegt, daß der Kläger, dessen Beruf ebenfalls nicht festgestellt ist, einen geringen Arbeitsverdienst hatte, oder ob er etwa als Unternehmer sich mit einem geringen Jahresarbeitsverdienst begnügt hatte. Dies kann jedoch auf sich beruhen, da die ihm gewährten Kinderzulagen, die seit 1974 außerdem wohl erhöht worden sein dürften, jedenfalls damals schon das einem gesunden Erwerbstätigen zustehende Kindergeld überstiegen haben. Die von der Revision unter Hinweis auf Art 3 und 6 GG vorgetragene Kritik am EStRG vermag an dem gewonnenen Ergebnis nichts zu ändern. Die Gerichte sind nicht befugt, die Gesetze auch daraufhin zu überprüfen, ob eine andere Regelung zweckmäßiger oder aus der Sicht eines Betroffenen vielleicht gerechter gewesen wäre. Ein Verfassungsverstoß läge nur vor, wenn der Gesetzgeber den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit (BVerfG 43, 108, 124) in willkürlicher oder sachwidriger Weise überschritten hätte. Das läßt sich aber auch hinsichtlich der Kinderzulagen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht feststellen, zumal das BVerfG in BVerfGE 22, 163, 168 schon betont hat, es erscheine sachgerecht, wenn das Kindergeld nur subsidiären Charakter habe und entfallen solle, wenn bereits aus anderem Rechtsgrund eine vergleichbare Kinderbeihilfe aus öffentlichen Mitteln gezahlt werde.

Nach alledem war die Revision mit der Kostenfolge aus § 193 SGG als unbegründet zurückzuweisen, ohne daß dem Hilfsantrag stattzugeben war.

 

Fundstellen

BSGE, 89

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