Leitsatz (redaktionell)

1. Auch die Verschleppung eines Ausländers durch deutsche Behörden in einem von der früheren deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet und die dabei erfolgte Tötung des Verschleppten wird von BVG § 5 Abs 1 Buchst d erfaßt.

2. Der Gegenbeweis zur Entkräftung der durch die Todeserklärung begründeten, für und wider jedermann wirkenden Todesvermutung ist zulässig. Er setzt die volle Gewißheit der Unrichtigkeit des in der Todeserklärung festgestellten Todeszeitpunktes voraus. Dies bedeutet, daß ein positiver Nachweis der Unrichtigkeit des Todeszeitpunktes geführt werden muß.

 

Orientierungssatz

Eine Ausländerin, die im Bundesgebiet wohnt, hat dann einen Anspruch auf Witwenrente nach dem BVG, wenn ihr Ehemann Ende November 1944 in Litauen von deutscher Polizei zum Abtransport in das frühere deutsche Reichsgebiet festgenommen und bei einem Fluchtversuch getötet worden ist (BVG § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 5 Abs 1 Buchst d); denn auch die Verschleppung eines Ausländers durch deutsche Behörden in einem von der früheren deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet und die dabei erfolgte Tötung des Verschleppten wird von BVG § 5 Abs 1 Buchst d mitumfaßt.

 

Normenkette

BVG § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07, § 7 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1964-02-21, § 38 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 1970 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenversorgung nach S P (P.), über dessen Schicksal verschiedene Angaben vorhanden sind.

In einer Erklärung vor dem amerikanischen Bezirks-Rechtsoffizier der IRO vom 28. Juni 1949 gab die Klägerin an, P. - ihr Ehemann - sei bei dem Versuch, aus einem lettischen Arbeitslager zu entfliehen, am 26. November 1944 getötet worden. In einer eidesstattlichen Versicherung vom gleichen Tage bekundete die heute nicht mehr auffindbare M H vor diesem Rechtsoffizier, daß sie P. Ende des Jahres 1944 in einem Lager für Zwangsarbeiter in Litauen getroffen habe. Bei dem Versuch, aus dem Lager zu flüchten, sei er von deutscher Polizei verhaftet, zu Tode geschlagen und weggetragen worden.

In einer eidesstattlichen Erklärung der Klägerin vor einem Notar vom 17. Januar 1961, worauf sie den Antrag auf Todeserklärung des P. stützte, führte die Klägerin aus, daß P. auf einem Transport von einem Lager in Lettland in ein anderes Ende 1944 einen Fluchtversuch unternommen habe und dabei erschossen worden sei; sie habe ihn identifizieren müssen.

In einer weiteren eidesstattlichen Erklärung vom 30. Januar 1962, die sie dem Bundesverwaltungsamt (BVA) im Rahmen eines Verfahrens nach dem Bundesentschädigungsgesetz vorlegte, gab die Klägerin an, sie sei im Sommer 1944 in K/Litauen mit ihrem Mann verhaftet, in ein Gefängnis gebracht und nach drei Wochen mit der Bahn in Richtung Deutschland abtransportiert worden. Als der Zug wegen eines Angriffs feindlicher Flugzeuge zwei Stationen hinter der litauischen Grenze sehr langsam gefahren sei, habe ihr Ehemann mit sechs anderen Männern einen Fluchtversuch unternommen und sei dabei erschossen worden.

In einem Antrag an das BVA vom 25. Mai 1966 erklärte die Klägerin, daß sie mit P. im Herbst 1944 durch Polizeikommandos unter der Aufsicht deutscher Feldgendarmerie verhaftet, in ein unter deutscher Verwaltung stehendes Lager eingeliefert und dort von ihrem Ehemann getrennt worden sei. Dieser sei nach etwa zwei Tagen erschossen worden, nachdem er sich mit sechs anderen Männern aus dem Lager entfernt habe.

Durch das BVA zur Erläuterung der Unstimmigkeiten in den verschiedenen Angaben aufgefordert, erklärte die Klägerin, daß sie mit ihrem Mann im Sommer 1944 nach einer ca. dreiwöchigen Gefängnishaft nach Deutschland transportiert worden sei. Ihr Mann habe mit mehreren anderen Männern nach Passieren der litauischen Grenze einen Fluchtversuch unternommen und sei dabei erschossen worden. Mehr wisse sie nicht, und sie könne auch nicht mehr angeben.

Über das Schicksal der Klägerin liegen verschiedene Unterlagen vor:

In den IRO-Akten ist vermerkt, daß die Klägerin von 1937 bis August 1944 Hausfrau in K gewesen, von Oktober 1944 bis April 1945 verschleppt worden sei und daß sie als Hilfsarbeiterin gearbeitet habe.

In einem Fragebogen für DP, der für Zwecke der amerikanischen Armee am 25. März 1947 ausgefüllt wurde, ist angegeben, daß die Klägerin von 1939 bis 1942 Arbeiterin in K und von 1943 bis 1945 Arbeiterin in B (Odenwald) gewesen sei, daß sie die Heimat zwangsweise verlassen habe und 1943 "durch das Arbeitsamt" nach Deutschland gekommen sei.

Am 26. Dezember 1944 gebar die Klägerin den Sohn S. Die Eintragung im Geburtenbuch wurde auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Mosbach vom 9. Juni 1959, der auf der am 28. Juni 1949 vor dem Rechtsoffizier der IRO abgegebenen Erklärung der Klägerin beruhte, dahingehend ergänzt, daß die Klägerin die Ehefrau des angeblich 1944 gestorbenen Textilarbeiters S P. ist.

Durch Beschluß des Amtsgerichts Ingolstadt vom 21. Mai 1962 wurde P. für tot erklärt und der 31. Dezember 1945, 24 Uhr als Todeszeitpunkt festgestellt.

Den von der Klägerin im Mai 1964 gestellten Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung lehnte das Versorgungsamt durch Bescheid vom 8. September 1964 ab, weil P. nicht an Schädigungsfolgen gestorben sei. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1965). Das Sozialgericht (SG) München hat den Beklagten durch Urteil vom 2. Juli 1968 verurteilt, der Klägerin ab 1. Mai 1964 Witwenrente zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 16. Januar 1970 die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, es sei erwiesen, daß die Klägerin die Ehefrau des P. war und dieser verstorben sei. Da die Klägerin Ausländerin sei, habe sie nur dann einen Anspruch auf Versorgung, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 3 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - erfüllt seien. Das sei hier der Fall. Zwar habe P. keinen Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht und auch keinen militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation geleistet, jedoch sei er an den Folgen einer Schädigung gestorben, die in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten sei. Ungeachtet aller Widersprüche könne festgestellt werden, daß P. im Jahre 1944 in K von deutschen Polizisten festgenommen, in ein Sammellager eingeliefert und bei einem Fluchtversuch entweder in Lettland oder in Ostpreußen ergriffen und getötet worden sei. In der Erfassung von Litauern und deren zwangsweisem Transport nach Deutschland sei eine Verschleppung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG zu erblicken. Die Tötung des P. nach dessen Wiederergreifung sei eine übermäßig harte Bestrafung und infolgedessen ein Willkürakt, in dem eine mit der Verschleppung zusammenhängende besondere Gefahr zum Ausdruck gekommen sei. Diese Schädigung könne sich zwar nicht an dem vom Amtsgericht Ingolstadt festgestellten Todeszeitpunkt, nämlich dem 31. Dezember 1945, ereignet haben, denn zu diesem Zeitpunkt habe es weder in Litauen noch in Ostpreußen deutsche Truppen oder deutsche Polizei gegeben. Das stehe dem Anspruch der Klägerin aber nicht entgegen, weil die Widerlegung der durch die Todeserklärung begründeten Vermutung zulässig sei, wenn volle Gewißheit über deren Unrichtigkeit bestehe. Dies sei hier gegeben, denn nach den "feierlichen Erklärungen" der Klägerin und der Zeugin H sei P. von deutscher Polizei in Lettland oder Ostpreußen erschossen worden. Insoweit folge das LSG der dem schädigenden Ereignis zeitlich am nächsten liegenden Erklärung der Klägerin vom 28. Juni 1949, nach welcher P. am 26. November 1944 gestorben sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 11. Februar 1970 zugestellte Urteil am 19. Februar 1970 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 11. Mai 1970 an diesem Tage begründet.

Er beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 1970 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. Juli 1968 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts München II vom 8. September 1964 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 1965 als unbegründet abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 1970 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte rügt eine Verletzung der §§ 9 Abs. 1 Satz 1 Verschollenheitsgesetz (VerschG), Art. 2 § 3 Abs. 1 Verschollenheits-Änderungsgesetz (VerschÄndG), §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie der §§ 5 Abs. 1 Buchst. d, 38 BVG durch das LSG. Er führt zur Begründung insbesondere aus, daß die Versorgungsbehörden und die Gerichte den vermutlichen Todeszeitpunkt nur feststellen durften, solange eine Todeserklärung noch nicht vorliege. Der Beschluß des Amtsgerichts habe rechtserzeugende Wirkung und begründe die in § 9 VerschG ausgesprochene Rechtsvermutung, daß der Verschollene zu dem im Beschluß genannten Zeitpunkt verstorben sei, er also bis zu diesem Tage gelebt habe. Diese Vermutung binde alle anderen Behörden, wie der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 12, 139 ff ausgesprochen habe, und zwar auch dann, wenn keine Ermittlungen über den Todeszeitpunkt durchgeführt worden seien. Nur in dem Ausnahmefall, daß volle Gewißheit über die Unrichtigkeit des Todeszeitpunktes bestehe, könne eine davon abweichende Feststellung getroffen werden. Dieser Gegenbeweis sei jedoch nach den vom LSG getroffenen Feststellungen nicht erbracht. Das LSG habe sich insoweit allein auf die Erklärungen der Zeugin H und der Klägerin vom 28. Juni 1949 bezogen. Es habe aber unberücksichtigt gelassen, daß die Klägerin nach dem für die amerikanische Armee ausgefüllten Fragebogen vom 25. März 1947 bereits 1943 in Deutschland angekommen sei und in Buchen (Odenwald) gearbeitet habe. Wenn dies richtig sei, könne aber die Klägerin nicht - wie sie in ihren übrigen Erklärungen behauptet habe - bei den von ihr geschilderten Ereignissen im Jahre 1944 selbst anwesend gewesen sein. Da das LSG nicht berücksichtigt habe, daß die Klägerin - nach der Unterlage vom 25. März 1947 - bereits im Jahre 1943 in Deutschland gewesen sei, habe das LSG sein Recht zur freien Beweiswürdigung i.S. des § 128 SGG verletzt. Daraus folge aber, daß die für die Widerlegung der Vermutung des Todeszeitpunkts des P. erforderliche Gewißheit nicht gegeben sei. Mit weiterer Begründung rügt der Beklagte eine Verletzung des § 103 SGG durch das LSG.

Die Klägerin beantragt dem Sinne nach,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß die angefochtene Entscheidung materiell-rechtlich zutrifft und die vom Beklagten gerügten Verfahrensmängel nicht gegeben sind.

II

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG), so daß sie zulässig ist. Die Revision ist auch begründet.

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenversorgung gemäß § 38 BVG, weil ihr Ehemann an den Folgen einer Schädigung verstorben sei. Das LSG hat - von der Revision unangegriffen und daher für den Senat gemäß § 163 SGG bindend - festgestellt, daß die im Bundesgebiet lebende Klägerin weder Deutsche noch deutsche Volkszugehörige ist und daß ihr Ehemann weder Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht noch militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation geleistet hat. Demnach ist das BVG auf die Klägerin nur dann anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 3 letzte Alternative BVG erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift findet das BVG auf "andere Kriegsopfer" - also auf solche Personen, die nicht "Deutsche oder deutsche Volkszugehörige" (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BVG) sind - Anwendung, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, wenn die Schädigung ... in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist. Als "unmittelbare Kriegseinwirkung" käme im vorliegenden Fall nur der in § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG geregelte Tatbestand in Betracht, wonach als unmittelbare Kriegseinwirkung i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG gelten, wenn sie im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen, schädigende Vorgänge, die infolge einer ... mit der zwangsweisen Umsiedlung oder Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind; denn das LSG hat festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin zum Zwecke des Abtransports nach Deutschland Ende 1944 von deutscher Polizei festgenommen und nach einem Fluchtversuch entweder vor Erreichen oder nach dem Überschreiten der deutschen Grenze am 26. November 1944 erschossen worden ist. Sofern dieser Sachverhalt zutrifft - auf die vom Beklagten insoweit erhobene Rüge einer Verletzung des Rechts zur freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) durch das LSG wird später eingegangen werden -, steht der Klägerin Hinterbliebenenversorgung zu, denn die Festnahme des P. durch deutsche Polizei oder Feldjäger Ende 1944 in seiner von der deutschen Wehrmacht besetzten Heimat zum Zwecke der Verbringung nach Deutschland ist eine Verschleppung i.S. des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG und seine Erschießung nach dem mißglückten Fluchtversuch kurz vor oder nach Überschreiten der deutschen Grenze stellt sich als eine mit dieser Verschleppung zusammenhängende "besondere Gefahr" dar. Ein schädigender Vorgang, der infolge einer mit der Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten ist, liegt nämlich auch dann vor, wenn die Verschleppung durch deutsche Truppen oder andere deutsche Stellen vorgenommen worden ist (s. dazu BSG in SozR BVG § 5 Nr. 44 mit weiteren Hinweisen).

Der Beklagte wendet sich mit seiner Revision zwar nicht gegen diese - auch vom LSG vertretene - Rechtsauffassung, er meint jedoch, das LSG sei nicht befugt gewesen, einen anderen als den im Beschluß des Amtsgerichts Ingolstadt vom 21. Mai 1962 festgesetzten Todeszeitpunkt des P. - also des 31. Dezember 1945, 24 Uhr - festzustellen. Dieser Ansicht des Beklagten, daß das LSG uneingeschränkt an den im Todeserklärungsbeschluß festgestellten Todeszeitpunkt gebunden und nicht befugt gewesen sei, einen anderen Todeszeitpunkt anzunehmen, kann nicht gefolgt werden. Nach den §§ 9 Abs. 1, 10 VerschG begründet die Todeserklärung die Vermutung, daß der Verschollene zu dem im Beschluß festgestellten Zeitpunkt gestorben ist und daß er bis zu diesem Zeitpunkt gelebt hat; diese Vermutung wirkt für und gegen jedermann und bindet alle Behörden; sie ist weder in zeitlicher noch in persönlicher Hinsicht beschränkt. Hierbei ist es unerheblich, ob im Todeserklärungsverfahren Ermittlungen über den Zeitpunkt des Todes angestellt worden sind (vgl. Art. 2 §§ 2, 8 VerschÄndG vom 15. Januar 1951 - BGBl I 59 -) oder ob ohne Ermittlungen ein vom Gesetz vorgesehener schematischer Todeszeitpunkt festgestellt worden ist (BSG 12, 139, 142, 144; Urteil des 9. Senats des BSG vom 22. Oktober 1967 - 9 RV 130/65 -). Jedoch ist der Gegenbeweis zur Entkräftung der Todesvermutung - entgegen der Auffassung des Beklagten - zulässig. Er setzt die volle Gewißheit der Unrichtigkeit des in der Todeserklärung festgestellten Todeszeitpunktes voraus (BSG aaO). Dies bedeutet, daß ein positiver Nachweis der Unrichtigkeit des Todeszeitpunktes geführt werden muß; es reicht also nicht aus, daß das Gericht oder die Verwaltungsbehörde dem in der Todeserklärung festgestellten Zeitpunkt nur eine eigene - möglicherweise mit einem höheren Grad der Wahrscheinlichkeit begründete - "Feststellung" entgegensetzt. Demnach war also das LSG befugt, einen vom Beschluß des Amtsgerichts Ingolstadt anderweitigen Todeszeitpunkt des P. festzustellen, wenn der volle Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Todeszeitpunktes - also der 31. Dezember 1945, 24 Uhr - erbracht war.

Das LSG hat "ungeachtet aller Widersprüche" festgestellt, daß P. im Jahre 1944 in Kowno von deutschen Polizisten festgenommen, in ein Sammellager eingeliefert und bei einem Fluchtversuch entweder vor oder nach Überschreiten der damaligen Reichsgrenze ergriffen und getötet worden ist; es hat ferner den Todeszeitpunkt auf den 26. November 1944 festgesetzt und sich hierbei auf die "dem schädigenden Ereignis zeitnächste eidesstattliche Erklärung der Klägerin vom 28. Juni 1949" gestützt. Die gegen diese Feststellungen des LSG gerichtete Rüge des Beklagten, eine Verletzung des § 128 SGG, greift durch. Das LSG hat nämlich diese Feststellungen nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen. Zwar hat das LSG zutreffend erkannt, daß über den Hergang der Ereignisse, die zum Tode des P. geführt haben sollen, erhebliche unterschiedliche Angaben durch die Klägerin auch unter Berücksichtigung der Bekundungen der "Zeugin" H bestehen, jedoch mußte es aus diesen Widersprüchen allein noch nicht schließen - wie der Beklagte offenbar meint -, daß der geschilderte Hergang und damit eine unmittelbare Kriegseinwirkung i.S. des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG nicht nachgewiesen ist. Es ist insoweit nicht erheblich, ob auch eine solche Schlußfolgerung möglich gewesen wäre. Der Beklagte weist aber zutreffend darauf hin, daß nicht die eidesstattliche Erklärung der Klägerin aus dem Jahre 1949 die dem schädigenden Ereignis zeitnächste "Unterlage" ist, sondern die vom LSG selbst im Tatbestand erwähnte Urkunde (Fragebogen für DP) vom 25. März 1947, wonach die Klägerin bis 1942 Arbeiterin in Kowno und von 1943 bis 1945 Arbeiterin in Buchen/Odenwald gewesen sei, und daß sie ihre Heimat zwangsweise verlassen habe und 1943 "durch das Arbeitsamt" nach Deutschland gekommen sei. Diesen Fragebogen hat das LSG bei seiner Beweiswürdigung außer acht gelassen; es hat jedenfalls nicht erkennen lassen, welche Bedeutung und welchen Beweiswert es dieser Unterlage im Vergleich zu anderen Unterlagen und den Angaben der Klägerin beimißt. Es hat damit die vom Beklagten angegriffenen Feststellungen jedenfalls nicht erkennbar aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen. Die Einbeziehung des Fragebogens aus dem Jahre 1947 in die Beweiswürdigung und die Verdeutlichung seines Beweiswertes durch das LSG war um so mehr geboten, als die Klägerin in ihren Angaben über den Hergang der Ereignisse des Jahres 1944 im Baltikum und in Ostpreußen ständig vorgebracht hat, sie sei bei diesen Vorgängen persönlich anwesend gewesen. Sie hat angegeben, daß sie mit ihrem Ehemann gemeinsam verhaftet, mit ihm in ein Gefängnis oder in ein Sammellager eingeliefert worden sei, ferner sogar einmal, daß sie die Leiche ihres erschossenen Ehemannes habe identifizieren müssen. Unter Berücksichtigung des Inhalts des Fragebogens von 1947, nach welchem die Klägerin sich aber im Zeitpunkt der von ihr selbst miterlebten Ereignisse des Jahres 1944 bereits in Buchen/Odenwald - nämlich seit 1943 - als Arbeiterin befunden haben soll, sind nicht nur - wie das LSG ausgeführt hat - die Angaben über den Hergang dieser Ereignisse widersprüchlich, sondern auch die Grundlage dieser Angaben, also die Behauptung der Klägerin, sie habe die Ereignisse selbst miterlebt. Hätte das LSG den Inhalt des Fragebogens von 1947 aber in der gebotenen Weise berücksichtigt, d.h., hätte es sich veranlaßt gesehen, Erwägungen über Bedeutung und Beweiswert dieser Unterlage anzustellen, so erscheint es nicht ausgeschlossen, daß es zu einer anderen Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens gekommen wäre oder daß es sich noch zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt gefühlt hätte, so z.B. zu einer Anfrage bei der Gemeindeverwaltung in Buchen/Odenwald oder bei dem für diesen Ort zuständigen Arbeitsamt, um festzustellen, seit wann die Klägerin dort ihren Aufenthalt genommen hat; hieraus hätten sich möglicherweise wiederum Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit der Klägerin im Hinblick auf die von ihr im übrigen abgegebenen Erklärungen ziehen lassen können. Da der Beklagte die Feststellungen des LSG, daß P. am 26. November 1944 nach Festnahme durch die deutsche Polizei und einem vergeblichen Fluchtversuch kurz vor oder nach Überschreiten der damaligen Reichsgrenze erschossen worden ist, wirksam angegriffen hat, fehlt es an einer für eine abschließende Entscheidung des Senats bindenden Feststellung (§ 163 SGG).

Das angefochtene Urteil war somit aufzuheben und die Sache an das LSG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670071

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