Entscheidungsstichwort (Thema)

Bereiterklärung durch Verwendung von Wochenbeitragsmarken?. Verschiebung des Versicherungswagnisses. Gewährung von Rente durch Entwicklung neuer Rechtsgedanken in der Rechtsprechung?

 

Leitsatz (amtlich)

Sind im Jahre 1957 freiwillige Beiträge durch Verwendung von Beitragsmarken der Klasse 2 mit dem Aufdruck 57 in zulässiger Weise für die Jahre 1955 oder 1956 über die in RVO § 1264 aF Abs 1 vorgeschriebenen Mindestzahl von 26 Wochenbeiträgen jährlich hinaus entrichtet, so kann darin keine Bereiterklärung zur Entrichtung der in ArVNG Art 2 § 42 S 2 vorgeschriebenen Mindestzahl von 9 Monatsbeiträgen für das Jahr 1957 gesehen werden. Auch das nach früherem Recht bei der Verwendung zu niedriger Beiträge in der freiwilligen Versicherung vorgeschriebene Berichtigungsverfahren ist in einem solchen Falle nicht möglich.

In den Fällen des ArVNG Art 2 § 42 darf eine genaue Bestimmung des Eintritts des Versicherungsfalls nicht mit der Begründung unterlassen werden, daß auf jeden Fall die Rente noch nach dem günstigeren alten Recht zu berechnen ist, da nur bei einer genauen Klärung des Eintritts des Versicherungsfalls geprüft werden kann, ob und inwieweit die Rentenanpassungsgesetze die Höhe der Rente beeinflussen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Bereiterklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (BSG vom 23.11.1961 12/3 RJ 136/60 = BSGE 15, 267, 270), die insbesondere, um Rechtswirkungen zu zeitigen, rechtzeitig abgegeben und dem Versicherungsträger zugegangen sein muß.

Aus ihr muß für den Empfänger ua klar ersichtlich sein, für wen Beiträge entrichtet werden sollen und für welchen Zeitraum.

2. Eine Verschiebung des Versicherungswagnisses ist in gewissen Fällen aus im Gesetz liegenden Billigkeitsgründen zugunsten gutgläubiger Versicherter in gewissem Umfange zugelassen, doch findet eine solche Rücksichtnahme dort ihre Grenzen, wo das Verhalten der Versicherten sich in einem bewußten Gegensatz zum Gesetz stellt, oder wo sonst die Zulassung einer solchen Möglichkeit zu einem klaren Widerspruch mit früherem, eindeutigem Verhalten des Versicherten führen würde.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1264 Abs. 1 Fassung: 1937-12-21, § 1419 Abs. 2; BGB § 133

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 1962 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die im Jahre 1907 geborene Klägerin war von 1927 bis 1943 mit Unterbrechungen als Hausgehilfin versicherungspflichtig beschäftigt. Außerdem hat sie in dieser Zeit freiwillige Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet. 1949 nahm sie ihre Versicherung wieder auf. Ihre Quittungskarten Nr. 9 bis 11 enthalten zunächst jeweils 26 rechtzeitig entrichtete Beiträge der Klasse II für die Jahre 1949 bis 1955. Dazu sind in der am 9. Juli 1954 ausgestellten und am 25. September 1957 aufgerechneten Quittungskarte Nr. 11 weitere 26 Beitragsmarken mit dem Jahresaufdruck 56 für 1954 entwertet, so daß für dieses Jahr insgesamt 52 Beitragsmarken vorliegen, ferner 19 Beitragsmarken zu 1,10 DM mit dem Aufdruck 57 für 1955. In der am 25. September 1957 ausgestellten Quittungskarte Nr. 12 befinden sich schließlich 7 Beitragsmarken der Klasse II mit dem Aufdruck 57, entwertet für das Jahr 1955, und weitere 52 Marken der gleichen Art, entwertet für 1956, endlich 20 Beitragsmarken der Klasse A zu je 14,- DM mit der Jahreszahl 59, von denen jeweils 9 für die Jahre 1957 und 1958 und 2 für das Jahr 1959 entwertet sind.

Auf Grund ihres Rentenantrags vom 19. März 1959 bezieht die Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 20,60 DM monatlich seit dem 1. März 1959. Dabei ist ihre Rente nach neuem Recht berechnet worden. Die Beklagte hat die Berechnung der Rente nach den günstigeren Vorschriften des alten Rechts abgelehnt; sie hat die in der Quittungskarte Nr. 12 enthaltenen 20 Beitragsmarken zu je 14,- DM mit der Jahreszahl 59 beanstandet, weil sie nach Eintritt des Versicherungsfalles geleistet seien. Die Klägerin sei seit dem 14. Januar 1958 erwerbsunfähig. Damit fehle es an den in Art. 2 § 42 Satz 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 vorgeschriebenen 9 Monatsbeiträgen für das Jahr 1957.

Gegen den Bewilligungsbescheid vom 13. Dezember 1959 hat die Klägerin wegen der Höhe der Rente Klage erhoben. Im Berufungsverfahren ist die Beklagte vom Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen am 30. Januar 1962 verurteilt worden, die Rente nach Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin sei rentenberechtigt, da sie erwerbsunfähig sei und die gesetzliche Wartezeit erfüllt habe (insgesamt liegen, ohne die beanstandeten Monatsbeiträge, 691 Wochenbeiträge vor). Sie habe auch auf Grund des Art. 2 § 42 ArVNG Anspruch auf Berechnung ihrer Rente nach den für sie günstigeren Vorschriften des alten Rechts zuzüglich des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 ArVNG. Zunächst sei die Anwartschaft aus den bis zum 31. Dezember 1956 tatsächlich entrichteten Wochenbeiträgen, wie es in Art. 2 § 42 Satz 2 Halbsatz 1 ArVNG verlangt werde, nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten gewesen. Die 52 für das Jahr 1954 entwerteten Beitragsmarken der Klasse II mit dem Aufdruck 55 und 56 seien nämlich entgegen dem eingetragenen Entwertungsdatum, dem keine ausschlaggebende Bedeutung zukomme, nach dem mutmaßlichen Willen der Klägerin nicht ausschließlich für das Jahr 1954 zu verrechnen, sondern je zur Hälfte für die Jahre 1954 und 1956, da anderenfalls nach § 1264 RVO aF die Anwartschaft aus den bisherigen Beiträgen zum Ende des Jahres 1956 erloschen wäre und die Klägerin keinen Versicherungsschutz mehr genossen hätte.

Aber auch die weitere Voraussetzung für die Berechnung der Rente nach dem günstigeren alten Recht, nämlich die Entrichtung von mindestens 9 Monatsbeiträgen der Klasse A für das Jahr 1957 (ArVNG Art. 2 § 42 Satz 2 letzter Halbsatz) sei erfüllt. Die Klägerin habe diese Beiträge innerhalb der Beitragsnachentrichtungsfrist des § 1418 RVO im Jahre 1959 entrichtet. Diese Beiträge könnten trotz der Vorschrift des § 1419 Abs. 1 RVO noch für 1957 angerechnet werden, obwohl sie erst nach Eintritt des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit geleistet seien. Die Klägerin habe sich nämlich im Jahre 1957 zur Entrichtung dieser Beiträge bereit erklärt und die erforderlichen Beiträge auch in angemessener Frist nachentrichtet (§ 1419 Abs. 2 RVO). Die Bereiterklärung liege in der Entrichtung von 52 Beitragsmarken der Klasse II zu 1,10 DM mit dem Jahresaufdruck 57 für die Jahre 1955 und 1956 in den Quittungskarten Nr. 11 und 12. Zwar hätten für die Weiterversicherung seit dem 1. Januar 1957 grundsätzlich nicht mehr die alten Beitragsmarken der Klasse II verwendet werden dürfen, vielmehr hätten neue Monats-Beitragsmarken benutzt werden müssen. Die Verwendung der alten Beitragsmarken nach dem 1. Januar 1957 sei jedoch nicht schlechthin unzulässig gewesen, vielmehr hätten sie für die Zeiten vor dem 1. Januar 1957 noch verwendet werden dürfen. Unter diesen Umständen müsse in der Entrichtung der für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft im Sinne des letzten Halbsatzes des Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG allerdings unzulässigen Beitragsmarken der Klasse II eine Erklärung der Klägerin gesehen werden, daß sie bereit sei, die erforderlichen Beiträge für 1957 noch nachzubringen, weil dies allein ihrem mutmaßlichen Willen entspreche, die entrichteten Marken so vorteilhaft zu verwenden wie nur möglich. Dahingehende Grundsätze seien bereits unter der Herrschaft des alten Rechts entwickelt worden, um den Versicherten unter Berücksichtigung seines mutmaßlichen Willens, daß seine Beiträge in erster Linie zur Aufrechterhaltung seiner Anwartschaft dienen sollen, vor Nachteilen zu schützen. Da aber Art. 2 § 42 Satz 2 letzter Halbsatz ebenfalls eine Art Anwartschaftsregelung enthalte, erscheine es angemessen, auf die genannten, im alten Recht mit Rücksicht auf das Institut der Anwartschaftserhaltung entwickelten Grundsätze zurückzugreifen und sie entsprechend anzuwenden. Dies führe dazu, die Verwendung der Beiträge der Klasse II im Jahre 1957 als Bereiterklärung im Sinne des § 1419 Abs. 2 RVO anzusehen.

Eine solche Rechtsanwendung stehe überdies im Einklang mit anderen zum alten Recht entwickelten Rechtsgedanken. Früher hätten im Falle einer Weiterversicherung Beitrage in der dem Einkommen des Versicherten entsprechenden Lohnklasse, mindestens aber in der Lohnklasse II entrichtet werden müssen. Hierzu sei stets anerkannt gewesen, daß danach zu niedrige Beiträge nicht schlechthin unwirksam gewesen seien, sondern daß sie hätten berichtigt werden können, und zwar auch noch nach Eintritt des Versicherungsfalls.

Die für das Jahr 1957 erforderlichen 9 Monatsbeitrage habe die Klägerin somit durch die im Jahre 1959 erfolgte Verwendung von 9 Monatsbeiträgen der Klasse A in Verbindung mit der früheren Beitragserklärung rechtswirksam und in angemessener Frist nachentrichtet.

Falls der Versicherungsfall im Jahre 1958 eingetreten sei, habe deshalb die Klägerin alle Voraussetzungen für die Berechnung ihrer Rente nach altem Recht erfüllt. Sofern aber der Versicherungsfall bereits im Jahre 1957 eingetreten sein sollte, wofür verschiedene Anhaltspunkte sprächen, hätte sie die Voraussetzungen für die Vergleichsberechnung ohnehin schon durch die Entrichtung der vor dem 1. Januar 1957 geleisteten Beiträge erfüllt. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die Erwerbsunfähigkeit erst im Jahre 1959 vor der Entrichtung der 20 Monatsbeitrage der Klasse A eingetreten wäre, weil alsdann für das Jahr 1958 9 wirksame Monatsbeiträge fehlten. In Übereinstimmung mit der Beklagten sei jedoch davon ausgegangen, daß die Klägerin schon seit Anfang 1958 erwerbsunfähig sei. Die bei ihr vorhandenen Leiden (u. a. Herzmuskelschwäche, Lungen-Emphysem, Adipositas) entwickelten sich nur über längere Zeit hin. Es müsse daher davon ausgegangen werden, daß die Klägerin mindestens schon seit 1958 erwerbsunfähig sei. Wenn sie aber bereits 1957 oder sogar schon 1956 erwerbsunfähig bezw. invalide gewesen sei, hätte ihr erst recht eine Rente nach altem Recht zugestanden. Somit sei eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens zur genaueren Bestimmung des Eintritts der entscheidenden Erwerbsminderung nicht mehr notwendig gewesen. Der Klägerin stehe auf jeden Fall die nach altem Recht zu berechnende Rente zu, so daß das Rechtsmittel der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30. Mai 1961 mit der Maßgabe hätte zurückgewiesen werden müssen, daß sie zu verurteilen war, die Rente nach Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnen.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung der §§ 1419, 1420 RVO nF sowie des Art. 2 § 42 ArVNG und beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 1962 abzuändern und die Klage gegen ihren Bescheid vom 23. Dezember 1959 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Sie ist auch im wesentlichen begründet. Mit Recht rügt die Revision, daß es nicht zulässig war, wie es das LSG getan hat, in der Verwendung von Wochenbeitragsmarken der Klasse II mit dem Jahresaufdruck 57 in den Quittungskarten Nr. 11 und 12 für das Jahr 1956 eine Bereiterklärung zur Entrichtung von 9 Monatsbeiträgen für das Jahr 1957 zu sehen.

Die Bereiterklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (BSG 10, 264, 267; 15, 267, 270), die insbesondere, um Rechtswirkungen zu zeitigen, rechtzeitig abgegeben und dem Versicherungsträger zugegangen sein muß. Die Verwendung von 52 Beitragsmarken der Klasse II mit dem Aufdruck 57 für das Jahr 1956 in der Quittungskarte Nr. 12 war aber zunächst lediglich ein interner Vorgang, der vorerst nicht zur Kenntnis der Beklagten kam. Dies geschah erst im Jahre 1959, als die Klägerin ihren Rentenantrag stellte und dazu ihre bisherigen Aufrechnungsbescheinigungen sowie die Quittungskarte Nr. 12 vorlegte. Mithin kam überhaupt erst jetzt die Abgabe einer Bereiterklärung in Betracht. Damals war jedoch nach den Feststellungen des LSG auf jeden Fall bereits der Versicherungsfall eingetreten. Da indes die Bereiterklärung insoweit nicht anders behandelt werden kann als die Beitragsentrichtung, war im Jahre 1959 eine wirksame Bereiterklärung zur Entrichtung von Beiträgen für das Jahr 1957 durch Überreichen der Quittungskarte Nr. 12 ohnehin nicht mehr möglich, da nunmehr nach § 1419 Abs. 1 RVO selbst eine Beitragsentrichtung nicht mehr möglich gewesen wäre, weil bereits Erwerbsunfähigkeit bestand. Damit kann hier dahingestellt bleiben, ob in der geschilderten Verwendung jener 52 Beitragsmarken in der Quittungskarte Nr. 12 überhaupt an sich eine Bereiterklärung liegen konnte.

Aber auch in der Abgabe der Quittungskarte Nr. 11 am 25. September 1957 zur Aufrechnung und Weiterleitung dieser Quittungskarte an die Beklagte in Verbindung mit den darin enthaltenen 19 Beitragsmarken zu 1,10 DM mit dem Aufdruck 57 für das Jahr 1955 durfte keine rechtzeitige Bereiterklärung im Sinne des § 1419 Abs. 2 RVO gesehen werden. Denn aus einer etwaigen Bereiterklärung als einer empfangsbedürftigen Willenserklärung von erheblicher Bedeutung muß für den Empfänger u. a. klar ersichtlich sein, für wen Beiträge entrichtet werden sollen und für welchen Zeitraum. Die Quittungskarte Nr. 11 enthielt aber nur 19 Beitragsmarken der Klasse II mit dem Aufdruck 57, die ausdrücklich für 1955 bestimmt waren. Dahin lautete auch die erteilte Aufrechnungsbescheinigung. Unter diesen Umständen war für die Beklagte nicht zu erkennen, daß mit der Verwendung dieser 19 Wochenbeitragsmarken im Gesamtwerte von insgesamt 20,90 DM eine Bereiterklärung zur Entrichtung von 9 Monatsbeiträgen zu je 14,- DM für das Jahr 1957, also zur Zahlung von insgesamt 126,- DM zum Ausdruck gebracht werden sollte, zumal diese alten Beitragsmarken, falls sie noch vor der Verkündung des ArVNG geleistet worden sein sollten, allenfalls noch für die Zeit bis zum 28. Februar 1957 hätten verwendet werden dürfen (Jantz/Zweng § 1387 RVO Anm. Abs. 2; VerbKomm. § 1387 RVO Anm. 1). Damit entfällt auch insoweit die Möglichkeit, in der Verwendung von Beitragsmarken zu 1,10 DM in der Quittungskarte Nr. 11 eine Bereiterklärung zur Entrichtung von 9 Monatsbeiträgen für das Jahr 1957 zu sehen. Eine Verschiebung oder anderweitige Verrechnung jener insgesamt 78 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 57 aber würde der Klägerin auch nicht helfen können, da jedenfalls vom 1. März 1957 an nur noch neue Beitragsmarken verwendet werden durften, und außerdem es stets daran fehlen würde, daß Beitragsmarken in der notwendigen Höhe entrichtet sind.

Dabei kann auch nicht, wie das LSG meint, auf die von ihm angeführte frühere Rechtslage zur Möglichkeit eines Berichtigungsverfahrens bei Verwendung zu niedriger Beiträge in der freiwilligen Weiterversicherung zurückgegriffen werden. Zwar waren danach die zum Zwecke freiwilliger Versicherung in einer zu niedrigen Lohnklasse entrichteten Beitrage nicht völlig unwirksam, sie konnten vielmehr nachträglich mit der Folge voller Rechtswirksamkeit berichtigt werden. Denn schon durch die Verwendung von irgendwelchen, auch zu niedrigen freiwilligen Beiträgen wurde das Band der freiwilligen Versicherung geschaffen. Es bestand auch keine Frist für eine derartige Berichtigung, da Fristen nur für die Entrichtung von Pflicht- und freiwilligen Beitragen vorgesehen waren, nicht aber für die Ergänzung zu niedriger Beiträge. Die Ergänzung der Beiträge bis zur Höhe der gesetzlichen Lohnklasse konnte somit an sich jederzeit nachgebracht werden, und zwar selbst nach Eintritt des Versicherungsfalls (GE Nr. 3097 u. 3098, AN 1927, 462 u. 463). Gleichwohl war eine Berichtigung unzureichender freiwilliger Beiträge nicht uneingeschränkt und zu jeder späteren Zeit möglich. Anderenfalls wäre der mit den früheren Vorschriften über das Erfordernis einer laufenden und ausreichenden Beitragsleistung beabsichtigte Zweck einer Beschränkung des Versicherungswagnisses für den Versicherungsträger so gut wie vereitelt worden. Die freiwillig Versicherten hätten sich sonst in der niedrigsten Lohnklasse versichern können, und erst und nur dann, wenn der Versicherungsfall in die Nähe gerückt oder gar schon eingetreten war, hätten sie sich - unter Umständen erst nach vielen Jahren - in der gesetzmäßigen höheren Lohnklasse nachzuversichern brauchen. Somit würde der Versicherungsträger die gesetzmäßigen Beiträge, und selbst diese mit Zinsverlust, u. U. bloß von denjenigen Versicherten erhalten, denen er Leistungen zu gewähren hat. Das versicherungsrechtliche Wagnis wäre dadurch aber für den Versicherungsträger einseitig nachteilig gestaltet worden. Wenngleich eine Verschiebung des Wagnisses in gewissen Fallen aus im Gesetz liegenden Billigkeitsgründen zugunsten gutgläubiger Versicherter in gewissem Umfange zugelassen ist, so findet doch eine solche Rücksichtnahme dort ihre Grenzen, wo das Verhalten der Versicherten sich in einem bewußten Gegensatz zum Gesetz stellt, oder wo sonst die Zulassung einer solchen Möglichkeit zu einem klaren Widerspruch mit früherem, eindeutigen Verhalten des Versicherten führen würde (vgl. GE Nr. 3399, AN 1929, 169). Die Klägerin aber hat ihre Beitragsmarken zu 1,10 DM wöchentlich ausdrücklich für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 bestimmt, und zwar ersichtlich zu dem Zweck, um mit diesen gegenüber dem neuen Recht erheblich billigeren Beitragsmarken (genügte doch danach für eine Versicherungszeit von einem Monat die Aufbringung von 4,40 DM, während die Klägerin nach neuem Recht für jeden Monat 14,- DM hätte entrichten müssen) noch möglichst viel von der an der Erfüllung der Wartezeit für das Altersruhegeld fehlenden Versicherungszeit zu decken. Unter diesen Umständen können die für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 verwendeten Beitragsmarken der Klasse II mit dem Aufdruck 57 schon nicht in solche umgedeutet werden, die für die Zeit nach dem 1. Januar 1957 bestimmt sein sollten. Darüber hinaus würde aber selbst im Falle einer Umdeutung keine Veranlassung bestehen, hier noch eine nachträgliche Berichtigung zuzulassen und der Klägerin noch die Möglichkeit einzuräumen, den Differenzbetrag nachzubringen, zumal die alten Beiträge, jedenfalls für die Zeit vom 1. März 1957 an, überhaupt nicht mehr verwendet werden durften. Denn mit Rücksicht hierauf waren Beiträge nicht nur in unzureichender Höhe, sondern darüber hinaus in nicht genügender Zahl entrichtet.

Das angefochtene Urteil konnte daher aus den genannten Gründen nicht aufrecht erhalten werden, da es durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt. Gleichwohl war damit entgegen dem Antrag der Beklagten eine abschließende Entscheidung durch den Senat noch nicht möglich. Das LSG hat nicht eindeutig geklärt, wann der Versicherungsfall eingetreten ist. Hiervon hängt aber nicht nur maßgeblich ab, ob die Rente der Klägerin überhaupt noch gemäß Art. 2 § 42 ArVNG nach altem Recht zu berechnen ist oder nicht, sondern auch, ob und inwieweit sich die späteren Rentenanpassungsgesetze auf sie auswirken. Schon aus dem zuletzt genannten Grunde durfte diese Frage nicht unentschieden gelassen werden.

Wäre die Klägerin tatsachlich erst Anfang 1958 durch eine plötzliche Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes überraschend und unvorhergesehen erwerbsunfähig geworden, ohne vorher berufsunfähig gewesen zu sein, hätte sie zunächst keinen Anspruch auf Berechnung ihrer Rente nach altem Recht unter Hinzurechnung des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 ArVNG. Es würde alsdann an den nach Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG erforderlichen Mindestbeiträgen für neun Monate für das Jahr 1957 fehlen. Bei einer Bewertung dieses Ergebnisses ist aber zu beachten, daß die Klägerin alsdann diesen Ausgang ihres Rentenverfahrens in erster Linie sich selbst zuzuschreiben hätte. Nach § 1264 Abs. 1 RVO aF mußten zur Erhaltung der Anwartschaft für jedes Kalenderjahr mindestens 26 Wochenbeiträge entrichtet werden; anderenfalls erlosch die Anwartschaft aus den für die Zeit bis zum Beginn des laufenden Kalenderjahres entrichteten Beiträgen; mit den späteren Beiträgen begann alsdann die Versicherung von neuem. Eine entsprechende Bestimmung stellt Art. 2 § 42 Satz 2 Halbsatz 2 ArVNG dar, wie das LSG an sich zutreffend ausgeführt hat, wenn er die Zulässigkeit der Vergleichsberechnung davon abhängig macht, daß vom 1. Januar 1957 an für jedes Jahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalls für mindestens neun Monate Beiträge entrichtet sind (vgl. BSG 11, 254, 256; 15, 271, 279). Nach beiden Bestimmungen bedeutet es damit stets die Eingehung eines Risikos, wenn jemand im Vertrauen auf die Nachentrichtungsfristen des § 1442 Abs. 1 RVO aF und des § 1418 Abs. 1 RVO nF es unterließ, für das laufende Kalenderjahr die zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft erforderlichen Beiträge zu leisten. Trat nämlich in der Folgezeit vor der Nachentrichtung der Versicherungsfall ein, so war eine Nachentrichtung nicht mehr möglich (§ 1443 RVO aF, 1419 RVO nF). Der Versicherte verlor alsdann nach altem Recht alle Ansprüche aus der bisherigen Versicherung. Im Falle des Art. 2 § 42 ArVNG bekommt er immerhin, nachdem das neue Recht die bisherigen Vorschriften über die Notwendigkeit der Erhaltung der Anwartschaft aufgehoben hat, wenigstens überhaupt eine Rente, er hat aber den Anspruch auf die Vergleichsberechnung verloren. Diese Ergebnisse hat der Versicherte somit selbst zu vertreten. Es kann nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, in solchen Fällen entgegen der gesetzlichen Regelung durch Entwicklung angeblich neuer Rechtsgedanken dem Versicherten doch noch zu einem Rentenanspruch oder zu einem Anspruch auf Rente in der bisherigen Höhe zu verhelfen, der ihm nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht zusteht.

Im übrigen wäre die Rechtslage selbst dann noch unterschiedlich, falls, was das LSG ausdrücklich für möglich gehalten hat, der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit, der Berufsunfähigkeit oder sogar der "Invalidität" schon vor dem Jahre 1958 eingetreten sein sollte. Hätte insbesondere Berufsunfähigkeit schon im Jahre 1956 bestanden (Art. 2 § 6 ArVNG), wäre ohnehin die Rente noch nach altem Recht zu berechnen und umzustellen (Art. 2 § 36 ArVNG), wenn auch unter Beachtung des § 1290 RVO nF erst vom 1. März 1959 an zu zahlen. Falls dagegen die Klägerin 1957 berufs- und erwerbsunfähig geworden sein sollte, kommt es, wie das LSG richtig erkannt hat, u. a. für die Zulässigkeit der Vergleichsberechnung darauf an, ob die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 tatsachlich entrichteten Beiträgen (BSG 10, 139; 15, 271) zu diesem Zeitpunkt erhalten war (ArVNG Art. 2 § 42 Satz 2 Halbsatz 1). Denn die Klägerin hatte keine Beitragsmarken der Klasse II für das Jahr 1956 entwertet. Das LSG will insoweit die im Jahre 1956 für das Jahr 1954 entwerteten 26 Wochenbeitragsmarken mit dem Aufdruck 56 auf das Jahr 1956 anrechnen. Die Zulässigkeit einer solchen Verrechnung der Beiträge hat die Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr bezweifelt.

Nach alledem mußte die Sache nach § 170 Abs. 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, da der Senat die noch erforderlichen tatsächlichen Ermittlungen nicht selbst vornehmen und und die danach erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann. Bei der erneuten Entscheidung wird das LSG alsdann auch noch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379859

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